Mittwoch, November 03, 2010

Buried - Lebend begraben


USA/ESP/F 2010

+++1/2

Es klingt nach einem Albtraum. Für den Familienvater Paul Conroy (Ryan Reynolds) ist es hingegen mehr als das. Es ist urplötzlich seine Realität. Er wacht auf, gefesselt und geknebelt in einem Holzsarg, lebendig begraben, mehrere Meter unter der Erde. Wer ihm das angetan hat und warum, darüber kann Paul, der als Lastwagenfahrer für eine private Transportfirma im Irak arbeitet, zunächst nur spekulieren. Alles, woran er sich erinnern kann, ist, dass sein Konvoi aus dem Hinterhalt von Aufständischen attackiert wurde. Während die Angreifer die meisten seiner Kollegen erschossen, steckten sie ihn in eine beengte Kiste. Dabei überließen sie ihm ein Feuerzeug, eine Taschenlampe, einen Flachmann und ein Handy.

Damit ist das Szenario des unter anderem in Sundance mit viel Lob überhäuften Extrem-Thrillers des jungen spanischen Regisseurs Rodrigo Cortés dann auch bereits umrissen. Ein Mann, ein Sarg. Viel mehr gibt es hier im Laufe von 90 Minuten nicht zu sehen, schließlich verlässt die Kamera zu keiner Zeit das schätzungsweise 2,5x1 Meter große Gefängnis. Als Zuschauer ist man Paul so nahe wie nur irgendwie möglich. Man sieht die Schweißtropfen auf seiner Stirn und das Pulsieren seiner Halsschlagader. Sogar die Distanz zur Leinwand scheint nach wenigen Minuten nicht länger zu existieren. Kurzum: Der alte Werbeslogan vom „Mittendrin statt nur dabei“ scheint für Buried extra neu erfunden worden zu sein.

Cortés versteht sein in Echtzeit ablaufendes Gefangenen-Drama folglich weniger als Film im klassischen Sinn denn als eine – Zitat – „physische Sinneserfahrung“. Und die ist extremer und kompromissloser als die meisten sogenannten „Schocker“. Das minimalistische Setup mit seiner Konzentration auf einen einzigen Ort verlangte in der filmischen Umsetzung eine besondere Kreativität. Es ging darum, die Enge des Sarges plastisch einzufangen und gleichzeitig den Zuschauer über die gesamte Laufzeit trotz der monotonen Umgebung immer wieder neu zu überraschen und zu fesseln. Der Schlüssel hierzu liegt in keinen noch so ausgefeilten technische Gimmicks, ob man sich von der kleinen, fiesen Geschichte mitreißen lässt oder nicht, darüber entscheidet am Ende vor allem die Überzeugungskraft von Hauptdarsteller Ryan Reynolds.

Der Hollywood-Beau tritt hier als Alleinunterhalter auf. Seinen Job erledigt er dabei mit vollem Körpereinsatz. Die oftmals bis zu sechs Minuten langen Takes forderten vom ihm, immer wieder die Grenzen seiner schauspielerischen Fähigkeiten auszutesten. In Reynolds’ Gesicht spiegeln sich abwechselnd Todesangst, blanke Panik, Verzweiflung, Trauer aber auch Hoffnung und ein unbändiger Lebenswille. Alle Augen sind ständig auf ihn gerichtet und diese Bürde, die manch einen Schauspieler wohl überfordern würde, scheint ihn nur noch weiter anzuspornen. Es ist die mit weitem Abstand reifste Leistung seiner gesamten Karriere.

Die in Raum und Zeit maximal konzentrierte Geschichte verzeiht überdies keine Fehler. Umso beeindruckender ist das, was Buried im Zusammenspiel von Kamera, Licht, Musik und Reynolds’ Schauspielkunst da vor unseren Augen erschafft. Die bedrückende Stimmung, die einen selbst als Nicht-Klaustrophobiker früher oder später packt und die kein Film seit The Descent mehr derart perfekt eingefangen hat, potenziert sich mit jedem Atemzug, den Paul macht. Fast scheint es, als würde auch im Kino die Luft zunehmend dünner. Die Illusion des Eingeschlossenseins wird nur einmal durch einen unnötigen Zoom weg von Paul zerstört. Da sieht es kurzzeitig so aus, als sei sein Gefängnis kein beengter Sarg sondern ein langer Schacht. Es ist der einzige echte Ausrutscher, den sich Cortés leistet. Ansonsten mag man noch über manch naive Dialoggzeilen schmunzeln, wirklich ins Gewicht fallen diese jedoch nicht.

Auch wenn man sich anfangs kaum vorstellen kann, wie es Buried angesichts seiner beschränkten Gegebenheiten gelingen soll, über 90 Minuten zu fesseln, zeigt Cortés selbstbewusstes Psycho-Kammerspiel, dass genau das sehr wohl möglich ist. Gerade in den Augenblicken, in denen die Leinwand komplett schwarz bleibt und wir Paul lediglich laut atmen, fluchen oder weinen hören, erreicht der Film eine beunruhigende Intensität. Buried setzt seine Mittel ungemein sparsam und gerade deshalb so effektiv ein. Vor allem aber schärft er unsere Sinne wie kaum ein anderer Film in letzter Zeit. Da wird bereits ein vibrierendes Handy zu einem echten, adrenalintreibenden Folterwerkzeug.

Für BlairWitch.de.