Samstag, November 04, 2006

China Blue - Ein böser Traum, der keiner ist

USA 2005

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Der amerikanische Dokumentarfilmer Micha X. Peled gibt der Globalisierung ein filmisches Gesicht. Er zeigt am Fall einer chinesischen Jeans-Fabrik, was der abstrakte und viel zitierte Begriff Globalisierung im Konkreten bedeuten kann. Unter menschenunwürdigen Bedingungen produzieren die dortigen Arbeiter Kleidung, die in alle Welt exportiert wird, um schließlich in den Regalen der großen Einzelhändler und Bekleidungsketten zu landen. Für einen Stundenlohn von sechs Cent verkaufen sie ihre Arbeitskraft und Gesundheit.

Filmkritik:

China gilt als die Wirtschaftsmacht der Zukunft. Weil das riesige Reich über einen scheinbar unerschöpflichen Pool an willigen und billigen Arbeitskräften verfügt, lassen sich dort Güter zu konkurrenzlos günstigen Preisen herstellen. Als Verbraucher mögen wir uns über Schnäppchenpreise und Sonderangebote freuen, die Kehrseite dieser „Geiz ist geil!“-Mentalität wird jedoch allzu gerne ausgeblendet. Micha X. Peled versucht mit seinem Film China Blue gegen diese Ignoranz und das Nichtwissen-Wollen anzugehen. Ohne dabei selber das Wort zu ergreifen oder sich in den Vordergrund zu drängen, wie es beispielsweise Michael Moore gerne tut, schildert er am Beispiel junger Frauen, welche pervertierten Ausmaße der Globalisierungsprozess mittlerweile angenommen hat und auf wessen Kosten sich das Reich der Mitte sein eindrucksvolles Wirtschaftswachstum erkauft.

Jasmin ist auf dem Lande in der Provinz Szechuan aufgewachsen. Mit 20 Jahren verlässt sie zum ersten Male ihre Familie, um in die zwei Tagesreisen entfernte Stadt Shax zu fahren. Sie hofft, einen Job in der Textilfabrik Lifeng zu erhalten. Jasmin kann sofort anfangen, als Fadenabschneiderin. Was sich nach monotoner Arbeit anhört, entwickelt sich für die junge Frau zu einem „bösen Traum“, wie sie selbst ihre Situation einmal beschreibt. In langen Schichten von bis zu 20 Stunden und an sieben Tagen die Woche muss sie im Akkord überflüssige Stofffäden entfernen. Wie die meisten ihrer Kollegen wohnt sie in einer ärmlichen Unterkunft auf dem Fabrikgelände, so etwas wie Freizeit kennt sie kaum. Neben Jasmin begleiten Peled und sein Team die Reißverschlussnäherin Orchidee. Beide Frauen müssen unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen Geld verdienen, beide versuchen sie auf ihre Art diesem Elend zu entfliehen. Orchidee, indem sie von einer Karriere als Modell und einer gemeinsamen Zukunft mit ihrem Freund träumt, Jasmin, indem sie sich fantasievolle Abenteuergeschichten ausdenkt.

Die ungefilterten Einblicke in den tristen Arbeitsalltag lassen einen fassungslos zurück. Manches würde man vermutlich für das Hirngespenst eines Zynikers halten, wäre es nicht tatsächlich auf Video festgehalten worden. Wenn Fabrikbesitzer Mr.Lam – seines Zeichens ehemaliger Polizieichef von Shax –die vermeintlichen Vorzüge seines Betriebs im Gespräch mit potentiellen Kunden anpreist („Wir haben viele Ressourcen, vor allem menschliche Ressourcen!“) oder ernsthaft mit Slogans wie „If you don’t work hard today, you’ll look hard für tomorrow!“ die Moral seiner Arbeiter anheben will, befinden wir uns plötzlich in einer bitterbösen Realsatire.

Dennoch hütet sich Peled vor simplen und vorschnellen Schuldzuweisungen in Richtung des Firmenchefs. Er verengt die Perspektive nicht auf einen neuen Klassenkampf innerhalb der Fabrikmauern, sondern lenkt den Fokus auf weitere Beteiligte im Wirtschaftskreislauf, an dessen Ende wir, die Verbraucher, stehen. Mr. Lam ist gezwungen, in den knallharten Verhandlungen mit Zwischenhändlern und Einkäufern um jeden Cent wie auf einem Basar zu feilschen. In China, der Werkbank der Welt, gibt es immer jemanden, der noch billiger für das Ausland produzieren kann. Den Schriftzug „Made in China“ wird man als Zuschauer zukünftig mit anderen Augen sehen. Wir werden an Jasmin denken müssen und an ihre traurigen Augen. Peled hat der Globalisierung ein Gesicht gegeben.

Für Programmkino.de.