Mittwoch, Oktober 17, 2007

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford


USA 2007

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Mit Legenden ist das so eine Sache. Zumindest für die Betroffenen bringt dieser Status nicht immer nur Annehmlichkeiten mit sich. Viele sterben jung und einsam. So auch Jesse James, einer der letzten Banditen des Wilden Westens. Von vielen ob seines unbändigen Freiheitsdranges und seiner Unangepasstheit bereits zu Lebzeiten kultisch verehrt, war er bei den Familien seiner Opfer eine verhasste Persona non grata. Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford versucht den Mythos beiseite zu schieben und der Person hinter der Legende auf die Spur zu kommen. Regisseur Andrew Dominik verfilmte den gleichnamigen Roman von Ron Hansen, der sich schwerpunktmäßig mit James’ zwiespältiger Beziehung zu seinem späteren Mörder Robert Ford (Casey Affleck) beschäftigt. Was hat diese beiden Männer verbunden? Was dachte der eine vom anderen und wie konnte es schließlich zu jener Tat kommen, für die Ford mehr Verachtung und Hass als Anerkennung und Zuspruch erfuhr?

Bereits die Besetzung der Freunde wie Gegenspieler Jesse James und Robert Ford mit Hollywood-Star Bard Pitt und Casey Affleck weckte hohe Erwartungen. Und diese enttäuscht Dominiks melancholischer Spät-Western nicht. Pitt ist nach seinen Auftritten in Terry Gilliams 12 Monkeys und dem Globalisierungsdrama Babel längst als Charakterdarsteller etabliert, während Ben Afflecks kleiner Bruder Casey wohl durch seine Darstellung von Robert Ford endgültig in die erste Garde Hollywoods aufrücken dürfte. Nicht nur, dass er dem solide aufspielenden Pitt die Schau stiehlt, ihm gelingt zudem das Kunststück, dem überlebensgroßen Jesse James die Person eines in sich verschlossenen, schüchternen und zweifelnden jungen Mannes entgegenzusetzen.

Nicht James, Ford ist hier die Identifikationsfigur. Dessen Verehrung für ein Ikon der amerikanischen Geschichte, seine ambivalente Beziehung zu einem mehrfachen Mörder, beleuchtet Dominik en detail. Sein Film scheut nicht davor zurück, die Psychologie beider Protagonisten in aller Ausführlichkeit und auf über 150 Minuten auszubreiten, was sich nicht immer frei von Längen darstellt. Statt eines klassischen Western entpuppt sich Die Ermordung des Jesse James… als hochkomplexes Charakterdrama, das nur zufällig dem Bild eines Westerns entspricht. Mit Ausnahme eines Raubüberfalls, welcher jedoch recht schnell abgehandelt wird, spielt sich die "Handlung" nahezu ausschließlich auf der psychologischen Ebene ab.

Dominik scheint bewusst in Kauf zu nehmen, dass seine Adaption mit modernen Sehgewohnheiten nur schwer kompatibel ist und viele Zuschauer, die einen traditionellen Western sehen wollen, vor den Kopf stößt. Soviel Mut nötigt Respekt ab. Und tatsächlich entlässt einen der Film mit einer schweren Melancholie – nicht zuletzt dank der Kameraarbeit eines Roger Deakins, bei dem das verschneite Missouri zuweilen vor karger Schönheit zu bersten scheint –, aber auch mit dem Gefühl, insbesondere der Person Robert Ford erstaunlich nahe gekommen zu sein.

3 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hey Ebert! Bin schon sehr gespannt auf den Film und hab deinen Beitrag gerne gelesen. Allerdings ist die Schönheit Missouris vor allem Kanada zu verdanken, da der Film weitestgehend in Alberta gedreht worden ist, wie ich diese Woche erfahren habe. Aber das nur so nebenbei.

LG Hirngabel aka hannibal

Oktober 27, 2007 12:52 AM  
Blogger Marcus kleine Filmseite said...

oh, am kompliment für deakins ändert das jedoch nichts ;)

ich hoffe, Du weisst, was Du vom film zu erwarten hast. ein typischer western ist "jesse james" wie geschrieben nämlich nicht.

Oktober 27, 2007 10:30 AM  
Blogger Flo Lieb said...

Sehe das genauso wie du. Der Film war auf jeden Fall die Sichtung wert!

Dezember 08, 2007 4:14 PM  

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