Die Zeit, die bleibt - Jeder stribt für sich alleine
F 2005
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Irgendwie ist es bezeichnend, wenn man als Zuschauer unmittelbar nach Ansicht von Francois Ozons neuestem Film zunächst über die Doppeldeutigkeit des Titels nachdenkt, anstatt mit Haut und Haar das Gesehene rekapitulieren zu wollen. Das Verb „bleiben“ besitzt, genauso wie sein französisches Pendant „rester“ im Originaltitel „Le Temps, qui reste“, eine gewisse Ambivalenz. Wenn wir die Geschichte eines jungen Mannes erzählt bekommen, der erfährt, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, dann kann diese Zeit, die „bleibt“ zweierlei bedeuten: Zum einen steht sie für die wenigen kostbaren Momente, die dieser Mann noch erleben darf. Gleichzeitig kann auch eine ganz andere Zeit gemeint sein, nämlich die, die in einem und in den anderen zurückbleibt. Das mögen Erinnerungen an die Kindheit, an die Pubertät, das Elternhaus oder an enge Freunde sein und vice versa Erinnerungen all jener Menschen an einen selbst, der erfahren hat, dass er schon mit Anfang 30 sterben muss.
Romain (Melvil Poupaud) heißt der Protagonist bei Ozon. Er ist Modefotograph, arrogant, nicht besonders liebenswert, ein Hedonist, kokssüchtig und einsam. Als ihn die Diagnose Krebs im Endstadium erreicht, beschließt er nicht kämpfen zu wollen, weil die Aussichten auf eine Heilung einfach zu gering sind. Zunächst gibt er sich cool, gelassen, doch als er dann alleine im Park sitzt und in die anderen scheinbar sorglosen Gesichter seiner Mitmenschen blickt, zerfällt der Schock in Trauer und Wut. Er bringt es nicht fertig, seinem Freund Sasha (Christian Sengewald) oder seinen Eltern die Diagnose zu übermitteln. Nur seiner Großmutter (Jeanne Moreau) vertraut er sich an. Bei ihr darf er endlich einmal schwach und egoistisch sein, so wie er wirklich ist. Hinter der gestylten Fassade steckt immer noch der kleine Romain, der sich das Glück seiner Kindheit zurückwünscht. Wie es der Zufall so will, trifft Romain auf einer Autobahnraststätte eine Kellnerin (Valeria Bruni-Tedeschi), die ihm ein ungewöhnliches Angebot machen soll.
Mit „Die Zeit, die bleibt“ setzt Regie-Wunderkind Ozon nach „Unter dem Sand“ seine Trilogie über das Sterben fort. Kennzeichnend ist sein leicht distanzierter Blick auf die Dinge, welcher schon das Ehe-Drama „5x2“ durchzog. Filme über den Tod, besonders dann, wenn sich ein Mensch mit diesem konfrontiert sieht, der eigentlich noch nicht einmal die Hälfte seines Lebens gelebt hat, driften mitunter schnell in manipulierende Melodramatik und religiös eingefärbten Kitsch ab. Unter beiden litt zuletzt Isabel Coixets „Mein Leben ohne mich“. Nicht so bei Ozon. So wie Romain die Welt per Kameraobjektiv immer auf Distanz zu sich hielt, bleibt auch Ozon stets auf einem vordefinierten Abstand zu seinem Protagonisten. Das schließt nicht aus, daß einige Szenen sehr intim wirken. Eher aus Respekt und vielleicht auch aus Angst, womöglich doch in die Sentimentalitätsfalle zu tappen, wählt Ozon diesen Blickwinkel.
Wieder einmal arbeitet der Regisseur bei der Bildästhetik mit unterschiedlichen Schärfen und Perspektiven. Entweder wir sehen nur Romain im Hintergrund, wie er eine Szenerie beobachtet, oder wir sehen ihn unscharf, verschwommen, während sich die Kamera auf die Ereignisse im Vordergrund fokussiert. Das schafft eine Anspannung, die mit Worten nicht zu erzeugen wäre. Es ist Romains Einsamkeit, die bewegt. So wie er über den Großteil seines Lebens alleine war, so allein ist er auch auf diesem letzten Weg. Die einzige, die dies erkennt, ist seine Großmutter. Als Konsequenz erlaubt er sich ehrlich zu sein, gegenüber seinem Freund, gegenüber seiner Familie, mit der bitteren Ironie, dass er gerade die Nachricht seiner Krankheit für sich behält.
