Silent Hill - Das "Style over Substance"-Prinzip
F/J/USA 2006
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Das Kino hat in den vergangenen Jahren zunehmend das Computerspiel als Inspirationsquelle für sich entdeckt. Jedoch kam nur selten etwas Ansehnliches dabei heraus. Bis jetzt?
Die gute Nachricht vorneweg: Der unter Kinogängern berüchtigte Uwe Boll hat bei dieser Videospiel-Adaption nicht Regie geführt. Stattdessen übertrugen Sony und Konami dem Franzosen Christophe Gans ("Pakt der Wölfe") die künstlerische Gesamtverantwortung. Seinem "Silent Hill" gelingt es, zumindest auf visueller Ebene zu überzeugen, während dramaturgisch die krude Mixtur aus übersinnlich-religiösen Motiven, Okkultismus-Thriller, Mutter-Tochter-Drama und überflüssiger Nebenhandlung nur leidlich Überzeugendes anzubieten hat.
Aus Verzweiflung, weil die Ärzte ihrer Tochter Sharon (Jodelle Ferland) nicht mehr anders zu helfen wissen, als sie in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen, entschließt sich die junge Mutter Rose (Radha Mitchell), an einen verlassenen Ort namens Silent Hill zu fahren. Das ist der Name, den Sharon immer wieder im Schlaf vor sich hinsagt. Zwischen ihrer rätselhaften Krankheit und der Vergangenheit dieses kleinen Städtchens scheint eine Verbindung zu bestehen. Kurz vor der Ortsgrenze ereignet sich dann ein mysteriöser Zwischenfall. Wie aus dem Nichts taucht mitten auf der Straße ein Mädchen auf. Rose kann im letzten Moment ausweichen und das Steuer herumreißen, doch ihr Wagen kollidiert dennoch mit einer Leitplanke. Als sie wieder zu sich kommt, stellt sie entsetzt fest, daß Sharon verschwunden ist.
Kein Geringerer als "Pulp Fiction"-Spezi Roger Avary nahm sich der keinesfalls einfachen Aufgabe an, ein Videospiel adäquat für die große Leinwand umzusetzen. Bisher litten solche Experimente ("Doom", "Alone in the Dark") unter der komplett sinnfreien und stupiden Story, die am heimischen Controller funktionieren mag, aber als passives Seherlebnis bereits nach wenigen Minuten in sich zusammenfällt. Im Vergleich hierzu vollführt Avary mit "Silent Hill" den notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Man kann ohne weiteres sogar von einer "Story" sprechen, die den Bodensatz für das effektvolle Treiben in dunklen Katakomben und nebligen Geisterruinen bildet. Spannung erzeugt das Duo Avary/Gans mit einer angenehm stimmungsvollen Exposition, die sich Zeit für Sharons Charakter und ihre Beweggründe nimmt. Nach dem Verschwinden ihrer Adoptivtochter setzt der Film zu einer sehr stilsicheren Erkundung des unbekannten Terrains an, die schon bald nicht nur Sharons Blut in den Adern gefrieren lassen soll. Die ersten Bilder der geheimnisvollen Kreaturen von "Silent Hill" fallen erschreckend, befremdlich, aber zugleich auch faszinierend aus. Besonders der Anführer der Dämonenschaft stapft als auferstandene Horrorvision eines Hieronymus Bosch durch die Szenerie.
Kameramann Dan Lautsen gelingen schaurig-schöne Bilder des im Nebel versunkenen "point of no return". Auch die Unterwelt mit ihren gekonnten Wechseln zwischen kleinen isolierten Lichtquellen und der übermächtigen, vermeintlich totalen Finsternis erschafft eine wunderbar dichte gruselige Atmosphäre, wie sie so zuletzt nur selten in vergleichbaren Genreproduktionen zu finden war. Hier macht sich das Gespür des Ästheten Christophe Gans bemerkbar. Schon seine vorherigen Filme wie "Pakt der Wölfe" und "Crying Freeman" kennzeichnete eine ähnliche visuelle Raffinesse, die er seinerzeit noch mit einem viel bescheideneren Budget realisierte.
