Freitag, Juni 30, 2006

Lucy - Jugenddrama ohne Klischees

D 2005

++1/2

In Koproduktion mit der ZDF-Reihe "Das kleine Fernsehspiel" drehte "Klassenfahrt"-Regisseur Henner Winckler seinen zweiten Kinofilm. "Lucy" schildert dabei den abgesehen von reißerischen Schlagzeilen über Teenager-Schwangerschaften kaum wahrgenommenen Alltag einer jungen alleinerziehenden Mutter. Maggy (Kim Schnitzer) ist hin- und hergerrissen zwischen der an sie gestellten Verantwortung für ihre Tochter Lucy und den eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Ein neuer Freund verändert die Situation für alle Beteiligten abermals. Mit einem Blick für Details, aber im Ton eher nüchtern bis distanziert fällt Wincklers realistische Bestandsaufnahme abseits des Kino-Mainstreams aus. Meine Besprechung steht auf critic.de zum Abruf bereit.

Mittwoch, Juni 28, 2006

Mein verschärftes Wochenende - Widerlich, peinlich, dumm

KAN 2005

Null Sterne

"Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte!"

Es grenzt an geistige Körperverletzung, was die Macher dieses Zelluloidmülls gegenüber ihrem Publikum zu verantworten haben. Gegen „Mein verschärftes Wochenende“ wirken sämtliche „Eist am Stil“- und „American Pie“-Filmchen wie ein Hort des subtilen, anspruchsvollen Humors, eingebettet in eine Story mit zurückhaltendem Sex-Appeal. Erst lacht man kurz auf, ob des Wahnsinns, der einem hier entgegenschlägt, dann folgt ein heftiges Kopfschütteln, schlussendlich schlägt das blanke Entsetzen durch. Nach einer Einleitung, welche aus bekannten Pannen-Homevideos zusammengeschnipselt wurde, um mittels Missgeschicke aller Art auf die sichere Tour ein paar billige Lacher einzusacken, ergießt sich über uns Ahnungslosen eine „Alter, Du musst heute noch einen wegstecken“-Kiste, die jeder Beschreibung spottet. Ich versuche es trotzdem.

Cooper („American Pie“-Nuss Chris Klein) und Ed (Brendan Fehr) sind Brüder. Natürlich sind sie dabei auch recht gegensätzlich. Denn während Cooper eben jede Gelegenheit nutzt, um, wie bereits zuvor erwähnt, „einen wegzustecken“, verkrümelt sich Ed nach der Trennung von seiner Freundin in Arbeit und Selbstmitleid. Weil letzteres aber auf die Kreativität als Werbetexter negativ zurückschlägt, steht Ed kurz vor dem Rausschmiss. Sein Boss gibt ihm eine letzte Chance, den Job doch noch zu retten. Über das Wochenende soll Ed ein geniales neues Werbekonzept für einen wichtigen Kunden entwerfen. Dummerweise hat sich Cooper für seinen Bruder aber einen alternativen Plan der Freizeitgestaltung ausgedacht.

Es zeigt sich recht schnell, dass „Mein verschärftes Wochenende“ ungeniert im Trüben fischen will, ohne Rücksicht auf ein Niveau, was über der Gürtellinie bzw. dem Arschgeweih angesiedelt ist. Zwei „Pointen“ sezieren beispielhaft die dumm-dreiste Machart des Ganzen: Ist es vielleicht komisch, einen Mensch beim Furzen in einem Aufzug zu beobachten, der kurz darauf unverhofft eine weibliche Begleitung erhält? Oder fördert es die eigene Lachmuskulatur, wenn eine Frau Typ „heißes Luder“ unter der Bettdecke mit aufgeblähten Backen hervorguckt und erst einmal herzhaft etwas Flüssiges herunterschlucken muss? Hierbei stellt sich vielmehr die Frage, was das alles noch mit einem Rest an gutem Geschmack oder Humor zu tun hat. Offensichtlich rein gar nichts. Da der Film auch zu keiner Zeit eine ironische Distanz zu seiner grenzdebilen Handlung aufbaut, womit wahre Meister des „Bad Taste“ wie John Waters und Christoph Schlingensief gerne spielen, erscheint jede einzelne Minute wie ein quälendes nicht enden wollendes Martyrium.

Cooper und Ed mutieren zu pubertären Dressuräffchen, die von einer widerlichen Nummer zur nächsten gedrängt werden. Sogar auf platte Sodomieanspielungen wird nicht verzichtet. Hauptsache geschmacklos und ekelhaft. Es stülpt einem schon den Magen um, wenn man länger darüber nachdenkt, mit welcher Verachtung hier Menschen behandelt werden. Menschenfeindlich wäre das passende Attribut für diesen Schund, denn die herausgestellte Sexfixiertheit der Männer und die Blondinendummheit der meisten Mädels machen vor nichts und niemand halt. Der Vergleich zur letztjährigen Geschmacklosigkeit „Deuce Bigelow: European Gigolo“ liegt nahe. Dabei bin ich fast versucht zu sagen, dass dieser trotz der „Frau mit dem Gesichtspenis“ weit weniger sexistische Züge besaß. Der vorhersehbare Schwenk in Richtung Romantik und Heile Welt-Happy End rettet „Mein verschärftes Wochenende“ auch nicht. Eher zeigt diese viel zu späte Rückkehr auf ein gewisses Maß an Common Sense, dass es Regisseur Pat Holden und seinem Drehbuchautor Tad Safran offenkundig peinlich war, was sie zuvor über 80 Minuten zu verantworten hatten.

Der fortwährende Versuch, mit kurzen Einspielern angeblich zum Schreien komischer Amateurfilme das Spaßniveau nach oben zu treiben, scheitert bereits im Ansatz. Nicht nur, dass solche Clips bis zum Erbrechen auf sämtlichen TV-Sendern über die letzten Jahrzehnte heruntergenudelt worden, es erschließt sich mir zudem nicht, was das Zeigen von Menschen, die sich offenkundig mehr oder weniger stark verletzen, mit Unterhaltung gemein haben soll. Dass einige der Tiervideos zum Schmunzeln Anlass geben, ist nun wahrlich nicht Holdens Verdienst. Vor allem bewahrt es ihn und seine Filmographie nicht davon, in Zukunft mit diesem unübersehbaren Schandfleck auskommen zu müssen. Widerlich, peinlich, dumm. Eigentlich reichen drei Worte aus, um die Essenz von „Mein verschärftes Wochenende“ zu beschreiben.

Erschienen bei kino.de.

Dienstag, Juni 27, 2006

Slither - Die Körperfresser sind zurück

USA 2005

+++

James Gunn kennt sich aus im Horror-Genre. Diesen Eindruck vermittelt zumindest sein Regiedebüt "Slither" mit dem dümmlichen deutschen Untertitel "Voll auf den Schleim gegangen". Trotz dieser Vermarktung im wenig subtilen "Erkan & Stefan"-Stil besitzt sein Film über eine außerirdische Plage, die wie eine Naturgewalt über ein ödes amerikanisches Kaff herfällt, satirischen Witz, sympathisch vertrottelte Charaktere, einige gelungene Schockmomente und - darauf haben wir alle am meisten gewartet - eine deftige Portion Splatter.

