Apocalypto - Ihr Blut soll fließen...
USA 2006
+++1/2
Mel Gibson kann auch anders. Sein Apocalypto ist eine meisterlich fotografierte Abenteuer-Hatz, die albtraumhafte Bilder mit einer schlichten Überlebensdramaturgie vereint. Scheuklappen abnehmen und auf ins Kino.
Was gäbe es nicht alles über Mel Gibson nach seinen Alkoholexzessen, anti-semitischen Ausfallerscheinungen und der anschließenden öffentlichen Beichte zu kommentieren. Auch das christlich-fundamentalistische Weltbild des Ultra-Konservativen böte genügend Angriffsfläche für mit erhobenem Zeigefinger geführte „So aber nicht!“-Diskussionen. Schiebt man all diesen Ballast zu Seite, so wird man nicht umhin können, ihm Respekt und Anerkennung für sein neues Werk Apocalypto zollen zu müssen.
Natürlich finden sich auch in Apocalypto Ingredienzien, die einem übel aufstoßen können, wenn man mit Gibsons Vita im Hinterkopf, die berauschende Bilderflut durchkämmt. Allen voran hinterlassen die wie schon in Die Passion Christi exzessiv eingesetzten Gewalt- und Folterdarstellungen einen zwiespältigen Eindruck. Und das angestimmte Lied auf die Familie als Keimzelle des Glücks besitzt, wenn es von religiösen Fanatikern vorgetragen wird, stets einen faden Beigeschmack, der in diesem Fall jedoch unangebracht ist. Denn das Gibson für traditionelle Werte eintritt, dürfte längst bekannt sein, weshalb von seinen Filmen wohl kaum die Gefahr einer Missionierung ausgeht. Kurz gesagt: Der Zuschauer weiß, mit wem er es zu tun hat.
Als Schauplatz für sein Spektakel wählte Gibson den mexikanischen Dschungel, wo er nahe den historischen Stätten den beginnenden Zerfall der Maya-Hochkultur inszenierte. Seine zentrale bei dem amerikanischen Philosophen William Durant entlehnte These stellt er dabei dem Film voran: "Eine große Zivilisation lässt sich nur von außen erobern, wenn sie sich von innen schon selbst zerstört hat.“ Um die Illusion einer gewissen Authentizität zu gewährleisten – in zahlreichen Details dürften für Laien nicht erkennbare Abweichungen von den gesicherten Quellen vorgenommen worden sein – sprechen sämtliche Darsteller Yuactec, den wichtigsten Maya-Dialekt, der auf der Yucatán-Halbinsel noch heute verbreitet ist.
Wir bekommen die Geschichte von „Pranke des Jaguars“ (Rudy Youngblood) erzählt. Der junge Krieger, ein treu sorgender Familienvater und künftiger Stammesführer, lebt in einem kleinen Dorf, eigentlich einer Idylle, bis eines Tages feindliche Krieger über die Bewohner herfallen und sie verschleppen. Es beginnt eine strapaziöse und gefährliche Odyssee durch den Dschungel. Am Ziel angekommen, müssen „Pranke des Jaguars“ und die Seinen feststellen, dass sie als Menschenopfer auf dem Altar landen sollen. Wie unzählige vor ihnen, werden die Priester ihnen das Herz aus der Brust schneiden, ihren Kopf den Tempel herunterrollen lassen und ihre Körper dann in einem Massengrab entsorgen.
Gibson inszeniert diesen im Grunde genommen simplen Plot mit einer Dynamik und dem Gespür für die richtige Einstellung zur rechten Zeit, dass man als Zuschauer aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Mit Kameramann Dean Semler (Der mit dem Wolf tanzt) schuf der streitbare Hollywood-Star ein Kinoerlebnis, was diesen Namen wahrlich verdient. Im Unterschied zu vielen Filmemachern, die nicht einmal im Ansatz die Möglichkeiten des Mediums nutzen, erwartet einen in Apocalypto ein Rausch, der süchtig macht. Die Bild- und Tonkulisse hinterlässt den Eindruck, als ob der mexikanische Regenwald kurzerhand in den Kinosaal verlegt wurde. Mittendrin statt nur dabei. Es knirscht im Unterholz, Vögel zwitschern, Laute, die sich nicht eindeutig identifizieren lassen und schon im nächsten Moment schwillt James Horners passender Ethno-Score bedrohlich an.
Insgesamt legt der Film ein Tempo vor, das mit Ausnahme der stimmigen Exposition in Jaguars beschaulichem und überblickbarem Heimatdorf kein Pardon kennt. Weder für die Protagonisten, noch für den Zuschauer. Die glücklicherweise sehr präzise und dennoch dynamische Kameraführung zieht uns tief hinein in diese fremde, archaisch anmutende Welt der Menschenopfer, mysteriösen Riten und Gebräuche. Ein bisschen ist das immer auch mit einer Geisterbahnfahrt im Vergnügungspark vergleichbar. Denn obwohl Gibson mit anerkannten Maya-Experten zusammenarbeitete, wird man das Gefühl nicht los, dass die Brutalität der Opferzeremonien und im Kampf Mann gegen Mann etwas zu kalkuliert für den kurzen Thrill ausgebeutet wird. Es trifft vermutlich zu, Apocalypto als ein Genre-Beitrag zu klassifizieren, als ein gnadenloses Horror-Jump’n’Run-Abenteuer, das seinen Helden – Analogien zu Die Passion Christi sind diesbezüglich nicht von der Hand zu weisen – unmenschliche Torturen auferlegt und uns die ein oder andere schlaflose Nacht bescheren dürfte.
