Donnerstag, Mai 05, 2011

Scre4m - Zeitreise in die Neunziger


USA 2011

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Wie schnell die Zeit vergeht. Fünfzehn Jahre ist es mittlerweile her, als zum ersten Mal ein maskierter Schlitzer das kleine, beschauliche Woodsboro heimsuchte. Mit Scream, dieser selbstreflexiven und höchst unterhaltsamen Spiegelung des Slasher-Genres, löste Horrorveteran Wes Craven Mitte der Neunziger eine neue Hysteriewelle im davor ziemlich tot geglaubten Genrekino aus. Die Schwemme an Teenie-Gruselfilmchen, von denen manche wie Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast noch akzeptabel, viele andere dagegen vollkommen ungenießbar waren, machte deutlich, wie erfolgreich Cravens Wiederbelebungsversuch letztlich war. Es folgten zwei Fortsetzungen, in denen das Spiel mit Genrezitaten und –regeln auf die Spitze getrieben wurde. So bekamen Ghostface und seine Opfer sogar einen Film-im-Film spendiert. „Stab“ hieß das Ding und wurde laut den Credits im Vorspann von Möchtegern-Grindhouse’ler Robert Rodriguez inszeniert.

Nun also der vierte Streich und der beginnt gleich so, wie man es im besten Falle von Cravens Meta-Slasher erwarten durfte. Dabei geben die ersten Minuten auch gleich die Richtung vor, in die Scre4m marschieren soll. Der Spaßfaktor wurde wie schon im Vorgänger deutlich ausgebaut, wodurch sich die Reihe immer mehr von ihrer noch aus den ersten beiden Teilen gewohnten, recht geradlinigen Slasher-Handlung entfernt. Für Spannung und durchaus überraschende Schockmomente ist zwar weiterhin gesorgt, die Lust am Zitat, am Ich-bezogenen Gedankenspiel überwiegt jedoch dieses Mal um Längen. Mit jeder Einstellung blinzelt uns diese unbändige Freude, die Craven und sein Autor Kevin Williamson augenscheinlich beim Schreiben und dann auch beim Dreh gehabt haben müssen, entgegen. Alles atmet hier Filmgeschichte und alles funktioniert zugleich wunderbar als liebevoll-ironischer Kommentar auf das Genre, das Craven bis zum heutigen Tag entscheidend mitprägt.

Der Schrecken für die Bewohner von Woodsboro beginnt mit dem Jahrestag der gruseligen Ereignisse aufs Neue. Ghostfaces „Lieblingsopfer“ Sidney Prescott (Neve Campbell) ist gerade in ihren Heimatort zurückkehrt, um ihren Selbsthilferatgeber vorzustellen, da greift der maskierte Schlitzer erneut zum Messer. Sidneys Umfeld scheint von da an in höchster Gefahr. Vor allem auf ihre Cousine Jill (Emma Roberts) und deren Freunde hat es der Killer ganz offensichtlich abgesehen. Welches Motiv er dabei genau verfolgt, ist zunächst unklar. Jeden kann es treffen. Sogar die alten Haudegen sind nicht länger sicher. Während Ghostfaces überraschendes Comeback für Sheriff Dewey (David Arquette) und seine neue Kollegin Deputy Hicks (Marley Shelton) jede Menge Überstunden bedeutet, wecken die Morde in Deweys Frau, Ex-Reporterin Gale Weathers (Courteney Cox), ihren journalistischen Jagdinstinkt.

Mehr über die Story von Scre4m zu verraten, wäre unfair und vermutlich auch nicht in Cravens Sinne. Obwohl der Film im Gegensatz zu vielen Genrekollegen und Scream-Rip-offs weit mehr als ein nacktes Whodunit-Konstrukt anzubieten hat, trägt das Knobeln und Rätseln über die Identität des Maskenmannes doch erheblich zum durchweg hohen Unterhaltungswert dieser weit überdurchschnittlichen Fortsetzung bei. Falsche Fährten gibt es genug, womit Teil vier sowohl die Tradition der Reihe als auch die des Genres konsequent fortsetzt und bedient. Genauso akribisch wurden von Williamson die Gesetzmäßigkeiten des Horrorkinos in den gerade zum Ende hin herrlich absurden Plot eingebaut. Die Liebe zum Detail, zum cineastischen Erbe und insbesondere zu den Figuren, die uns wie Dorf-Sheriff Dewey über all die Jahre ans Herz gewachsen sind, hebt Scre4m mehr als jede zugegeben nette Spielerei mit doppelten und dreifachen Böden aus der oftmals viel zu trüben und fantasielosen Masse des Slasherfilms heraus.

Natürlich lässt sich Teil vier ohne Vorwissen der Vorgänger ansehen und bis zu einem gewissen Punkt auch verstehen. Die meisten Bezüge weisen schließlich längst über die eigene Serie hinaus. Bereits in der genialen, weil an Ironie kaum mehr zu überbietenden Eröffnung bekommen Saw und andere Vertreter der letzten Torture-Porn-Welle auf eine sehr charmante Art ihr Fett weg. Dieses Ping-Pong-Spiel zwischen der eigenen und der Historie des Genres geht fortan munter weiter, wobei Williamson all das in messerscharfe und intelligente Dialoge verpackt. Manch ein Satz dürfte so noch in zehn Jahren zitiert werden. „You forgot one rule about remakes: Don’t fuck with the original!“ hätte sich vermutlich auch als Tagline gut gemacht.

Im Film wird die neue Scream-Garde von Emma Roberts angeführt. Sie ist zugleich das Gesicht einer Generation, die sich ganz selbstverständlich in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter bewegt, was Williamson selbstredend nicht unkommentiert lässt. Schließlich war und ist „Scream“ immer auch Zeitgeist-Kino, das über den Tellerrand des eigenen Genres herausblickte. Für die Fans der ersten Stunde fühlt sich das Wiedersehen mit Neve Campbell, Courteney Cox und David Arquette hingegen fast schon wie ein Klassentreffen an. Die Helden von damals kämpfen inzwischen gegen Falten, graue Haare und erste körperliche Wehwehchen. Ghostfaces Rückkehr ist für sie und für uns das lang ersehnte „Zurück in die Zukunft“ – ein Spaß, der das Bekannte nimmt, umwirft und es zu einem etwas Neuen zusammensetzt. New decade, new rules!

Für BlairWitch.de.