In der Kleinstadt Wheely passiert normalerweise nicht allzu viel. Während sich der Bürgermeister (Gregg Henry) als Autoritätsperson bei wichtigen Anlässen wie dem Beginn der Jagdsaison zu inszenieren versucht, regiert hinter den bäuerlich-bürgerlichen Fassade noch der Geist eines anderen Jahrhunderts. Es ist ein verquerer Muff aus religiöser Biederkeit, traditionellen Rollenklischees und White Trash in Vollendung, der über Wheely liegt. Die Tatsache, daß ein Bauer seine Kuh geschwängert hat, würde hier wohl klaglos hingenommen werden, solange es nur die Nachbarn nicht mitbekommen. Eher schon böte das Coming-out einer der Dorfpolizistinnen Anlaß zu ausgiebigem Klatsch und Tratsch. Mit dieser Idylle ist es allerdings vorbei, nachdem eine Art Meteorit im angrenzenden Wald eingeschlagen hat. Dessen Inhalt, ein kriechendes schleimiges Etwas, besitzt die Fähigkeit, Menschen in deformierte Zombie-Monster zu verwandeln.

Nur Zyniker würden behaupten, daß diese Transformation für Wheely vermutlich einen Fortschritt darstellt. Jedenfalls verlangt die Armee der kriechenden Blutegel den vollen Einsatz aller Dorfbewohner. Regisseur und Autor Gunn tobt sich bei seinem schleimigen Spektakel mit sichtbarem Spaß am Rezitieren von Klassikern und der Huldigung der oft verschmähten B-Movie-Helden der 50er bis 80er Jahre aus. Es kommen einem sofort Jack Arnolds aus heutiger Sicht absonderliche Monsterfilme wie "Tarantula" und "It Came From Outer Space" in den Sinn. Aber auch offenkundige Trash-Einflüsse wie die durch Tim Burtons Biographie weltbekannt gewordenen Leinwandunfälle eines Ed Wood finden in dieser überzeichneten filmischen Hommage ihren Ehrenplatz.Daß eine bloße Aneinanderreihung von Kinozitaten aber noch lange keinen unterhaltsamen Film ergibt, zeigen stupide Ergüsse wie die "Scary Movie"-Unfälle. "Slither" schafft es dagegen, die ehrlich gemeinte Ehrerbietung nie der Lächerlichkeit preiszugeben. Indem Gunn seine Ideen in eine durchaus spannungsreiche Story zu integrieren versteht, die für sich genommen bereits zu einer Reminiszenz an Genre-Perlen wie "Im Land der Raketenwürmer" taugt, stellt sich nicht das Gefühl einer simplen Nummernrevue ein, der es an einem zusammenhängenden dramaturgischen Überbau mangelt.

Nach einer erfreulichen Welle an harten Schockern im grobkörnigen 70er-Outfit knüpft Gunn mit "Slither" an die dem Horrorkino ebenfalls stets immanente Fähigkeit zur ironischen Enttarnung sozialer Krankheiten an. Die Demaskierung von Scheinheiligkeit und Bigotterie wird geradezu meisterlich durch die parallel montierte Sequenz zwischen der "Begattung" der White-Trash-Schlampe durch den mutierten Redneck ("Henry"-Darsteller Michael Rooker) und der kreationistischen Rede des Bürgermeisters demonstriert. Gerade als letzterer darüber philosophiert, daß der Mensch von Gott doch den Auftrag erhalten habe, sich die Welt untertan zu machen, schlägt das Monster aus dem All zu und nutzt die sexgeile Blondine als überdimensionierte Gebärmaschine. Der Feind hat uns schon lange infiltriert, auch wenn wir es nicht wahrhaben möchten.

Es wäre interessant zu erfahren, was Peter Jackson zu Gunns Kino-Debüt zu sagen hätte. Immerhin hebt dieser den Spaß- und Schleimpegel in Höhen, die seit "Braindead" nur wenige Genre-Vertreter erreicht haben. Und wie bei Jackson, der seinerzeit eine etwas andere Rückkehr in den Mutterleib aufführte, spielt auch bei Gunn das sexuelle Motiv im Subtext eine unübersehbare Rolle. Inmitten einer verklemmten Gemeinde, die noch an die unbefleckte Empfängnis glaubt, kontrastieren Elemente wie die phallusartigen Tentakel des Monsters und dessen plötzliche Gier nach Fleisch auf radikale Weise den Status quo. Tatsache ist, daß die sexuelle Revolution um weite Teile des "Bible Belt" einen großen Bogen gemacht hat. Dort von einer Renaissance der Prüderie zu sprechen, führt insofern leicht in die Irre. Und obgleich Horrorwerke unter dem Generalverdacht stehen, gesellschaftspolitisch zwar subversive, aber moralisch bisweilen äußerst konservative Ansichten (der Tod als Bestrafung für "unkeusche" Handlungen) zu vermitteln, kann "Slither" in dieser Beziehung kaum mißverstanden werden. Für Gunn manifestiert sich der wahre Horror nicht in einer diffusen äußeren Bedrohung, sondern in der reaktionären Geisteshaltung seiner Mitmenschen.

Zuerst erschienen bei evolver.

Montag, Juni 26, 2006

Wie in der Hölle - Abstieg ins Dunkel

F 2005

+++

Schauspielkino auf höchstem Niveau! Das bietet Danis Tanovic' Familiendrama "Wie in der Hölle" mit den französischen Leinwand-Stars Emmanuelle Béart, Karin Viard und Marie Gillain. Zugegeben schwere Kost, entwickelt der Film einen Abwärtssog, der einen an griechische Tragödien erinnern muss. Die etwas zu symbolbeladene und damit überfrachtet erscheinende Bildkomposition ist ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten packenden Drama voller unterdrückter Gefühle und Schmerzen. Meine Besprechung für den am kommenden Donnerstag startenden Film kann auf critic.de nachgelesen werden.

Sonntag, Juni 25, 2006

Zuletzt gesehen - Hustle & Flow (DVD)

USA 2005

+++

Willkommen Rap-Freunde, Rap-Skeptiker, Rap-Gegner! „Hustle & Flow“, das ist meine Prognose, obgleich vordergründig ein Film über genau diesen Rap, wird Anhänger und Desinteressierte gleichermaßen beeindrucken. Die auf dem diesjährigen Sundance Film Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Produktion schafft es, eine tiefe Verbindung zwischen dem Geschehen auf der Leinwand und seinem Publikum aufzubauen. Die dafür benötigten Zutaten stützen sich auf ein geradliniges, geradezu klassisches Drehbuch, großartige Schauspieler und (kein Witz) einen mitreißenden Soundtrack. Regisseur und Autor Craig Brewer erzählt aus dem desillusionierten Leben eines Zuhälters und Drogendealers.

