Der seltsame Fall des Benjamin Button
USA 2008
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Wenn es in unser aller Leben eine Konstante gibt, dann ist es die Zeit. Egal was wir tun, wie wir uns fühlen und was wir gerade erleben, die Zeit ist unser ständiger Begleiter. Sie lässt sich von nichts oder niemanden anhalten. Unablässig verrinnen ihre Sekunden, Minuten, Stunde, Tage, Wochen, Monate, Jahre. Je älter wir werden, umso kostbarer erscheint sie uns. Dabei sind es nur wir, die sich verändern. Die Zeit bleibt immer gleich.
F. Scott Fitzgerald entwarf bereits in den 1920er Jahren eine Kurzgeschichte, die das ordnende Konzept der Zeit nahm, nur um es komplett auf den Kopf zu stellen. Der seltsame Fall des Benjamin Button erzählt von einem Mann, der als Greis zu Welt kommt und von da an gewissermaßen rückwärts altert. Während sein Körper erkennbar immer jünger wird, vollzieht sich die Entwicklung seiner Persönlichkeit in die entgegen gesetzte Richtung. Dieses Gegeneinander führt mitunter zu reichlich bizarren Momenten, beispielsweise als Benjamin beginnt, sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Rein äußerlich erscheint er wie ein rüstiger Rentner, dabei befindet er sich tatsächlich mitten in der Pubertät. Es sollte fast ein Jahrhundert verstreichen, bis aus Fitzgeralds fixer Idee ein Kinofilm wurde. Eric Roth, spätestens seit Forrest Gump und Mr. Jones erfahren im Umgang mit „besonderen“ Charakteren, entwickelte aus der Kurzgeschichte eine tragfähige Filmhandlung mit Überlänge. Die Erwartungen waren hoch, zumal mit David Fincher einer der nachweislich größten Talente seiner Zunft auf dem Regiestuhl Platz nahm. Für die nötige Publicity sorgte schließlich Brad Pitt, der sich für die Rolle des Benjamin Button nahezu täglich einer fünfstündigen Schminkprozedur unterziehen musste.
Dass Der seltsame Fall des Benjamin Button erst jetzt verfilmt wurde, hängt sicherlich auch mit der technisch höchst anspruchsvollen Umsetzung des reversen Alterungsprozesses zusammen. Um Pitts Konterfei auf einen Kinderkörper zu projizieren, war man auf modernste Tricktechnik angewiesen. Das Resultat sieht in der Tat beeindruckend aus – beeindruckend skurril, was angesichts des schrägen Themas getrost als Kompliment gewertet werden darf. Leider lenken solch verspielte Gadgets zugleich von der eigentlichen Story ab. Anstatt den komplexen, dramatischen Unterbau zu erforschen, ist man zumindest anfangs eher damit beschäftigt, in Benjamin den geschrumpften Hollywood-Beau zu erspähen.
Überhaupt macht Benjamin Button, was seine Optik angeht, mächtig einen auf dicke Hose. Und das von der ersten Einstellung an. Man könnte den Film an beliebiger Stelle anhalten und sich das jeweilige Standbild ungesehen als Poster an die Wand hängen. Nun gut, vom früheren Werbefilmer und Ästheten Fincher zu verlangen, das Visuelle mal eben so hinten an zu stellen, wäre auch vermessen. Allerdings läuft die Handlung dadurch Gefahr, sich in der Opulenz ihrer pittoresken Bilder und Einstellungen zu verlieren. Hinzu kommt, dass Roth wie schon bei Forrest Gump gleich ein ganzes Leben in einen Film packt. So franst die Erzählung immer wieder ins Episodenhafte aus, schließlich gilt es, innerhalb von zweieinhalb Stunden mal eben eine Zeitspanne von fast 80 Jahren zu überbrücken. Da ist sie wieder, diese verflixte Zeit, die einem wie Sand durch die Finger rinnt.
Wie der sympathische Tor aus Robert Zemeckis Oscar-Gewinner darf auch Benjamin die Welt erkunden, wobei es ihn unter anderem nach New York, Murmansk, Paris, Indien und in den Nordatlantik verschlägt. Er macht die Bekanntschaft eines Tattoo-liebenden Schiffskapitäns (Jared Harris), trinkt nächtelang Tee mit einer schwimmbegeisterten Engländerin (Tilda Swinton), stößt wenig sanft mit einem deutschen U-Boot zusammen und verliebt sich schließlich unsterblich in eine feengleiche Ballett-Tänzerin (Cate Blanchett). Daisy und er kennen sich bereits seit frühester Kindheit, wobei diese Umschreibung in einem Film wie Benjamin Button eigentlich immer etwas schief und ungenau wirkt. Während er also konstant jünger wird und sie ganz normal altert, öffnet sich schließlich ein schmales Zeitfenster, in dem sie einige unbeschwerte Jahre miteinander verleben können.
Über ihrer Liebe wie über allem in Benjamin Button schwebt ein Gefühl der Vergänglichkeit. Gestorben – und das ist keine Übertreibung – wird hier praktisch ohne Unterlass. Die Erklärung dafür ist simpel. Benjamin wächst in der Obhut seiner patenten Pflegemutter (Taraji P. Henson) in einem Seniorenheim in New Orleans auf. An diesem Ort, an dem der Tod allgegenwärtig ist, entwickelt er schon bald ein besonderes Verhältnis zu seinem Schicksal. Auch die Rahmenhandlung, in der sich die sterbenskranke Daisy von ihrer Tochter (Julia Ormond) Benjamins alte Tagebuchaufzeichnungen vorlesen lässt, greift das Motiv der Vergänglichkeit auf. Fast zwangsläufig drängt sich dabei der Vergleich zu Tim Burtons Big Fish auf, der eine ganz ähnliche Erzähltechnik für sich nutzte. Finchers 169-Minuten-Epos ist zumindest was diesen Punkt anbelangt keinesfalls so innovativ, wie einen der Film zunächst Glauben schenkt.
Damit will ich das Nörgeln aber auch einstellen. Denn obwohl manches an Benjamin Button objektiv betrachtet nicht funktioniert und die Perfektion der Technik mitunter den Blick auf das Wesentliche verstellt, zieht die Geschichte einen doch früher oder später ganz in ihren Bann. Manch einer wird bereits nach einer halben Stunde nicht mehr über die Brillanz der Effekte nachdenken, bei anderen dauert es vielleicht eine oder gar zwei Stunden bis der Moment (endlich) da ist, ab dem Benjamin plötzlich zu einem Vertrauten, zu einem Freund wird, den man am liebsten an jedem Tag seines außergewöhnlichen Lebens begleiten möchte. Es ist die Sekunde, in der der Funken überspringt und der Film jede Distanz aufkündigt. Dann werden seine Fragen zu unseren Fragen, die wir mit nach Hause nehmen und die wir bei einem nächsten Blick auf die Uhr uns selber stellen.
Veröffentlicht bei evolver.
2 Comments:
Stimme dir im Grunde zu, die Wertung entspricht dann auch in etwa meiner eigenen Einordnung. Schön, dass du nicht auch auf den "Mü mü mü, ist ja wie FORREST GUMP"-Zug aufgesprungen bist.
Vor allem weil dieser konstruierte (als Kritik gedachte) Vergleich, den mnan oft liest, überhaupt keinen Sinn macht. Nur weil Ähnlichkeiten vorhanden sind, bedeutet das ja nicht, dass Forrest Gump Benjamin Button ist.
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