Oben - In luftigen Höhen
USA 2009
+++1/2
Wer Autos und Spielzeugfiguren zum Sprechen, Ratten zur Haute Cuisine und Roboter zu Musicalfans „erziehen“ kann, der wird auch einen Rentner samt Altersruhesitz zum Fliegen bringen können. Pixars geriatrisches Märchen lässt die ungelebten Träume eines „Grumpy Old Man“ auf eine fantasievolle, überraschende Art Wirklichkeit werden. Damit punktet Oben letztlich mit den typischen Pixar-Tugenden, zu denen es auch gehört, dass sich die Animationen bei aller technischen Brillanz nie unangenehm in den Vordergrund drängen.
Filmkritik:
Pixars Trickkünstler kann man wahrlich nicht vorhalten, sie wären bei der Auswahl ihrer animierten Hauptdarsteller in der Vergangenheit nicht hinreichend kreativ gewesen. Spielzeugfiguren, Käfer, Ratten, Clownfische, sogar sprechende Autos und liebeskranke Müllroboter eroberten in früheren Filmen der Pixelartisten das Herz des Publikums. Für uns Menschen blieb zumeist nur eine wenig schmeichelhafte Nebenrolle übrig. Die Ausnahme von dieser Regel, Brad Birds Die Unglaublichen, bekommt nun jedoch Zuwachs. In Oben, dem die Ehre zuteil wurde, als erster Animationsfilm die Filmfestspiele von Cannes eröffnen zu dürfen, schicken die beiden Regisseure Pete Docter und Bob Petersen einen 78jährigen bisweilen äußerst renitenten Witwer auf eine mehr als abenteuerliche Reise.
Mag deren Ziel bereits exotisch anmuten – immerhin verschlägt es unseren rüstigen Rentner in den tiefsten Urwald Südamerikas –, so richtig außergewöhnlich erscheint erst die Wahl des Transportmittels. Statt mit dem Flugzeug oder dem Schiff verreist der pensionierte Ballonverkäufer Carl Fredricksen (deutsche Synchronstimme: Karlheinz Böhm) mit und in den eigenen vier Wänden. Eine Vielzahl bunter Heliumballons lässt das kleine Häuschen wie von Zauberhand davon schweben. Nach dem Tod seiner geliebten Ellie, mit der er praktisch sein gesamtes Leben teilte, will es Carl noch einmal wissen und sich einen lange gehegten Traum erfüllen. Wie sein großes Vorbild aus Kindertagen, der legendäre Entdecker Charles Muntz, möchte auch er den geheimnisvollen Dschungel Südamerikas erkunden. Dass er bei diesem Vorhaben von einem blinden Passagier begleitet wird, davon ahnt Carl anfangs nichts. Russell, ein Junge aus der Nachbarschaft, ist leidenschaftlicher Pfadfinder und zufälligerweise auf der Suche nach einem Ersatz-Großvater.
Die Künstlichkeit und Distanz, die üblicherweise einen Animationsfilm beschreiben, überbrücken Procter und Petersen schon während der Einleitung. Ein knapp zehnminütiger Prolog, der gänzlich ohne Dialoge auskommt und Carls bisheriges Leben als eine Aneinanderreihung herzzerreißender Stummfilmepisoden zusammenfasst, zählt zweifellos zum Besten, was jemals die Pixar-Werkstatt verlassen hat. Untermalt von Michael Giacchinos gefühlvollem Score erhalten wir einen intuitiven Einblick in die Gefühlswelt eines inzwischen einsamen, alten Mannes. Ellie und er, das verdeutlicht der kurze Rückblick, waren glücklich, wenngleich manche ihrer Wünsche und Träume bis zuletzt unerfüllt blieben. Selbst die ungewollte Kinderlosigkeit des Paares und Ellies Tod werden von Procter und Petersen keinesfalls ausgeblendet. Erwachsen und aufrichtig nähert sich Oben seiner für einen Animationsfilm ungewöhnlichen Hauptfigur.
Mit Carls Aufbruch ins Unbekannte nimmt auch die Handlung merklich an Fahrt auf. Parallel dazu wird der anfangs eher subtile Humor zunehmend kindgerechter und verspielter, wobei der Film bis zur letzten Minute über alle Altersklassen funktioniert. Dug (gesprochen von Komiker Dirk Bach), ein etwas tollpatschiger aber ungemein liebenswerter Vierbeiner, den unsere Abenteurer im südamerikanischen Dschungel „adoptieren“, hat dabei das Zeug zum echten Publikumsliebling. Zusammen mit seinen weniger friedfertigen Artgenossen, die wie er dank eines Halsbands mit den menschlichen Eindringlingen kommunizieren können, liefert er überdies eine smarte Persiflage auf die pathologische Hundefixiertheit anderer Disney-Produktionen.
Verglichen mit Wall-e und Ratatouille erscheint Carls sonderbare Ballonfahrt, als hätten Procter und Petersen sie vor Beginn unbedingt von allem (unnötigem) Ballast befreien wollen. Die Geschichte ist deutlich einfacher gehalten, fast schon schnörkellos. Und dennoch spiegeln sich in ihr zahlreiche Einflüsse und Motive anderer Erzählungen, die jedoch nie als bloße popkulturelle Zitate ausgestellt werden. Die Bezüge zu Hayao Miyazakis Das wandelnde Schloss oder dem Jungs-Kino eines Steven Spielberg sind vielmehr Teil eines Film, der von der Hingabe der Entwickler für ihre Figuren in luftige Höhen getragen wird.
Für Programmkino.de.
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