Lord of War - Das Ringen nach Luft
Lord of War USA 2005
+++1/2
Die Welt ist furchtbar, schlecht und ungerecht. Wer da jetzt noch widersprechen will, hat höchstwahrscheinlich noch nicht Andrew Niccols „Lord of War“ gesehen. Auch wenn der Film keine dokumentarische Exaktheit für sich beansprucht, ist der Fall des zwielichtigen Waffenhändlers keinesfalls der Phantasie eines Filmemachers entsprungen. In weiten Teilen orientierte sich Niccol an der Biographie des Tadschiken Viktor Bout. 1992 stieg dieser in den Waffenhandel ein. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gierten viele korrumpierbare Generäle auf einen lukrativen Nebenverdienst, in dem sie Waffen, Munition und ganze Panzer aus Armeebständen unter der Hand verkauften. Abnehmer waren gerissene Geschäftsleute wie Bout, die das Material vornehmlich an afrikansiche Diktatoren weiterverscherbelten. Bout wird seit 2002 von Interpol gesucht. Zurzeit soll der Mann, dem u.a. Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida nachgesagt werden, in Russland untergetaucht sein.
In „Lord of War“ verkörpert Hollywood-Star Nicolas Cage den Exil-Ukrainer Yuri Orlov, der das Geschäft mit der „grauen Ware“ perfektioniert hat. Immer wieder trickst er seine Verfolger wie den Interpol-Agenten Jack Valentine (Ethan Hawke) aus. Er ist nicht zu fassen, obwohl jeder genau weiß, dass Yuri illegale Waffentransporte rund um den Globus organisiert. Das Geheimnis seines Erfolgs: gute Kontakte bis in die höchsten Führungsebenen von Militär und Politik. Nur seine Frau, die gescheiterte Schauspielerin Ava Fontaine (Bridget Moynahan), will die blutige Wahrheit hinter einem Leben in Luxus nicht wahr haben.
Von der ersten Einstellung und Cages Frontalmonolog in Richtung des Publikums schlägt „Lord of War“ einen bitterbösen, zynischen Ton an, der keinen Zweifel aufkommen läst, wer in diesem schmutzigen Spiel am Ende als Sieger das Feld verlassen wird. Natürlich siegen die „Good Guys“ nur in Wohlfühlfilmchen ohne Realitätsbezug, in Wirklichkeit kommen sie, analog zu dem Duell zwischen Hase und Igel, immer einen Schritt zu spät. Den entscheidenden Schritt. Und auch eine alte Weisheit des Kinos und der Kunst im Allgemeinen bestätigt Niccols Anklage an den allzu naiven Gutmenschen: Der Böse besitzt die weitaus interressantere Persönlichkeit. Es grenzt fast schon an die Wirkung einer doppelten Dosis Valium, wie langweilig Ethan Hawke hier als ehrgeiziger Interpol-Agent auf den Plan tritt. Je mehr er Yuri vermeintlich unter Druck setzt, desto kreativer wird dieser die sorgsam angezogenen Daumenschrauben wieder lösen können bis ihm am Ende dann sogar….Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Das lässt sich nur im Kino erfahren und erleben.
Wenn Niccol seinen cleveren Schurken in Nadelstreifen bei den unzähligen Reisen quer durch Russland und Afrika begleitet, unterlegt er dies gerne mit Feel Good-Musik oder angenehmen Ethnoklängen. Perfide, bedenkt man, wie im Hintergrund die Despoten und Sadisten die eigene Bevölkerung als Geisel nehmen und nach Belieben unschuldige Menschen hinrichten lassen. Eigentlich sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass diese Unrechtsregime die Waffen nicht zur Ausstattung eines Pazifismus-Museums benötigen, aber dennoch treffen uns die Bilder, in denen wir mitansehen müssen, wie marodierenden Milizen Frauen und Kinder massakrieren. Yuris dem Drogenwahn verfallender jüngerer Bruder Vitaly (Jared Leto) fleht ihn in einem seiner wenigen klaren Momente an, das Leben dieser Menschen gegen die Profite aus dem Waffenhandel einzutauschen. Doch Yuri, entgegen unseren Erwartungen, knickt nicht ein. Wenn er diesen Job nicht macht, dann macht ihn halt ein anderer. So nüchtern kann man diese Angelegneheit betrachten. Und dann ist es halt besser, wenn man selber die goldene Ernte einfährt.
