Montag, Juli 30, 2007

Die Liebe in mir - Save Our Soul


USA 2007

+++

Hollywoods Topverdiener Adam Sandler bewegt sich immer weiter weg vom früheren Komödieneinerlei. In Mike Binders sensiblem Drama Die Liebe in mir erbringt er endgültig den Beweis, dass er auch anderen Rollen und Geschichten gewachsen ist. Mehr noch: Zusammen mit Co-Star Don Cheadle ist er es, der maßgeblich zum Gelingen dieser tragikomischen Betrachtung New Yorker Schicksale beiträgt. Gedreht an Originalschauplätzen atmet Binders Film die für die Metropole am Hudson River so typische Mischung aus hektischer Betriebsamkeit und melancholischer Stille.

Filmkritik:

Die Anschläge des 11. Septembers haben der Weltmacht USA schlagartig und auf grausamste Art ihre eigene Verletzlichkeit bewusst gemacht. Vor allem für die weltoffenen und kosmopolitischen New Yorker waren die einstürzenden Türme des World Trade Center ein geradezu traumatischer Einschnitt in ihr Leben. Ganz gleich, ob sie dabei Angehörige oder Freunde verloren oder nur die Bilder von Ground Zero in den Nachrichten zu sehen bekamen. 9/11 hat die Menschen verändert. Einer von ihnen ist der einst erfolgreiche Zahnarzt Charles Fineman (Adam Sandler). Seitdem bei den Anschlägen seine Frau und Kinder starben, scheint er in einer eigenen Welt zu leben, in der er seine Umgebung kaum mehr wahrnimmt. Den Tag verbringt er vorwiegend vor der Videokonsole. Wenn er dann doch einmal aus dem Haus geht, fährt er auf seinem Roller zumeist ziellos und gedankenverloren durch die nächtlichen Straßen New Yorks.

Ein Zufall soll ihn auf Alan Johnson (Don Cheadle), seinen alten Kumpel aus College-Zeiten, treffen lassen. An einer Straßenecke in Manhattan entdeckt dieser ihn, nachdem sich beide zuvor jahrelang aus den Augen verloren hatten. Während Charlie offen unter dem Verlust seiner Familie leidet, fühlt sich auch Alan insgeheim unwohl mit dem Leben, das er führt. Obwohl er als Zahnarzt erfolgreich ist, eine vermeintlich perfekte Ehe führt und stolz auf seine Kinder sein kann, spürt er, dass ihn das alles manchmal einengt und überfordert. Erst in der Gegenwart von Charles wird ihm bewusst, dass ihm ein Freund fehlte, mit dem er über all diese Dinge offen reden kann.

Regisseur und Autor Mike Binder thematisierte bereits in seinen früheren Werken wie An Deiner Schulter den Umgang mit Verlust, Trauer und unterschiedlich gearteten familiären Ausnahmesituationen. Obwohl Charlie sicherlich stellvertretend für nicht wenige Hinterbliebene des 11. Septembers steht, die sich mit ihrem Schicksal allein gelassen fühlen, lässt sich Binders neuer Film nicht auf den Aspekt der Nachwirkungen von 9/11 reduzieren. Dafür ist die Geschichte zu universell, sind die Charaktere in ihren Zweifeln, Sorgen und Ängsten zu nahe an dem, was jeder von uns schon einmal erlebt hat, sei es bei sich selber oder bei anderen.

