Samstag, Februar 11, 2006

München - Ein Todes-Requiem

München

USA 2005

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Avner (Eric Bana), ein Ex-Mossad-Agent, soll mit vier anderen Mitstreitern offiziell inoffiziell die Drahtzieher des „Olympia“-Attentats von München ausfindig machen und liquidieren. In einem Schweizer Schließfach findet er dazu das nötige Geld, um seine für Israel angeblich so bedeutsame Mission zu erfüllen, Informanten zu bezahlen und die nötigen Waffen zu kaufen. Schon kurze Zeit später zieht das Quintett quer durch Europa eine unverkennbare Blutspur hinter sich. Langsam keimen in den Männern jedoch auch erste Zweifel an der Legitimation ihres Handels auf. Vor allem Avner quälen diese Gedanken.

Wenn Spielberg Geschichte inszeniert wird es immer lang. Der Hang zur monumentalen Ausbreitung verwundert bei „München“ allerdings schon, gibt die Story eigentlich ein „soviel“ an Handlung gar nicht her. Darunter, das wird am Ende deutlich, leidet der Film auch in seinen letzten 20 Minuten, die sich merklich ziehen und den Zuschauer eher irritiert als sensibilisiert zurücklassen. Über weite Strecken funktioniert „München“ jedoch als ein fast schon reinrassiger Agententhriller im Stile eines actionmäßig abgeschwächten „Ronin“ oder „Oceans Twelve“, wobei letzterer sogar das europäische Sightseeing-Programm mit Spielbergs Rache-Oper gemein hat. Und so verfolgen wir, wie die fünf Spezialisten im „Search and Destroy“-Verfahren den Kontinent umpflügen, ihre Opfer mal aus nächster Nähe mit der Pistole töten oder gleich versehentlich ein halbes Hotel in die Luft sprengen. Dabei würzt der Israel-Palästina-Konflikt den eher trockenen Plot mit der nötigen Prise Brisanz und weltpolitischer Aktualität.

Spielbergs Fragen sind auch unsere Fragen, was recht schell eine unsichtbare Verbindung zwischen Film und Zuschauer etabliert, ohne große Worte und dem Verzicht auf eine tiefgründige Einleitung. Die wenigen, der eigentlichen Handlung voran gestellten, Szenen von dem bereits in die Zeitgeschichte eingegangenen Anschlag auf das olympische Dorf in München, der verzweifelten Reaktion der isrealischen Sportler und der eiskalten Antwort der Terroristen, bereiten nur unserem kollektivem Gedächtnis eine gemeinsame Ausgangsbasis. Im Laufe seiner 164 Minuten wird Spielberg die Ereignisse mehrmals zwischen die Racheaktion der Israelis schneiden, fast so, als wolle er damit andeuten, man könnte den Grund für dieses Ganze Töten vergessen. Hierbei spart der Film nicht mit erschreckenden Bildern. Das teils qualvoll langsame, in Zeitlupe festgehaltene Sterben der Sportler und Terroristen ist dem Thema angemessen. Der erzwungene Voyeurismus tut weh, was gut ist.

Es gab viele potentielle Fettnäpfchen, in die Spielberg hätte tappen können. Von der Nutznug der umstrittenen Vorlage „Vengeance“ über die zu einseitige Darstellung oder einer vermeintlich schiefen Argumentation hin zu einer erzwungenen Opferrolle der Israelis respektive Palästinenser, birgt ein Film über einen solch alten Konflikt fast per Definition eine Unmenge an Sprengkraft. Doch diese Sorgen erweisen sich recht bald als wenig begründet. In dem in mehreren Szenen auch die Palästinenser, argumentativ sicher verkürzt, ihre Sicht darlegen dürfen, entzieht sich „München“ dem Vorwurf des Phantomgegners. Diese Palästinenser leben, hoffen, träumen genauso wie die Israelis. Sie sind per Geburt in ein System der Besatzung hineingeboren, für das sie nichts können und das für sie nichts kann. Der Wunsch nach Selbstbestimmtheit und eigenverantwortlicher Freiheit ist nur legitim. „Paradise Now“ näherte sich von ihrer Seite aus dem Brennpunkt Naher Osten, nun steht es „München“ an, aus einem historischen Kontext heraus, ihren Todfeinden die größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Dabei berührt Spielbergs Film immer dann, wenn es zu einer Kollision dieser zweier Welten kommt. Ein Blick von Robert (Mathieu Kassovitz), dem Bombenbauer des Quintetts, in Richtung der Klavier spielenden Tochter eines der Hintermänner von München, scheint eindringlicher, als jeder gut gemeinte Politiker-Appell an die beiden Kriegsparteien. Geradezu absurd mutet die Szene an, bei der eine Palästinenser-Gruppe unwissentlich mit den fünf israelischen Agenten die gleiche Wohnung in Athen okkupiert.

