Tsotsi - In The Streets of Sowetho
GB/SA 2005
++1/2
Der erste Oscar für einen afrikanischen Film ging mit „Tsotsi“ dieses Jahr nach Südafrika. Regisseur und Drehbuchautor Gavin Hood, der eine fast vierzigjährige Novelle des Dramatikers Athol Fugard verfilmte, freute sich wie ein kleines Kind über diese Auszeichnung. Wieviel der Oscar auch für Südafrika als Land bedeutet, zeigte sich am Empfang nach der Rückkehr aus Hollywood. Besuche bei Nelson Mandela und Staatschef Thabo Mbeki wurden von Hunderten Journalisten verfolgt. Die Euphorie war groß, fast so groß wie nach dem Zuschlag für die Fußball-WM 2010. „Tsotsi“ ist mittlerweile in viele Länder erfolgreich weiterverkauft worden, in den USA gingen die Rechte an Miramax, und auch in seiner Heimat gehört der Film zu den ganz großen Blockbustern des vergangenen Kinojahres.
Hood erzählt darin die Geschichte eines jungen Johannesburger Ganganführers (Presley Chweneyagae), von allen nur Tsotsi genannt (was soviel wie „Gangster“ heißt), der nach einem bewaffneten Überfall und dem Diebstahl einer Luxuslimousine auf deren Rücksitz ein kleines Baby entdeckt. Wenige Minuten zuvor hatte er die Mutter des Kindes angeschossen und dabei schwer verletzt. Überfordert von dieser ungewöhnlichen Entdeckung, weiß er zunächst nicht, was er mit dem Baby anfangen soll. Tsotsi entschließt sich dazu, das Baby mit nach Hause zu nehmen und es so gut es ihm möglich ist, zu versorgen. Als er in seiner Nachbarschaft im Armenviertel Sowetho eine junge Mutter entdeckt, bringt er das Kind zu ihr. Sie soll der Kleinen die Brust geben. Derweil sucht die Polizei mit Phantombildern nach dem Jungen, der den Überfall begangen hat.
Die Beschreibung des Plots lässt bereits erahnen, dass „Tsotsi“ trotz nahe liegender Vergleiche zu Filmen wie „City of God“ oder den amerikanischen Ghetto-Dramen eine eine andere Richtung einschlägt. Das Milieu in den Townships wie Sowetho ist eher schmückendes Beiwerk, und zwar gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen konzentriert sich Hood ganz auf seinen Hauptcharakter und dessen Entwicklung hin zu einem geläuterten jungen Mann, die Kulisse kann da einfach keine Hauptrolle spielen. Zum anderen wirken die Schwarzenviertel hübsch arrangiert, aufgeräumt und sehr adrett, fast zu schön, um wahr zu sein. Wie Hood und sein Darsteller Presley Chweneyagae nach Filmende erklärten, wurde der Film mit Ausnahme einiger Innenszenen komplett vor Ort abgedreht. Die meisten der Laiendarsteller und Statisten leben in Sowetho. Nur weil die Menschen dort arm sind, heißt das nicht automatisch, dass sie in verschmutzten Behausungen leben müssen. Hood wandte sich in diesem Zusammenhang auch gegen das verbreitete von Schuld überhäufte Afrika-Bild vieler politisch korrekter Europäer und Amerikaner, deren einziger Gedanke beim Stichwort „Afrika“ um unterernährte weinende Kleinkinder kreist. Afrika hat viele Geischter und ist keine, weder sozial noch ethnisch, homogene Masse.
