Transsiberian - Die Fremden im Zug
UK/ESP/D/LIT 2008
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Zugfahrten haben heutzutage, im Zeitalter des Billig-Fliegers, etwas Nostalgisches an sich. Dabei eignen sich legendäre Routen wie die des Orient-Express mit ihrem geheimnisvollen Nimbus bestens als Bühne schauriger Kammerspiele. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der rund 9000 km langen Strecke, auf der die Transsibirische Eisenbahn zwischen Moskau und Wladiwostok verkehrt. Brad Anderson, der Christian Bale in seinem letzten Film Der Maschinist bis auf die Knochen abmagern ließ, verbindet seit einer Reise mit der Transsib eine ganz besondere Beziehung mit der wohl berühmtesten Eisenbahnstrecke der Welt. Das Ergebnis seiner Beobachtungen trägt den Titel Transsiberian und ist ein im positiven Sinn altmodischer Thriller.
Nachdem sie für eine christliche Kirche in Peking an einem Hilfsprojekt teilnahmen, entscheiden sich Roy (Woody Harrelson) und Jessie (Emily Mortimer) mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück nach Moskau und von da aus in den USA zu reisen. Schon bald machen sie dabei die Bekanntschaft eines anderen Paares. Carlos (Eduardo Noriega) und Abby (Kate Mara) sind zwei erfahrene Globetrotter, die Roy und Jessie den einen oder anderen nützlichen Tipp geben können. Dennoch kommt es bei einem kurzen Aufenthalt zu einem zunächst unerklärlichen Zwischenfall. Roy ist plötzlich verschwunden, und das obwohl Carlos ihn bei seinem Spaziergang abseits der Gleise begleitete. Jessie entschließt sich, den Zug zu verlassen und die Suche nach ihrem Freund aufzunehmen.
Gerade in seiner ersten Stunde lebt Andersons Eisenbahn-Thriller von der mysteriösen, zu gleichen Teilen behaglichen wie beklemmenden Grundstimmung, von der man sich nur zu gerne verführen lässt. Die Szenen im Zug, in denen die wodkageschwängerte Luft und die bedrohliche Enge der überfüllten Abteile den besonderen Mythos dieser Route heraufbeschwören, dürfte nicht nur auf Eisenbahnliebhaber eine starke Faszination ausüben. Dazu die Aufnahmen der tief verschneiten, sibirischen Landschaft, es scheint, als spiele der Film in einem Paralleluniversum, das – man ahnt es – sich für Roy und Jessie alsbald zu einem Labyrinth entwickeln soll.
Undurchsichtig und geheimnisvoll waren bereits Andersons letzte Arbeiten. In Der Maschinist wandelte er auf den Spuren eines gewissen David Lynch, wobei seine Geschichte sogar eine in sich schlüssige Auflösung bereithielt, was sie wiederum deutlich leichter konsumierbar machte. Dennoch zerrte die trostlose und verlorene Stimmung gehörig an den Nerven. Zumindest von der Düsternis hat sich Anderson in Transsiberian verabschiedet. Stattdessen schleichen sich immer wieder ironische Beobachtungen und Zwischentöne in den aufreizend entschleunigten Plot ein. Meist zeichnet sich der von Woody Harrelson mit einer entwaffnenden Naivität gespielte Roy für diese humoristischen Einsprengsel verantwortlich. Aber auch Thomas Kretschmann und Ben Kingsley haben als russische Drogenfahnder einen reichlich bizarren Auftritt, bei dem man sich wohl mit Absicht an ein schlampig inszeniertes B-Movie mit Steven Seagal erinnert fühlen darf.
Anderson pflegte schon immer eine Narration der kleinen Schritte. Seine Filme erfordern Zeit und Geduld, was sie nur bedingt kompatibel mit den Sehgewohnheiten eines von Hollywood-Thrillern sozialisierten Publikums macht. Selbst wenn er sich wie in Transsiberian am Ende scheinbar dem Mainstream annähert und der Logik des Action-Kinos nachgibt, will sich das Ergebnis nicht in den engen Rahmen eines auf Konsens bedachten Thrillers einfügen. Dafür spielt er einfach zu lange mit den Erwartungen des Zuschauers, die er das ein ums andere Mal mutig ins Leere laufen lässt. So klärt sich Roys Verschwinden anders auf als zunächst gedacht und auch Jessies Reaktion auf Carlos Annäherungsversuche verblüfft.
Bevor jedoch Film wie Zug auf der Zielgeraden unter lautem Getöse aus den Gleisen springen, bleiben alle Augen auf der bislang zumeist in Nebenrollen (Match Point, Lars und die Frauen) anzutreffenden Emily Mortimer gerichtet. Hier nun kann die Britin endlich beweisen, dass sie auch in der ersten Reihe eine überaus gute Figur macht. Ihre Rolle ist zugleich die komplexeste von allen. Jessie erscheint anfangs unsicher und schutzbedürftig, später dann wandelt sich dieses Bild. Und obwohl sie sich immer tiefer in die eigenen Lügen verstrickt und an der Eskalation der Ereignisse nicht ganz unschuldig ist, bleibt sie doch stets Identifikationsfigur. Durch ihre Augen erkunden wir die sibirische Fremde. Dort, wo nicht nur die handbemalten Matrjoschka-Puppen so manche Überraschung in sich tragen, zeichnet Andersson blutige Spuren in Schnee und Eis.
Für BlairWitch.
5 Comments:
Jetzt nicht persönlich nehmen, aber sind die "+++" irgendwie in deinem Template eingespeichert? Weil in 8 von 10 Fällen wenn ich eine neue Kritik von dir online sehe, erhält sie +++ von ++++ "Punkten".
nö, aber ich kann das sicherheitshalber mal checken ;)
für mich ist das einfach das äquivalent zu einem aus meiner sicht guten film, den ich aber nicht als highlight anpreisen würde.
Mhm, dann muss ich mein "Marcus"-Bild ändern. "+" ist praktisch das niedrigste was ein Murks bekommen kann und "++" dann ein enttäuschender Film. Und alles was mehr als "+++" erhält, entspricht praktisch deiner uneingeschränkten Sehempfehlung. Okay :)
jo so könnte man es zusammenfassen, wobei ich im extremfall auch "null sterne" vergeben würde (was ich auch schon getan habe)!
Und es ist ja auch irgendwo schon so, dass sich eine nicht unbedeutende Zahl von Filmen einfach automatisch im Bereich "sehenswert und gut" ansiedeln lässt. Behaupte ich jetzt einfach mal.
Anyway, kann die Kritik nur unterschreiben, denn ich habe im Grunde alles genau so wahrgenommen und empfunden wie Du. Auch die B-Movie-Anleihen beim Duo Kingsley/Kretschmann.
Ist definitiv ein empfehlenswerter Film, wenn auch aufgrund des Erzählrhythmus sicherlich für jeden.
Hab ihn sogar beim Reisen gesehen - allerdings im "modernen" Flugzeug. =)
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