Mittwoch, Dezember 27, 2006

The Fountain - Völlig losgelöst


USA 2006

+++1/2

Die Kontroverse schien vorprogrammiert. Bei der Weltpremiere seines sehnsüchtig erwarteten Films The Fountain schlug Darren Aronofsky (Pi, Requiem for a Dream) in Venedig der geballte Zorn der versammelten Kritikerzunft entgegen. Mit Buhrufen und ungläubigen Staunen quittierte die Presse das mit Hugh Jackman und Rachel Weisz prominent besetzte, religiös eingefärbte Selbstfindungsdrama. Und in der Tat: Zwischen Bewunderung und vollkommenen Unverständnis dürfte kaum Platz für andere Reaktionen sein. The Fountain ist ein „Love it or leave it“.

Filmkritik:

1500, 2006, 2500. Drei Daten, drei Epochen. Für seinen neuen Film gräbt sich Regie-Wunderkind Darren Aronofsky gleich durch Tausend Jahre Menschheitsgeschichte. Mystischer Historienfilm und postmaterialischer SciFi-Trip, existenzialistisches Liebesdrama und spirituelles Erweckungserlebnis, The Fountain durchkreuzt Sehgewohnheiten und Genre-Konventionen auf eine derart radikale Weise, wie kaum ein anderer Film in jüngster Zeit.

Seziert man das dicht ineinander verzahnte und verschachtelte Bildermärchen, so bleiben die Hauptlinien dreier Fragmente übrig. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts macht sich der Konquistador Tomas (Hugh Jackman) nach Neuspanien auf, wo er im undurchdringlichen Dschungel im Auftrag der spanischen Königin Isabella (Rachel Weisz) einen sagenumwobenen heiligen Ort der Mayas aufspüren soll. Dort wird ein Baum vermutet, der ewiges Leben verheißt. In der Gegenwart forscht der Arzt Dr. Tom Verde (Jackman zum Zweiten) an einem Heilmittel gegen Krebs. In Tierversuchen hat eine nicht näher bestimmte Pflanze aus den Urwäldern Lateinamerikas bereits erstaunliche Resultate erzielt. Tom hofft, auf diese Weise auch seine geliebte Frau Izzy (Weisz) retten zu können. Fünfhundert Jahre später begibt sich der meditierende Asket Tommy (Jackman Nr.3) in einer Raumkapsel auf eine transzendentale Reise. Sein einziger Begleiter ist ein Baum.

Eine Lesart der Ereignisse drängt sich förmlich auf: Während die Handlung in der Gegenwart den realen Ausgangspunkt der Liebesgeschichte symbolisiert, entstammt der Plot um die Entdeckung des Maya-Heiligtums lediglich Izzys Fantasie. Diese hinterlässt sie Tom in Form eines unvollendeten Romans. Die Weltraum-Szenen können wiederum als Toms Pfad zur Erleuchtung gedeutet werden. Die Qualität von Aronofskys Film liegt letztlich darin, dass sich jeder Zuschauer seine ganz eigene Erklärung zusammenstellen kann.

Egal, was man auch als Gesamtkonzept von The Fountain halten mag, dafür, dass sich Aronofsky traut, mit den Gesetzen der Narration und der Sehgewohnheiten des Publikums auf eine derart radikale Weise zu brechen, gebührt ihm ehrliche Anerkennung und Respekt. Auch mit einem von ursprünglich 70 auf dann 35 Mio. Dollar reduzierten Budget und ohne den Weltstar Brad Pitt stemmte der junge New Yorker Filmemacher das sperrige Drama über die großen ewigen Themen der Menschheitsgeschichte.

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wollen wir unsterblich sein? Was ist das Wesen der Liebe? All diese Fragen verpackt Aronofsky in eine so noch nie da gewesene Form. Die entfesselte Kamera von Matthew Libatique und das eingängige zu gleichen Teilen monumentale wie sanfte Grundthema von Aronofskys Stammkomponisten Clint Mansell, der bei der Vertonung wie schon bei Requiem for a Dream auf die Streicher des Kronos Quartetts zurückgriff – dieses Mal ergänzt um die schottische Rockgruppe Mogwai – lassen den gesamten Film in einem seltsamen Zustand der Schwerelosigkeit eintreten, dessen Sogwirkung auch abseits des Mainstreams seinesgleichen sucht. Hugh Jackman und Rachel Weisz verkörpern in dieser universalen Geschichte das Liebespaar jenseits aller Gebilde aus Zeit und Raum. Beide Schauspieler zeigen die besten Leistungen ihrer gesamten Karriere. Zu keiner Zeit verlieren sie die Kontrolle über die emotionalen Herausforderungen, die der Stoff ihnen abverlangt. Vor allem Weisz beeindruckt mit ihrer souveränen Darstellung der todkranken Izzy.

Es wundert nicht, dass Aronofskys Film in die Nähe von Stanley Kubrick und dessen SciFi-Klassiker 2001- Odyssee im Weltall gerückt wird. Auch in The Fountain umgibt die Weltraum-Sequenzen eine seltsame Entrücktheit und faszinierende Ästhetik. Viel nahe liegender erscheint jedoch ein Vergleich mit Wong Kar-weis gleichsam melancholischen 2046. Beide Geschichten vereinen eine elaborierte Bildsprache mit einem über mehrere Zeitebenen verwobenen Plot, der von den Lebens- und Leidenserfahrungen um die große Liebe erzählt. Aronofskys Werk wohnt dabei eine besonders Trost spendende Botschaft inne: Aus der Erkenntnis, dass ein Aufbegehren gegen den Tod zwecklos ist, und man letztlich wieder zu einem Teil der Natur wird, kann ein innerer Frieden entstehen, der einem die Angst vor einem Ausscheiden aus dieser Welt nimmt.

Für Programmkino.de.