Sonntag, November 12, 2006

Goyas Geister - Ein tiefer Blick

ESP/F/USA 2006

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Wenn Regie-Veteran und Oscar-Preisträger Milos Forman ein neues Projekt startet, werden Kinofreunde fast zwangsläufig hellhörig. Wie seinerzeit bei Amadeus hat er auch in Goyas Geister eine historische Figur zum Ausgangspunkt eines dramatischen Sitten- und Zeitgemäldes genommen, das sich als ein zeitloser Kommentar auf gesellschaftlichen wie politischen Opportunismus versteht.

Filmkritik:

Spanien Ende des 18. Jahrhunderts durchlebt turbulente Zeiten. Während im Nachbarland Frankreich die Revolution im Gange ist und der König gewaltsam vom Thron gestürzt wird, halten Klerus und Adel auf der iberischen Halbinsel die Macht weiterhin in ihren Händen. Das Tribunal der Inquisition unter Führung des eifernden Mönches Lorenzo (Javier Bardem) macht mit angeblichen Ketzern kurzen Prozess. Auch Inés (Natalie Portman), die junge Muse des berühmten Hofmalers Francisco de Goya (Stellan Skarsgard), muss sich vor dem Tribunal verantworten. Sie wird verurteilt und inhaftiert – 16 Jahre lang bis Napoléons Truppen in das Land einmarschieren, und sie schlussendlich befreit werden kann. Lorenzo, der zuvor selbst fliehen musste, kehrt innerlich geläutert als glühender Verfechter republikanischer Werte zurück.

Die größte Überraschung für den Zuschauer steckt in der Figurenkonstellation und dem Fortgang der Geschichte. Der titelgebende spanische Hofmaler Goya wird bei Forman zu einem dramaturgisch notwendigen Ausgangspunkt, einem Anker, an dem das, was der Film eigentlich erzählen will, andocken kann. Und dabei geht es dem Regie-Veteran weder um historische Korrektheit noch um die Biografie eines bedeutenden Künstlers – beides ließe sich ohnehin in einer Dokumentation weitaus treffender aufarbeiten – Forman nutzt das Spanien der Napoléonischen Zeit, um etwas ganz Allgemeingültiges über die menschliche Natur zu erzählen. Goyas Geister zeigt, was Revisionisten und Wendehälse sogar in einem durchaus ehrlich gemeinten Glauben an eine gute und höhere Sache bereit sind zu opfern, und was sie ihresgleichen antun, nur damit sie selber den eigenen Ansprüchen gerecht werden können.

Formans neueste Arbeit ist ein über weite Strecken kunstvolles, intellektuell packendes Vexierspiel, das gute Absichten als bloßes Kalkül, große Losungen als Phrasen und Werte als Mittel zum Zweck enttarnt. Es gäbe hunderte ja vermutlich tausende Beispiele, die das in Goyas Geister zur Schau gestellte so mechanisch anmutende Konstrukt mit zum Teil schauerlichen Inhalt füllen können. Von der Hexenjagd der frühen Neuzeit und einer falsch verstandenen bigotten Frömmigkeit bis in unsere Gegenwart, wo Diktaturen immer noch mit dem Verweis auf das Dogma der eigenen Unfehlbarkeit Unterdrückung und Folter rechtfertigen. Es ist nur logisch und konsequent, dass ein Regisseur, der selber in der damaligen Tschechoslowakei Unterdrückung und Repressalien erleben musste, einen solchen Stoff verfilmt.

