Samstag, Januar 10, 2009

Zeiten des Aufruhrs - S.O.S.


USA 2008

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Wenn Leonardo DiCaprio und Kate Winslet, das Kino-Traumpaar der Neunziger, nach elf Jahren erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera stehen, ist dem Film alle Aufmerksamkeit gewiss. Wenn dieser dann sogar auf einem Klassiker der Gegenwartsliteratur basiert und von Oscar-Preisträger Sam Mendes (American Beauty) inszeniert wurde, fällt es schwer, die eigenen Erwartungen zu zügeln. Zeiten des Aufruhrs blickt mit einer beängstigenden Schärfe und Klarheit in die Abgründe menschlicher Beziehungen.

Filmkritik:

Man braucht kein nüchterner Realist zu sein, um die Meinung zu vertreten, dass wir uns alle im Laufe der Jahre von gewissen Träumen, Erwartungen und Zielen verabschieden müssen. Obwohl – müssen wir das wirklich? April (Kate Winslet) und Frank Wheeler (Leonardo DiCaprio) sind ein junges Paar, das sein Leben nicht wie alle anderen nach den ungeschriebenen Gesetzen von Familie, Kinder, Haus und Karriere organisieren will. Im Amerika der prüden fünfziger Jahre betrachten sie sich selbst als Freigeister, als intellektuelle Avantgarde. Dabei unterscheidet sich ihr Leben kaum von dem anderer Paare. So ziehen die Wheelers mit der Geburt der Kinder nach Connecticut in eine schicke, ruhige Wohngegend. Während Frank einem langweiligen Bürojob nachgeht und so für das Einkommen der Familie sorgt, hütet April Haus und Kinder. Es ist vor allem sie, die sich mit dieser Situation nicht abfinden kann und will. Insgeheim träumt April nach wie vor von der großen Schauspielkarriere. Von einem Umzug nach Paris erhoffen sich beide einen Neubeginn. Doch die geplante Flucht vor dem Alltag ist bereits zu Ende noch ehe sie überhaupt begann.

Mit eisiger Konsequenz und einem messerscharfen, sezierendem Blick beschreibt Zeiten des Aufruhrs, der neue Film von American Beauty-Regisseur Sam Mendes, den stetigen Verfall einer Ehe und zweier Menschen, die sich einst geliebt haben müssen. Die Verfilmung des hoch gelobten, bereits 1961 erschienenen Romans von Richard Yates ist ehrlicher, als wir uns das wünschen würden und gerade deshalb mitunter nur schwer zu ertragen. Gerade in seinem offenem Zynismus und seiner schonungslosen Bitterkeit stellt er den Zuschauer auf eine harte Probe. Dass Mendes für die Romanadaption ausgerechnet Leonardo DiCaprio und Kate Winslet – das Kino-Traumpaar der Neunziger – gewinnen konnte, deren größer Erfolg Titanic als verkitschte Antithese auf Yates Vorstadt-Drama funktioniert, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Darüber hinaus ist es aus Marketing-Sicht einfach ein genialer Coup.

Mendes, der nicht nur im Kino sondern auch im Theater zu Hause ist, inszeniert das Scheitern dieser Beziehung wie ein intimes Bühnenstück. Der Fokus liegt dabei von der ersten bis zur letzten Minute auf den Darstellern. Diese danken es ihm mit durchweg hochklassigen Leistungen. Für Winslet, die schon seit Jahren völlig zu Unrecht auf ihren Titanic-Auftritt reduziert wird, erweist sich die Rolle der Desperate Housewive gar als schauspielerischer Durchmarsch. Sowohl in den kurzen Momenten des Glücks als auch in Momenten der totalen Verzweiflung verschwindet sie ganz hinter ihrer Rolle. Wir sehen und fühlen Aprils Wut, Aprils Schmerz und Aprils Einsamkeit, wenn sie suchend und hilflos in die Kamera blickt. DiCaprio wiederum bricht einmal mehr mit seinem Sunnyboy-Image. Während der äußerst lautstarken Auseinandersetzungen schreit auch er sich die Seele aus dem Leib – in einer erschreckenden Art und Weise.

Wie bei jeder Buchverfilmung müssen Kenner der Vorlage mit zahlreichen Änderungen und Abweichungen leben. Der weitestgehende Verzicht auf Rückblenden ist für den Erzählfluss sicherlich von Vorteil, manches wie Aprils einsame Kindheit, in der sie sich von ihren Eltern oftmals allein gelassen fühlte, lässt sich dagegen nur erahnen. Damit bleiben zugleich wichtige Erklärungsmuster auf der Strecke, aus denen sich ihre spätere Verzweiflung noch genauer rekonstruiere ließe.

In Erinnerung bleiben abgesehen von der beständig vorangetriebenen Eskalation jene Augenblicke, in denen der Zynismus auf die Spitze getrieben wird. Wenn der angeblich geistig-verwirrte Sohn (Michael Shannon) von Mrs. Givings (Kathy Bates), der Maklerin der Wheelers, rücksichtslos und in aller Deutlichkeit die ganze, erbärmliche Wahrheit laut ausspricht, kann einem das Lachen im Halse stecken bleiben. Die Reduzierung auf wenige Orte und wenige Wochen verleiht Zeiten des Aufruhrs zudem eine bedrohliche Enge, aus der es kein Entkommen gibt und die sich wie eine Schlinge immer enger um unseren Hals legt.

Für Programmkino.de.