Zuletzt gesehen - Hustle & Flow (DVD)
USA 2005
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Willkommen Rap-Freunde, Rap-Skeptiker, Rap-Gegner! „Hustle & Flow“, das ist meine Prognose, obgleich vordergründig ein Film über genau diesen Rap, wird Anhänger und Desinteressierte gleichermaßen beeindrucken. Die auf dem diesjährigen Sundance Film Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Produktion schafft es, eine tiefe Verbindung zwischen dem Geschehen auf der Leinwand und seinem Publikum aufzubauen. Die dafür benötigten Zutaten stützen sich auf ein geradliniges, geradezu klassisches Drehbuch, großartige Schauspieler und (kein Witz) einen mitreißenden Soundtrack. Regisseur und Autor Craig Brewer erzählt aus dem desillusionierten Leben eines Zuhälters und Drogendealers.
DJay (Terence Dashon Howard) behandelt Frauen als Ware. Er lebt mit mehreren seiner Schützlinge in einer herunter gekommenen Bruchbude im herunter gekommenen Schwarzen-Ghetto von Memphis. Dort trauert er seinen Jugendträumen hinterher. Mit Rap-Musik berühmt und reich zu werden, damit eine Familie ernähren zu können, dieses Ziel zerplatzt für ihn jeden Tag vor seinen Augen aufs Neue. Stattdessen treibt er Nola (unglaublich mutig: Taryn Manning) an, für ihn auf dem Rücksitz versiffter Autos einfachste Männerphantasien zu erfüllen, Lexus (Paula Jai) strippt für die Haushaltskasse, während Shug (Taraji P. Henson), von einem Freier geschwängert, zu Hause auf ihn wartet. Als Djay die Nachricht erreicht, dass der mittlerweile landesweit bekannte Rapper Skinny Black (Ludacris) zum Independence Day in die alte Heimat zurückkehrt, um in einer Bar in der Nachbarschaft zu feiern, will er die sich ihm bietende Chance nutzen. Gemeinsam mit seinen Kumpels Shelby (DJ Qualls) und Key (Anthony Anderson) nimmt DJay den Sound seines Lebens auf. Es dürfte das letzte Mal sein, an dem sich noch einmal alles für ihn ändern könnte.
Vom Fall und Aufstieg eines dieser zahllosen amerikanischen Träume, die nur geträumt, aber anscheinend viel zu selten gelebt werden, erhalten wir mit „Hustle & Flow“ einen äußerst packenden Eindruck. Obwohl dabei vieles Authentizität atmet, ist die Inszenierung aber zugleich gefühlsmäßig immer einen Tick „zuviel“ am stilisierten Idyll/Albtraum. Das erklärt sich damit, dass das Haus im Ghetto einfach „zu“ dreckig und „zu“ trashig aussieht, dass Djays Partners in Crime „zu“ gutgelaunt, Hure Nola „zu“ gütig und der angebetete Skinny Black „zu“ cool daherkommen. In diesem Sinn lässt sich Brewers Film als der Kaugummi unter den Ghetto-Dramen an, in dem sogar viele Klischees genüsslich aufgeblasen werden. „Menace II Society“ ist ungleich erbarmungsloser, deprimierender und ehrlicher. Allerdings mochte ich diese andere Herangehensweise ebenso, weil Brewer keineswegs ein verkitschter Phantast zu sein scheint, der am liebsten einen Film für Disney drehen würde. Er begleitet seine Charaktere trotz der vereinfachten Darstellung ihrer Lebensumstände stets mit Würde und Respekt.
