Dienstag, Oktober 05, 2010

The Road - Ein düsterer Abgesang


USA 2009

+++1/2

Die Welt, wie wir sie heute kennen, hat in John Hillcoats The Road längst aufgehört zu existieren. Ein bedrohlicher Dunst hat sich über die Landschaft gelegt, die Bäume erscheinen tot, jedes Leben wie ausgelöscht. Überall, wo man hinsieht, dominiert dasselbe fahle Grau, sogar die Sonne kommt gegen den dichten Wolken- und Staubteppich kaum mehr an. In dieser befremdlichen Tristesse sind ein Vater (Viggo Mortensen) und sein Sohn (Kodi Smit-McPhee) durch ein vollkommen zerstörtes Land unterwegs. Alles, was sie noch haben, passt in einen Einkaufswagen, den sie vor sich herschieben. Ihr Ziel ist so vage wie ungewiss. Nach Süden zieht es sie, ans Meer, wo das Klima vielleicht erträglicher ist und noch andere Überlebende auf sie warten.

Zwischen ihrem alten und ihrem neuen Leben, in dem sie tagtäglich gegen Hunger, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Kälte ankämpfen, liegt eine gewaltige Katastrophe, über deren genaue Ursache nur spekuliert werden kann. Dass der Mensch daran aber nicht ganz unschuldig ist, drängt sich beim Anblick der toten Wälder und verwaisten Straßen als eine Vermutung förmlich auf. Für Vater und Sohn geht es mit jedem neuen Morgen um nichts weniger als das Überleben. Dabei müssen sie sich nicht nur vor heimtückischen Diebesbanden sondern auch vor verstreuten Kannibalen-Gruppen in Acht nehmen. Was ihnen bleibt, ist nur die Erinnerung an früher. Aber auch diese verblasst mit jedem Tag ein bisschen mehr.

Es ist zunächst erstaunlich wie konsequent Regisseur John Hillcoat das deprimierende Endzeitszenario des amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy hier in unendlich trostlose Bilder umgesetzt hat. Grau ist in dieser Geschichte nicht bloß eine Farbe, es ist zugleich ein Gefühl, das auch nach Ende des Films noch lange nachwirkt und sich in unseren Gedanken festsetzt. Die Angst, auf einmal ganz auf sich alleine gestellt zu sein, wird für Vater und Sohn zu einem ständigen Begleiter. Es ist eine Horrorvorstellung inmitten eines Horrortrips, aus dem man sich wünschen würde, schnellstmöglich wieder aufzuwachen. Doch dazu kommt es nicht. Stattdessen sind die Erinnerungen an früher das Einzige, was in diesem Chaos definitiv nicht real ist.

The Road als Zombiefilm zu kategorisieren, würde vermutlich falsche Erwartungen und Assoziationen wecken. Denn mit den Untoten, denen Romero oder Fulci im Genre einst zur Popularität verhalfen, haben die meist unsichtbaren Mörder in McCarthys Roman nichts gemein. Zudem sind sie im Gegensatz zu den Romero-Zöglingen nicht von den Toten zurückgekehrt, sie ernähren sich lediglich von ihnen. Die Angst vor einem der letzten menschlichen Tabus, dem Kannibalismus, sitzt tief und dementsprechend beunruhigend ist das, was der Film immer wieder andeutet. Wenn der Junge erklärt, dass sie zu den Guten gehören, die keine Leute essen, ahnt man, was das Vater-Sohn-Gespann an grausamen Dingen bereits auf ihrer Reise gesehen haben muss.

Die unbeschwerten Augenblicke sind hingegen rar gesät und meist äußerst kurz. Aber es gibt sie. Schon Kleinigkeiten wie eine in einem demolierten Getränkeautomaten gefundene Cola-Dose oder ein unerhofftes Bad in einem kleinen See samt Wasserfall lassen die beiden kurzzeitig den realen Albtraum um sie herum vergessen. Und dann sind da noch die Begegnungen mit anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal teilen und eine ganz ähnliche Geschichte zu erzählen haben. Zu den stärksten Momenten von The Road gehört dann auch der kurze Auftritt von Robert Duvall als blinder, alter Mann.

Es ist praktisch unmöglich, über Hillcoats post-apokalyptisches Drama zu schreiben, ohne dabei die Leistung von Hauptdarsteller Viggo Mortensen zu erwähnen. Für die Rolle sichtbar abgemagert, lässt sich seine Interpretation des bis zum bitteren Ende für seinen Sohn kämpfenden Vaters nur als schauspielerische Selbstaufgabe umschreiben. Es ist ein bizarr-schauriges Passionsspiel, das mit Christian Bales Rolle in Der Maschinist vergleichbar erscheint. Der körperliche wie seelische Verfall ist auch bei Mortensens Filmfigur unübersehbar und nimmt mitunter besorgniserregende Züge an. Nachwuchsdarsteller Kodi Smit-McPhee – demnächst im US-Remake zum schwedischen Let the Right One in zu erleben – steht Mortenson jedoch in der Überzeugungskraft seines Schauspiels in nichts nach.

McCarthy verhandelt in seinem Roman Fragen von existenzieller Tragweite. Den Leser zwingen sie dazu, eine eigene Position einzunehmen und gleichzeitig immer wieder die Situation des Vaters zu reflektieren. Wenn der Sinn des Lebens allein noch darin besteht zu überleben, welchen Wert hat dieses Leben dann noch? Und will man wirklich weiterleben, wenn der letzte Mensch, der einem nahe stand, den man liebte und der einen liebte, diese Welt verlassen hat? Der Film greift diese und andere unbequeme Fragen auf und übersetzt sie in verstörende, graue Stillleben. Das Glück, so wie wir es kennen, hat in dieser Welt längst kein Zuhause mehr. Und obwohl alle Hoffnung zwischenzeitlich verloren scheint, gibt es da etwas, das unser Herz weiter schlagen lässt. Was es ist, weiß auch McCarthy nicht. In jedem Fall grenzt es an ein Wunder.

Für BlairWitch.de.

2 Comments:

Blogger Flo Lieb said...

Da fand ich ja den Roman schon total langweilig und überbewertet, aber vielleicht hat der Film (mir) da ja mehr zu bieten.

Oktober 06, 2010 11:09 AM  
Anonymous Dominik said...

Klingt gut! Ich mag solche Szenarien!

Oktober 11, 2010 11:36 PM  

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