Die Entscheidung, weitestgehend auf Studio-Aufnahmen zu verzichten und stattdessen an Original-Schauplätzen zu drehen – abseits der bekannten Touristenmotive – evoziert ein ganz spezielles New York-Gefühl, das wie in den früheren Filmen Woody Allens oder Spike Lees authentisch den Mood und Rhythmus dieser Metropole wiedergibt. Vor dieser Kulisse erzählt Binder eine zwischen entwaffnend komischen und dramatischen Momenten fein ausbalancierte Geschichte. Schnell wird deutlich, wieviel Wert der ebenfalls in einer Nebenrolle agierende Regisseur auf die Ausarbeitung der einzelnen Charaktere legt. Über Charlies karge Wohnung, in der sein altes Leben unter Laken und in Kisten versteckt zu sein scheint, erhält man einen ersten Einblick, wie es höchst wahrscheinlich in ihm aussieht. Dass er sich in Situationen, in denen der Schmerz zu groß wird, in die Musik seiner Jugend flüchtet und Songs wie „Love Reign O’er Me“ von The Who hört, drückt die Sehnsucht nach einem heilsamen Vergessen aus.

Trotz aller von Mike Binder zu verantwortenden Qualitäten, ohne Adam Sandler wäre Die Liebe in mir nicht derselbe Erfolg gewiss. Sämtliche Zweifel, ob Charlies Rolle zuweilen nicht dem durch Rain Man verzerrten Bild des autistischen Sonderlings zu sehr ähnelt, macht der einstige Spaßvogel über sein zurückhaltendes Spiel wieder vergessen. Sandler muss sich nach seinen Auftritten in Punch Drunk Love und Spanglish nichts mehr beweisen, vielmehr ist er wie sein Kollege Jim Carrey längst dem Klamauk-Kino Hollywoods entwachsen. Mit dem distinguierten Don Cheadle bildet er ein ungewöhnliches Tandem, das gemeinsam Roller fährt und Videospiele zockt, während jeder für sich auf die großen Fragen des Lebens nach einer Antwort sucht.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Juli 26, 2007

Die Simpsons - Der Film


USA 2007

+++1/2

Jetzt ist er endlich da: Der erste Auftritt der gelben Chaos-Truppe in Spielfilmlänge. Und das Warten hat sich gelohnt. Homer & die Seinen werden auch das Kinopublikum mit ihrer typischen Mischung aus hintersinnigem Humor, subversiver Gesellschaftskritik und popkulturellen Zitaten im Sturm erobern. Irgendwie scheint die große Leinwand auf das Simpson-Universum gewartet zu haben. Wer's nicht glaubt, mag es in meiner Lobhudelei auf evolver nachlesen.

Sonntag, Juli 22, 2007

Als der Wind den Sand berührte - Out of Africa


BEL 2006

++1/2

Nicht nur Hollywood hat Afrika als Kulisse großer Produktionen entdeckt. Die belgische Filmemacherin Marion Hänsel drehte im ostafrikanischen Dschibuti die Chronik einer langen, zermürbenden Odyssee. Auf der Suche nach Wasser ist eine junge Familie bereit, alles zu opfern. Als der Wind den Sand berührte zieht seine Kraft vorrangig aus der schlichten Inszenierung, welche auf formaler Ebene die karge Schönheit der Landschaft widerspiegelt. Mit überzeugenden, ausdrucksstarken Darstellern zeigt Hänsel ein Afrika jenseits aller Ethno-Klischees.

Filmkritik:

Wer zuletzt nach auffälligen Trends auf dem Kino-Spielplan suchte, dem dürften die zahlreichen in Afrika angesiedelten Geschichten nicht entgangen sein. Produktionen wie Blood Diamond, Der ewige Gärtner, Shooting Dogs und Der letzte König von Schottland thematisierten zumeist mit Mitteln des Thrillers unterschiedliche Aspekte der afrikanischen Krankheit. Korruption, Bürgerkrieg, das oftmals noch koloniale Selbstverständnis des Westens, die Determinanten für die Malaise des schwarzen Kontinents, für Armut und millionenfaches Leid sind vielfältig. In ihrem neuen Film Als der Wind den Sand berührte – die Adaption des Romans „Chamelle“ von Marc Durin-Valois – greift Marion Hänsel das gleichsam drängende Problem der Wasserknappheit auf.