Das sieht man u.a. daran, wie er DJay über die eigene Existenz reflektieren lässt. Da wird nichts beschönigt oder zurecht gebogen, damit der Möchtegern-Rapper als Gutmensch dasteht. Er ist und bleibt ein auch jemand, der Frauen ausnutzt, benutzt, um an Geld zu kommen. Er verdient zudem an der Drogensucht seiner „Brüder“. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben entbehrt jedoch nicht eines altruistischen Elements. Da gibt es das Gefühl, dass er nicht nur seinetwegen aus dem Ghetto heraus will. Nola, Shug und ihr Baby haben es genauso verdient, den Dreck hinter sich zu lassen. Im Laufe des Films setzt in ihm dieser Erkenntnisprozess ein, von Brewer geschickt zwischen improvisierten Tonstudio und Straßenstrich verpackt. Wie es dem Regisseur überhaupt gelingt, DJays fiktiven Weg ins Musikbusiness beispielhaft an einigen wenigen, dafür umso eindringlicheren Momenten zu veranschaulichen. Einem spirituellen Erweckungserlebnis nicht unähnlich ist DJays Begegnung mit christlicher Gospelmusik, die ihn zu Tränen rührt. Ein harter Nigger, der Gefühle zeigt? Eine wunderbare Revolution gegen das von der Plattenindustrie verkaufte Image des schwarzen Macho-Gangsters. Oder auch die Aufnahme des ersten Songs, bei dem Shug eine gänsehautauslösende Kostprobe ihres „Flow“ geben darf. Dazu hämmern im Hintergrund die tiefen scharfkantigen Bässe, rappt sich DJay die Seele aus dem Leib. Diese komprimierte Entstehung miterleben zu dürfen, gehört zu den kleinen und dabei ganz großen Kinomomenten dieses Jahres.
Wenn hier schon das Drehbuch und Brewers Gespür für den Augenblick gelobt wird, sollten davon die Schauspieler nicht ausgenommen werden. Terence Dashon Howard ließ bereits in „Crash“ durchblicken, dass er fähig ist, einen ambivalenten Charakter glaubwürdig darzustellen. Hier geht er noch einen Schritt weiter, in dem es ihm gelingt, eine emotionale Höllenfahrt für uns erfahrbar zu machen. Sein Alter Ego philosophiert gerne über das, was ein Mann Gutes tun soll, nur um bei nächster Gelegenheit als knallharter Zuhälter aufzutreten. Dennoch bricht das schlechte Gewissen (ja, er hat eines) immer öfter aus ihm heraus. Das sind schwere Momente auch für einen Schauspieler, woran Talent und Hingabe, falls vorhanden, ersichtlich werden. Howard besitzt beides, so dass wir ihm nicht nur DJays Reue abkaufen, sondern uns auch mit ihm gegen die Welt solidarisieren. Diese Solidarisierung ist auch bei Shug und Nola angekommen. Wie der erste Eindruck täuschen kann, zeigen diese beiden so unterschiedlichen Frauenrollen. Nola, die Personifizering des „White Trash“, ist keineswegs ein dummes Blondchen. Diese „Hure mit Herz“ (da ist er wieder, der Kaugummi) stärkt ihrem Pimp den Rücken, als dieser sie um ihre Hilfe geradezu anfleht. Und Shug durchlebt die etwas zu erbaulich geratene Metamorphose vom hässlichen verweinten Entlein zum stolzen Schwan. Großes Kompliment an Taryn Manning und Taraji P. Henson!
Weniger, als zunächst zu erwarten gewesen wäre, geht der Film auf die Rassenproblematik in den USA ein. Dass es sich bei Verarmung, Ghettoisierung, Drogenkriminalität und Perspektivlosigkeit vornehmlich um „schwarze“ Themen handelt, berührt den Fortgang der Story nur am Rande. Vielleicht wäre es ohnehin besser nicht länger in den üblichen strikt nach Hautfarben getrennten Schubladen zu denken. DJay ist einfach nicht bereit, die Träume seiner Jugend aufzugeben, weil er sich mit dem Hier und Jetzt nicht abfinden kann. „Ich will etwas aus meinem Leben machen!“ sagt er sinngemäß an einer Stelle. Diese Ansage richtet sich nicht an Schwarze, Latinos oder Europäer. Wir alle könnten sie zu unserem Lebensmotto machen.
Erschienen zum regulären Kinostart auf kino.de.
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Willkommen Rap-Freunde, Rap-Skeptiker, Rap-Gegner! „Hustle & Flow“, das ist meine Prognose, obgleich vordergründig ein Film über genau diesen Rap, wird Anhänger und Desinteressierte gleichermaßen beeindrucken. Die auf dem diesjährigen Sundance Film Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Produktion schafft es, eine tiefe Verbindung zwischen dem Geschehen auf der Leinwand und seinem Publikum aufzubauen. Die dafür benötigten Zutaten stützen sich auf ein geradliniges, geradezu klassisches Drehbuch, großartige Schauspieler und (kein Witz) einen mitreißenden Soundtrack. Regisseur und Autor Craig Brewer erzählt aus dem desillusionierten Leben eines Zuhälters und Drogendealers.