Getreu seiner Maxime eines "Style over Substance" ist es letztlich nicht die Verpackung, an der "Silent Hill" scheitert, sondern der Inhalt. Denn was dem über weite Strecken rätselnden Publikum als Auflösung in einer nicht endenwollenden Aneinanderreihung von Splatter- und Exorzismus-Szenen aufgetischt wird, entbehrt jeder Logik, ist teilweise unfreiwillig komisch und kommt spürbar zusammengeklaut daher. Die zitierten Vorbilder reichen von Arthur Millers "Hexenjagd" über "Der Exorzist" bis hin zu einer Vielzahl der Geister- und Okkultismusschocker der verwichenen zwei Jahrzehnte. Eine eigene Handschrift, wie sie die stilisierte Ästhetik anfänglich zu bieten hat, fehlt völlig. Da nützt es dem Film wenig, wenn im Subtext durchaus brisante Themen wie religiöser Fanatismus und Bigotterie angepackt werden, die heutzutage auch in der westlichen scheinbar säkularisierten Welt eine gefährliche Renaissance erleben. Im effektgetriebenen Plot-Finale und begleitet von ohrenbetäubenden Sound-Kapriolen, die den Zuschauer an den Rand eines Hörsturzes bringen, geht jede noch so hehre Botschaft ungehört unter. Als gelte es neue Rekorde in Sachen akustischer Vergewaltigung aufzustellen, dröhnt und hämmert es während der Action-Sequenzen unablässig aus der Tonanlage. Auch wahre Freunde des Splatter-Kinos dürften vom Ergebnis enttäuscht sein, wurde "Silent Hill" doch im Hinblick auf eine möglichst massentaugliche Konsumierbarkeit konzipiert. Der Härtegrad der blutgetränkten Einlagen bewegt sich konstant unter dem der vor kurzem angelaufenen Horrorproduktionen "The Hills Have Eyes" und "The Descent".
Als inhaltlicher sowie spannungstechnischer Totalausfall entpuppt sich die Nebenhandlung um den von Sean Bean dargestellten Ehemann, der nach dem Verschwinden seiner Frau eigene Nachforschungen in Silent Hill anstellt. Dieser Parallel-Plot zieht den gesamten Film wie Kaugummi in die Länge. Mit einer Laufzeit von mehr als zwei Stunden hätte es vor allem im zähen Mittelteil einer deutlichen Straffung bedurft.Ob man Gans und sein Personal in anbetracht der offenkundigen Mängel und dramaturgischen Fehlentscheidungen zur Verantwortung ziehen will oder sich als Zuschauer nach den zahlreichen dilettantischen Versuchen, ein Konsolenspiel in ein neues Medium zu transformieren, mit ein bißchen Mittelmaß bereits zufrieden gibt, hängt letztendlich wohl vom individuellen Gemütszustand ab. Der aufopferungsvoll kämpfenden Rose wäre das "Silent Hill"-Mittelmaß mit Sicherheit zu wenig.
Zuerst veröffentlicht für evolver.
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Das Kino hat in den vergangenen Jahren zunehmend das Computerspiel als Inspirationsquelle für sich entdeckt. Jedoch kam nur selten etwas Ansehnliches dabei heraus. Bis jetzt?
Die gute Nachricht vorneweg: Der unter Kinogängern berüchtigte Uwe Boll hat bei dieser Videospiel-Adaption nicht Regie geführt. Stattdessen übertrugen Sony und Konami dem Franzosen Christophe Gans ("Pakt der Wölfe") die künstlerische Gesamtverantwortung. Seinem "Silent Hill" gelingt es, zumindest auf visueller Ebene zu überzeugen, während dramaturgisch die krude Mixtur aus übersinnlich-religiösen Motiven, Okkultismus-Thriller, Mutter-Tochter-Drama und überflüssiger Nebenhandlung nur leidlich Überzeugendes anzubieten hat.
Aus Verzweiflung, weil die Ärzte ihrer Tochter Sharon (Jodelle Ferland) nicht mehr anders zu helfen wissen, als sie in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen, entschließt sich die junge Mutter Rose (Radha Mitchell), an einen verlassenen Ort namens Silent Hill zu fahren. Das ist der Name, den Sharon immer wieder im Schlaf vor sich hinsagt. Zwischen ihrer rätselhaften Krankheit und der Vergangenheit dieses kleinen Städtchens scheint eine Verbindung zu bestehen. Kurz vor der Ortsgrenze ereignet sich dann ein mysteriöser Zwischenfall. Wie aus dem Nichts taucht mitten auf der Straße ein Mädchen auf. Rose kann im letzten Moment ausweichen und das Steuer herumreißen, doch ihr Wagen kollidiert dennoch mit einer Leitplanke. Als sie wieder zu sich kommt, stellt sie entsetzt fest, daß Sharon verschwunden ist.
