Mittwoch, Juli 11, 2007

2:37 - Tragik in Vollendung


AUS 2006

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Mit gerade Anfang 20 drehte Regie-Neuling Murali K. Thalluri diese erschütternde Bestandsaufnahme über den Horror an einer normalen australischen High School. Darin beobachtet er über einen Schultag sechs ganz unterschiedliche Teenager bei ihrem Versuch, mit den Herausforderungen des Erwachsenswerdens, den eigenen Gefühlen und ihrer jeweiligen familiären Situation zu Recht zu kommen. 2:37 weckt aufgrund seiner nicht-chronologischen Erzählstruktur Erinnerungen an Gus Van Sants Columbine-Drama Elephant, wobei auch Thalluri mit einem ähnlichen Problem wie seinerzeit Van Sant zu kämpfen hat.

Filmkritik:

In 2:37 steht die Explosion ganz am Anfang. Wir sehen aufgeregte Schüler, die an die Tür der Mädchentoilette klopfen. Unter dieser sickert eine Blutlache hervor. Irgendetwas Schreckliches muss geschehen sein. Rückblende. Als nächstes führt Regie-Debütant Murali K. Thalluri nacheinander seine sechs Protagonisten ein. Da gibt es das Geschwisterpaar aus reichem Elternhaus, Melody (Teresa Palmer) und Marcus (Frank Sweet), den selbstbewussten Mädchenschwarm Luke (Sam Harris), dessen Freundin (Marni Spillane) ihn eifersüchtig bewacht, sowie die beiden Außenseiter Sean (Joel Mackenzie) und Steven (Charles Baird). Während Sean nach seinem Coming Out von Mitschülern tagtäglich verspottet wird, leidet der schüchterne Steven unter seiner körperlichen Behinderung und einer für ihn noch unangenehmeren Blasenschwäche, die ihn seit einer frühkindlichen Erkrankung verfolgt.

Der Film begleitet die Sechs von ihrem Schulweg an bis in den frühen Nachmittag, als die Handlung durch den Zwischenfall auf der Schultoilette ihren tragischen Höhepunkt erreicht. Thalluri, der die Motivation zu 2:37 mit dem Selbstmord eines Freundes erklärt, springt wie in einem Episodenstück zwischen den einzelnen Charakteren hin und her. Die schwerelose Kamera verweilt einen Augenblick bei Marcus und einer Mitschülerin im Musikzimmer, dann folgt sie Luke, der auf dem Gang seine Freundin Sarah trifft. Das Ganze besitzt zumeist einen semi-dokumentarischen, beinahe nüchternen Ton, der stark an Gus Van Sants Schuldrama Elephant erinnert. Wie Van Sant schildert Thalluri eine Szene aus mehreren Perspektiven, welche wieder zusammengefügt – vergleichbar der Teile eines Puzzles – ein viel größeres Bild ergeben.

Dieses transportiert nicht nur ein Gefühl der Einsamkeit und Isolation an einem auf den ersten Blick so lebendigen Ort, es zeigt zugleich sechs Leben voller Widersprüche und Geheimnisse. Thalluris Jugendliche befinden sich in einem permanenten psychischen Ausnahmezustand, aus dem es die Möglichkeit zur rettenden Flucht nicht mehr zu geben scheint. Vor allem Melody und Luke leiden unter dem, was sie niemandem anvertrauen können, weil die Wahrheit sämtliche im Laufe der Jahre aufgebauten Fassaden einreißen würde. Wo man auch hinsieht, überall tun sich neue Abgründe und Krisen auf. Und genau darin liegt die Crux von Thalluris Debüt. Die aus der Verdichtung auf Ort und Zeit resultierende Überfrachtung mit Problemen geht früher oder später zu Lasten der Glaubwürdigkeit. Für manches, wie die Enttarnung des Obermachos Luke als schwuler Herzensbrecher, bedient sich Thalluri gar bei zu oft gesehenen Klischees.

Die Zersplitterung des Plots und das anschließende Wiederzusammensetzen der Teile verleiht 2:37 ebenso wie die langen Steadycam-Fahrten durch das offene, helle Schulgebäude eine stilistische Eleganz, die nicht unproblematisch ist. Sowohl Thalluri als auch Van Sant betonen über ihre Inszenierung stets die Beiläufigkeit der Beobachtungen, bis man nicht umhin kommt, in eben jener Beiläufigkeit das Prätentiöse zu entdecken. Immerhin ist Thalluri gerade einmal 22, da seien ihm solche Spielereien verziehen. Zumal seinem bislang weitgehend unbekannten ebenso jungen Ensemble mit einer bravourösen, mutigen Leistung eine kleine Entschädigung gelingt.

Für Programmkino.de.