Die Vermischung von tief schwarzem Humor, meistens verpackt in genialen Onelinern, und schockierenden Bildern von menschlichem Leid, verstümmelten Kindern und den heruntergekommensten Stadtvierteln in irgendwelchen Dritte Welt-„Hauptstädten“ erzeugt ein beklemmendes Gefühl, das zwischen Entsetzen und Fassungslosigkeit oszilliert. Ganz ähnlich erging es mir bei Hubert Saupers Dokumentation „Darwins Albtraum“ (für den Oscar nominiert). Verdrängen nützt nichts mehr, wenn solche Bilder die Netzhaut erreichen. Niccol, der auch das Drehbuch verfasste, vollführt mit „Lord of War“ einen Tanz auf der Rasierklinge. Sich mit (schwarzem) Humor einem Thema wie dem illegalen Waffenschmuggel zu nähern und von der Skrupellosigkeit der wahren Strippenzieher zu berichten, läuft Gefahr, damit den falschen Ton zu treffen. Doch hier hat der Humor auch eine unterstützende Funktion. Er potentiert die Absurditäten dieser Machenschaften, weil er eine zu direkte Anteilnahme an Yuris Gefühlswelt nicht zulässt und so unserer Ratio mehr Raum zugesteht, als dies in einem klassischen Drama zum gleichen Thema der Fall wäre. Lachen befreit, lautet eine Volksweisheit, hier schnürt das Lachen ein, was richtig ist.
Erstaunlich welche Bandbreite brisanter Themen Andrew Niccol immer wieder in seinen Filmen verpackt. Angefangen von dem Recht auf Selbstbestimmung in Zeiten der totalen Medialisierung („Die Truman Show“, als Drehbuchautor) über die Frage was uns Menschen noch von einer computergenerierten Pixelmasse unterscheidet („S1m0ne“) bis hin zu einer erschreckend realen von der Gentechnik beherrschten Zukunftsvision („Gattaca“), deutlich wird, Niccol ist ein wahrer Meister seines Fachs. Mit „Lord of War“ hat er uns ein neues beängstigendes Kunstwerk auf die Leinwand gezaubert.
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei kino.de.
4 Comments:
Da ist sie also, Deine angekündigte Filmbesprechung. *g*
Zustimmen kann ich Dir, was den schwarzen Humor angeht. Der war zum Teil wirklich sehr gut. Auch Deine Ausführungen zu den Realitätsbezügen finden meine Zustimmung - wenngleich man sagen muss, dass die Personen überhöht charakterisiert und die Ereignisse üperspitzt dargestellt werden.
Meine Kritikpunkte an LORD OF WAR haste ja schon in meinem Blog vernommen, deshalb wiederhole ich sie jetzt auch nicht. Sehe den Film insgesamt etwas schwächer als Du, halte ich aber für sehenswert.
Widersprechen muss ich Dir eigentlich nur, was das "Erschüttern" angeht. Erschüttert oder mirgenommen haben mich die dramatischen Teile dieses Films nicht, so wie sie inszeniert wurden. Erschütternd sind nur die realen Ereignisse, die dahinter stehen, nicht aber der Film an sich. Und das ist ein großer Unterschied.
Auch was die Relevanz angeht, würde eher sagen, dass LORD OF WAR ein Unterhaltungsfilm mit ernsten Zwischentönen ist. Eine so große Relevanz wie Du würde ich dem Film jetzt nicht unbedingt attestieren. Dass der Mensch grausam zu seinesgleichen ist, war ja auch vorher bekannt.
Ach ja, nett formulierter Text übrigens. :-)
mich haben die bilder durchaus erschüttert, vielleicht nicht ganz so stark wie in der von mir erwähnten doku "darwins albtraum", die keinen unterhaltungsaspekt aufweist. aber die szene als z.b. die banden über das kleine kind und die mutter herfallen ist schon starker tobak, auch wenn explizit nicht viel gezeigt wird. oder auch schon die szene ganz zu beginn, als die kugel ihr ziel im kopf eines kindersoldaten (?) findet.
natürlich will "lord of war" unterhalten, was ihm auch gelungen ist. dabei transportiert er aber en passent ein politisch höchst brisantes szenario. beides muss sich für mich also nicht ausschließen.
Schon klar, dass sich das nicht ausschließen muss, aber ich empfand LORD OF WAR eher als Unterhaltungsfilm, der sich ab und zu mehr schlecht als recht an dramatischen Einlagen versucht. Das Gesamtbild empfand ich nicht ganz so stimmig wie Du. Aber das liegt vielleicht nur an meiner persönlichen Wahrnehmung. :-)
sehr guter aber auch informativer film. das intro ist ja wohl eines der besten die ich kenne. allerdings ist er (leider) näher an der realität als man denkt. hochbrisantes thema
hier noch eine weitere gute kritik zu dem film:
http://www.res-dead.de/dailydead/lord_of_war_-_h%E4ndler_des_todes
Kommentar veröffentlichen
<< Home