Unter Trockenheit und Dürre leidet auch die Familie von Dorflehrer Rahne (Issaka Sawadogo). Jeder Tropfen Wasser wird streng rationiert. Als Rahnes Frau Mouna (Carole Karemera) ihr drittes Kind bekommt, rät ihm der Dorfälteste, er solle das Neugeborene – es ist ein Mädchen – töten. Doch Mouna, die das Gespräch der Männer mitangehört hat, lässt dieses nicht zu. Fest entschlossen steht sie für ihr Kind ein, was Rahne letztlich auch akzeptiert. Shasha soll die Kleine heißen, so wünscht es sich Mouna. Einige Jahre später ist die Familie aufgrund des Wassermangels gezwungen, das Dorf zu verlassen. Die meisten Bewohner brechen nach Süden auf. Rahne glaubt dagegen, im Osten auf der anderen Seite der Grenze könnten sie ihr neues Zuhause und – was damit gleichbedeutend ist – Wasser finden. Um dahin zu gelangen, muss die Familie jedoch zunächst umkämpftes Kriegsgebiet und die lebensfeindliche Wüste durchqueren.

Im Grunde folgt Hänsels Regiearbeit der Dramaturgie eines typischen Road-Movies. Nur gilt die Losung „Der Weg ist das Ziel“ für Rahne und die Seinen nicht. Ihnen geht es nicht um irgendeine Art der Selbstfindung, ihr Ziel heißt Überleben. Und Überleben bedeutet Wasser. Es ist vor allem die Beziehung des Vaters zu seiner unglaublich couragierten und trotz des erlittenen Leids optimistischen Tochter, die den Film trägt. Das Schicksal von Rahne, Mouna, Shasha und den beiden Söhnen erschüttert, weil sie ihre scheinbar hoffnungslose Situation mit einer für uns, die nie etwas Vergleichbares erfahren mussten, kaum fassbaren Würde ertragen. Dabei kommt Hänsel weitestgehend ohne die in Filmen über Afrika vielfach eher ungeschickt formulierte und überflüssige Kritik an den Verhältnissen aus. Zu offensichtlich trägt der Mensch hierfür die Hauptverantwortung, in dem er dem Klimawandel nicht entschlossen begegnet, Überweidung zulässt und im Kampf um Rohstoffe einen gesamten Kontinent opfert.

Zuweilen erinnert Als der Wind den Sand berührte an einen Dokumentarfilm. Nicht nur das authentische Spiel der Darsteller legt diesen Eindruck nahe, auch Hänsels reduktionistische Ausgestaltung des ebenfalls minimalistischen, bewusst monotonen Plots lässt eine solche Analogie zu. Nur äußerst selten greift sie auf Musik zurück. Ihre Kamera bleibt stets ein unsichtbarer, stiller Beobachter, die den harten Kontrast zwischen der faszinierend-schönen Landschaft und den Strapazen der familiären Odyssee einfängt. So fügen sich die einzelnen Teile schließlich zu einem ausgewogenen Afrika-Porträt, das sich einer Instrumentalisierung als Postkartenmotiv und Katastrophenreportage verweigert.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Juli 19, 2007

Death Proof - Todsicher


USA 2007

+++1/2

Der Film-Nerd ist zurück. Quentin Tarantino legt mit Death Proof - Todsicher eine augenzwinkernde Hommage an das Schmuddelkino der Grindhouse-Ära vor. Ein psychopatischer Stuntman (dargestellt von Schauspiel-Urgestein Kurt Russell) hat es darin auf eine Gruppe selbstbewusster Schönheiten abgesehen. Mit dem Tarantino-typischen Humor, gewitzten Dialogen, unzähligen Zitaten an Genre-Klassikern, eine Prise Dirty-Action und dem exzessiv ausgelebten Fußfetischismus seines Regisseurs bietet Death Proof all das, was man an Tarantino so schätzt. Meine Besprechung findet sich auf Critic.de.