DJay (Terence Dashon Howard) behandelt Frauen als Ware. Er lebt mit mehreren seiner Schützlinge in einer herunter gekommenen Bruchbude im herunter gekommenen Schwarzen-Ghetto von Memphis. Dort trauert er seinen Jugendträumen hinterher. Mit Rap-Musik berühmt und reich zu werden, damit eine Familie ernähren zu können, dieses Ziel zerplatzt für ihn jeden Tag vor seinen Augen aufs Neue. Stattdessen treibt er Nola (unglaublich mutig: Taryn Manning) an, für ihn auf dem Rücksitz versiffter Autos einfachste Männerphantasien zu erfüllen, Lexus (Paula Jai) strippt für die Haushaltskasse, während Shug (Taraji P. Henson), von einem Freier geschwängert, zu Hause auf ihn wartet. Als Djay die Nachricht erreicht, dass der mittlerweile landesweit bekannte Rapper Skinny Black (Ludacris) zum Independence Day in die alte Heimat zurückkehrt, um in einer Bar in der Nachbarschaft zu feiern, will er die sich ihm bietende Chance nutzen. Gemeinsam mit seinen Kumpels Shelby (DJ Qualls) und Key (Anthony Anderson) nimmt DJay den Sound seines Lebens auf. Es dürfte das letzte Mal sein, an dem sich noch einmal alles für ihn ändern könnte.

Vom Fall und Aufstieg eines dieser zahllosen amerikanischen Träume, die nur geträumt, aber anscheinend viel zu selten gelebt werden, erhalten wir mit „Hustle & Flow“ einen äußerst packenden Eindruck. Obwohl dabei vieles Authentizität atmet, ist die Inszenierung aber zugleich gefühlsmäßig immer einen Tick „zuviel“ am stilisierten Idyll/Albtraum. Das erklärt sich damit, dass das Haus im Ghetto einfach „zu“ dreckig und „zu“ trashig aussieht, dass Djays Partners in Crime „zu“ gutgelaunt, Hure Nola „zu“ gütig und der angebetete Skinny Black „zu“ cool daherkommen. In diesem Sinn lässt sich Brewers Film als der Kaugummi unter den Ghetto-Dramen an, in dem sogar viele Klischees genüsslich aufgeblasen werden. „Menace II Society“ ist ungleich erbarmungsloser, deprimierender und ehrlicher. Allerdings mochte ich diese andere Herangehensweise ebenso, weil Brewer keineswegs ein verkitschter Phantast zu sein scheint, der am liebsten einen Film für Disney drehen würde. Er begleitet seine Charaktere trotz der vereinfachten Darstellung ihrer Lebensumstände stets mit Würde und Respekt.

Das sieht man u.a. daran, wie er DJay über die eigene Existenz reflektieren lässt. Da wird nichts beschönigt oder zurecht gebogen, damit der Möchtegern-Rapper als Gutmensch dasteht. Er ist und bleibt ein auch jemand, der Frauen ausnutzt, benutzt, um an Geld zu kommen. Er verdient zudem an der Drogensucht seiner „Brüder“. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben entbehrt jedoch nicht eines altruistischen Elements. Da gibt es das Gefühl, dass er nicht nur seinetwegen aus dem Ghetto heraus will. Nola, Shug und ihr Baby haben es genauso verdient, den Dreck hinter sich zu lassen. Im Laufe des Films setzt in ihm dieser Erkenntnisprozess ein, von Brewer geschickt zwischen improvisierten Tonstudio und Straßenstrich verpackt. Wie es dem Regisseur überhaupt gelingt, DJays fiktiven Weg ins Musikbusiness beispielhaft an einigen wenigen, dafür umso eindringlicheren Momenten zu veranschaulichen. Einem spirituellen Erweckungserlebnis nicht unähnlich ist DJays Begegnung mit christlicher Gospelmusik, die ihn zu Tränen rührt. Ein harter Nigger, der Gefühle zeigt? Eine wunderbare Revolution gegen das von der Plattenindustrie verkaufte Image des schwarzen Macho-Gangsters. Oder auch die Aufnahme des ersten Songs, bei dem Shug eine gänsehautauslösende Kostprobe ihres „Flow“ geben darf. Dazu hämmern im Hintergrund die tiefen scharfkantigen Bässe, rappt sich DJay die Seele aus dem Leib. Diese komprimierte Entstehung miterleben zu dürfen, gehört zu den kleinen und dabei ganz großen Kinomomenten dieses Jahres.

Wenn hier schon das Drehbuch und Brewers Gespür für den Augenblick gelobt wird, sollten davon die Schauspieler nicht ausgenommen werden. Terence Dashon Howard ließ bereits in „Crash“ durchblicken, dass er fähig ist, einen ambivalenten Charakter glaubwürdig darzustellen. Hier geht er noch einen Schritt weiter, in dem es ihm gelingt, eine emotionale Höllenfahrt für uns erfahrbar zu machen. Sein Alter Ego philosophiert gerne über das, was ein Mann Gutes tun soll, nur um bei nächster Gelegenheit als knallharter Zuhälter aufzutreten. Dennoch bricht das schlechte Gewissen (ja, er hat eines) immer öfter aus ihm heraus. Das sind schwere Momente auch für einen Schauspieler, woran Talent und Hingabe, falls vorhanden, ersichtlich werden. Howard besitzt beides, so dass wir ihm nicht nur DJays Reue abkaufen, sondern uns auch mit ihm gegen die Welt solidarisieren. Diese Solidarisierung ist auch bei Shug und Nola angekommen. Wie der erste Eindruck täuschen kann, zeigen diese beiden so unterschiedlichen Frauenrollen. Nola, die Personifizering des „White Trash“, ist keineswegs ein dummes Blondchen. Diese „Hure mit Herz“ (da ist er wieder, der Kaugummi) stärkt ihrem Pimp den Rücken, als dieser sie um ihre Hilfe geradezu anfleht. Und Shug durchlebt die etwas zu erbaulich geratene Metamorphose vom hässlichen verweinten Entlein zum stolzen Schwan. Großes Kompliment an Taryn Manning und Taraji P. Henson!

Weniger, als zunächst zu erwarten gewesen wäre, geht der Film auf die Rassenproblematik in den USA ein. Dass es sich bei Verarmung, Ghettoisierung, Drogenkriminalität und Perspektivlosigkeit vornehmlich um „schwarze“ Themen handelt, berührt den Fortgang der Story nur am Rande. Vielleicht wäre es ohnehin besser nicht länger in den üblichen strikt nach Hautfarben getrennten Schubladen zu denken. DJay ist einfach nicht bereit, die Träume seiner Jugend aufzugeben, weil er sich mit dem Hier und Jetzt nicht abfinden kann. „Ich will etwas aus meinem Leben machen!“ sagt er sinngemäß an einer Stelle. Diese Ansage richtet sich nicht an Schwarze, Latinos oder Europäer. Wir alle könnten sie zu unserem Lebensmotto machen.