Kein Geringerer als Saul Zaentz (Einer flog über das Kuckucksnest, Der englische Patient) zeichnete sich für die Produktion und Finanzierung des Films verantwortlich. Dementsprechend opulent und eindrucksvoll fällt die technische Umsetzung dieser historischen Parabel aus. Kostüme, Kulissen, Kamera, Musik, bei Zaentz und Forman arbeiten nur die Besten ihres Fachs. Sie sorgend dafür, dass den Schauspielern eine perfekte Bühne bereitet wird. Dass Stellan Skarsgard gegen Bardems zwischen Manie und Demut chaotisch oszillierendem Spiel nicht ankommt, liegt weniger an ihm, sondern – ohne Bardems Leistung schmälern zu wollen – an dem Zuschnitt ihrer jeweiligen Rollen. Goya ist nur eine blasse Randfigur, während Lorenzo im Zentrum des Wirbelsturms steht, um den Kamera und Plot kreisen. Natalie Portman kann in einer fordernden Doppelrolle einmal mehr ihr schauspielerisches Talent beweisen. Die schöne Aktrice darf vor allem eines: Leiden. Leiden und dabei die Wunden ihrer tragischen zwischen den Regimen zugrunde gerichteten Figur nach außen tragen. Die Oscar-Jury sieht so etwas bekanntlich gerne.

Nimmt man hin, dass sich die Handlung zuweilen in den Wirrungen der komplizierten geschichtlichen Ereignisse verliert, so steht einem überaus intelligenten Kinoerlebnis nichts mehr im Wege.

5 Comments:

Anonymous Anonym said...

Dank, Javier Bardem war der Film noch erträglich, da hält kein anderer Schauspieler oder Schauspielerin im Film mit. Und Milos Forman hat schon viel bessere Filme abgeliefert.Es fehlt mir zuviel Forman in seiner besten Zeit in Goyas Geister!

November 12, 2006 2:32 PM  
Anonymous Anonym said...

Moin,

ohne den Text gelesen zu haben, freut mich die hohe Wertung. Habe bis jetzt eher Schlechtes gehört. Ich werde mir den Film aber eh ansehen ... schon wegen Nädelie ;o)
Gruß

November 12, 2006 3:34 PM  
Blogger Marcus kleine Filmseite said...

@ spidy

bardem ist der glanzpunkt ,aber auch natalie fand ich sehenswert (in doppelter hinsicht *g*). wer nicht mit der erwartung, ein biopic über goya vorgesetzt zu bekommen, in den film geht, kann gar nicht so enttäuscht sein. sehr solide gemacht, mit höchst interessanten historischen querverweisen, auch über die natur solcher prozesse.

@ thoro

natalie spielt toll (s. antwort an spidy). ich hab auch einige kritische stimmen gelesen, die zum teil auch daher rühren, dass man ein biopic über goya erwartet hatte.

November 12, 2006 3:47 PM  
Anonymous Anonym said...

Ich kann ja nur für mich sprechen, ich bin nicht deswegen enttäuscht worden weil ich eine Bio-Pic erwartet habe, ich bin von den Film enttäuscht, weil man nicht den ganzen Milos Forman sehen kann, sondern nur auf Sparflamme so wie ich es mal ausdrücken!

November 12, 2006 11:04 PM  
Anonymous Anonym said...

Servus Marcus,

so - jetzt habe ich den Film auch gesehen (Sneak) und kann Deine Meinung teilen. Äußerst interessante Geschichtsstunde, in der der titelgebende Karikaturist seiner Zeit freilich nur als Staffage dient. Störte mich aber überhaupt nicht, da die Figurenkonstellation, so wie sie ist, eine große Komplexität ergibt. Auch kommt so selten Langeweile auf. Und ja, Natalie "darf" (wie kommst Du darauf? *lol*) nicht nur leiden, sie MUSS leiden. Hat mir teilweise selbst richtig weh getan. Aber die Raffzähne am Ende ... hihi! Da ich ja meistens leicht für historische Köstümschinken zu haben bin, konnte ich auch hier nicht viel falsch machen ;o)


@ Spidy
Ich habe den ganzen Forman auch nicht gesehen (nicht mal den halben), hat er denn neuerdings so viele Cameo-Auftritte? ;o) Nee, ernsthaft: Was hat Dir denn gefehlt? Forman nimmt doch in seinen Biopics nie den "geraden" Weg. Auch AMADEUS kann man doch nicht als straightes Biopic bezeichnen. Ich wüsste jetzt nicht, was mir Forman-Typisches an GOYAS GEISTER fehlen sollte ...

November 24, 2006 12:32 PM  

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