Freitag, Juni 09, 2006

Tears of the Black Tiger - LSD-Trip mit dem "Wizard of Oz"

TH 2000

+++1/2

Was passiert, wenn Western-verrückte Thais zu viele schlechte Seifenopern auf LSD gesehen haben bevor sie ihren eigenen Film drehen? Richtig, es kommt so etwas wie „Tears of the Black Tiger“ dabei heraus. Eigentlich ist es eine Anmaßung, dieser knallbunten Überraschungstüte anhand einiger Zeilen aus schwarzen Lettern auf weißem Untergrund gerecht werden zu wollen, derart expressionistisch und losgelöst von normalen Sehgewohnheiten bewegt sich Wisit Sasanatiengs („My Life as a Dog“) Bildcollage. Egal ob man als Zuschauer diese extravagante Optik goutiert oder sich am liebsten gleich nach Beginn des Abspanns einen Marathon an Schwarz-Weiss-Schinken ansehen möchte, man wird nicht umhin kommen, fortwährend teils fassungslos teils kopfschüttelnd die surrealen Farbpartituden des Films vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen. Die Eindrücke, die dieser Film im Unterbewusstsein hinterlässt, scheinen wie eingebrannt.

Bei einer Nacherzählung der Geschichte drängt sich das Gefühl auf, als habe Sasanatieng einen Rundumschlag durch sämtliche Klischees sämtlicher Genres vollführen wollen. Da gibt es die unglückliche, weil unmögliche, Liebe zwischen der wohl erzogenen Tochter (Stella Malucchi) des örtlichen Polizeichefs und dem draufgängerischen Outlaw, dem Black Tiger (Chartchai Ngamsan). Es geht um Ehre und gesellschaftlichen Einfluss, wenn eine arrangierte Hochzeit gegen den Willen der Braut stattfinden soll. Der Outlaw muss nicht nur um seine Liebe kämpfen, er liefert sich auch blutige und bleigetränkte Duelle mit Verrätern und anderen zwielichtigen Gestalten. Natürlich müssen sich die Wege der Figuren wie auf einem Schachbrett exakt zur falschen Zeit am falschen Ort kreuzen, was in dieser Tragik so nur in billigen Telenovelas und griechischen Sagen zu finden ist (oder einem Film von Paul Haggis, kleiner Scherz).

Was aussieht, als habe sich ein farbenblinder Cowboy in den „Wizard of Oz“ verirrt, ist das Ergebnis einer höchst aufwendigen Produktionstechnik. Digital wurde der fertige Film Bild um Bild nachcoloriert, um so den unverwechselbaren „Tiger“-Look entstehen zu lassen. Objektiv betrachtet kann es nur als unerträglicher Kitsch durchgehen, wenn ein abgrundtief hässliches rosa Kleid in einem mintgrünen Teich aus Seerosen hindurchschwebt und dazu schwülstiger Thai-Singsang erklingt. Bei Sasanatieng denkt man jedoch nicht an Kitsch oder den schmalen Grat zwischen gefühlsbetont und gefühlsduselig, alle Synapsen sind vielmehr damit beschäftigt, die Bilder und Töne einzuordnen, sie in einen sinnvollen Kontext zueinander zu bringen. Die Verwirrung wird komplett, wenn sich das dadaistische Melodram eine Auszeit nimmt und knallharte Shoot-Outs mit trashigem Splatter-Charme zur Aufführung gelangen.

Einmal kurz die Augen reiben, nochmal hinsehen, ja, es ist tatsächlich wahr: Die blauen Bohnen der Sierra Madre haben sich in diesen farblichen Amoklauf verirrt. Da werden ganze Einstellungen und Szenen aus den Klassikern der 50er und 60er Jahre geklaut oder sollte man besser sagen „liebevoll entliehen“? Ob bei Leone (die Mundharmonika gehört seit Charles Bronsons Auftritt in „Spiel mir das Lieb vom Tod“ zur Grundausstatung jedes ordentlichen Gesetzlosen) oder Zinnemann („High Noon“ auf den Kornfeldern Thailands), die Parallelen könnten offensichtlich nicht sein. Sasanatieng schwärmt für den „Duke“, so daß „Tears of the Black Tiger“ neben dem ganzen Schmaltz zugleich eine hingebungsvolle Hommage an den Western und die Zeit der großen Kino-Legenden geworden ist. Handwerklich perfekte Kameratricks, Spielereien mit Zoom und Perspektive zeugen von der Inszenierungslust eines Regisseurs, der bei der Umsetzung seiner Vision keine faulen Kompromisse eingehen musste.

„Tears of the Black Tiger“ führt zudem den oftmals negativ belegten Begriff des Overacting zum neuen Glanz. Fieser als fies lacht sich der Oberschurke unterlegt von einem exstatischem Blitzgewitter das Böse heraus, unendlich traurig verliert sich die schöne Prinzessin in einem See ihrer eigenen Tränen. Nur Bollywood traute sich zuletzt, so weit über das Maß des Common Sense hinauszuschießen und die für das Kino zu großen Gesten mit dem Hinweis auf die eigene kulturelle Tradition zu begründen. Um gegen die Lawine an visuellen Eindrücken überhaupt anzukommen, scheint das nicht die schlechteste Entscheidung gewesen zu sein. Beides zusammen, die bahnbrechende Optik und die übertriebene theaterhafte Körpersprache, verbinden sich zu einem atemberaubenden Mix an unverwechselbaren Stilblüten.

Thailands Kino hat in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Filme unterschiedlichster Art hervorgebracht. Da gab es typischen asiatischen Geister-Horror („Shutter“) ebenso wie melancholische Selbstfindungs-Dramen („Last Life in the Universe“). Mit „Tears of the Black Tiger“, dem in seiner Heimat kein kommerzieller Erfolg beschert war, gesellt sich ein Feuerwerk abartig schön/scheußlicher Petitessen hinzu, dass es so wohl kaum ein zweites Mal zu bewundern geben wird.

Erschienen bei kino.de.