Erschienen zum regulären Kinostart auf kino.de.

Samstag, Juni 24, 2006

Neue Kritiken im Anmarsch!

Emmas Glück (+++1/2) von Sven Taddicken

Der freie Wille (++1/2) von Michael Glasner

Slither (+++) von James Gunn

Urmel aus dem Eis (+++) von Reinhard Klooss und Holger Tappe

Mittwoch, Juni 21, 2006

Zuletzt gesehen - Alibi

USA 2005

++1/2

Gangster- und Gaunerkomödien sind eigentlich nicht nur seit Guy Ritchie eine genuin britische Tradition. Doch auch die Amis können brauchbare Filme in diesem Bereich abliefern. Das zeigt der zugegeben anfangs etwas schnarchnasige "Alibi". Was nämlich als böse etwas andere "Beziehungskomödie" beginnt, entwickelt sich mit zunehmender Laufzeit zu einem "Bube, Dame, König, GrAS"-würdigem Verwirrspiel mit höchst unterhaltsamen Drehbucheinfällen, die zwar einige der Figuren als platte Klischees entlarven, andere wiederum mit unerwartet viel Tiefe ausstatten. Natürlich gibt es auch bei "Alibi" Plot-Twists en masse und das Genie im Hintergrund setzt im Finalen zur großen Show an. Diese bekannten Versatzstücke stören aber weit weniger, als dass man dies zunächst meinen möchte, was dem Charme von Steve Coogan als geschäftstüchtiger Problemlöser und seiner neuen Mitarbeiterin Rebecca Romijn zuzuschreiben sein dürfte. Die beiden haben konsequenterweise auch das Anrecht auf das in diesem Jahr bislang schönste weil natürlichste Schlussbild. Wenn das nicht Liebe ist...

Montag, Juni 19, 2006

Unbekannter Anrufer - Kein Anschluss unter dieser Nummer

USA 2006

+

Wenn es überall knirscht und knattert, Nebel aufzieht, Vorhänge im Wind wehen und schwarze Katzen durchs Bild rennen, sollte es sich möglichst um eine Parodie auf die Grusel-Klassiker wie „Bis das Blut gefriert“ handeln. Ernst gemeinter Horror gelingt mit diesen Stilmitteln nur noch absoluten Könnern des Fachs (Alejandro Amenábar und sein meisterlicher „The Others“). Simon West ist keiner dieser Talente, das merkt man recht schnell. Bereits nach 10 Minuten ist der Schauplatz, eine verlassen an einem gespenstischen See gelegene High Tech-Villa eines reichen Arzt-Ehepaares, bezogen, das Opfer vorgestellt und der filmische Niedergang besiegelt.

Natürlich arbeitet die attraktive Studentin Jill (Camilla Belle) als Babysitterin, um ihr Taschengeld etwas aufzubessern. Doch die Behausung ihrer Auftraggeber macht auf sie neben all dem perfekt arrangierten Luxus schon zu Beginn einen reichlich seltsamen, mysteriösen Eindruck. Diese erste Eingebung verstärkt sich, nachdem sie immer wieder von einem unbekannten Anrufer belästigt wird. Mehr als ein Röcheln bringt er dabei zunächst nicht raus. Von Panik ergriffen schildert sie dem Polizisten an der Notrufnummer ihre Erlebnisse. Doch dieser kann zunächst nicht viel für sie tun. Nur eine Fangschaltung soll ermitteln, wer hinter den Anrufen steckt. Bis dahin ist Jill ganz auf sich alleine gestellt.

Das Remake des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1979 („When a Stranger Calls“) scheitert kläglich an der zeitgemäßen Umsetzung einer bereits nicht wirklich prickelnden Vorlage. Wenn ich mir als Regisseur schon eine solch dutzendfach heruntergeleierte Story aussuche, die ohnehin mit der „Scream“-Trilogie die beste Persiflage auf sich selber und das Slasher-Genre ablieferte, dann sollte ich mir wenigstens im Hinblick auf den Unterhaltungsfaktor mehr einfallen lassen, als das Publikum mit einer Aneinanderreihung scheinbar endloser öder „Buh!“-Momente zu langweilen. Denn wenn „Unbekannter Anrufer“ etwas besitzt, dann ist es der unverwechselbare Charme einer fast komatösen Langeweile, die sich wie Mehltau über das adrette Haus am See legt. Wir haben ausreichend Zeit, Jill dabei zu beobachten, wie sie ein Geräusch wahrnimmt, sich langsam dorthin begibt, sich kurz erschrickt nur um dann wieder einmal festzustellen, dass nur die böse Miezekatze dahintersteckte. So geht das geschlagene 70 Minuten. Herumschleichen, Anschwellen der überdreht dramatischen Musik, ein kurzer Schrei, die Entdeckung des Nichts.

Die eigentliche Unverschämtheit steckt deshalb weniger in der uninspirierten Inszenierung als in der eigentlichen „Handlung“. Man wähnt sich eher in einer Sendung von Neun Live („Der Hot Button sucht!“), denn in einem Kinofilm. Es ist ein unablässiges stupides Klingeln, was sich nicht für Jill zum Terror entwickelt. Und dabei, das macht der letzte Spot vor Filmbeginn doch klar, sollten nervige Mobiltelefone abgeschaltet oder, noch besser, erst gleich ganz zu Hause gelassen werden. Während die Kamera elegant aber hoffnungslos auf verlorenem Posten durch die nicht enden wollenden Korridore des noblen Anwesens irrt, quetscht das Drehbuch mittels zickiger Freundinnen und hilfloser mexikanischer Hausangestellten das Letzte aus der verfaulten Zitrone der dankbaren Bauernopfern heraus. Dass die schöne Jill höchstens angeritzt, aber nicht zerteilt werden darf, gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen des massenkompatiblen Horrors.

Selbst die Aussicht auf einen kurzen knackigen Showdown mit dem Unbekannten will als wirksames Antidot gegen spontane Ermüdungserscheinungen nicht wirklich helfen. Im besten Fall leidet man nicht alleine und kann stattdessen mit seinen Freunden ganz im klassischen „Mystery Science Theatre“-Stil über diese filmische Einfallslosigkeit herziehen. Todernst so etwas unter der Überschrift eines angsteinflößenden Thrillers zu verkaufen, lässt einen wahrhaftig an dem Verstand der Marketingabteilung zweifeln. Regisseur West, das könnte die Erklärung für sein Versagen auf ganzer Linie sein, vergißt anscheinend bei der Ausleuchtung schöner Frauen die Essenz des Filmemachens. Wie schon bei „Lara Croft“ wird auf Narration und dramaturgische Integrität keine Rücksicht genommen. Logikfehler und Ungereimtheiten multiplizieren sich mit einer Auflösung über die Identität des Unbekannten zu einer schallenden Ohrfeige für jeden halbwegs engagierten Zuschauer, der noch nicht vor dem Eintreffen des Abspanns ins Reich der Träume entschlummert ist. Ist der asthmakranke Telefonstöhner vielleicht Jills Ex-Freund? Oder steckt doch der Sohn des Arzt-Ehepaars dahinter? Letztlich schert sich der Film einen Dreck um diese Frage.

