Mittwoch, Juni 18, 2008

Julia - Die Tilda Swinton-Show


F/USA/MEX/BEL 2008

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Die frisch gebackene Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton drückt mir ihrer einnehmenden und mutigen Darstellung der Alkoholikerin Julia Erick Zoncas gleichnamigen Genre-Zwitter von der ersten Minute an ihren Stempel auf. Was als das Portrait einer verzweifelten und rastlosen Frau beginnt, entwickelt sich schnell zu einem abenteuerlichen Entführungs-Thriller, dem es bei aller visuellen Klasse an einem klaren inhaltlichen Fokus und einer nachvollziehbaren Geschichte mangelt.

Filmkritik:

Mit Anfang 40 ist Julia (Tilda Swinton) in einer Sackgasse angekommen. Dem Alkohol verfallen, durchlebt sie exzessive Party-Nächte, zu denen nicht selten auch One-Night-Stands gehören. Nachdem sie ihren Job verliert, weiß sie endgültig nicht mehr, wie es weitergehen soll. Nur ihr alter Freund Mitch (Saul Rubinek) hält in dieser Situation noch zu ihr. Allerdings knüpft er seine Unterstützung an eine Bedingung: Julia soll regelmäßig die Treffen der Anonymen Alkoholiker besuchen, um sich über ihre Sucht und deren Folgen klar zu werden. Eher widerwillig geht sie auf Mitchs Forderung ein.

Bereits während des ersten Treffens lernt sie Elena (Kate del Castillo) kennen. Die junge Frau ist nicht minder verzweifelt. Weil der Schwiegervater, ein schwerreicher Industrieller, ihren Sohn Tom (Aidan Gould) zu sich genommen hat, schmiedet Elena einen verwegenen Entführungsplan. Dabei soll Julia ihr helfen, das Kind der Obhut des Großvaters zu entreißen. Anfangs will Julia von diesem Vorhaben nichts wissen. Als sie jedoch erfährt, dass auch zwei Millionen Dollar auf dem Spiel stehen, willigt sie schließlich in den Plan ein. „Was habe ich eigentlich noch zu verlieren?“ fragt sie sich. Die Antwort hierauf fällt für sie eindeutig aus.

Als Julia auf der diesjährigen Berlinale seine Weltpremiere feierte, schlug Eric Zoncas radikalem Frauen-Portrait Bewunderung wie Ablehnung entgegen. Nur in einem waren sich die versammelten Pressevertreter einig: Tilda Swinton spielt die Rolle ihres Lebens. Die vor kurzem für ihren Part in dem Polit-Thriller Michael Clayton mit dem Oscar ausgezeichnete Britin zeigt auf höchst eindrucksvolle Art, wieso sie zu den größten Schauspielern ihrer Generation gezählt werden darf. Kaum eine Szene in Julia kommt ohne sie aus. Zuweilen scheint die Kamera förmlich an ihren Lippen zu kleben. Ihre unglaubliche Präsenz, ihre Fähigkeit, Julias Irrationalität, ihren Egoismus und Leichtsinn in jedem Moment spürbar werden zu lassen, hebt den Film auf ein Niveau, das dieser abseits seiner grandiosen Hauptdarstellerin nicht halten kann.

Zonca wandelt mit seinem unangepassten Frauen-Portrait erkennbar auf den Spuren eines John Cassavates (die Parallelen zu einem Film wie Gloria sind nicht zu übersehen). Doch allein aus dieser Analogie erwächst noch kein Werk, das einen als Zuschauer fesseln oder gar mit Haut und Haar verschlingen würde. So angenehm es ist, die Arbeit eines Filmemachers zu betrachten, der sich moralisch nicht über seinen Protagonist erhebt, der dessen Schwächen zeigt, ohne sie gleich zu verurteilen, so sehr krankt sein Mix aus Sucht-Drama, Road Movie, Film Noir und Entführungs-Thriller an der eigenen Unentschlossenheit. Man hätte gerne mehr über Julias Vergangenheit erfahren, über ihre Beziehung zu Mitch und über das Leben, das bereits hinter ihr liegt. Stattdessen stolpert Julia von einer aberwitzigen und unglaubwürdigen Situation zur nächsten, wobei das Hickhack um die Entführung des kleinen Tom kein Ende zu nehmen scheint. Selbst die stilvollen Aufnahmen der kalifornisch-mexikanischen Wüste können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Zoncas Genre-Zwitter letztlich nicht allzu viel zu erzählen hat.

Für Programmkino.de.