DJay (Terence Dashon Howard) behandelt Frauen als Ware. Er lebt mit mehreren seiner Schützlinge in einer herunter gekommenen Bruchbude im herunter gekommenen Schwarzen-Ghetto von Memphis. Dort trauert er seinen Jugendträumen hinterher. Mit Rap-Musik berühmt und reich zu werden, damit eine Familie ernähren zu können, dieses Ziel zerplatzt für ihn jeden Tag vor seinen Augen aufs Neue. Stattdessen treibt er Nola (unglaublich mutig: Taryn Manning) an, für ihn auf dem Rücksitz versiffter Autos einfachste Männerphantasien zu erfüllen, Lexus (Paula Jai) strippt für die Haushaltskasse, während Shug (Taraji P. Henson), von einem Freier geschwängert, zu Hause auf ihn wartet. Als Djay die Nachricht erreicht, dass der mittlerweile landesweit bekannte Rapper Skinny Black (Ludacris) zum Independence Day in die alte Heimat zurückkehrt, um in einer Bar in der Nachbarschaft zu feiern, will er die sich ihm bietende Chance nutzen. Gemeinsam mit seinen Kumpels Shelby (DJ Qualls) und Key (Anthony Anderson) nimmt DJay den Sound seines Lebens auf. Es dürfte das letzte Mal sein, an dem sich noch einmal alles für ihn ändern könnte.
Vom Fall und Aufstieg eines dieser zahllosen amerikanischen Träume, die nur geträumt, aber anscheinend viel zu selten gelebt werden, erhalten wir mit „Hustle & Flow“ einen äußerst packenden Eindruck. Obwohl dabei vieles Authentizität atmet, ist die Inszenierung aber zugleich gefühlsmäßig immer einen Tick „zuviel“ am stilisierten Idyll/Albtraum. Das erklärt sich damit, dass das Haus im Ghetto einfach „zu“ dreckig und „zu“ trashig aussieht, dass Djays Partners in Crime „zu“ gutgelaunt, Hure Nola „zu“ gütig und der angebetete Skinny Black „zu“ cool daherkommen. In diesem Sinn lässt sich Brewers Film als der Kaugummi unter den Ghetto-Dramen an, in dem sogar viele Klischees genüsslich aufgeblasen werden. „Menace II Society“ ist ungleich erbarmungsloser, deprimierender und ehrlicher. Allerdings mochte ich diese andere Herangehensweise ebenso, weil Brewer keineswegs ein verkitschter Phantast zu sein scheint, der am liebsten einen Film für Disney drehen würde. Er begleitet seine Charaktere trotz der vereinfachten Darstellung ihrer Lebensumstände stets mit Würde und Respekt.
Das sieht man u.a. daran, wie er DJay über die eigene Existenz reflektieren lässt. Da wird nichts beschönigt oder zurecht gebogen, damit der Möchtegern-Rapper als Gutmensch dasteht. Er ist und bleibt ein auch jemand, der Frauen ausnutzt, benutzt, um an Geld zu kommen. Er verdient zudem an der Drogensucht seiner „Brüder“. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben entbehrt jedoch nicht eines altruistischen Elements. Da gibt es das Gefühl, dass er nicht nur seinetwegen aus dem Ghetto heraus will. Nola, Shug und ihr Baby haben es genauso verdient, den Dreck hinter sich zu lassen. Im Laufe des Films setzt in ihm dieser Erkenntnisprozess ein, von Brewer geschickt zwischen improvisierten Tonstudio und Straßenstrich verpackt. Wie es dem Regisseur überhaupt gelingt, DJays fiktiven Weg ins Musikbusiness beispielhaft an einigen wenigen, dafür umso eindringlicheren Momenten zu veranschaulichen. Einem spirituellen Erweckungserlebnis nicht unähnlich ist DJays Begegnung mit christlicher Gospelmusik, die ihn zu Tränen rührt. Ein harter Nigger, der Gefühle zeigt? Eine wunderbare Revolution gegen das von der Plattenindustrie verkaufte Image des schwarzen Macho-Gangsters. Oder auch die Aufnahme des ersten Songs, bei dem Shug eine gänsehautauslösende Kostprobe ihres „Flow“ geben darf. Dazu hämmern im Hintergrund die tiefen scharfkantigen Bässe, rappt sich DJay die Seele aus dem Leib. Diese komprimierte Entstehung miterleben zu dürfen, gehört zu den kleinen und dabei ganz großen Kinomomenten dieses Jahres.