Kein Geringerer als "Pulp Fiction"-Spezi Roger Avary nahm sich der keinesfalls einfachen Aufgabe an, ein Videospiel adäquat für die große Leinwand umzusetzen. Bisher litten solche Experimente ("Doom", "Alone in the Dark") unter der komplett sinnfreien und stupiden Story, die am heimischen Controller funktionieren mag, aber als passives Seherlebnis bereits nach wenigen Minuten in sich zusammenfällt. Im Vergleich hierzu vollführt Avary mit "Silent Hill" den notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Man kann ohne weiteres sogar von einer "Story" sprechen, die den Bodensatz für das effektvolle Treiben in dunklen Katakomben und nebligen Geisterruinen bildet. Spannung erzeugt das Duo Avary/Gans mit einer angenehm stimmungsvollen Exposition, die sich Zeit für Sharons Charakter und ihre Beweggründe nimmt. Nach dem Verschwinden ihrer Adoptivtochter setzt der Film zu einer sehr stilsicheren Erkundung des unbekannten Terrains an, die schon bald nicht nur Sharons Blut in den Adern gefrieren lassen soll. Die ersten Bilder der geheimnisvollen Kreaturen von "Silent Hill" fallen erschreckend, befremdlich, aber zugleich auch faszinierend aus. Besonders der Anführer der Dämonenschaft stapft als auferstandene Horrorvision eines Hieronymus Bosch durch die Szenerie.
Kameramann Dan Lautsen gelingen schaurig-schöne Bilder des im Nebel versunkenen "point of no return". Auch die Unterwelt mit ihren gekonnten Wechseln zwischen kleinen isolierten Lichtquellen und der übermächtigen, vermeintlich totalen Finsternis erschafft eine wunderbar dichte gruselige Atmosphäre, wie sie so zuletzt nur selten in vergleichbaren Genreproduktionen zu finden war. Hier macht sich das Gespür des Ästheten Christophe Gans bemerkbar. Schon seine vorherigen Filme wie "Pakt der Wölfe" und "Crying Freeman" kennzeichnete eine ähnliche visuelle Raffinesse, die er seinerzeit noch mit einem viel bescheideneren Budget realisierte.
Getreu seiner Maxime eines "Style over Substance" ist es letztlich nicht die Verpackung, an der "Silent Hill" scheitert, sondern der Inhalt. Denn was dem über weite Strecken rätselnden Publikum als Auflösung in einer nicht endenwollenden Aneinanderreihung von Splatter- und Exorzismus-Szenen aufgetischt wird, entbehrt jeder Logik, ist teilweise unfreiwillig komisch und kommt spürbar zusammengeklaut daher. Die zitierten Vorbilder reichen von Arthur Millers "Hexenjagd" über "Der Exorzist" bis hin zu einer Vielzahl der Geister- und Okkultismusschocker der verwichenen zwei Jahrzehnte. Eine eigene Handschrift, wie sie die stilisierte Ästhetik anfänglich zu bieten hat, fehlt völlig. Da nützt es dem Film wenig, wenn im Subtext durchaus brisante Themen wie religiöser Fanatismus und Bigotterie angepackt werden, die heutzutage auch in der westlichen scheinbar säkularisierten Welt eine gefährliche Renaissance erleben. Im effektgetriebenen Plot-Finale und begleitet von ohrenbetäubenden Sound-Kapriolen, die den Zuschauer an den Rand eines Hörsturzes bringen, geht jede noch so hehre Botschaft ungehört unter. Als gelte es neue Rekorde in Sachen akustischer Vergewaltigung aufzustellen, dröhnt und hämmert es während der Action-Sequenzen unablässig aus der Tonanlage. Auch wahre Freunde des Splatter-Kinos dürften vom Ergebnis enttäuscht sein, wurde "Silent Hill" doch im Hinblick auf eine möglichst massentaugliche Konsumierbarkeit konzipiert. Der Härtegrad der blutgetränkten Einlagen bewegt sich konstant unter dem der vor kurzem angelaufenen Horrorproduktionen "The Hills Have Eyes" und "The Descent".
Als inhaltlicher sowie spannungstechnischer Totalausfall entpuppt sich die Nebenhandlung um den von Sean Bean dargestellten Ehemann, der nach dem Verschwinden seiner Frau eigene Nachforschungen in Silent Hill anstellt. Dieser Parallel-Plot zieht den gesamten Film wie Kaugummi in die Länge. Mit einer Laufzeit von mehr als zwei Stunden hätte es vor allem im zähen Mittelteil einer deutlichen Straffung bedurft.Ob man Gans und sein Personal in anbetracht der offenkundigen Mängel und dramaturgischen Fehlentscheidungen zur Verantwortung ziehen will oder sich als Zuschauer nach den zahlreichen dilettantischen Versuchen, ein Konsolenspiel in ein neues Medium zu transformieren, mit ein bißchen Mittelmaß bereits zufrieden gibt, hängt letztendlich wohl vom individuellen Gemütszustand ab. Der aufopferungsvoll kämpfenden Rose wäre das "Silent Hill"-Mittelmaß mit Sicherheit zu wenig.
Zuerst veröffentlicht für evolver.
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