Der Strand als Ausgangs- und Endpunkt der Story findet sich auch in diesem Ozon wieder. Für ihn symbolisiert dieser Schauplatz auch den Anfang und das Ende unseres Seins. Die Bilder der Schlußeinstellung üben dabei eine Faszination aus, die fast schon suggestiv unsere Sehnsüchte abarbeitet. Zusammen mit der Szene im Park, in der Romain mit seiner entfremdeten Schwester telefoniert, sind sie die emotionalen Höhepunkte in einem ansonsten kühl und unsentimental konzipierten Werk. Dies stellt keine Kritik dar, es soll vielmehr ausdrücken, was sich der Zuschauer von „Die Zeit, die bleibt“ möglichst nicht erwarten darf. Dafür gibt es schließlich die Dramen von Stephen King. Interessant ist, was mit den Fotos geschieht, die Romain gemacht hat. Wenn diese seine Familie erreichen, ist er bereits tot. Sie sind sein Vermächtnis.
Der bislang eher unbekannte Mevil Poupaud und die Grand Dame der Nouvelle Vague Jeanne Moreau liefern Darstellerleistungen ab, die jeden Film veredeln würden. Poupaud muss den schauspielerischen Drahtseilakt zwischen einer im Einsturz befindlichen Selbstschutzfassade und der knallharten Konfrontation mit den Realitäten überstehen, was ihm eindrucksvoll gelingt. In dem schönen modelltypischen Gesicht bricht immer wieder die reine Angst vor dem Sterben und die Enttäuschung über ein über weite Strecken unglückliches Leben hervor. Von Jeanne Moreau hätte ich gerne mehr gesehen. Ihre Leinwandpräsenz beschränkt sich auf wenige Minuten, welche dafür die Atmosphäre einer lange zurückliegenden großen Kino-Ära atmen.
Wie eingangs bereits angedeutet liegt die Qualität von Ozons Film darin, dass wir anhand einer Chronik der letzten Wochen im Leben eines nicht unbedingt sympathisch gezeichneten Charakters beginnen über uns selbst zu reflektieren. Wie würde sich jeder von uns in dieser Ausnahmesituation verhalten? Würden wir die Nachricht auch für uns behalten? Ozons Credo zum „Carpe Diem“ ist ein Film zum Nachdenken geworden. Und weniger zum Nachempfinden.
Zuerst veröffentlicht bei evolver.
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Irgendwie ist es bezeichnend, wenn man als Zuschauer unmittelbar nach Ansicht von Francois Ozons neuestem Film zunächst über die Doppeldeutigkeit des Titels nachdenkt, anstatt mit Haut und Haar das Gesehene rekapitulieren zu wollen. Das Verb „bleiben“ besitzt, genauso wie sein französisches Pendant „rester“ im Originaltitel „Le Temps, qui reste“, eine gewisse Ambivalenz. Wenn wir die Geschichte eines jungen Mannes erzählt bekommen, der erfährt, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, dann kann diese Zeit, die „bleibt“ zweierlei bedeuten: Zum einen steht sie für die wenigen kostbaren Momente, die dieser Mann noch erleben darf. Gleichzeitig kann auch eine ganz andere Zeit gemeint sein, nämlich die, die in einem und in den anderen zurückbleibt. Das mögen Erinnerungen an die Kindheit, an die Pubertät, das Elternhaus oder an enge Freunde sein und vice versa Erinnerungen all jener Menschen an einen selbst, der erfahren hat, dass er schon mit Anfang 30 sterben muss.
Romain (Melvil Poupaud) heißt der Protagonist bei Ozon. Er ist Modefotograph, arrogant, nicht besonders liebenswert, ein Hedonist, kokssüchtig und einsam. Als ihn die Diagnose Krebs im Endstadium erreicht, beschließt er nicht kämpfen zu wollen, weil die Aussichten auf eine Heilung einfach zu gering sind. Zunächst gibt er sich cool, gelassen, doch als er dann alleine im Park sitzt und in die anderen scheinbar sorglosen Gesichter seiner Mitmenschen blickt, zerfällt der Schock in Trauer und Wut. Er bringt es nicht fertig, seinem Freund Sasha (Christian Sengewald) oder seinen Eltern die Diagnose zu übermitteln. Nur seiner Großmutter (Jeanne Moreau) vertraut er sich an. Bei ihr darf er endlich einmal schwach und egoistisch sein, so wie er wirklich ist. Hinter der gestylten Fassade steckt immer noch der kleine Romain, der sich das Glück seiner Kindheit zurückwünscht. Wie es der Zufall so will, trifft Romain auf einer Autobahnraststätte eine Kellnerin (Valeria Bruni-Tedeschi), die ihm ein ungewöhnliches Angebot machen soll.
Mit „Die Zeit, die bleibt“ setzt Regie-Wunderkind Ozon nach „Unter dem Sand“ seine Trilogie über das Sterben fort. Kennzeichnend ist sein leicht distanzierter Blick auf die Dinge, welcher schon das Ehe-Drama „5x2“ durchzog. Filme über den Tod, besonders dann, wenn sich ein Mensch mit diesem konfrontiert sieht, der eigentlich noch nicht einmal die Hälfte seines Lebens gelebt hat, driften mitunter schnell in manipulierende Melodramatik und religiös eingefärbten Kitsch ab. Unter beiden litt zuletzt Isabel Coixets „Mein Leben ohne mich“. Nicht so bei Ozon. So wie Romain die Welt per Kameraobjektiv immer auf Distanz zu sich hielt, bleibt auch Ozon stets auf einem vordefinierten Abstand zu seinem Protagonisten. Das schließt nicht aus, daß einige Szenen sehr intim wirken. Eher aus Respekt und vielleicht auch aus Angst, womöglich doch in die Sentimentalitätsfalle zu tappen, wählt Ozon diesen Blickwinkel.