Samstag, Juli 14, 2007

Du bist nicht allein - Sinnsuche im Plattenbau


D 2007

+++

Was bleibt einem Menschen, wenn ihm jede sinnstiftende Aufgabe genommen wird? Um diese Frage kreist Bernd Böhlichs heiter-melancholische Tragikomödie Du bist nicht allein. Mit einem erstklassigen Ensemble (u.a. Axel Prahl und Katharina Thalbach) erzählt er im Osten Berlins von der Sehnsucht nach einem Neuanfang, nach Nähe und einem bescheidenden Glück. Dabei balanciert er seine Geschichte gekonnt zwischen unbeschwerter Situationskomik und ruhigeren Intermezzi aus. Vor allem der Verzicht auf simple Agitationsparolen erweist sich als große Qualität dieser sehr genauen Zustandsbeschreibung eines wichtigen Ausschnitts deutscher Gegenwart.

Filmkritik:

Für Hans Moll (Axel Prahl) und seine Frau (Katharina Thalbach) hielt das Leben zuletzt nur wenige wirklich angenehme Überraschungen bereit. Beide sind Ende 40, arbeitslos und leben in einem der für die DDR einst so typischen Plattenbauten im Osten Berlins. Doch mit dem Einzug der attraktiven Jewgenia (Katerina Medvedeva) in die Nachbarswohnung beginnen sich die Dinge in eine neue Richtung zu entwickeln. Hans wird aus seinem monotonen Alltag herausgerissen. Er beginnt, sich elegant zu kleiden, pflegt sich und überrascht Jewgenia mit mal kleineren, mal größeren Aufmerksamkeiten. Kurzum: Amors Pfeil hat ihn schwer getroffen. Seine Frau bekommt von all dem zunächst nichts mit. Sie ist vielmehr mit sich selbst beschäftigt und froh, endlich eine neue Arbeitsstelle bei einem Wachdienst gefunden zu haben. Eine schicke Uniform und das Gefühl, endlich wieder gebraucht zu werden, trösten über so manche Entbehrung wie den anstrengenden Nachtdienst hinweg.

Neben den Molls wohnt seit kurzem der Physiker Kurt Wellinek (Herbert Knaup) – ebenfalls arbeitslos. Dieser leidet unter der Trennung von seiner Frau Sylvia (Karoline Eichhorn). Das Einzige, was ihn antreibt, ist die Hoffnung, sie eines Tages zurückzugewinnen. Ohne diese Vorstellung wäre die Tristesse der grauen Plattenbauwohnung für ihn nur schwer zu ertragen.

Willkommen in der Wirklichkeit. So oder so ähnlich ließe sich Bernd Böhlichs (Mutterseelenallein) neueste Regiearbeit Du bist nicht allein überschreiben. Denn trotz Konjunkturaufschwung gestaltet sich der Alltag der meisten Menschen, die von Hartz IV oder Mini-Jobs leben müssen, reichlich uniform. Dabei scheint die von Böhlich gewählte Kulisse der architektonischen Erbsünden des einstigen Arbeiter- und Bauernstaates geeignet, die Depression des Augenblicks nochmals zu verstärken. Umso erstaunlicher ist es, wie humorvoll und optimistisch sich sein Film des vielschichtigen Themas Arbeitslosigkeit annimmt. Natürlich müssen Böhlichs Protagonisten allesamt Rückschläge einstecken – Frau Molls neuer Traumjob entpuppt sich sprichwörtlich als heiße Luft – doch letztlich erweist sich kein Hindernis als unüberwindbar. Sogar der verbitterte und frustrierte Akademiker findet schließlich etwas, das ihn ausfüllt.

