Antichrist - Nur in Deinem Kopf
DK 2009
++1/2
Das schnell gelangweilte, ungeduldige Publikum in Cannes zu schocken und sprachlos zu machen, das schaffen nur die wenigsten. Lars von Trier ist genau dieses Kunststück gelungen. Sein Antichrist provozierte unter den Anwesenden extreme Reaktionen, die von kompletter Ablehnung bis geradezu überschwänglicher Begeisterung so ziemlich jede Meinungsäußerung abdeckten. In der Tat mutet von Trier auch dieses Mal seinem Publikum einiges zu. Mehrmals überschreitet er Grenzen, von denen man noch wenige Minuten zuvor glaubte, dass sich selbst das dänische Enfant terrible niemals über sie hinwegsetzen würde. Doch der streitbare Regisseur kennt kein Pardon und mit uns Zuschauer keine Gnade.
Antichrist eröffnet mit einem wunderschönen und zugleich beängstigenden Prolog. Zur Musik Georg Friedrich Händels schildert von Trier einen tragischen Unfall, der das Leben eines Elternpaares für immer verändern soll. Während SIE (couragiert bis zur Selbstaufgabe: Charlotte Gainsbourg) und ER (Willem Dafoe) leidenschaftlichen Sex miteinander haben, verlässt ihr kleiner Sohn Nick unbemerkt sein Bettchen. Angelockt von den hereinwehenden Schneeflocken klettert er auf das Fensterbrett. Dann geschieht es. Nick rutscht aus und stürzt mehrere Meter in die Tiefe. All das hält von Trier in Zeitlupe fest, was nochmals für eine besondere Unruhe sorgt.
Der Tod des einzigen Kindes ruft in IHR eine schwere Depression hervor, von der ER glaubt, ER könne sie behandeln. Schließlich ist er Psychiater und geübt im Umgang mit traumatisierten Seelen. Der Ort der Therapie, eine einsame Hütte in einem finsteren Wald, lässt dann allerdings erste Zweifel am Erfolg des Unterfangens aufkommen. Selbst wer mit von Triers pessimistischem Weltbild nicht vertraut ist, ahnt, dass die Sache kein gutes Ende nehmen kann. Zwar sieht es zwischenzeitlich so aus, als habe sie ihren Lebensmut wiedergefunden, ihr flapsiges „Du hast mich geheilt!“ klingt jedoch wie auswendig gelernt. Am Ende dann hat Antichrist unsere schlimmsten Befürchtungen mit Leichtigkeit eingeholt.
Die Frage, ob sich der Film tatsächlich in der Kategorie „Horror“ einordnen lässt, wirft gewisse Zweifel auf. Natürlich finden sich vor allem zum Ende hin klassische Horrorelemente wie die zunehmend düstere, bedrohliche Stimmung und die eine oder andere äußerst unappetitliche Szene. Andererseits entzieht sich Antichrist über weite Strecken der bekannten Spannungs-Dramaturgie des Thriller- und Horror-Genres. Von Trier schickt seine beiden Protagonisten stattdessen auf eine mitunter recht ermüdende und zähe Reise, in deren Verlauf vieles zerredet und bis zur Erschöpfung ausdiskutiert wird. In der Ausführlichkeit, wie hier zwei Menschen gegenseitig ihr Unverständnis über den anderen ausdrücken – auch er durchschaut erst viel zu spät, was wirklich in seiner Frau vorgeht –, ähnelt der Film mehr einem zerstörerischen Beziehungsdrama.
Der Vergleich mit Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe liegt zumindest lange Zeit näher als der mit William Friedkins Der Exorzist. Dabei wirft von Trier mit (christlicher) Symbolik nur so um sich. Das fängt beim Namen der verlassenen Hütte an („Eden“) und endet bei einem rauschhaften Liebesakt in den Wurzeln eines alttestamentarisch anmutenden Baumes. Ohnehin bleibt die Vertreibung aus dem Paradies als Bild ständig präsent und die Analogie zum ersten Sündenfall unübersehbar. Es drängt sich bisweilen der Eindruck auf, dass es dem Regisseur vornehmlich um das Ausleben seiner klerikalen Aversionen gegangen sein muss.
Mehr noch als für seine expliziten Sex- und Gewaltszenen wurde der Däne für das auch in Antichrist vorherrschende Frauenbild getadelt. Der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit klebt schon lange an ihm und mit seinem neuen Film, soviel ist sicher, wird er diesen gewiss nicht los. Mit ihrer Verwandlung zur klammernden Furie bestätigt die weibliche Hauptfigur sämtliche Vorurteile über von Triers angebliche Misogynie. Dabei sind Frauen für ihn keinesfalls verschlagene Wesen, es ist mehr eine diffuse Angst, die ihn in Bezug auf das weibliche Geschlecht und dessen Sexualität umtreibt. Nicht zuletzt – das sollte man bei einem geübten Selbstdarsteller wie Lars von Trier immer bedenken – eignet sich das Thema hervorragend zu PR-Zwecken.
Dass der Film das Produkt einer tiefen Depression von Triers sein soll, glaubt man hingegen sofort. Antichrist versteht es nämlich trotz allen Leerlaufs mit seiner (selbst-)zerstörerischen, pervertierten Aura aus geheimen Sehnsüchten und Ängsten gehörig zu irritieren und zu verunsichern. Die Bilder, die von Trier hier findet, wollen einen so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen. Dem exzentrischen Misanthropen wird es freuen.
Für BlairWitch.de.
1 Comments:
Schöner Text, gut geschrieben.
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