Dieser „Unbekannter Anrufer“ gehört in die unzugänglichsten Ecken jeder schlecht sortierten Dorf-Videothek verbannt, optional auch in das B- und C-Movie-Nachtprogramm von RTL 2. Unglücklichweise hat das Desaster allein in den USA bereits fast 50 Mio. US-$ eingespielt, ein Vielfaches seiner Produktionskosten. Wer bei den keuchenden Anrufen genau hinhört, kann das ungeduldige Zähneknirschen der Produzenten vernehmen, die es nicht mehr erwarten können, endlich eine Fortsetzung auf die Menschheit loszulassen.

Auch veröffentlicht bei evolver.

Donnerstag, Juni 15, 2006

The Sentinel - Helden im Hintergrund

USA 2006

+++

Ein Relikt ist wieder da: der Polit-Thriller in bester "In the Line of Fire"-Tradition. Heutzutage, da Spannungskino entweder mit revitalisierten Horrorfilmen oder SF-Spektakeln gleichzusetzen ist, klafft eine gewaltige Lücke zu den glatten und schnörkellosen Agenten- und Verschwörungswerken der 70er und 80er Jahre. Wie bezeichnend ist es da, daß der zuletzt einzig wirklich nennenswerte Vertreter dieser Richtung mit "Der Manchurian Kandidat" das Remake eines Klassikers war.

Michael Douglas ist auch irgendwie ein Relikt. Biologisch schon jenseits der sechzig, konnte er sich dank seiner jungen Gattin Catherine Zeta-Jones immer wieder jugendlich in der Yellow Press reproduzieren. In "The Sentinel" beweist er als Secret-Service-Agent Pete Garrison, daß man(n) auch in diesem Alter fit wie ein Turnschuh sein kann und einem MacGyver in Sachen Kreativität und Einfallsreichtum nicht das Feld überlassen muß.Im Secret Service genießt Pete einen ausgezeichneten Ruf. Er ist eine Legende, da er einst die Kugeln eines Attentäters abfing und so dem Präsidenten das Leben rettete. Mittlerweile kümmert er sich um den Schutz und die Sicherheit der First Lady (Kim Basinger). Als jedoch ein Mordkomplott gegen den Präsidenten bekannt wird, sieht sich Pete auf einmal im Zentrum der Ermittlungen. Sein nicht zu erklärendes Verhalten und ein nicht bestandener Lügendetektortest machen seine Vorgesetzten mißtrauisch. Petes ehemaliger Schüler David Breckinridge (Kiefer Sutherland) und dessen Kollegin Jill Marin ("Desperate Housewife" Eva Longoria) werden auf den Fall angesetzt. Immer undurchsichtiger werden die Spiele hinter der Fassade des Weißen Hauses. Es scheint einen Maulwurf im Secret Service zu geben. Nur: Ist es tatsächlich Pete?

Mit "24"-Star Kiefer Sutherland versucht "The Sentinel" die große Fan-Gemeinde der Serie für sich zu nutzen. Das Spieltableau, ein Minenfeld aus falschen Verdächtigungen, Intrigen und Mordkomplotten, ist nahezu identisch - insofern war die Besetzung nur konsequent. Nach einer Einführung in den Tagesablauf eines Secret-Service-Mitarbeiters (die einzelnen Stationen aus dem Kalender des mächtigsten Mannes der Welt werden eher sporadisch und episodenhaft abgehandelt) nimmt der Film dann aber gewaltig an Tempo und Dynamik zu. Wie Nadelstiche tauchen erste Indizien gegen Pete auf, die der zunächst nicht wahrhaben will. Aus einem anfänglich eher süffisanten Kopfschütteln wird ein vehementes Leugnen.

Pete hat ein Geheimnis, soviel steht fest, und es ist dramaturgisch geschickt, daß das Drehbuch von George Nolfi (basierend auf einem Roman von Gerald Petievich) dieses alsbald lüftet, um uns Pete Garrison als Sympathieträger nicht zu nehmen. Es muß klar sein, daß Pete nicht aus Feigheit oder Heimtücke die Wahrheit verschweigt, sondern mit seinem verdachterregenden Verhalten etwas/jemand Wichtigeres/n beschützen will.Tom Clancy hätte seine helle Freude an "The Sentinel". Männer mit Sonnenbrillen, wohin man auch blickt, schwarze Limousinen, Agenten-Gadgets - und dazu viel Laufarbeit, gleich im doppelten Sinn. In Hinterzimmern und bei konspirativen Treffen wird der große Coup geplant, den es - dafür haben wir schließlich unseren tapferen, durch und durch aufrechten Pete - in letzter Minute zu vereiteln gilt.Die Fragmente dieses von der ersten bis zur letzten Minute altmodischen Thrillers sind teilweise derart offensichtlich kopiert und lediglich neu zusammengesetzt worden, daß die Kaltschnäuzigkeit der Produzenten erst verwundert und schließlich begeistert.

So erfrischend es ist, im Horrorbereich augenblicklich eine wahre Flut an harten Genre-Perlen auf der Leinwand erleben zu dürfen, so wunderbar "Old School" mutet Clark Johnsons Regiearbeit an. Daß die scheinbar unsichtbaren Helden des Hintergrunds überhaupt schon Handys und anderen neumodischen Firlefanz verwenden, wirkt in einem solch nostalgischen Kontext beinahe wie eine kleine Sensation."The Sentinel" strahlt zu jeder Zeit ein so verspieltes, aber zugleich souveränes Understatement aus, daß es schwer fällt, diesen Film nicht zu mögen. Die Spannung entsteht nicht aus der Frage nach einem möglichen Happy-End; es sind die kleinen Haken und Nebenkriegsschauplätze, die hier zu begeistern wissen. Das Vater-Sohn-ähnliche Duell zwischen dem Dinosaurier Garrison und dem jungen Karrieristen Breckinridge, Petes an Dr. Kimble erinnernde Fluchtmanöver oder die ohne technische Spielereien abgefilmte Schießerei in einem Einkaufszentrum - alles wirkt befreit von der Diktion des Zeitgeists. Das Ganze ist eine Show, inszeniert als Rückgriff auf alte, irgendwie friedlichere Zeiten, in denen es noch eine klare Trennung zwischen Gut und Böse, zumindest in Hollywoods Welten, gab.