Mit dem ihm eigenen Blick für das Unausgesprochene fängt Böhlich die Situation im Plattenbau ein, wo sich die Menschen nach einer echten und ehrlichen Rückkehr ins Leben sehnen. Dafür bedarf es eben nicht vieler Worte, nur guter Schauspieler. Und davon hat Du bist nicht allein gleich ein halbes Dutzend. Allen voran Axel Prahl und Katerina Medvedeva. Beide dürfen abseits der energiegeladenen Auftritte des quirligen Wirbelwinds Katharina Thalbach in einer wohligen Melancholie baden. Ein gemeinsamer Tanz auf Jewgenias Party, nachdem bereits alle anderen Gäste gegangen sind, reißt endgültig jede Distanz ein und stößt uns als Zuschauer vom Thron des anfänglich amüsierten Beobachters. Bei Hans’ anschließenden Gefühlsausbruch spielt sich Prahl die Seele aus dem Leib. Ein Gänsehautmoment.

Es gibt viele Gründe, warum einem Hans und die Anderen ans Herz wachsen sollten. Ganz sicher hängt es mit Böhlichs Verständnis von Film zusammen. Er verzichtet auf eine pauschale Systemkritik und klassenkämpferische Parolen, wie sie in ähnlichen Milieustudien oftmals wenig subtil vorgetragen werden. Sein Film gibt sich vielmehr heiter, versöhnlich, zukunftsgewandt. Er operiert mit Witz statt mit der sozialen Brechstange. Das weckt Erinnerungen an Andreas Dresens Sommer vorm Balkon und füllt den titelgebenden, von Roy Black gesungenen Schlager mit neuer Frische und Vitalität.

Für Programmkino.de.

Mittwoch, Juli 11, 2007

2:37 - Tragik in Vollendung


AUS 2006

++

Mit gerade Anfang 20 drehte Regie-Neuling Murali K. Thalluri diese erschütternde Bestandsaufnahme über den Horror an einer normalen australischen High School. Darin beobachtet er über einen Schultag sechs ganz unterschiedliche Teenager bei ihrem Versuch, mit den Herausforderungen des Erwachsenswerdens, den eigenen Gefühlen und ihrer jeweiligen familiären Situation zu Recht zu kommen. 2:37 weckt aufgrund seiner nicht-chronologischen Erzählstruktur Erinnerungen an Gus Van Sants Columbine-Drama Elephant, wobei auch Thalluri mit einem ähnlichen Problem wie seinerzeit Van Sant zu kämpfen hat.

Filmkritik:

In 2:37 steht die Explosion ganz am Anfang. Wir sehen aufgeregte Schüler, die an die Tür der Mädchentoilette klopfen. Unter dieser sickert eine Blutlache hervor. Irgendetwas Schreckliches muss geschehen sein. Rückblende. Als nächstes führt Regie-Debütant Murali K. Thalluri nacheinander seine sechs Protagonisten ein. Da gibt es das Geschwisterpaar aus reichem Elternhaus, Melody (Teresa Palmer) und Marcus (Frank Sweet), den selbstbewussten Mädchenschwarm Luke (Sam Harris), dessen Freundin (Marni Spillane) ihn eifersüchtig bewacht, sowie die beiden Außenseiter Sean (Joel Mackenzie) und Steven (Charles Baird). Während Sean nach seinem Coming Out von Mitschülern tagtäglich verspottet wird, leidet der schüchterne Steven unter seiner körperlichen Behinderung und einer für ihn noch unangenehmeren Blasenschwäche, die ihn seit einer frühkindlichen Erkrankung verfolgt.

Der Film begleitet die Sechs von ihrem Schulweg an bis in den frühen Nachmittag, als die Handlung durch den Zwischenfall auf der Schultoilette ihren tragischen Höhepunkt erreicht. Thalluri, der die Motivation zu 2:37 mit dem Selbstmord eines Freundes erklärt, springt wie in einem Episodenstück zwischen den einzelnen Charakteren hin und her. Die schwerelose Kamera verweilt einen Augenblick bei Marcus und einer Mitschülerin im Musikzimmer, dann folgt sie Luke, der auf dem Gang seine Freundin Sarah trifft. Das Ganze besitzt zumeist einen semi-dokumentarischen, beinahe nüchternen Ton, der stark an Gus Van Sants Schuldrama Elephant erinnert. Wie Van Sant schildert Thalluri eine Szene aus mehreren Perspektiven, welche wieder zusammengefügt – vergleichbar der Teile eines Puzzles – ein viel größeres Bild ergeben.