Die Schilderung der Leiden Jesu wandelte Gibson zu einer einzigen widerwärtigen Splatter-Show um, die aufgrund ihrer weitestgehenden Ausblendung anderer Passagen des Evangeliums eine gefährliche Schieflage und verzerrte Darstellung des christlichen Glaubens aufwies. Nur Opfer, nur Leiden, nur Schmerz. Zwar bedient Apocalypto ähnliche Muster, weil diese allerdings nicht länger für sich isoliert stehen, sondern mit dem Schicksal eines für seine Familie bedingungslos kämpfenden Mannes verknüpft werden, geht von ihnen keine derart verheerende Wirkung aus. Zudem arbeitet sich der Film nicht an einem religiösen Text ab.
Mit „Pranke des Jaguars“ stellt Gibson einen jungen Krieger in das Zentrum der Handlung, mit dem eine Identifikation leicht fällt. Ihn treibt kein Heldenmut, eher das Gegenteil. Für seine Frau, für seinen Sohn und das noch ungeborene Kind überwindet er die Angst, die ihn zunächst beherrscht. Die Umschnitte zwischen seiner Flucht und der in einem Erdloch gefangenen Familie führt Gibson reichlich grobschlächtig durch. Da zeigt sich, dass er kein Visionär sondern vielmehr ein solider Handwerker ist. Aber auch letzteres will gekonnt sein. Die Darstellung der geistigen Elite der Mayas als unersättlicher, korrupter, dekadenter Haufen, die rücksichtslos Natur und Volk ausbeuten, ist ein klarer politischer Fingerzeig. Unmissverständlich beziehen der Film und sein Regisseur Stellung. Dass Gibson damit auch gegen die Neokonservativen im Weißen Haus schießt, mag überraschend sein. Viel überraschender ist jedoch, dass er mit dem Ausgang der Geschichte und dem aufgezeigten Anfang vom Ende der Maya-Kultur bei Charles Darwin landet und dessen evolutorischer Theorie vom „Survival of the Fittest“. Ein Schock für alle Kreationisten.
Für evolver.
+++1/2
Mel Gibson kann auch anders. Sein Apocalypto ist eine meisterlich fotografierte Abenteuer-Hatz, die albtraumhafte Bilder mit einer schlichten Überlebensdramaturgie vereint. Scheuklappen abnehmen und auf ins Kino.
Was gäbe es nicht alles über Mel Gibson nach seinen Alkoholexzessen, anti-semitischen Ausfallerscheinungen und der anschließenden öffentlichen Beichte zu kommentieren. Auch das christlich-fundamentalistische Weltbild des Ultra-Konservativen böte genügend Angriffsfläche für mit erhobenem Zeigefinger geführte „So aber nicht!“-Diskussionen. Schiebt man all diesen Ballast zu Seite, so wird man nicht umhin können, ihm Respekt und Anerkennung für sein neues Werk Apocalypto zollen zu müssen.
Natürlich finden sich auch in Apocalypto Ingredienzien, die einem übel aufstoßen können, wenn man mit Gibsons Vita im Hinterkopf, die berauschende Bilderflut durchkämmt. Allen voran hinterlassen die wie schon in Die Passion Christi exzessiv eingesetzten Gewalt- und Folterdarstellungen einen zwiespältigen Eindruck. Und das angestimmte Lied auf die Familie als Keimzelle des Glücks besitzt, wenn es von religiösen Fanatikern vorgetragen wird, stets einen faden Beigeschmack, der in diesem Fall jedoch unangebracht ist. Denn das Gibson für traditionelle Werte eintritt, dürfte längst bekannt sein, weshalb von seinen Filmen wohl kaum die Gefahr einer Missionierung ausgeht. Kurz gesagt: Der Zuschauer weiß, mit wem er es zu tun hat.
Als Schauplatz für sein Spektakel wählte Gibson den mexikanischen Dschungel, wo er nahe den historischen Stätten den beginnenden Zerfall der Maya-Hochkultur inszenierte. Seine zentrale bei dem amerikanischen Philosophen William Durant entlehnte These stellt er dabei dem Film voran: "Eine große Zivilisation lässt sich nur von außen erobern, wenn sie sich von innen schon selbst zerstört hat.“ Um die Illusion einer gewissen Authentizität zu gewährleisten – in zahlreichen Details dürften für Laien nicht erkennbare Abweichungen von den gesicherten Quellen vorgenommen worden sein – sprechen sämtliche Darsteller Yuactec, den wichtigsten Maya-Dialekt, der auf der Yucatán-Halbinsel noch heute verbreitet ist.
