Dienstag, Oktober 26, 2010

In ihren Augen - Ein Schmerz, die niemals endet


ARG/ESP 2009

+++1/2

Aus Argentinien stammt der diesjährige Preisträger des „Auslands-Oscar“. Das vielschichtige Kriminaldrama In Ihren Augen setzte sich dabei gegen so prominente Beiträge wie Das weiße Band durch. Formal weniger streng aber nicht minder fesselnd und eindringlich erzählt Regisseur Juan José Campanella von einem düsteren Verbrechen in politisch unruhigen Zeiten und einem mit dessen Aufklärung betrauten Kommissar, den seine Erinnerungen an den Fall auch nach einem Vierteljahrhundert nicht loslassen.


Filmkritik:

Benjamin Esposito (Ricardo Darin) hat in seiner langen Laufbahn als Kriminalbeamter viele schreckliche Dinge gesehen. Doch ein besonders grausamer Vorfall verfolgt ihn bis heute. Die brutale Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau, die inzwischen ein Vierteljahrhundert zurückliegt, lässt den erfahrenen Ermittler auch einfach nicht los. Er beschließt, einen Roman zu schreiben und die Ereignisse von damals aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Dabei begegnet er auch Irene (Soledad Villamil) wieder, der Liebe seines Lebens. Als seine Vorgesetzte hat sie ihn damals bei seinen Recherchen immer unterstützt. Heute ist sie Richterin und ziemlich überrascht, als ihr alter Weggefährte sie besucht.

In ihren Augen unternimmt ausgehend vom Jahr 2000 eine Reise zurück in eine dunkle, für Argentinien bis heute schmerzhafte Vergangenheit. Mitte der siebziger Jahre befand sich das Land im Umbruch. Wirtschaftliche wie politische Unruhen sorgten hierbei für ein Klima der Angst und des Misstrauens, das von paramilitärische Gruppen und kriminellen Banden noch geschürt wurde. In diese Zeit fällt der Mordfall, der Espositos Leben und das seines damaligen Kollegen Sandoval (Guillermo Francella) grundlegend verändern wird. Es sind schwierige Ermittlungen, vor allem weil die Beamten immer wieder das Gefühl haben, dass nicht alle an der Wahrheit und einer Aufklärung des Falls interessiert sind. Schließlich versuchen Espositos Kollegen, das Verbrechen zwei Bauarbeitern anzulasten, die unter Druck den Mord gestehen.

Das in diesem Jahr mit dem Oscar für den „Besten fremdsprachigen Film“ ausgezeichnete Kriminaldrama changiert mit einer außergewöhnlichen Leichtigkeit und Eleganz zwischen Genres, Stimmungen und Erzählebenen. Regisseur Juan José Campanella, der in den USA bereits solch erfolgreiche TV-Serien wie Dr. House und 30 Rock inszenierte, versteht es, den Zuschauer von Beginn an für das, was er erzählen möchte, zu interessieren und ihn dabei über seine vielschichtigen Figuren in eine zunehmend komplexe Geschichte zu entführen. So berührt der Fall nicht nur Esposito ganz persönlich, aus ihm und seinem Verlauf ergeben sich zugleich Fragen die damalige argentinische Gesellschaft betreffend. Das sicherlich nicht ganz unerwartete Ende beschreibt in seiner durchaus bitteren Konsequenz menschliche Traumata, deren Mechanismen sich nur schwerlich in Kategorien von Recht und Gerechtigkeit einordnen lassen.

Je länger man über In ihren Augen nachdenkt, desto stärker treten wieder einzelne Momente und Szenen aus der eigenen Erinnerung hervor. Dabei ist die mit viel trockenem Humor angereicherte Kriminalgeschichte auch handwerklich gängigen TV-Formaten oder der Kinoadaption von Stieg Larssons Millennium-Trilogie weit überlegen. Zu den Höhepunkten zählt eine ungemein dynamische, ohne erkennbaren Schnitt gefilmte Verfolgungsjagd in den Katakomben eines Fußballstadions. Die Intensität dieser Sequenz reißt jede Distanz ein. Plötzlich wird aus der Anspannung der Ermittler eine miterlebte Erfahrung, bei der man beinahe vergisst, dass man eigentlich nur ein passiver Beobachter ist. Immer wieder fordert uns Campanella auf diesem Wege heraus. Er will, dass wir mit seinem Helden fühlen, leiden, uns freuen und lieben. Dessen viel zu großes Herz verleiht der Geschichte erst ihre traurige Seele. Es ist ein Herz, das mit jedem Schlag sich allein der Wahrheit verpflichtet fühlt und das In Ihren Augen zweifelsfrei zu einer Perle des südamerikanischen Kinos macht.

Erschienen bei Programmkino.de.