Die Kategorisierung als Gangsterfilm ist irreführend, weil sie Analogien zu „Menace II Society“ und anderen Vertretern des neuen Black Cinema aufkommen lässt. „Tsotsi“ ist eher eine Meditation, eine innere Odyssee eines Heranwachsenden, der sich ganz plötzlich mit Aufgaben und Fragen konfrontiert sieht, die für ihn Minuten zuvor noch unbeschreiblich weit weg lagen. Die Situation, auf einmal Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen zu müssen, beantwortet er zunächst reflexartig mit seinen einstudierten Gewaltritualen. Er zwingt die Nachbarin mit vorgehalteter Waffe, das Kind zu stillen. Dabei kommen in ihm Erinnerungen an seine Kindheit hoch, an den beherrschenden Vater, für den Gewalt ein legitimes Mittel der Erziehung war. Die teilweise parallel montierten Szenen zwischen Tsotsis Kindheit und der Gegenwart, in der er aufgrund eines von ihm begangenen Verbrechens zu einem Ersatzvater wider Willen geworden ist, sind leider zu plakativ, um eine intelligente Charakterstudie abzugeben. Die Erklärungen sind zu naheliegend, die aufgezeigten Lösungswege zu naiv. Das beschreibt, warum Hood sich den Vorwurf gefallen lassen muss, ein recht harmloses oberflächliches Portrait abgedreht zu haben.
Darüber hinaus kann es der Regisseur nicht lassen, ordentlich und wenig subtil mit dem berüchtigten Holzhammer auf die Tränendrüse zu drücken. Besonders in der finalen Begegnung zwischen Tsotsi und seinen letzten Opfern bricht diese unangenehme Theatralik ungefiltert heraus. Da darf kein Auge trocken bleiben, scheint sich Hood gedacht zu haben. Dass er damit höhere Chancen auf einen Oscar hat, mag sein, dass dies zugleich auch einen besseren Film ergibt, wenn er alle emotionalen Staudämme einreißt, darf dagegen bezweifelt werden. Von einer selbstauferlegten Zurückhaltung scheint er in Punkto Emotionen jedenfalls nicht viel zu halten. Diese Negativpunkte sind leider ein deutlicher Wermutstropfen in einem schauspielerisch außergewöhnlichen Film. Presley Chweneyagae, der zuvor nur auf der Theaterbühne stand, gelingt, lässt man die zuweilen unglückliche Inszenierung außen vor, eine beeindruckende intensive Übersetzung dieses einsamen Kriegers. Er schafft es in einer Situation noch den harten Gangster zu geben, um bereits in der nächsten Einstellung zerbrechlich und unsicher zu wirken. Tsotsi ist in sich zerrissen, er muss nach außen stark sein, obwohl er gerade das eigentlich nicht ist. Chweneyagae kann mit einem Blick mehr sagen, als andere Schauspieler mit minutenlangen Monologen. Auch der übrige Cast weiß zu gefallen, besonders Terry Pheto in der Rolle der Miriam bietet eine denkwürdige Leistung. Kaum zu glauben, dass sie zuvor noch keine Erfahrung als Schauspielerin gesammelt hat.
Letztlich ist „Tsotsi“ der gern zitierte „Mixed Bag“. Die nicht bestreitbaren Qualitäten von Hoods Charakterdrama werden immer wieder von einer aufdringlichen sentimentalen Attitüde untergraben. So sympathisch und eloquent Hood und sein „Star“ Chweneyagae auch in der anschließenden Diskussion auf die Fragen des Publikums antworteten, es darf nicht verschwiegen werden, dass ihr Film an der Wand des eigenen hohen Anspruchs scheitert. Und das obwohl „scheitern“ so gar nicht zum optimistischen Wortschatz der Südafrikaner zu gehören
scheint.
Zuerst erschienen bei kino.de.
2 Comments:
naja, ein gutes hat die sache ja: Dein Text schafft es, dass ich es nicht mehr so schlimm finde, den Film am SO verpasst zu haben. Regulär im Kino hätte ich ihn mir sowieso nicht angesehen. leider arbeite ich jetzt erstmal auch am WE, so werde ich viele tolle Filme in meiner Lieblings-Martinee verpassen. Könnte heulen.
Wenigstens habe ich C.R.A.Z.Y. nun zuhause ! ;-)
ja, "tsotsi" ist sicher eine enttäuschung, allerdings würde ich ihm auch gewisse qualitäten (s. kritik) nicht absprechen wollen. besonders die darsteller gehören dazu.
PS: viel spaß mit "crazy"! hoffe nur, dass Du nicht zu hohe erwartungen hast. ball flach halten und eintauchen, dann kann fast nichts schief gehen! *g*
Kommentar veröffentlichen
<< Home