Rare Exports - Finnische Weihnachten
FIN 2010
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Im hohen Norden gehen die Uhren anders und vor allem langsamer. Das weiß man spätestens seit den Filmen Aki Kaurismäkis. Gerade dem Finnen wird ein Hang zur stoischer Gelassenheit, Sprachlosigkeit und tiefer Melancholie nachgesagt. Dort, wo der Winter kalt und dunkel und der Sommer meist recht kurz ist, lebt ein ganz eigener Schlag Menschen. Diesen Beweis erbringt auch Jalmari Helanders etwas andere Weihnachgeschichte Rare Exports, die durchaus als Gegenentwurf zu den klassischen Erzählungen zum Fest der Feste verstanden werden kann. Denn statt einer heilen Welt, Frieden auf Erden und prachtvoll geschmückter Tannenbäume präsentiert uns Helander seine Version des Weihnachtmann-Mythos. Und die hat es in sich.
Schon der Beginn ähnelt mehr einem Mystery-Thriller, als dass man ihn mit einem Weihnachtsfilm in Verbindung bringen würde. Da beobachten zwei Jungs wie Mitarbeiter einer Minenfirma bei Bohrungen augenscheinlich auf etwas Ungewöhnliches stoßen. Was genau es ist, das können der kleine Pietari (Onni Tommila) und sein bester Freund Juuso (Ilmari Järvenpää) zunächst nicht erkennen. Als sie jedoch wenig später alle Rentiere der Herde abgeschlachtet auffinden, wissen sie, dass sie es hier mit einer ernstzunehmenden Gefahr zu tun haben. Selbst Pietaris Vater (Jorma Tommila), der den Schilderungen seines Sohnes zunächst keinen Glauben schenken wollte, ist plötzlich fest entschlossen, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Eine aufgestellte Falle soll das Rätsel um das Renntiermassaker lösen.
Die Idee zu Rare Exports verarbeitete Helander bereits in zwei mehrfach preisgekrönten Kurzfilmen, in denen an dem gerade in diesen Tagen allgegenwärtigen Santa-Claus-Denkmal auf sehr schräge und zugleich charmante Art gerüttelt wurde. Der nun vorliegende Kinofilm spielt zeitlich vor den Shortys, die im Gegensatz dazu als Werbe- und Image-Videos der fiktiven Weihnachtsmann-Firma „Rare Exports Inc.“ gestaltet worden. Da es bereits der Trailer verrät, fällt es vermutlich nicht unter eine Spoiler-Warnung, wenn man Helanders Santa Claus als nackten, verwahrlosten und gefährlichen Wilden beschreibt. Diese Figur ist somit das genaue Gegenteil des gutmütigen, großväterlichen Geschenkeüberbringers, als den wir ihn seit unserer Kindheit immer wieder vorgestellt bekamen.
Was die Geschichte auszeichnet, ist jedoch keine simple Dekonstruktion eines Heiligen. Es ist vielmehr die liebevolle Art der Zerlegung, die Rare Exports so unterhaltsam und einnehmend macht. Bereits die mit einem Augenzwinkern vorgetragenen Beobachtungen abseits des Weihnachtsmanns-Inhalts zeugen von Helanders tiefer Liebe zu seiner Heimat und ihren mitunter skurrilen Bewohnern. Pietaris Verwandlung vom schüchternen Mitläufer zum selbstbewussten Anführer, der am Ende sogar den Erwachsenen sagt, was zu tun ist, nutzt der Film für eine echte Charmeoffensive, der man auch als Skeptiker eines Anti-Weihnachtsfilms-Films früher oder später erliegt. Helander weiß, dass es nicht genügt, eine knapp 90-minütige Geschichte allein auf einer möglichst schrägen Prämisse aufzubauen. Man muss diese auch in ein Gerüst einbauen, das für sich alleine (be-)stehen kann.
In diesem Fall ist es der kleine, mutige Pietari und dessen abenteuerlicher Plan zur Zähmung eines wilden, alten Mannes samt Gefolge, über den Rare Exports erst so richtig den Zugang zu seinem Publikum findet. Denn auch jeder Gegenentwurf zum Schmalz und Kitsch des ansonsten ziemlich idealisierten Weihnachtsfestes kommt nicht ohne eine gewisse Portion Schmalz und Kitsch aus (wobei Helander uns beides glücklicherweise in nur sehr geringen Dosen zumutet). Diese Regel befolgte sogar Terry Zwigoffs Bad Santa und der war ansonsten alles andere als Schwiegermutter-kompatibel. Wer die Kurzfilme nicht kennt, dürfte zudem über die inhaltliche Hinführung zu diesen schmunzeln. Hieraus erklärt sich schließlich auch der Titel des Films.
Nicht alles, was Helander erzählen will, geht auch auf. Nach einem starken Beginn und einem noch besseren Ende leistet sich der Film im Mittelteil doch einige Durchhänger. Die Konditionsschwächen sind letztlich aber nur vorübergehender Natur. Später zieht Helander die Zügel wieder spürbar an, wobei sein spezieller Humor die weiße Winterlandschaft allmählich tiefschwarz färbt. Hinzu kommen mehr als nur einige Spritzer Blut, die bei der ungewöhnlichen, ganz und gar unweihnachtlichen Weihnachtsaktion vergossen werden. Gefilmt – auch das soll nicht unerwähnt bleiben – wurde all dies mit großer Eleganz. Dass die Bilder der schneebedeckten, finnischen Landschaft eigentlich mehr in ein harmloses Wintermärchen passen, ist nur eine weitere, böse Pointe dieses erfrischend unkorrekten Weihnachtsfilms.
Erschienen bei BlairWitch.de.
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