Freitag, November 18, 2011

Eine dunkle Begierde - Er, Ich und Es


GB/F/DK/KAN/D 2011

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Er gilt als der Erfinder der Psychoanalyse: Sigmund Freud. Weniger bekannt ist hingegen der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung, der auf Freuds revolutionäre Thesen und Beobachtungen als einer der ersten bei der Behandlung seiner Patienten zurückgriff. David Cronenberg (Tödliche Versprechen, A History of Violence) ergründet basierend auf einem regen Briefwechsel zwischen Freud und Jung das Verhältnis dieser beiden fachlich eng verbundenen und doch auch so unterschiedlichen Männer. Dabei wird eine junge Frau zum Mittelpunkt ihrer Beziehung. Eine dunkle Begierde ist etwas theaterhaft inszeniert, aber insgesamt ein feines Stück Ausstattungskino mit großartigen Schauspielern und tiefen Einblicken in die menschliche Natur.

Filmkritik:

Die Psychoanalyse gehört heute zum Rüstzeug jedes Psychologen und Psychiaters, ihre Erkenntnisse und Deutungen sind allgemein anerkannt und haben die Sicht auf uns und unser Verhalten komplett revolutioniert. Als Sigmund Freud vor über 100 Jahren seine Beobachtungen und Theorien formulierte, war das Klima noch ein anderes. Freud sah sich von Kollegen und der oftmals schockierten Öffentlichkeit immer wieder massiven Anfeindungen ausgesetzt – zum Teil spiegelten sich in diesen Angriffen auch antisemitische Ressentiments. Freud war Jude. Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung, der Freuds Thesen mit großem Interesse aufnahm und sie bei seiner Arbeit in einer Nervenklinik anzuwenden suchte, entwickelte sich wiederum zu einem wissbegierigen Schüler des Wiener Vordenkers. Auf mehrere Briefwechsel folgte schließlich der Besuch Jungs bei seinem Lehrmeister. Es ist zugleich der Moment, ab dem zwischen den beiden Männern auch grundlegende Unterschiede abseits ihrer Profession deutlich werden.

Eine dunkle Begierde heißt der Film, den Kanadas Meister-Regisseur David Cronenberg über Freud und noch etwas mehr über Jung gedreht hat. Als Bindeglied zwischen diesen beiden mutigen Männern dient – wie sollte es anders sein – eine Frau. Die junge Russin Sabina Spielrein (im Film dargestellt von Keira Knightley) kommt im Jahr 1904 in Jungs Klinik, wo sie von ihm wegen ihrer Hysterie und ihren Angstzuständen behandelt werden soll. Jung entscheidet sich, Freuds Erkenntnisse anzuwenden und es mit einer für die damaligen Zeit neuen Form der Gesprächstherapie zu versuchen. Wenig später wird Sabina seine Geliebte und schließlich sogar Freuds Schülerin. Sie entschließt sich, selbst Medizin zu studieren und eine wissenschaftliche Karriere als Analytikerin einzuschlagen.

Basierend auf seinem eigenen Theaterstück „The Talking Cure“ adaptierte Autor Christopher Hampton (Abbitte) das nicht allein aus historischer Sicht aufregende Dreiecksverhältnis zwischen Jung, Freud und Spielrein. Jung, der hier von Michael Fassbender mit großer Eleganz und auch einer gewissen Leichtigkeit verkörpert wird, ist Protestant und schon deshalb kulturell anders als Freud geprägt. Während dieser in der Metropole Wien praktiziert und sich eine Entourage aus meist jüdischen Analytikern zugelegt hat, erprobt Jung als Einzelkämpfer in den Schweizer Bergen und in einer Thomas Manns Der Zauberberg nicht unähnlichen Szenerie Freuds revolutionäre Therapieansätze. Wie schon in Das weiße Band schimmern dabei am Horizont immer wieder die dunklen Vorboten des Ersten und Zweiten Weltkriegs durch. Einmal erzählt Jung von einem Meer aus Blut, das sich als Bild in seinen Träumen zeigte, ein anderes Mal kommt Freud gegenüber Jung auf den seinerzeit weit verbreiteten Antisemitismus zu sprechen. Es ist ein Problem, dessen sich Freuds Schüler überhaupt nicht bewusst ist. Auch das sagt auf seine Art viel über den weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts.

Mehr noch als für die Einbettung in den historischen Kontext fühlt sich der Film jedoch seinen ebenfalls historischen Figuren verpflichtet. Cronenberg legt höchsten Wert auf eine präzise, möglichst klischeefreie Darstellung, welche allerdings vor allem bei Viggo Mortensens selbstbewusster Freud-Interpretation durchaus auch ironische Züge aufweist. In jedem Fall begegnen sich hier zwei Schauspieler auf Augenhöhe, was man von Freud und Jung so nicht unbedingt behaupten kann. Keira Knightley hat im Vergleich dazu die deutlich undankbarere Rolle. Sie spielt zumindest zu Beginn eine von ihrer Hysterie gefesselte junge Frau, wobei sich nur schwer beurteilen lässt, was an Knightleys Darstellung Overacting und was ein realistisches Abbild einer derartigen psychischen Störung sein könnte. Ihre Gesichtsakrobatik ist zumindest abenteuerlich.

Elegant und mit einem besonderen Blick für Details von Cronenbergs Stamm-Kameramann Peter Suschitzky bebildert, lässt Eine dunkle Begierde die Stimmung und Atmosphäre jener Zeit überzeugend auferstehen. Sieht man von wenigen, als Kulissenhintergrund eingesetzten Computereffekten einmal ab, bietet der Film nahezu perfektes Ausstattungskino. Jede Apparatur, jedes Werkzeug scheint ein echtes Museumsstück zu sein. Dazu erforscht und seziert Cronenberg einmal mehr seelische Abgründe. Die Rückführung jedes Verhaltens auf ein rein sexuelles Motiv, das ist analog zu Freuds Theorien auch in vielen Filmen des Kanadiers das bestimmende Thema. Die menschliche Lust als mitunter auch zerstörerischer Antrieb aller Dinge. Freud und Cronenberg hätten sich vermutlich viel zu erzählen.

Für Programmkino.de.