Orphan - Das Waisenkind
USA 2009
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Viele Paare, die sich sehnsüchtig ein Kind wünschen, ziehen irgendwann einmal eine Adoption in Betracht, wenn sich aus anderen Gründen kein Nachwuchs einstellen will. Bei Kate (Vera Farmiga) und John (Peter Sarsgaard) Coleman liegt der Fall etwas anders. Beide haben bereits zwei gesunde, wohl erzogene Kinder, als Kate erneut schwanger wird. Kurz vor dem anberaumten Geburtstermin kommt es dann jedoch zu ernsten Komplikationen, woraufhin das Baby noch im Mutterleib verstirbt. Insbesondere für Kate sind die Folgen der dramatischen Fehlgeburt anfangs nur schwer zu ertragen. Mit der Zeit lässt der Schmerz allmählich nach und es reift in ihr immer stärker der Wunsch heran, die Liebe und Zuwendung einem anderen Kind zukommen zu lassen. Warum also nicht eines adoptieren? Gesagt, getan.
Anscheinend ist eine Adoption in den USA eine recht unbürokratische Angelegenheit. Denn während hierzulande Paare oftmals Jahre warten müssen, spazieren Kate und John einfach in das nächstgelegene Waisenhaus. Dort erweckt ein junges Mädchen ihre Aufmerksamkeit. Esther (Oscar-verdächtig: Isabelle Fuhrman) scheint anders als die anderen Kinder zu sein. Sie bleibt gerne für sich, zeichnet, malt und gibt sich auch ansonsten recht erwachsen. Das gefällt den Colemans, die großen Wert auf eine gute Erziehung und Bildung legen. Esther darf mit ihnen das Waisenhaus verlassen und in die schicke Designer-Villa ziehen, wo bereits ein eigenes, komplett eingerichtetes Zimmer auf sie wartet.
Mit Esthers Einzug sind dann auch die letzten Vorbereitungen für den später einsetzenden, sehr realen Albtraum abgeschlossen. Und während Kate und Ben ihr Glück zunächst kaum fassen können, ahnen wir bereits, dass die brave Esther in Wahrheit alles andere als brav ist. Statt kindlicher Unschuld schlummert in ihr eine eiskalte Psychopatin, die vor nichts zurückschreckt. Der Film versucht folglich erst gar nicht, Zweifel an ihrer mentalen Unausgeglichenheit aufkommen zu lassen. Das mit diesem Kind etwas nicht stimmt, wird schnell klar. Oder welches „normale“ 10-jährige Mädchen schlägt mit einem Stein lustvoll auf einen verletzten Vogel ein? Eigentlich sollten spätestens zu diesem Zeitpunkt sämtliche Alarmglocken läuten. Doch das tun sie nicht. Zumindest trauen sich Esthers Stiefgeschwister Max (Aryana Engineer) und Daniel (Jimmy Bennett) nicht, ihren Eltern davon zu erzählen.
Obwohl Esthers Absichten nie in Frage gestellt werden, führt uns Regisseur Jaume Collet-Serra des Öfteren aufs Glatteis. Vor allem das Motiv der kleinen Psychopatin gibt lange Zeit Rätsel auf. Als es schließlich enthüllt wird, ist es, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Orphan - und das ist eine echte Leistung - besitzt nicht nur einen originellen Plot-Twist, die Wendung fügt sich im Rückblick auch plausibel in den Rest der Geschichte ein. Wo andere Filme die Intelligenz des Zuschauers mit unlogischen Story-Tricksereien beleidigen, gelingt den Autoren David Johnson und Alex Mace ein echtes Kunststück. Ihre Auflösung erstaunt, irritiert und begeistert - und das alles in ein und demselben Moment.
Nun ist der Film nur deshalb noch kein One-Trick-Pony, das allein von dieser einen Überraschung leben würde. Der Twist erweist sich vielmehr als eine überaus reizvolle Zugabe, die den Rest der Erzählung nicht ab- sondern aufwertet. Dass jedes Familienmitglied überdies in einer anderen Beziehung zu Esther steht, dokumentiert die Komplexität des Skripts. Davon abgesehen nimmt sich Orphan sehr bewusst Zeit, um Suspense und Spannung Szene für Szene zu entwickeln. Zwar verzichtet auch Collet-Serra nicht vollständig auf laute Schockmomente, die meiste Zeit über erscheint die von Esther ausgehende Bedrohung allerdings weitaus subtiler und weniger eindeutig. Erst zum Ende hin fügt sich die Handlung pflichtbewusst der Logik und Dramaturgie des Horror-Kinos, woraus ein gewisser stilistischer Bruch resultiert.
Bis es allerdings zu diesem letzten, durchaus blutigen Kräftemessen zwischen Esther und ihrer neuen Familie kommt, ähnelt Orphan mehr einem sorgsam austarierten Psycho-Thriller. Mit Das Omen und anderen Vertretern des Satansbraten-Genres hat der Film - anders als es der Trailer und das Plakat etwas unglücklich suggerieren - nichts gemein. Auch für höhere Mächte und übersinnliche Geistererscheinungen ist im perfide geführten Kampf um Liebe und Zuneigung kein Platz. Stattdessen arbeitet das Drehbuch mit einem möglichst realistischen, nachvollziehbaren Szenario, bei dem wir uns in die Rolle der zunehmend überforderten Eltern versetzen sollen. Diese Rechnung geht auch deshalb auf, weil die Charaktere nie ihrer Glaubwürdigkeit beraubt werden. Getragen von durchweg starken Darstellerleistungen - über Isabelle Fuhrmans wahrlich denkwürdigen Auftritt wird man noch lange reden - funktioniert Orphan sogar als Familiendrama, das tief in die Vergangenheit seiner Akteure hineinleuchtet und dabei allerhand Dunkles zu Tage fördert.
Für BlairWitch.de.
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