Dieses transportiert nicht nur ein Gefühl der Einsamkeit und Isolation an einem auf den ersten Blick so lebendigen Ort, es zeigt zugleich sechs Leben voller Widersprüche und Geheimnisse. Thalluris Jugendliche befinden sich in einem permanenten psychischen Ausnahmezustand, aus dem es die Möglichkeit zur rettenden Flucht nicht mehr zu geben scheint. Vor allem Melody und Luke leiden unter dem, was sie niemandem anvertrauen können, weil die Wahrheit sämtliche im Laufe der Jahre aufgebauten Fassaden einreißen würde. Wo man auch hinsieht, überall tun sich neue Abgründe und Krisen auf. Und genau darin liegt die Crux von Thalluris Debüt. Die aus der Verdichtung auf Ort und Zeit resultierende Überfrachtung mit Problemen geht früher oder später zu Lasten der Glaubwürdigkeit. Für manches, wie die Enttarnung des Obermachos Luke als schwuler Herzensbrecher, bedient sich Thalluri gar bei zu oft gesehenen Klischees.

Die Zersplitterung des Plots und das anschließende Wiederzusammensetzen der Teile verleiht 2:37 ebenso wie die langen Steadycam-Fahrten durch das offene, helle Schulgebäude eine stilistische Eleganz, die nicht unproblematisch ist. Sowohl Thalluri als auch Van Sant betonen über ihre Inszenierung stets die Beiläufigkeit der Beobachtungen, bis man nicht umhin kommt, in eben jener Beiläufigkeit das Prätentiöse zu entdecken. Immerhin ist Thalluri gerade einmal 22, da seien ihm solche Spielereien verziehen. Zumal seinem bislang weitgehend unbekannten ebenso jungen Ensemble mit einer bravourösen, mutigen Leistung eine kleine Entschädigung gelingt.

Für Programmkino.de.

Sonntag, Juli 08, 2007

Der Italiener - Die Leiden des Bruno B.


I/F 2006

+++1/2

Als Nanni Moretti seinerzeit ankündigte, einen Film über den italienischen Ministerpräsidenten und Medienmogul Silvio Berlusconi drehen zu wollen, glaubten viele, der politisch engagierte Filmemacher würde diesen zu einer einzigen bitterbösen Abrechnung nutzen. Entgegen dieser Erwartungen beleuchtet das im vergangenen Jahr in Cannes uraufgeführte Werk nur peripher die Person Berlusconis. Der Italiener ist vor allem eine intime Familiengeschichte und eine Hommage an das Kino.

Filmkritik:

Er hat auch bereits bessere Zeiten erlebt. Bruno Bonomo (Silvio Orlando), mit Leib und Seele Filmproduzent, steht vor einem Scherbenhaufen. Die Misserfolge der letzten Jahre haben seine Firma und ihn ruiniert. Viel schlimmer noch: Er wird öffentlich für seine Flops vorgeführt. Sein neues Projekt „Die Rückkehr des Christopher Kolumbus“ droht an den fehlenden finanziellen Mitteln zu scheitern. Niemand scheint gewillt, Bruno weiteres Geld hinterher zu werfen. Zu der beruflichen Talfahrt kommen private Probleme. Eigentlich haben sich er und seine Frau Paola (Margherita Buy) längst getrennt. Nur um gegenüber ihren Kindern die Illusion einer intakten Familie aufrecht zu erhalten, spielen sie weiterhin die Rolle eines glücklichen Ehepaares. Wenn Bruno abends die Wohnung verlässt, um in der Firma zu übernachten, erzählt er ihnen, dass er zu Dreharbeiten müsse.

