Samstag, Dezember 09, 2006

Babel - The Butterfly Effect


USA/MEX 2006

++1/2

Von Kommunikationsproblemen und fatalen Missverständnissen handelt Babel, der neue Film des mexikanische Filmemachers Alejandro González Iñárritu. Das Epos markiert nach Amores Perros und 21 Gramm den Endpunkt seiner fragmentarischen Trilogie.

Die Welt ist ein Dorf. Eine Aussage, die sich immer wieder bestätigt. Wenn wir im Urlaub Tausende Kilometer von zu Hause entfernt einen Bekannten treffen, spielt unser Empfinden von Zeit und Raum verrückt. Es scheint Zufälle zu geben, an die würde man wohl kaum glauben, hätte man sie nicht selber zuvor erlebt. Von eben jenem Zusammenrücken unserer Welt und den daraus resultierenden Kommunikationsproblemen handelt Babel, der Abschluss der mit Amores Perros und 21 Gramm begonnenen Trilogie des mexikanischen Filmemachers Alejandro González Iñárritu. Wie bei seinen beiden Vorgängern setzt Inarritu auch dieses Mal auf das Konzept der dramaturgischen Dekonstruktion unterschiedlicher mit einander verflochtener Erzählstränge.

Dabei fällt der Zugang weitaus leichter, springt das Drehbuch von Guillermo Arriaga weniger ungezügelt zwischen den räumlich und inszenatorisch strikt getrennten Episoden hin und her. Zudem wurde größtenteils auf die noch in 21 Gramm anzutreffenden zeitlichen Wechsel innerhalb einer Geschichte verzichtet. Am Ende befinden wir uns zwar auch in Babel wieder am Anfang einer anderen Storyline, diese Drehbuchentscheidung bildet jedoch nur so etwas wie einen in sich stimmigen, harmonischen Rahmen, der Iñárritu und seinem Autor Arriaga einen eleganten Ausstieg aus ihrem Universum erlaubt.

Der Ausgangspunkt liegt irgendwo im karg bewohnten marokkanischen Hinterland. Zwei Kinder eines Ziegenhirten spielen unbekümmert mit einem Jagdgewehr. Sie feuern unkontrolliert einige Schüsse ab, wollen sich gegenseitig beweisen, wer von ihnen der bessere Schütze ist. Ohne sich über die Folgen ihres Handelns bewusst zu sein, nutzt einer von ihnen einen vorbeifahrenden Bus als Zielscheibe. Die Kugel trifft die amerikanische Touristin Susan Jones (Kate Blanchett), verletzt sie schwer. Ihr Mann Richard (Brad Pitt) versucht mit Hilfe des Reiseleiters in der entlegenen Gegend die so dringend benötigte ärztliche Hilfe zu organisieren. Doch politische und diplomatische Unstimmigkeiten zwischen Marokko und den USA, die den Vorfall als terroristischen Akt brandmarken, verhindern zunächst das Eintreffen derselben.

Ungefähr zur gleichen Zeit sieht sich die Kinderfrau Amelia (Adriana Barrazza) mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert. Eigentlich will sie zur Hochzeit ihres Sohnes nach Mexiko fahren, nur findet sie für die ihr anvertrauten Kinder niemand, der für sie die Betreuung übernimmt. Da macht ihr Neffe Santiago (Gael Garcia Bernal) den Vorschlag, die Kinder mit zu den Feierlichkeiten nach Mexiko zu nehmen. Auf der Einreise zurück in die USA kommt es dann zu einem folgenschweren Missverständnis. Die ungewöhnlichste, weil in Stimmung und Inhalt unspektakulärste Episode erzählt vom Schicksal eines taubstummen Mädchens in der Metropole Tokio. Chieko (Rinko Kikuchi) leidet unter ihrem Handicap und dem Selbstmord der Mutter. Da ihr Vater (Koji Yakusho) nur wenig Zeit und Zuwendung für sie aufbringt, flüchtet sie sich voller Verzweiflung in ungewöhnliche erotische Flirts.

Auch Chiekos Geschichte ist – wie sich letztlich herausstellt – auf eine beängstigende Weise mit denen der anderen Charaktere verbunden. Iñárritu illustriert mit dem so aufgespannten engmaschig gestrickten Story-Netz, das alles mit allem zusammenhängt. Das erinnert an den Flügelschlag des Schmetterlings, der eine folgenschwere Kettenreaktion auslöst. Die in Babel von Iñárritu skizzierte Globalisierung der Schicksale nimmt keine Rücksicht auf Ländergrenzen oder kulturelle Eigenarten. Sein Film macht klar: Obwohl wir immer näher zusammenrücken, uns in allen möglichen und unmöglichen Situationen begegnen, bleiben wir uns in Wahrheit fremd. Im babylonischen Sprachgewirr verliert sich das Verständnis für den anderen – auch zwischen Menschen, die eigentlich dieselbe Sprache sprechen, wie die Szenen zwischen Susan und Richard belegen. In Babel lebt jeder für sich. Bis zuletzt.

Es ist ein kulturpessimistisches Argument, das der mexikanische Filmemacher aufgreift, wobei insbesondere die Japan-Episode zusätzlich die fehlende Kommunikation zwischen Jung und Alt thematisiert. Damit fällt sie trotz der später aufgedeckten Querverbindungen etwas aus dem Rahmen. Tokio mit seinen kalten Hochhausfassaden und Neonleuchtreklamen eignet sich anscheinend wie keine andere Metropole, um die Vereinsamung und Verunsicherung einer ganzen Generation in eine filmische Form zu gießen. Das zeigte sich bereits bei Sofia Coppolas Lost in Translation. Die junge Rinko Kikuchi in der Rolle der taubstummen Chieko, ihre mutige und gefühlvolle Darstellung zählt zu den eindrucksvollsten Schauspielleistungen dieses Kinojahres. Wenn Iñárritu sie ruhelos durch das Tokioter Nachtleben schickt und der Ton in unregelmäßigen Intervallen wegbricht, so dass wir ganz in ihre Welt eintauchen können, evoziert das 142 Minuten-Drei-Kontinente-Epos seine intensivsten Momente.

Iñárritus multikulturelle Meditation leidet ansonsten unter schleichenden Abnutzungserscheinungen. Mag sein, dass sich Babels Konzept nach den beiden großen filmischen Vorgängern schlicht totgelaufen hat. Es fehlt an echten Überraschungen. In einigen Aspekten wie der musikalischen Untermalung (Stammkomponist Gustavo Santaolalla) greift Iñárritu gar auf alte Elemente zurück. Es wird spannend zu beobachten sein, welche Handschrift sein nächster Film tragen wird, ob und wie er sich weiterentwickelt. Bis dahin gibt er uns eine Konklusion mit auf den Weg, die erstmals von der berechtigten Hoffnung auf Besserung durchzogen ist. Zumindest in dieser Hinsicht unterscheidet sich Babel dann doch von seinen Vorgängern.

Für Smart Investor (in Kürze erscheinend, in gekürzter Form).

1 Comments:

Blogger Rajko Burchardt said...

Sehr schöne Besprechung, mit der ich zwar nur teilweise übereinstimme, die aber (berechtigterweise) auf Abnutzungserscheinungen hinweist.

Dezember 09, 2006 3:45 PM  

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