Dienstag, September 21, 2010

Der letzte Exorzismus - Rendezvous mit dem Teufel


USA 2010

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Spätestens seit Cloverfield steht virales Marketing hoch im Kurs. Gerade kleine Produktionen nutzen dabei den Werbekanal Internet, um bereits lange vor Kinostart auf sich aufmerksam zu machen und die Erwartungshaltung in ihrer Zielgruppe mit immer neuen Trailern und Clips gezielt anzuheizen. So auch die Low-Budget-Produktion Der letzte Exorzismus, hinter der mit Eli Roth eines der Aushängeschilder des modernen amerikanischen Terrorkinos steht. Seit dem Startwochenende in den USA ist klar, dass dieses inzwischen hinlänglich erprobte Konzept wieder einmal aufgegangen ist. Über 20 Mio. Dollar nahm das Abenteur allein an den ersten drei Tagen ein. Im Vergleich dazu erscheinen die Produktionskosten von geschätzt 2 Millionen Dollar vernachlässigbar.

Die Filmemacher bringen dieses Mal zwei Dinge zusammen, die man so verknüpft noch nicht zusammen gesehen hat. In der Verpackung einer fiktiven TV-Reportage begleitet ein Kamerateam einen Geistlichen bei seiner Arbeit als Exorzist im ländlichen Louisiana. Der aus anderen Genrebeiträgen wie dem eingangs erwähnten Cloverfield oder dem spanischen Zombieschocker Rec bekannte Fake-Dokumentationsstil wird hier zum Ausgangspunkt für eine zunehmend bedrohliche Reise in die Welt des (Aber-)Glaubens, der Dämonen und einer gottesfürchtigen Verblendung. Dabei fängt alles ganz harmlos an. Eigentlich will der engagierte Reverend Cotton Marcus (Patrick Fabian) nur den Schwindel um die bis heute angewandten Exorzismen aufdecken und diese als großen Budenzauber entlarven.

Cotton weiß, wovon er spricht. Immerhin war schon sein Vater Priester, für den Teufelsaustreibungen praktisch neben Taufen, Heirat und Beerdigungen zum Alltag seines Jobs gehörten. Als sein Sohn führte Cotton dieses Erbe zunächst lange Jahre fort, wissend, dass das Ganze eigentlich nur eine große Show ist. Berichte, wonach vor allem Kinder immer wieder nach vollzogenen Exorzismen starben, weil ihnen die eigentlich notwendige medizinische oder psychologische Behandlung nicht zuteil wurde, bewirkten in ihm allmählich ein Umdenken. Cotton hofft nunmehr, dass der Blick hinter die Kulissen des Exorzisten-Handwerks die Menschen von ihrem Aberglauben an derartige Praktiken „heilt“. Der Fernsehzuschauer soll hautnah dabei sein, wenn er seinen letzten Exorzismus vollführt.

Schauplatz ist eine abgelegene Farm im tiefsten Louisiana. Dort, wo der Süden sich noch besonders nach Süden anfühlt und die Menschen selbst für amerikanische Verhältnisse ausgesprochen religiös sind, ersucht ein verzweifelter Witwer (Louis Herthum) die Hilfe des erfahrenen Priesters. Der Mann glaubt, dass seine 16-jährige Tochter Nell (Ashley Bell) von Dämonen besessen ist. Immer wieder komme es vor, dass nachts eines seiner Schafe oder Hühner grausam getötet wird. Nells Kleidung sei am nächsten Morgen stets blutverschmiert, wobei sich das Mädchen an nichts erinnern könne. Für den Vater gibt es nur eine mögliche Erklärung. Das Böse muss von Nell Besitz ergriffen haben.

Die erste halbe Stunde von Der letzte Exorzismus funktioniert bestens als Satire auf religiösen Fundamentalismus und Heuchlerei. Der von Patrick Fabian großartig verkörperte Cotton demonstriert nicht nur eindrucksvoll seine Qualitäten als Entertainer, er lässt auch immer wieder erkennen, wie verlogen manches von dem ist, was die Kirche offiziell als Lehre vertritt. Die vom Vatikan abgesegnete Teufelsaustreibung ist da letztlich nur ein besonders schauriges Beispiel. Geistlichen kommt auch heute noch vielerorts eine Macht zu, die sie mitunter überfordert oder gar zu Missbrauch verleitet. Dabei bleibt Cotton in seinen Überzeugungen zweifelsfrei ein religiöser Mensch. Er – und damit gewissermaßen auch der Film – plädiert jedoch für eine aufgeklärte, durchaus pragmatische Sichtweise auf zunächst unerklärliche Phänomene. Als es Nell immer schlechter geht, drängt er darauf, die junge Frau von einem Psychologen behandeln und im Krankenhaus medizinisch untersuchen zu lassen.

Nach gut einem Drittel kippt die Stimmung allmählich. Dann wird aus einer anfangs amüsanten, Kirchen-kritischen Fake-Dokumentation ein mysteriöses Verwirrspiel, bei dem der offensichtliche Kontrollverlust schließlich immer besorgniserregendere Ausmaße annimmt. Bemerkenswert ist hierbei, wie sparsam der Film in der Wahl seiner Mittel ist. Der deutsche, in Hamburg aufgewachsene Regisseur Daniel Stamm vertraut vor allem seinen drei Hauptdarstellern und der Authentizität der seit Blair Witch Project erprobten Doku-Optik. Das Ergebnis ist gruseliger, als man denkt. Sogar wer üblicherweise übersinnliche Schilderungen als Hokuspokus abtut, dürfte sich in der meisterhaft montierten Stallszene in seinen Kinositz verkriechen. In der Wahl seiner Perspektive ist Der letzte Exorzismus jedoch weniger stringent als seine Genrekollegen. Neben den Aufnahmen des TV-Teams streut Stamm mehrmals Szenen ein, die offensichtlich nicht mit deren Kamera aufgenommen sein können. Sie zeigen das Farmhaus in der Außenansicht oder die unmittelbare Umgebung. Dem ansonsten puristischen Dogma-Look widerspricht auch die Filmmusik. Diese wird gezielt zum Spannungsaufbau eingesetzt. In dieser Hinsicht ist der Film eine Mogelpackung, da er von seiner eigenen Vorgabe abweicht.

Über das Ende, das an dieser Stelle nicht verraten werden soll, darf man ebenfalls geteilter Meinung sein. Immerhin verweigert sich der Film einer allzu umfassenden Erklärung. Vieles wie die Ursache für Nells Erkrankung bleibt im Ungefähren, was letztlich für vielfältige Interpretationsspiele genutzt werden kann. An der Crux, dass bei einem solchen Mockumentary-Ansatz im Horrorfach eigentlich schon vorher klar ist, wie genau die letzte Einstellung auszusehen hat, kommt aber auch Stamm nicht vorbei.

Für BlairWitch.de