Wieder einmal arbeitet der Regisseur bei der Bildästhetik mit unterschiedlichen Schärfen und Perspektiven. Entweder wir sehen nur Romain im Hintergrund, wie er eine Szenerie beobachtet, oder wir sehen ihn unscharf, verschwommen, während sich die Kamera auf die Ereignisse im Vordergrund fokussiert. Das schafft eine Anspannung, die mit Worten nicht zu erzeugen wäre. Es ist Romains Einsamkeit, die bewegt. So wie er über den Großteil seines Lebens alleine war, so allein ist er auch auf diesem letzten Weg. Die einzige, die dies erkennt, ist seine Großmutter. Als Konsequenz erlaubt er sich ehrlich zu sein, gegenüber seinem Freund, gegenüber seiner Familie, mit der bitteren Ironie, dass er gerade die Nachricht seiner Krankheit für sich behält.
Der Strand als Ausgangs- und Endpunkt der Story findet sich auch in diesem Ozon wieder. Für ihn symbolisiert dieser Schauplatz auch den Anfang und das Ende unseres Seins. Die Bilder der Schlußeinstellung üben dabei eine Faszination aus, die fast schon suggestiv unsere Sehnsüchte abarbeitet. Zusammen mit der Szene im Park, in der Romain mit seiner entfremdeten Schwester telefoniert, sind sie die emotionalen Höhepunkte in einem ansonsten kühl und unsentimental konzipierten Werk. Dies stellt keine Kritik dar, es soll vielmehr ausdrücken, was sich der Zuschauer von „Die Zeit, die bleibt“ möglichst nicht erwarten darf. Dafür gibt es schließlich die Dramen von Stephen King. Interessant ist, was mit den Fotos geschieht, die Romain gemacht hat. Wenn diese seine Familie erreichen, ist er bereits tot. Sie sind sein Vermächtnis.
Der bislang eher unbekannte Mevil Poupaud und die Grand Dame der Nouvelle Vague Jeanne Moreau liefern Darstellerleistungen ab, die jeden Film veredeln würden. Poupaud muss den schauspielerischen Drahtseilakt zwischen einer im Einsturz befindlichen Selbstschutzfassade und der knallharten Konfrontation mit den Realitäten überstehen, was ihm eindrucksvoll gelingt. In dem schönen modelltypischen Gesicht bricht immer wieder die reine Angst vor dem Sterben und die Enttäuschung über ein über weite Strecken unglückliches Leben hervor. Von Jeanne Moreau hätte ich gerne mehr gesehen. Ihre Leinwandpräsenz beschränkt sich auf wenige Minuten, welche dafür die Atmosphäre einer lange zurückliegenden großen Kino-Ära atmen.
Wie eingangs bereits angedeutet liegt die Qualität von Ozons Film darin, dass wir anhand einer Chronik der letzten Wochen im Leben eines nicht unbedingt sympathisch gezeichneten Charakters beginnen über uns selbst zu reflektieren. Wie würde sich jeder von uns in dieser Ausnahmesituation verhalten? Würden wir die Nachricht auch für uns behalten? Ozons Credo zum „Carpe Diem“ ist ein Film zum Nachdenken geworden. Und weniger zum Nachempfinden.
Zuerst veröffentlicht bei evolver.
2 Comments:
Och, ja, so im Großen und Ganzen kann ich Dir zustimmen. Fand den Film erstmal gut geschrieben, dann sehr fein inszeniert und letztendlich auch ansehnlich gespielt.
Selbst die oft bemängelte Sprunghaftigkeit des Films in seiner Szenenfolge empfand ich nicht als Kritikpunkt, sondern sehe da eher ein System dahinter.
Gut gefallen hat mir auch, dass der Film leicht distanziert wirkt und nicht versucht, auf des Zuschauers Tränendrüse zu spielen wie Nigel Kennedy auf seiner Guarneri. Letztendlich also ein unaufdringlicher, dennoch starker Film.
Das einzige, was mir auf den Senkel ging, sind diese unsäglich plumpen Flashbacks in seine Kindheit.
och ja, das mit den flashbacks war zwar wenig subtil, gestört hats mich aber nicht. für mich ein insgesamt guter wenngleich nicht sehr guter ozon. da ziehe (jetzt mal kurz wegsehen *g*) "5x2" oder "swimming pool" vor.
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