The Tree of Life - Alles oder nichts
USA 2011
+++1/2
Sinnsuche, Familiengeschichte, Erinnerungsfragment. Der neue Film von Regie-Mystiker Terrence Malick ist all das und noch viel mehr. Getragen von sinnlichen, epischen Bildern und ohne eine durchgängige Handlung sucht The Tree of Life Antworten auf elementare Fragen. Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Malick blickt auf den scheinbar ewigen Widerstreit zwischen der Unbarmherzigkeit der Natur und einer gütigen, beinahe gottähnlichen Gnade. Sein Credo ist eindeutig. Beides steckt in uns, beides sind wir. Dafür gab es in Cannes nun völlig zu Recht die „Goldene Palme“.
Filmkritik:
Der Anfang und das Ende, das ganz Kleine und das ganz Große, der Einzelne und die gesamte Menschheit. Es scheint nahezu unmöglich, in nur einem Film einen solchen Bogen zu schlagen, der von der Entstehung unseres blauen Planeten bis zu dessen Ende reicht, und doch ist es genau das, was Regie-Mystiker Terrence Malick in seinem jüngst in Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichneten Opus Magnum The Tree of Life versucht. Auch wenn Malicks Faible für das Kontemplative, für meditative Bilder und eine unkonventionelle Erzählhaltung hinlänglich bekannt ist, gelingt es ihm, uns zu überraschen und zu überwältigen. Man ist ganz einfach sprachlos ob der Schönheit und Eleganz dieses Kunstwerks.
Als ein solches lässt es sich nur bedingt anhand der gängigen Kriterien beurteilen. Malicks Film polarisiert – das ließ sich schon in Cannes beobachten, als The Tree of Life Buhrufe aber auch reichlich Applaus erntete –, was allein noch kein Qualitätsmerkmal wäre. Allerdings brennen sich diese 138 Minuten wie kaum ein anderes Werk der letzten Zeit in unser Gedächtnis ein. Mal sind es einzelne Bilder, mal ganze Sequenzen über die uns Malick immer wieder tief in seinen philosophischen Kaninchenbau zieht. Und dort gelten andere Gesetze. Sogar die Schwerkraft scheint mitunter aufgehoben, wenn Jessica Chastain in ihrer Maria-Interpretation engelsgleich über dem Erdboden schwebt und damit eindeutige Assoziationen hervorruft.
Mehrdeutig erscheint vieles von dem, was Malick hier in konsequent ästhetisierten Aufnahmen von Mensch und Umwelt erzählt. Emmanuel Lubezkis Kamera gleitet mehr, als dass sie nur bewegt wird. Dabei geht der Blick stets nach oben, entlang des titelgebenden Baumes in den offenen Himmel, wo manch einer Gott oder eine andere allmächtige Instanz vermutet. Für Malick ist Gott augenscheinlich überall, wobei die Schönheit der Natur für ihn das sichtbarste Indiz seiner Existenz zu sein scheint. Zu sakralen Klängen und klassischer Musik findet der Film zu seinem ganz eigenen Herzschlag. Es ist ein Rhythmus, auf dem man sich zugegeben einlassen muss. Die gehauchten Voice-over-Passagen, in denen losgelöst von der ohnehin nur rudimentär vorhandenen Handlung die Einheit von Mensch und Natur beschworen wird, vervollständigen Malicks Versuchsanordnung.
Das Interessante an The Tree of Life ist, dass der Film dank seiner Stars Brad Pitt und Sean Penn (letzterer nur in einer Nebenrolle) auch außerhalb Malicks Anhängerschaft wahrgenommen werden dürfte. Was aus dieser Begegnung von Filmkunst und Mainstream resultiert, ist spannend und kaum vorhersehbar. Allerdings ist die Gefahr groß, dass Malicks meditativer Symbolschatz vor allem auf Unverständnis und Ablehnung stößt, zu sperrig und speziell ist seine Version vom Anfang und Ende der Zeit. Wenn der Film nach der ersten Begegnung mit der amerikanischen Vorzeigefamilie der O’Briens – ein strenger Vater (Pitt), eine ausgleichende, sanftmütige Mutter (Chastain) und drei lebhafte Söhne – für ein fast halbstündiges, unkommentiertes Intermezzo an den Ursprung unserer Erde samt Vulkanausbrüchen, Meeresrauschen und Dinosaurier zurückspringt, wird nur ein Teil des Publikums gewillt sein, diese faszinierende Reise auch wirklich anzutreten.
Man muss Malicks Mut und Geradlinigkeit bewundern, den Konventionen des Kinos und seiner Vermarktung immer wieder zu trotzen. Doch nur so können letztlich neue Räume entstehen, in denen kein Konformitätsdruck herrscht. The Tree of Life ist trotz aller Größe und Epik jedoch auch ein sehr persönlicher Film, der auf Kindheitserfahrungen aufbaut und diese mit existenziellen Fragen verknüpft. In den bruchstückhaften Impressionen aus dem Amerika der fünfziger Jahre verarbeitete Malick erkennbar eigene Erinnerungen, deren Bedeutung sich für uns nicht immer erschließt. Gleichwohl schafft er es – und das ist kein leichtes Unterfangen – , dass wir in diesen Augenblicken an unsere eigene Jugend und Kindheit zurückdenken, an einzelne Erlebnisse, Bilder, Gerüche. Bis zum Schluss, der alle Charaktere an einem mystischen Strand (das Jenseits?) aufeinandertreffen lässt, bewahrt sich Malicks Film dabei eine überwältigende Sinnlichkeit und Poesie.
Für Programmkino.de.
1 Comments:
Sehr schön!
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