Wir bekommen die Geschichte von „Pranke des Jaguars“ (Rudy Youngblood) erzählt. Der junge Krieger, ein treu sorgender Familienvater und künftiger Stammesführer, lebt in einem kleinen Dorf, eigentlich einer Idylle, bis eines Tages feindliche Krieger über die Bewohner herfallen und sie verschleppen. Es beginnt eine strapaziöse und gefährliche Odyssee durch den Dschungel. Am Ziel angekommen, müssen „Pranke des Jaguars“ und die Seinen feststellen, dass sie als Menschenopfer auf dem Altar landen sollen. Wie unzählige vor ihnen, werden die Priester ihnen das Herz aus der Brust schneiden, ihren Kopf den Tempel herunterrollen lassen und ihre Körper dann in einem Massengrab entsorgen.
Gibson inszeniert diesen im Grunde genommen simplen Plot mit einer Dynamik und dem Gespür für die richtige Einstellung zur rechten Zeit, dass man als Zuschauer aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Mit Kameramann Dean Semler (Der mit dem Wolf tanzt) schuf der streitbare Hollywood-Star ein Kinoerlebnis, was diesen Namen wahrlich verdient. Im Unterschied zu vielen Filmemachern, die nicht einmal im Ansatz die Möglichkeiten des Mediums nutzen, erwartet einen in Apocalypto ein Rausch, der süchtig macht. Die Bild- und Tonkulisse hinterlässt den Eindruck, als ob der mexikanische Regenwald kurzerhand in den Kinosaal verlegt wurde. Mittendrin statt nur dabei. Es knirscht im Unterholz, Vögel zwitschern, Laute, die sich nicht eindeutig identifizieren lassen und schon im nächsten Moment schwillt James Horners passender Ethno-Score bedrohlich an.
Insgesamt legt der Film ein Tempo vor, das mit Ausnahme der stimmigen Exposition in Jaguars beschaulichem und überblickbarem Heimatdorf kein Pardon kennt. Weder für die Protagonisten, noch für den Zuschauer. Die glücklicherweise sehr präzise und dennoch dynamische Kameraführung zieht uns tief hinein in diese fremde, archaisch anmutende Welt der Menschenopfer, mysteriösen Riten und Gebräuche. Ein bisschen ist das immer auch mit einer Geisterbahnfahrt im Vergnügungspark vergleichbar. Denn obwohl Gibson mit anerkannten Maya-Experten zusammenarbeitete, wird man das Gefühl nicht los, dass die Brutalität der Opferzeremonien und im Kampf Mann gegen Mann etwas zu kalkuliert für den kurzen Thrill ausgebeutet wird. Es trifft vermutlich zu, Apocalypto als ein Genre-Beitrag zu klassifizieren, als ein gnadenloses Horror-Jump’n’Run-Abenteuer, das seinen Helden – Analogien zu Die Passion Christi sind diesbezüglich nicht von der Hand zu weisen – unmenschliche Torturen auferlegt und uns die ein oder andere schlaflose Nacht bescheren dürfte.
Die Schilderung der Leiden Jesu wandelte Gibson zu einer einzigen widerwärtigen Splatter-Show um, die aufgrund ihrer weitestgehenden Ausblendung anderer Passagen des Evangeliums eine gefährliche Schieflage und verzerrte Darstellung des christlichen Glaubens aufwies. Nur Opfer, nur Leiden, nur Schmerz. Zwar bedient Apocalypto ähnliche Muster, weil diese allerdings nicht länger für sich isoliert stehen, sondern mit dem Schicksal eines für seine Familie bedingungslos kämpfenden Mannes verknüpft werden, geht von ihnen keine derart verheerende Wirkung aus. Zudem arbeitet sich der Film nicht an einem religiösen Text ab.
Mit „Pranke des Jaguars“ stellt Gibson einen jungen Krieger in das Zentrum der Handlung, mit dem eine Identifikation leicht fällt. Ihn treibt kein Heldenmut, eher das Gegenteil. Für seine Frau, für seinen Sohn und das noch ungeborene Kind überwindet er die Angst, die ihn zunächst beherrscht. Die Umschnitte zwischen seiner Flucht und der in einem Erdloch gefangenen Familie führt Gibson reichlich grobschlächtig durch. Da zeigt sich, dass er kein Visionär sondern vielmehr ein solider Handwerker ist. Aber auch letzteres will gekonnt sein. Die Darstellung der geistigen Elite der Mayas als unersättlicher, korrupter, dekadenter Haufen, die rücksichtslos Natur und Volk ausbeuten, ist ein klarer politischer Fingerzeig. Unmissverständlich beziehen der Film und sein Regisseur Stellung. Dass Gibson damit auch gegen die Neokonservativen im Weißen Haus schießt, mag überraschend sein. Viel überraschender ist jedoch, dass er mit dem Ausgang der Geschichte und dem aufgezeigten Anfang vom Ende der Maya-Kultur bei Charles Darwin landet und dessen evolutorischer Theorie vom „Survival of the Fittest“. Ein Schock für alle Kreationisten.
Für evolver.
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