Montag, Dezember 06, 2010

Nowhere Boy - Fab One


GB/KAN 2009

+++1/2

Liverpool und die „Fab Four“. Das eine scheint nicht ohne das andere denkbar. In ihrem Spielfilmdebüt zeichnet die britische Regisseurin Sam Taylor-Wood die Jungendjahre des späteren Beatles-Frontmannes John Lennon nach. Aufgewachsen bei seiner konservativen Tante sucht das Musikgenie nach der eigenen Identität und lernt auf diesem Wege seine progressive Mutter und den Rock’n’Roll kennen. Auch Nicht-Beatles-Fans sollten einen Blick auf diese mitreißende Coming-of-Age-Geschichte riskieren, der endlich auch hierzulande die verdiente Kinoauswertung zuteil wird. Ein wirklich begeisternder Film!

Filmkritik:

Liverpool. Die Hafenstadt im Nordwesten Englands ist untrennbar mit der bis heute erfolgreichsten Musikband aller Zeiten verbunden, den Beatles. Bevor jedoch Songs wie „Yesterday“ und „Strawberry Fields Forever“ von hier aus ihren weltweiten Siegeszug antraten, lag vor George, Paul, Ringo und John ein beschwerlicher Weg. Während sich Iain Softleys Backbeat leidenschaftlich den Anfangsjahren der Fab Four widmete, blickt der ebenfalls britische Nowhere Boy noch weiter zurück. In ihrem Spielfilmdebüt erzählt Regisseurin Sam Taylor-Wood von der Jugend John Lennons, seiner musikalischen Sozialisation und der ersten Begegnung mit einem gewissen Paul McCartney.

John (Aaron Johnson) wächst wohlbehütet und in durchaus bürgerlichen Verhältnissen bei seiner Tante Mimi (Kristin Scott-Thomas) auf, die ihn mit liebevoller Strenge zu Disziplin und Anstand erzieht. Von seiner leiblichen Mutter Julia (Anne-Marie Duff) sind ihm lange Jahre nur Erinnerungen geblieben, seitdem sie und sein Vater Alf sich einst getrennt hatten. Da war John gerade einmal fünf Jahre alt. Eher beiläufig erfährt er eines Tages, dass Julia entgegen seinem Glauben immer noch ganz in der Nähe wohnt. Er baut den Kontakt zu ihr wieder auf, was seiner Tante zunächst sichtlich missfällt. Es ist Julia, die den jungen John in eine, für ihn bis dahin unbekannte Welt einführt, ihn mit dem Virus des Rock’n’Roll infiziert und seine spätere musikalische Entwicklung maßgeblich prägt.

Der Film lässt mit viel Hingabe und Liebe zum Detail das England der späten fünfziger Jahre wiederauferstehen. Die Arbeiterstadt Liverpool erscheint nicht nur ungemein lebendig, es werden auch die Gegensätze und Brüche zwischen der eher proletarisch beeinflussten Pop- und Rock’n’Roll-Musik und des ebenfalls aus den USA importierten Jazz deutlich. Anders als seine späteren Bandkollegen stammt John Lennon nämlich nicht aus dem Milieu der Working Class. Er genießt eine gute Ausbildung, was er allerdings nicht immer zu schätzen weiß. Seine Jugend beinhaltet neben den typischen rebellischen Phasen auch immer wieder eine tiefe Sehnsucht nach familiärer Sicherheit und Geborgenheit. Beides lässt sich im Spannungsfeld zweier vollkommen unterschiedlicher Lebensentwürfe – auf der einen Seite den seiner disziplinierten Tante, auf der anderen den seiner freigeistigen, liberalen Mutter – bisweilen recht schwer vereinbaren.

Nowhere Boy, der Titel deutet es bereits an, beschreibt den späteren Superstar als einen Jungen, der lange Zeit nicht so recht weiß, wo er eigentlich hingehört und welchen Weg er gehen soll. Erst die Musik bewirkt einen sinn- und identitätsstiftenden Wandel. Dabei erweist sich Taylor-Woods Film vornehmlich als feinfühliges Coming-of-Age-Stück. Der von Aaron Johnson bravourös gespielte junge John Lennon steht hier im Vordergrund und nicht seine erst später entwickelte Star-Persona. Diese wird in den Auftritten mit seiner ersten Band, den „Quarrymen“, allenfalls angedeutet. Und doch versäumt es Nowhere Boy nicht, seine Geschichte einer mitunter schizophrenen Adoleszenz mit viel erstklassiger Rock’n’Roll-Musik zu unterlegen. Am Ende verlässt ein gereifter John seine Heimatstadt Richtung Hamburg. Die weiteren Kapitel in seinem Leben dürften hinlänglich bekannt sein.

Für Programmkino.de.