Im Gegensatz zu dem in dieser Hinsicht feigen Puppentheater in „Team America“ tut „München“ das Unparteiische seiner Macher außerordentlich gut. Der alte linksliberale Spielberg hält zwar mit der eigenen Gesinnung nicht wirklich hinter dem Berg, er hütet sich aber devor, vorschnelle Urteile über Avner und die Seinen zu fällen. Der Virus der Schuld und Paranoia wird Avner langsam auffressen, auch als er zu seiner Familie endlich zurückkehren darf, kann er seine Vergangenheit nicht abschütteln. Die hierzu von Spielberg parallel mit der finalen Eskalation auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck geschnittete Sex-Szene mag deplaziert erscheinen, weil es gemeinhin als geschmacklos gilt, Sex und Gewalt in dieser Form miteinander zu vermischen, das macht sie aber keineswegs überflüssig. Überflüssig ist sie vielmehr deshalb, weil Avners moralisches Dilemma und sein Versuch das Zurückliegende zu vergessen, bereits vor dieser Sequenz überdeutlich geworden ist. Spielbergs Film hätte es gut zu Gesicht gestanden, wäre die letzte Viertelstunde schlichtweg en bloc der Schere zum Opfer gefallen. Diese enthält nichts Neues. Sogar der Versuch, Avner zurück in seine Heimat Israel zu locken, kommt als eine Wiederholung daher. Spielberg-Hasser könnten versucht sein, den ethischen Kollaps der Racheaktion, auf die Ebene des Films zu übetragen.

Der Australier Eric Bana ließ bereits in Wolfgang Petersens „Troja“ neben den lustlosen Stars Brad Pitt und Diane Kruger aufhorchen. Hier darf er groß aufspielen, denn „München“ ist nicht zuletzt seine Bühne. Wenn der Zuschauer auch nur wenig Empathie für die übrigen Vier aufbringt, an Avner und Banas Verkörperung dieser komplexen Persönlichkeit gibt es nichts zu bemängeln. Einst aus Pflichtgefühl für seine Heimat (das kleine trockene von Kalkstein übersähte Fleckchen Land, wie er einmal selber nennt) hat er diesen „Job“ übernommen. Dann meldet sich jedoch sein Gewissen zu Wort, was nicht länger die biblische Losung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu akzeptieren scheint. Zusammen mit einem immer intensiver werdenden Verfolgungswahn nimmt es ihm die Kraft, länger uneingeschränkt das eigene Handeln verteidigen zu können. Vor den beiden Türmen des World Trade Centers steht dann ein Mann, dem eine Versöhnung mit den eigenen Taten nie mehr gelingen soll.

Natürlich ist es naiv, wenn „München“ unterschwellig die Botschaft von einer gewaltlosen Koexistenz beider Völker propagiert. Dafür hat sich in Jahrzehnten und Jahrhunderten zuviel Hass und Leid angesammelt. Immerhin stellt Spielberg die richtigen Fragen. „Wachsen für jeden getöteten Terroristen nicht gleich ein Dutzend neue Fanatiker nach, die den zuvor Getöteten in ihrer Gewaltbereitschaft und moralischen Verkommenheit um ein Vielfaches übersteigen?“ Dann ist es fast so, als sähe man nicht nur einen gut gemachten Kinofilm auf der Leinwand, sondern zugleich auch in einen gigantischen Abfluss. Dieser zieht allen Hass in sich auf, nur um ihn dann zu einem Meer voller Blut zu geleiten, das auch mit jeder noch so entschlossenen Waffengewalt nicht mehr zu durchqueren sein wird.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei kino.de.