Der Kalte Krieg war, retrospektiv betrachtet, eine seltsam verkrampfte, bierernste Veranstaltung mit klaren Regeln und Ritualen und verglichen mit den unberechenbaren Gotteskriegern und Terroristen der Neuzeit geradezu eine Wohltat. Diese scheinen auch in "The Sentinel" ihre Finger im Spiel zu haben. Doch zum Glück gibt es da noch Pete Garrison: den Mann mit der Kraft der zwei Herzen.

Erschienen bei evolver.

Montag, Juni 12, 2006

Die Chaoscamper - Good Old Values

USA 2006

+1/2

Komödien sollten lustig sein und nicht langweilen. "Die Chaoscamper" reitet zwar auf dem National Lampoon's Klassiker "Die schrillen Vier auf Achse", dennoch erreicht die Klamotte aber zu keiner Zeit die Absurdität und Brillanz des Chaostrips mit Chevy Chase. Nach einer noch erträglichen ersten halben Stunde taucht der neue Film von Barry Sonnenfeld mit "Spaßvogel" Robin Williams dann endgültig in eine einzige platte Belanglosigkeit ab. Kleiner Lichtblick: der Auftritt von Jeff Daniels als Vorzeige-Amerikaner. Meinen Verriss gibt es bei critic.de in voller Länge nachzulesen. Vor einem Kinobesuch muss dringend gewarnt werden!

Freitag, Juni 09, 2006

Tears of the Black Tiger - LSD-Trip mit dem "Wizard of Oz"

TH 2000

+++1/2

Was passiert, wenn Western-verrückte Thais zu viele schlechte Seifenopern auf LSD gesehen haben bevor sie ihren eigenen Film drehen? Richtig, es kommt so etwas wie „Tears of the Black Tiger“ dabei heraus. Eigentlich ist es eine Anmaßung, dieser knallbunten Überraschungstüte anhand einiger Zeilen aus schwarzen Lettern auf weißem Untergrund gerecht werden zu wollen, derart expressionistisch und losgelöst von normalen Sehgewohnheiten bewegt sich Wisit Sasanatiengs („My Life as a Dog“) Bildcollage. Egal ob man als Zuschauer diese extravagante Optik goutiert oder sich am liebsten gleich nach Beginn des Abspanns einen Marathon an Schwarz-Weiss-Schinken ansehen möchte, man wird nicht umhin kommen, fortwährend teils fassungslos teils kopfschüttelnd die surrealen Farbpartituden des Films vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen. Die Eindrücke, die dieser Film im Unterbewusstsein hinterlässt, scheinen wie eingebrannt.

Bei einer Nacherzählung der Geschichte drängt sich das Gefühl auf, als habe Sasanatieng einen Rundumschlag durch sämtliche Klischees sämtlicher Genres vollführen wollen. Da gibt es die unglückliche, weil unmögliche, Liebe zwischen der wohl erzogenen Tochter (Stella Malucchi) des örtlichen Polizeichefs und dem draufgängerischen Outlaw, dem Black Tiger (Chartchai Ngamsan). Es geht um Ehre und gesellschaftlichen Einfluss, wenn eine arrangierte Hochzeit gegen den Willen der Braut stattfinden soll. Der Outlaw muss nicht nur um seine Liebe kämpfen, er liefert sich auch blutige und bleigetränkte Duelle mit Verrätern und anderen zwielichtigen Gestalten. Natürlich müssen sich die Wege der Figuren wie auf einem Schachbrett exakt zur falschen Zeit am falschen Ort kreuzen, was in dieser Tragik so nur in billigen Telenovelas und griechischen Sagen zu finden ist (oder einem Film von Paul Haggis, kleiner Scherz).

Was aussieht, als habe sich ein farbenblinder Cowboy in den „Wizard of Oz“ verirrt, ist das Ergebnis einer höchst aufwendigen Produktionstechnik. Digital wurde der fertige Film Bild um Bild nachcoloriert, um so den unverwechselbaren „Tiger“-Look entstehen zu lassen. Objektiv betrachtet kann es nur als unerträglicher Kitsch durchgehen, wenn ein abgrundtief hässliches rosa Kleid in einem mintgrünen Teich aus Seerosen hindurchschwebt und dazu schwülstiger Thai-Singsang erklingt. Bei Sasanatieng denkt man jedoch nicht an Kitsch oder den schmalen Grat zwischen gefühlsbetont und gefühlsduselig, alle Synapsen sind vielmehr damit beschäftigt, die Bilder und Töne einzuordnen, sie in einen sinnvollen Kontext zueinander zu bringen. Die Verwirrung wird komplett, wenn sich das dadaistische Melodram eine Auszeit nimmt und knallharte Shoot-Outs mit trashigem Splatter-Charme zur Aufführung gelangen.

Einmal kurz die Augen reiben, nochmal hinsehen, ja, es ist tatsächlich wahr: Die blauen Bohnen der Sierra Madre haben sich in diesen farblichen Amoklauf verirrt. Da werden ganze Einstellungen und Szenen aus den Klassikern der 50er und 60er Jahre geklaut oder sollte man besser sagen „liebevoll entliehen“? Ob bei Leone (die Mundharmonika gehört seit Charles Bronsons Auftritt in „Spiel mir das Lieb vom Tod“ zur Grundausstatung jedes ordentlichen Gesetzlosen) oder Zinnemann („High Noon“ auf den Kornfeldern Thailands), die Parallelen könnten offensichtlich nicht sein. Sasanatieng schwärmt für den „Duke“, so daß „Tears of the Black Tiger“ neben dem ganzen Schmaltz zugleich eine hingebungsvolle Hommage an den Western und die Zeit der großen Kino-Legenden geworden ist. Handwerklich perfekte Kameratricks, Spielereien mit Zoom und Perspektive zeugen von der Inszenierungslust eines Regisseurs, der bei der Umsetzung seiner Vision keine faulen Kompromisse eingehen musste.

„Tears of the Black Tiger“ führt zudem den oftmals negativ belegten Begriff des Overacting zum neuen Glanz. Fieser als fies lacht sich der Oberschurke unterlegt von einem exstatischem Blitzgewitter das Böse heraus, unendlich traurig verliert sich die schöne Prinzessin in einem See ihrer eigenen Tränen. Nur Bollywood traute sich zuletzt, so weit über das Maß des Common Sense hinauszuschießen und die für das Kino zu großen Gesten mit dem Hinweis auf die eigene kulturelle Tradition zu begründen. Um gegen die Lawine an visuellen Eindrücken überhaupt anzukommen, scheint das nicht die schlechteste Entscheidung gewesen zu sein. Beides zusammen, die bahnbrechende Optik und die übertriebene theaterhafte Körpersprache, verbinden sich zu einem atemberaubenden Mix an unverwechselbaren Stilblüten.

Thailands Kino hat in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Filme unterschiedlichster Art hervorgebracht. Da gab es typischen asiatischen Geister-Horror („Shutter“) ebenso wie melancholische Selbstfindungs-Dramen („Last Life in the Universe“). Mit „Tears of the Black Tiger“, dem in seiner Heimat kein kommerzieller Erfolg beschert war, gesellt sich ein Feuerwerk abartig schön/scheußlicher Petitessen hinzu, dass es so wohl kaum ein zweites Mal zu bewundern geben wird.

