Helen - Der Kampf in Dir
USA/D 2009
++1/2
Sandra Nettelbeck (Bella Martha) wagt sich in ihrem neuen Film an ein bis heute aktuelles gesellschaftliches Tabu. Depressionen sind wie die meisten psychischen Krankheiten noch immer etwas, über das man nur selten wirklich offen spricht. In Helen erliegt die Protagonistin, eine angesehene Musik-Professorin, schweren Depressionen, die sie brutal aus ihrem sorgsam aufgebauten Familien-Idyll entreißen. Nettelbecks Film zeichnet den Krankheitsverlauf mit viel Sensibilität und ohne Rückgriff auf melodramatische Klischees nach. Das ist bisweilen nur schwer zu ertragen, aber nicht zuletzt dank Ashley Judds couragierter Leistung immer sehenswert.
Filmkritik:
Wer sich ein Bein bricht, für den hat jeder vollstes Verständnis, dass er oder sie sich in einem Krankenhaus behandeln lässt. Wer dagegen an Angstzuständen, Depressionen oder Schizophrenie leidet, der muss sich auch heute noch verstecken und darauf hoffen, dass sein Umfeld von der Erkrankung keine Notiz nimmt. Es waren sehr persönliche Beweggründe, die Sandra Nettelbeck dazu veranlassten, die Leidensgeschichte einer an Depressionen erkrankten Mutter und deren Familie zu erzählen. Nach dem Erfolg ihrer kulinarischen Komödie Bella Martha, die von Hollywood bereits zu einem Remake verarbeitet wurde, erhielt das ambitionierte Projekt endlich grünes Licht. Gedreht wurde dabei in englischer Sprache und mit einer internationalen Besetzung.
Mit Ashley Judd übernahm eine aus zahlreichen US-Produktionen bekannte Aktrice die Rolle der an schweren Depressionen erkrankten Helen. Die angesehene Musik-Professorin hätte eigentlich allen Grund, mit sich und der Welt im Reinen zu sein. So ist sie inzwischen in zweiter Ehe glücklich verheiratet. Ihr Mann David (Goran Visnjic), ein erfolgreicher Anwalt, versteht sich zudem bestens mit ihrer Tochter Julie (Alexia Fast) aus erster Ehe. Doch das Idyll der nach außen perfekten Patchwork-Familie erweist sich schon bald als trügerisch. Ohne Vorwarnung wird Helen der Boden unter den Füßen weggezogen. Auf einmal fühlt sie sich unsicher, antriebslos und schwach. Eine zunächst unerklärliche Traurigkeit erfasst ihre Seele, die dazu führt, dass das Leben für sie jeglichen Sinn verliert.
Ihr Mann und ihre Tochter ahnen zunächst nicht, dass Helen schwer erkrankt ist. Erst ein Suizidversuch macht auch ihnen schlagartig den Ernst der Lage bewusst. Und dennoch müssen sie hilflos mitansehen, wie sich ein geliebter Mensch immer mehr von ihnen entfernt und entfremdet. Helen, die auf eigenen Wunsch und gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Ärztin die stationäre Behandlung abbricht, fehlt die Kraft, um sich aus diesem selbstzerstörerischen Kreislauf zu befreien. Verständnis und Zuspruch erfährt sie in dieser schweren Zeit meist nur bei einer ihrer ehemaligen Studentinnen. Wie Helen leidet auch Mathilda (Laren Lee Smith) unter Depressionen und Minderwertigkeitsgefühlen. Sie kann daher sehr genau nachempfinden, durch welche Hölle Helen nun gehen muss.
Als Zuschauer geht es einem wie Helens Familie. Man fragt sich, was der Auslöser für ihre Depressionen war. Eine befriedigende Antwort gibt der Film hierauf nicht, vielleicht weil die eine logische Erklärung überhaupt nicht existiert und viele Faktoren letztlich zusammen kommen müssen. Das Unverständnis, das Helen anfangs erfährt, aber auch der mühsame und schmerzhafte Prozess der (Wieder-)Annäherung, das sich Zurechtfinden in einer solchen Extremsituation, all das zeigt Helen ohne in melodramatische Reflexe und Klischees abzugleiten. Statt Helens Krankheitsverlauf mittels künstlicher Spannungsmomente zu dramatisieren, bleibt Nettelbeck eine stille Beobachterin. Insbesondere die Ohnmacht der Familie, das Gefühl, hilflos den Verfall eines geliebten Menschen mitansehen zu müssen, ist in vielen Szenen präsent.
Nettelbecks Film – und das ist durchaus eine Qualität – ist mitunter nur schwer zu ertragen. Selbst wenn die Geschichte für uns und Helen zum Ende hin einen leisen Hoffnungsschimmer bereithält, verlässt man das Kino in einer bedrückten Stimmung. Warum man sich Helen dennoch ansehen sollte? Vielleicht weil Ashley Judd mit ihrer einfühlsamen, mutigen Darstellung einer bis heute stigmatisierten Krankheit ein Gesicht verleiht. Oder weil sich endlich mal ein Film mit Fingerspitzengefühl diesem gesellschaftlichen Tabu nähert und man jederzeit merkt, dass hier eine Filmemacherin ihr Anliegen nicht in eine konsensuale, möglichst leicht zu konsumierende Form presst.
Für Programmkino.de.
1 Comments:
Klingt schon interessant. Danke für den tollen Tipp, bin schon mal gespannt.
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