Wenn hier schon das Drehbuch und Brewers Gespür für den Augenblick gelobt wird, sollten davon die Schauspieler nicht ausgenommen werden. Terence Dashon Howard ließ bereits in „Crash“ durchblicken, dass er fähig ist, einen ambivalenten Charakter glaubwürdig darzustellen. Hier geht er noch einen Schritt weiter, in dem es ihm gelingt, eine emotionale Höllenfahrt für uns erfahrbar zu machen. Sein Alter Ego philosophiert gerne über das, was ein Mann Gutes tun soll, nur um bei nächster Gelegenheit als knallharter Zuhälter aufzutreten. Dennoch bricht das schlechte Gewissen (ja, er hat eines) immer öfter aus ihm heraus. Das sind schwere Momente auch für einen Schauspieler, woran Talent und Hingabe, falls vorhanden, ersichtlich werden. Howard besitzt beides, so dass wir ihm nicht nur DJays Reue abkaufen, sondern uns auch mit ihm gegen die Welt solidarisieren. Diese Solidarisierung ist auch bei Shug und Nola angekommen. Wie der erste Eindruck täuschen kann, zeigen diese beiden so unterschiedlichen Frauenrollen. Nola, die Personifizering des „White Trash“, ist keineswegs ein dummes Blondchen. Diese „Hure mit Herz“ (da ist er wieder, der Kaugummi) stärkt ihrem Pimp den Rücken, als dieser sie um ihre Hilfe geradezu anfleht. Und Shug durchlebt die etwas zu erbaulich geratene Metamorphose vom hässlichen verweinten Entlein zum stolzen Schwan. Großes Kompliment an Taryn Manning und Taraji P. Henson!
Weniger, als zunächst zu erwarten gewesen wäre, geht der Film auf die Rassenproblematik in den USA ein. Dass es sich bei Verarmung, Ghettoisierung, Drogenkriminalität und Perspektivlosigkeit vornehmlich um „schwarze“ Themen handelt, berührt den Fortgang der Story nur am Rande. Vielleicht wäre es ohnehin besser nicht länger in den üblichen strikt nach Hautfarben getrennten Schubladen zu denken. DJay ist einfach nicht bereit, die Träume seiner Jugend aufzugeben, weil er sich mit dem Hier und Jetzt nicht abfinden kann. „Ich will etwas aus meinem Leben machen!“ sagt er sinngemäß an einer Stelle. Diese Ansage richtet sich nicht an Schwarze, Latinos oder Europäer. Wir alle könnten sie zu unserem Lebensmotto machen.
Erschienen zum regulären Kinostart auf kino.de.
6 Comments:
Zustimmung. Sehe HUSTLE & FLOW bekanntlich als einen der besen Filme des letzten Jahres.
gute kritik, gut geschrieben - der film ist aber auch wirklich gut!
@ scf
hey, auch wieder da? knurru hatte ja schon angefragt, wo Du abgeblieben bist. einfach im moment wenig lust auf kino und filmdiskussionen?
@ ms
stimmt, ich war auch erst skeptisch, weil das eigentlich auch nicht meine film-/musikrichtung ist, aber der film schafft es spielend, einen umzustimmen.
glaube das scf einfach im Stress ist, oder? :-)
Wäre schon ab und an mal wieder eine Wortmeldung von dir zu bekommen.
Gruß!
Doch, doch, Lust auf Kino ist vorhanden. Neulich X-Men 3, Flug 93 und Tarnation gesehen. Nebenbei noch ein paar Filme auf DVD (von denen mir LOOK BOTH WAYS am Besten gefallen hat) und natürlich viele Folgen Gilmore Girls und Alias auf DVD.
Du siehst: Ich bin gut dabei! Dass ich längere Zeit nichts gepostet habe liegt nur daran, dass ich ziemlich eingespannt bin im Moment. Werde mich aber bessern. Versprochen. ;-)
@ scf
interessante filmzusammenstellung, "flug 93" habe ich ausgelassen, "x-men 3" fand ich, wie Du an meiner kritik nachlesen kannst, recht ordentlich.
komme gerade aus der sneak: "mein verschärftes wochenende" ist unterste schublade. noch drei etagen unter den "american pie"-filmen. fäkalwitze, verklemmte sexgags, dazu "pointen", die sich auf furzen im aufzug oder sperma unterm minirock beziehen. widerlich!
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