Männer al dente - Zu Hause bei "La Familia"
I 2010
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Vor der pittoresken Urlaubs-Kulisse des süditalienischen Lecce entwirft Filmemacher Ferzan Ozpetek eine heiter-melancholische Sommerkomödie, bei der sich alles um zu lange aufrecht gehaltene Lebenslügen dreht. Mit seinem Coming Out bringt der Sohn eines erfolgreichen Pasta-Unternehmers die Familienidylle aus dem Gleichgewicht. Nun setzt der Herr Papa alle Hoffnungen auf seinen anderen Sprössling, nichtahnend, dass auch dieser Männern in der Liebe den Vorzug gibt. Mit viel Herz und etwas Schmerz zelebriert Männer al dente mediterrane Lebenslust.
Filmkritik:
„La Familia“ – in Italien, insbesondere im konservativen Süden, wird auf den Zusammenhalt und die Außendarstellung der eigenen Sippe noch großen Wert gelegt. Es ist ein Gemeinschaftsgefühl, das weit über das den meisten von uns vertraute Maß hinausgeht. Umso schlimmer muss es für ein stolzes Familienoberhaupt sein, wenn er erfährt, dass seine Kinder aus Angst ihm jahrelang etwas vorspielten, weil sie schlichtweg „anders“ sind. Anders heißt in diesem Fall schwul – ein Albtraum für einen Macho-Vollblutitaliener wie Vincenzo Cantone (Ennio Fantastichini).
Der erfolgreiche Unternehmer hat nur einen Wunsch: Seine Söhne Antonio (Alessandro Preziosi) und Tommaso (Riccardo Scamarcio) sollen den elterlichen Betrieb, eine weit über die Grenzen Italiens bekannte Pastafabrik, einmal weiterführen. Während Antonio bereits in der Firma arbeitet, studiert sein jüngerer Bruder Tommaso in Rom. Anders als die Eltern glauben, interessiert er sich jedoch nicht für Zahlen und Rechnungswesen, die Literatur und das Schreiben haben es ihm angetan. Tommaso will Schriftsteller werden. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Tommaso ist außerdem schwul. Minutiös plant er nach Jahren der Geheimhaltung sein Coming Out vor der versammelten Familie. Er ist das Versteckspiel um seinen Freund Marco (Carmine Recano) leid. Dumm nur, dass Antonio mit dem eigenen Coming Out Tommasos Plan in praktisch letzter Sekunde durchkreuzt. Plötzlich sieht er sich in der Rolle von Papas neuem Liebling, in den das Familienoberhaupt all seine verbliebenen Hoffnungen setzt.
Männer al dente wird als heitere, bisweilen auch tragikomische Sommerkomödie mit viel süditalienischem Lokalkolorit beworben. Und in der Tat erfüllt Ferzan Ozpeteks neue Regiearbeit alle Kriterien, die man gemeinhin an einen mediterranen Wohlfühlfilm anlegt. Gedreht in und um das malerische Lecce sorgt bereits die barocke Kulisse für reichlich Urlaubsflair. Die Geschichte wiederum spinnt aus der vielleicht etwas konstruierten Ausgangslage eine feinfühlige, mitunter durchaus zotige Familienkomödie, bei der auch italienische Institutionen wie das des stolzen Padres und der übervorsorglichen Mama nicht fehlen dürfen. Für den aus der Türkei stammenden Wahl-Römer Ozpetek war der Film nach eigenen Bekunden eine Herzensangelegenheit. Das glaubt man ihm sofort, sind doch die Charaktere allesamt mit viel Charme und Wärme gezeichnet. Sogar Nebenfiguren wie Tommasos Großmutter widmet sich Ozpetek hingebungsvoll, wobei der alten Dame eine besondere Rolle zufällt. Sie fungiert als Bindeglied zwischen zwei Zeitebenen, die am Ende in einer eindrucksvollen Montage schließlich miteinander verschmelzen.
Es ist dem Film hoch anzurechnen, dass er sich nicht als reines Unterhaltungs- und Spaß-Vehikel mit queerem Einschlag versteht. Ozpetek und sein Co-Autor Ivan Cotroneo spielen zwar vor allem beim Besuch von Tommasos Freunden durchaus genüsslich mit schwulen Klischees – ein Strandausflug endet folgerichtig mit der Performance von Baccaras Gay-Hymne „Sorry I’m a Lady“ –, es bleibt aber nicht bei diesem oberflächlichen Blick auf das Seelenleben der Brüder. Tommasos innere Zerrissenheit, einerseits das Versteckspiel beenden und andererseits seinen kranken Vater nicht enttäuschen zu wollen, nimmt viel Raum ein, wobei der Film diesen kaum lösbaren Gewissenkonflikt aufrichtig und ernst verhandelt. Diese Balance aus heiteren und nachdenklichen Momenten hält Männer al dente bis zu seiner gelungenen Schlusseinstellung bei.
Ozpeteks süditalienische Familienchronik ist letztlich ein überzeugendes und ergreifendes Manifest für Horaz’ arg strapaziertes „Nutze den Tag“. Sein Film plädiert für Toleranz und Akzeptanz ohne gleichzeitig in falsche Betroffenheit oder moralinsaure Ansprachen zu verfallen. Manche wie Vater Cantone benötigen mehr Zeit als andere, um zu erkennen, dass es kein richtiges Leben im falschen geben kann. Weder für Tommaso, noch für Antonio und auch nicht für alle anderen, die sich aus Angst vor den Konsequenzen bislang nicht zu ihrer wahren Liebe bekannt haben.
Für Programmkino.de.
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