Erschienen bei kino.de.

Donnerstag, Juni 08, 2006

Wenn die Flut kommt - Franzosen können ganz schön nerven...

F/BEL 2004

+1/2

Langweilig, fade, gewollt skurril. Die ach so ungewöhnliche Liebesbeziehung zwischen einer allein umhertourenden Theaterschauspielerin und einem verträumten Künstler für überlebensgroße Tragefiguren (!) verliert sich in selbstgefälligen Lobeshymnen an die eigene Kreativität. Dass die Charaktere einem dabei nie ans Herz wachsen und diese "Amélie" für Intellektuelle in ein etwas weniger bemüht wirkendes Kino verwandeln, ist eine herbe Enttäuschung. Yolande Moreau mag eine begabte Schauspielerin sein, als Regisseurin und Drehbuchautorin gelingt ihr nicht viel. Die immer wieder eingestreuten Szenen aus ihrem Bühnenprogramm sind weder besonders komisch, noch anrührend. Einen wenig salomonischen Verriss zu "Wenn die Flut kommt" gibt es auf critic.de nachzulesen.

Mittwoch, Juni 07, 2006

Jarhead - Zapping durch die Filmgeschichte

USA 2005

++1/2

„Jarhead“ erzählt die wahre Geschichte des Anthony Swofford (Jake Gyllenhaal). Ein Ex-Marine, der während des ersten Golfkrieges in der endlosen Einöde der saudi-arabischen Wüste als Scharfschütze eingesetzt wurde. Oder besser: der darauf wartete, eingesetzt zu werden. Denn mit „dem großen Warten“ ließe sich eine prägnante Überschrift finden, für das, was Swofford und seine Kameraden dort zu ertragen hatten. Lagerkoller, Hitze und angestaute Aggressionen untergruben die Moral der Soldaten. Das führte zu der perversen Situation, dass auf den ersten Schuss fast sehnsüchtig hingefiebert wurde. Saddams Arsch gehört ihnen, so viel ist sicher. Möge doch endlich dieser verdammte Krieg beginnen.

Sam Mendes kehrte der Vorstadt den Rücken und tauschte Anzug gegen schlichtes Dunkelgrün ein. Er drehte einen jederzeit nett anzusehenden, optisch beeindruckenden, aber auch sprunghaften und recht oberflächlichen Wüstenfilm, der sich mehr über das Bild, als den Rahmen definiert. Will heißen: „Jarhead“ punktet mit verspielter Montage und der Kameraarbeit eines Roger Deakins, ohne dabei den Zuschauer wirklich tief in militärische Strukturen und Mechanismen einzuführen. Das, was Mendes hier vorlegt, ist streng genommen doch äußerst banal und, was viel wichtiger ist, aus der Filmhistorie bestens bekannt. Und so fühlt sich sein Film irgendwie auch an. Es könnte sich um ein Mitschnitt von „Apocalypse Now“, über „Full Metal Jacket“, „Tigerland“ bis hin zu „Three Kings“ handeln. Sozusagen ein „Best Of“ illustrer Szenen dieser Vorläufer, aufgepeppt mit reichlich Schweiss und Testosteron. Für manch einen Regisseur wäre „Jarhead“ dennoch ein Highlight seines Schaffens, für Mendes ist es nach „American Beauty“ und „Road to Perdition“ zweifellos ein Rückschritt.

Nehmen wir da beispielhaft die Einführung in das Leben eines Marines. Zwischen Onanieren und Saufen ist nicht mehr viel Platz für schöngeistige Konversation. Der Mensch wird in diesem System klein und unmündig gehalten, er ist ein Kleinkind, das mit Waffen einmal Erwachsener spielen darf. Mit dynamischen Schnitten, peppiger Musikbegleitung und sarkastischem Voice Over setzt Mendes diese Entwicklung in mehreren Runden um. Natürlich ist diese Erkenntnis wenig überraschend, daher wirkt der Film bemüht diese Banalität mit Coolness und heißer Luft zu überspielen. Und ebenso planmäßig muss im Laufe der Operation „Langeweile im Nirgendwo“ Swofford ein Licht aufgehen, was die Sinnlosigkeit der ganzen harten Fassade des Soldatenmythos angeht. Bei der Konfrontation mit der hässlichen Fratze des Krieges bricht er zusammen, muss sich übergeben, weil das Gesehene einfach nicht in seinen kahlgeschorenen Schädel will. Der saubere Krieg ist eine Illusion, die nur im Pentagon existiert bzw. die nur dort zu existieren hat. Verkohlte Leichen eignen sich nicht wirklich für einen Fototermin.

Fast scheint es, als habe Mendes vor Drehbeginn eine Strichliste angefertigt, die er nun Punkt für Punkt abarbeitet. Bestenfalls ließe sich das ganze als eine Hommage an Coppola & Kompagnons interpretieren. Dafür spricht, dass im Armee-Kino ausgerechnet „Apocalypse Now“ gezeigt wird, was die Soldaten geradezu frenetisch abfeiern. Ein Antikriegsfilm als Motivationshilfe für kampfgeile Marines? Politisch höchst unkorrekt und damit einer der mutigeren Einfälle. Denn alleine die inflationäre Verwendung des F-Wortes als treffende Milieubeschreibung schockt in Zeiten von Eminem wohl niemand mehr. Andererseits verströmt vieles einen Beigeschmack des Altbekannten. Die eigenständige Handschrift erschöpft sich im schönen Äußeren. Roger Deakins lässt die Tristesse der Wüste wie ein pittoreskes Still-Leben aussehen. Sogar die ausgebrannten Autos besitzen eine verstörende Faszination. Wie dreckig und zynisch Krieg ist, das findet außerhalb der Leinwand statt. Statt dessen erleben wir Footballmatches, TV-Interviews, Weihnachtsbesäufnisse und absurde Drill-Einheiten. Kubrick hat selbiges bereits vor fast zwanzig Jahren eindrucksvoll verfilmt. „Jarhead“ müht sich redlich aus diesen großen Fußstapfen herauszutreten, der Sand im Getriebe verhindert jedoch, dass dies dem Film tatsächlich gelingt.