In dieser misslichen Situation fällt ihm das Drehbuch einer jungen Autorin in die Hände. Teresa (Jasmine Trinca) sucht nach einem Regisseur und Produzenten, der ihren politisch brisanten Stoff „Il Caimano“ (zu Deutsch: Der Kaiman) verfilmen will. Schnell wird deutlich, dass ihre Geschichte über einen korrupten Politiker und Medienmogul auf den amtierenden Ministerpräsident Silvio Berlusconi abzielt. Wenig begeistert zeigen sich die Verantwortlichen beim TV-Sender RAI, und so bleibt Bruno nur die Möglichkeit, selbst einen Finanzier für „Il Camino“ aufzutreiben.

Nanni Morettis Generalabrechnung mit der schillernden Figur und dem System Silvio Berlusconi verläuft über Umwegen. Als Film im Film thematisiert Der Italiener dessen Regierungszeit, wobei gleich vier Darsteller – darunter der „echte“ Berlusconi, der in Archivaufnahmen zu sehen ist, Michele Placido und Nanni Moretti selber – in die Rolle des streitbaren und machtbesessenen Medienzaren schlüpfen. Die Passagen mit Berlusconi werden zunächst eher en passant präsentiert. Morettis Hauptfokus liegt dafür über weite Strecken auf dem strauchelnden Bruno, in dem der Filmemacher sein Alter Ego gefunden zu haben scheint. Erst im Finale fließen die verschiedenen Ebenen ineinander, kommt es zu der erwarteten mit Verve und Wut vorgetragenen Anklage. Ausgerechnet Morettis Berlusconi, der rein äußerlich überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem Original besitzt, hält in einem vor arroganter Selbstgerechtigkeit triefenden Monolog dem Regierungschef einen Spiegel vor.

Während der geschickte Demagoge seinen Ruf bis zuletzt verteidigt, durchlebt der leidenschaftliche Cineast Bruno ein Wechselbad der Gefühle. Von Silvio Orlando gerade in den dramatischen Momenten mit viel Fingerspitzengefühl gespielt, nutzt Moretti seinen Protagonisten auch zu einer Reise zurück in die Vergangenheit, als das Kino der Cinecittà dank Namen wie Fellini und Visconti noch Weltgeltung besaß. Die eher drittklassigen, offenbar leicht trashigen Werke („Die Killermokassins“) des fiktiven Filmproduzenten Bonomo evozieren Erinnerungen an genuin italienische Genres wie den Giallo.

Der Italiener funktioniert aber ebenso als tragikomische Chronik einer im Auseinanderbrechen befindlichen Familie. Bruno müht sich redlich, die Risse zu kitten. Doch eine Szene, die ihn und seine Frau beim Spiel mit den Kindern zeigt, reicht aus, um sein Scheitern zu dokumentieren. Morreti wäre aber nicht Moretti würde auf die berufliche wie private Dekonstruktion nicht einen hoffnungsvollen Neuanfang folgen lassen. Da wird plötzlich sogar der Moment der Trennung zu einer heilsamen Erfahrung. Unterlegt von Damien Rices melancholischer Ballade „The Blower’s Daughter“ bricht Bruno mit wieder gewonnener Zuversicht in ein neues Leben auf.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Juli 05, 2007

Schwedisch für Fortgeschrittene - Wasa-Comedy ohne Biss


S 2007

++

Regelmäßig sorgen schwedische Filme in unseren Kinos für respektable Überraschungserfolge. Auch Colin Nutleys Schwedisch für Fortgeschrittene könnte sich als kleiner Sleeper-Hit erweisen, mischt sein Film doch viele publikumswirksame Zutaten zu einem nicht immer schmackhaften Ganzen. Viel Gute-Laune-Musik, zwei gut aufgelegte Hauptdarstellerinnen und einen mal überdreht, mal etwas leiser vorgetragenen Geschlechterkonflikt, fertig ist der vermeintlich perfekte Film für einen unverfänglichen Kinoabend, der ganz auf Nummer sicher geht. Zu meinem Text auf Critic.de geht es hier.