Mittwoch, Januar 19, 2011

Black Swan - Talk a Walk on the Dark Side


USA 2010

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Für Nicht-Interessierte scheint das Ballett lediglich eine langweilige, unfreiwillig komische Hüpferei mit reichlich prätentiösem Habitus zu sein. Selbst mit der Kommerzialisierung der Klassik in den vergangenen Jahren hat sich dieses Bild kaum gewandelt. Ballett gilt als verstaubt, uncool und auch ein bisschen albern. Insofern dürfte es Darren Aronofskys Psycho-Thriller Black Swan beim Publikum sicherlich nicht leicht haben. Und in der Tat: Es wird viel getanzt, viel inszeniert und viel an einzelnen Schritten und Passagen gearbeitet – vor, auf und hinter der Bühne. Tschaikowskis Musik zur "Schwanensee"-Aufführung ist dann auch allgegenwärtig und dabei mehr als nur das musikalische Leitmotiv des Films.

Es schimmert eine dunkle Seele durch das hindurch, was uns Aronofsky hier im Mikrokosmos des New Yorker City Ballett so kunstvoll arrangiert vorlegt. Die junge, überaus ehrgeizige Tänzerin Nina (Natalie Portman) ergattert in der Neuinszenierung von "Schwanensee" die Rolle ihres Lebens. Sie soll sowohl den weißen als auch den schwarzen Schwan verkörpern, wobei letzteres sie zunächst vor scheinbar unüberwindbare Probleme stellt. Ihr Mentor, der neue Leiter des Balletts, Thomas Leroy (Vincent Cassel) ermutigt Nina immerzu, sich auch ihren verborgenen Ängsten und Leidenschaften zu stellen. Nur so könne sie auf der Bühne ganz in der Rolle des schwarzen Schwans versinken. Allerdings begibt sie sich bei ihren Versuchen zunehmend auf dunkle, verworrene Pfade, die sie allmählich an ihrem Verstand zweifeln lassen.

Aronofsky nimmt das Konzept des Psycho-Thrillers bisweilen wörtlich, wenn er Nina durch ein mysteriöses, nur auf den ersten Blick real anmutendes Labyrinth jagt, in dem augenscheinlich ihr Unterbewusstsein regiert. Schon die verwinkelten Gänge der Oper sind mehr Irrgarten als bloße Kulisse. Ohnehin ist jede einzelne Einstellung bis ins kleinste Detail durchdacht. Das zeigt sich bereits an der Anordnung der unzähligen Spiegel, vor denen es kein Entkommen gibt. Ständig wird das Geschehen von einem oder mehreren Spiegel reflektiert. Mal betrachtet sich Nina selber, mal bilden die Glasflächen im Hintergrund eine Kopie der Realität ab, welche später sogar ein beunruhigendes Eigenleben entwickelt. "Mirrors" wäre irgendwie auch ein passender Filmtitel.

Die geradezu obsessive Beschäftigung mit dem eigenen Ich und dessen symbolischer Doppelung ist jedoch nur eine von vielen Lesarten, die Black Swan anzubieten hat. Aronofsky spielt mit Ninas sexueller Entwicklung, wenn er sie im eigenen Kinderzimmer vor den Augen rosaroter Plüschfiguren masturbieren lässt (welche später wenig liebevoll entsorgt werden). Wir sehen eine junge Frau, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität und Sexualität ist. Bei den harten Proben geht es zudem auch immer um Selbstbehauptung, um Konkurrenz – hier in Gestalt der schönen Mila Kunis, die als Ninas neue Kollegin Lily für Verwirrung sorgt – und um ein fast schon pathologisches Streben nach Perfektion. Man kann aus dem Film dann auch einen bösen, bissigen Kommentar zum überall propagierten Leistungs- und Verwertungsgedanken herauslesen. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich Aronofskys bisherige Filme allesamt einer betriebswirtschaftlichen Vorgabe und dem Diktat einer möglichst leichten Konsumierbarkeit entzogen haben.

Black Swan, der sich natürlich auch als geradliniger Thriller mit Lesbo-Touch anschauen lässt, hat überdies viel mit seinem Vorgänger gemein. Wenngleich das in The Wrestler dokumentierte White-Trash-Milieu so ziemlich das genaue Gegenteil von dem ist, was Aronofsky dieses Mal einfängt – die Oper und das Ballett als Orte der Hochkultur –, so blicken beide Filme doch auf ein ähnliches Schicksal. Auch Nina entgleitet allmählich die Kontrolle über ihr Leben, wobei sie anders als Randy "The Ram" Robinson eher an disziplinärem, von der Mutter befeuertem Übereifer und weniger an Disziplinlosigkeit leidet. In der filmischen Umsetzung dieses Kontrollverlusts lassen sich zwischen beiden Filme durchaus spannende Parallelen konstruieren. Dazu gehören die bewusst fragilen Handkameraaufnahmen, die Nina respektive Randy oftmals nur von hinten zeigen. Der Zuschauer soll nur das sehen, was sie gerade sehen, so dass er ihre Perspektive letztlich übernimmt. In einem Film, der als Reise in das Unterbewusstsein konzipiert ist, stellt sich natürlich immer die Frage, was tatsächlich echt ist und was lediglich der Fantasie der Hauptfigur entspringt.

Vor allem aber fühlt man sich bei Black Swan an Dario Argentos Suspiria erinnert, und das obwohl Aronofsky weder Argentos auffälliges Farb- und Sounddesign noch dessen okkulten Budenzauber übernimmt. Bereits das Ballett-Thema und manche Querbezüge in den Figuren genügen, um von der New Yorker Oper in den Schwarzwald zu gelangen. Ob sich Aronofskys elegant-verstörender Psychotrip ebenso hartnäckig im Herzen vieler Genrefans festsetzen kann, bleibt abzuwarten. In jedem Fall darf sich Natalie Portman berechtige Hoffnungen auf einen Goldjungen machen, womit sie ihre Vorgängerin Jessica Harper schon einmal ziemlich alt aussehen lassen würde.

Für BlairWitch.de.

1 Comments:

Blogger Alice said...

Wir gehen morgen Abend rein und ich bin wahnsinnig gespannt! Hab praktischerweise keine Ahnung von Ballett, da kann mich ein Schrittfehler auch nicht schrecken :)

Januar 19, 2011 10:48 PM  

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