Eins-zu-Eins-Kopien geraten schnell in Vergessenheit. Ein Schicksal, was „Jarhead“ auch ereilen kann, da der Film einem Zapping durch die Kino-Geschichte gleicht. Dabei zeigt Mendes die Wandlung des Einzelnen in der Militär-Maschinerie groteskerweise anhand der Kriegsvorbereitungen und dem alltäglichen sinnlosen Drill. Krieg, darauf fiebern schließlich alle hin, ist hier etwas, was zumeist nur in den Köpfen der Marines und für uns außerhalb der Leinwand stattfinden darf. Wenn der innere Leidensdruck zu groß wird, müssen Swofford und seine Kameraden ihren Männlichkeitsüberschuss bei Sport und Kanistersaufen abreagieren. Ein anderes Ventil haben sie nicht. Jake Gyllenhaal hat für diese ungewöhnliche Soldatenrolle den passenden verträumten fragenden Blick. Von Lethargie, Gleichgültigkeit bis hin zu grenzenlosen Hass darf er sich einmal querbeet durchs gesamte Charakterasernal pflügen. Allerdings bleibt bereits nach kurzer Zeit nicht sehr viel davon haften. Da kann Kollege Peter Sarsgaard schon eher punkten, mit etwas mehr Zurückhaltung und der Explosion im unerwarteten Moment. Aber selbst sein Filmcharakter Troy verkommt zu einem Phantom, einer menschlichen Black Box, wie all die anderen Soldaten auch. Eher lassen sie sich anhand von Äußerlichkeiten katalogisieren (der Latino, der Brillenträger, der Superprolet usw.). Kein unbedingtes Indiz für einen tiefgründigen Film.

Jeder (Anti-)Kriegsfilm ist anders, jeder (Anti-)Kriegsfilm ist gleich. Es spielt keine Rolle, ob sich die Truppe in der Wüste Saudi-Arabiens befindet oder im dichten Dschungel von Vietnam. Das System „Army“ funktioniert überall. Und das Kino sieht überall gleich aus. Mendes hält sich bewusst aus den beliebten Scharmützeln pro/contra Irak-Krieg und einem Kommentar zur aktuellen amerikanischen Außenpolitik heraus. Vermutlich ist er auch zu sehr damit beschäftigt, Swoffords Geschichte möglichst unterhaltsam und stilistisch einwandfrei zu erzählen. Herausgekommen ist letztlich ein kurzweiliger, gleichsam wenig origineller Ausflug in den Dreck, der vor allem als Werbevideo für Militärfetischisten zu gebrauchen ist.

Zuerst erschienen bei kino.de.

Freitag, Juni 02, 2006

Französisch für Anfänger - Fronkreisch mit Judith Holofernes

D 2006

+++

Ich entschuldige mich für mein vorschnelles Urteil nach den ersten fünf Minuten „Französisch für Anfänger“. Denn zu diesem frühen Zeitpunkt und in Kombination mit dem wenig intelligenten Titel schien Christian Ditters Kinodebüt in den Niederungen einer platten langweiligen Teenie-Klamotte wüten zu wollen. Doch erstens kommt es anders und zweitens als der nörgelnde Kritiker es sich denkt. „Französisch für Anfänger“ erzählt auf erfrischend natürliche und unbekümmerte Art von der ersten Liebe und dem hieraus resultierenden pubertären Gefühlschaos. Das alles schildert Ditter vor dem Hintergrund eines Schüleraustausches in der französischen Provinz. Natürlich kommen die üblichen Klischees über den jeweils anderen auch zum Tragen, dann jedoch nur, um kurz darauf mit ihnen liebevoll zu brechen. So ist es der deutsche Austauschschüler Henrik (Francois Göske), der aufgrund eines Sprachdefizits die Geste seiner Gasteltern missdeutet und den ihm angebotenen Rotwein unter sein Frühstücksmüsli mischt.

Endlich, möchte man seufzen, werden Jugendliche (zumindest trifft das auf die beiden Hauptcharaktere Henrik und Valerie zu) nicht ein weiteres Mal zu einer Blödelei á la „American Pie“ benutzt, sondern stattdessen als vielschichtige nachdenkliche Suchende geschildert. Suchende sind sie deshalb, weil sie sich noch über ihre Vorstellung vom Leben klar werden müssen, von fundamentalen Werten wie Freundschaft, Loyalität und Treue und über ihre Idee von Glück. Paula Schramm gibt als Hendriks Herzensdame eine erstaunlich reife selbstbewusste Leistung ab, keine Spur von einem aufgesetzten Lächeln oder vorgeschobenen Charme. Sie pulsiert geradezu vor Leidenschaft, jemanden spielen zu dürfen, der hin- und hergerissen ist zwischen Liebe und Freundschaft. Francois Göske fällt dagegen zwar etwas ab, als sensibler Prinz Charming ist aber auch er ein Gewinn für den Film.

Besonders beeindruckt Ditters offenkundige Weigerung seinen Schüleraustausch mit einem richtigen Plot ausstatten zu wollen. Das Ganze ähnelt eher einem „sich Treiben lassen“ in warmen Sommerabenden, bei selbst organisierten Partys und romantischen Dates. Wie seinerzeit Linklaters „Before Sunrise“ stehen die Charaktere und nicht ihre Handlungen im Vordergrund. Begleitet von einem Soundtrack, der zu 50 % aus passenden „Wir sind Helden“-Chansons wie „Aurélie“ besteht, macht diese Teenager-Komödie einfach Spaß. Wäre da nicht der ein oder andere kleine Fehltritt (Christian Tramitz' verzichtbarer Gastauftritt), mehr als überflüssig ist die Überdramatisierung der letzten Minuten und Henriks Aktion um den gekaperten Bus, es ließe sich kaum etwas bemäkeln. Indem sich „Französisch für Anfänger“ keine billigen Späßchen über seine Charaktere erlaubt, sie vielmehr respektiert, hebt er Jugendliche endlich auf ein Tableau, auf dem sie auch von Erwachsenen ernst genommen werden müssen. Chapeau!

Demnächst auf dieser Seite

Neue Kritiken zu

Französisch für Anfänger (+++) von Christian Ditter

The Sentinel (+++) von Clark Johnston

Die Chaoscamper (+1/2) von Barry Sonnenfeld

Rang de Basanti (++1/2) von Rakeysh Omprakash Mehra

Donnerstag, Juni 01, 2006

Gib mich die Kirsche! - Let the Good Times Roll!

D 2006

++1/2

Perfektes Timing: eine Nation im WM-Fieber ist ein dakbarer Abnehmer für alles, was sich thematisch mit dem runden Leder beschäftigt. Constantin bringt mit "Gib mich die Kirsche!" ein vergnügliches, kurzweiliges Zeitdokument zu den skurrilen und teils sehr verschlafen wirkenden Anfängen der Bundesliga. Die beiden Regisseure Oliver Gieth und Peter Hüls wühlten sich dafür über fast zehn Jahre durch unzählige Archivaufnahmen, Werbespots, TV-Berichte und Tondokumente jener Zeit. Dabei ist ihr Film deutlich auch auf den Nicht-Fußballfan zugeschnitten, da er sich nicht mit Taktiken und Statistiken aufhält. Die Faszination um die wichtigsten Nebensache der Welt steht ganz klar im Mittelpunkt, Idole wie Franz Beckenbauer und Gerd Müller demonstrieren die Eleganz des Spiels. Und schließen dürfen hier (zwinker, zwinker) sogar Frauen zu Wort kommen. Eine ausführliche Besprechung gibt es von mir bei critic.de.