Sonntag, Mai 04, 2008

[Rec] - Kontrollverlust in Echtzeit


ESP 2007

+++1/2

Dieser Text enthält leichte Spoiler!

Mit seinem Ansatz, einen Film als quasi authentisches Live-Dokument zu konzipieren, stieß ein kleiner amerikanischer Horrorfilm namens Blair Witch Project vor knapp zehn Jahren die Tür zu einer ganz neuen Art von Genrefilmen auf. Doch es dauerte lange, bis auch andere Kreative den pseudo-dokumentarischen Look nutzten, um ihre Geschichten auf eine ähnlich effektive Weise zu erzählen. Nach Cloverfield, der dem ausgelutschten Monsterhorror über seine Videoästhetik einen erfrischenden Neustart ermöglichte, startet nun der spanische [Rec] in unseren Kinos.

Die Arbeit von Nameless-Regisseur Jaume Balagueró und seinem Kollegen Paco Plaza wurde auf renommierten Festivals wie Sitges bereits mit Auszeichnungen überhäuft. Entsprechend hoch dürften die Erwartungen der heimischen Horrorgemeinde sein. Daher das Wichtigste vorab: [Rec] löst sämtliche Versprechungen an einen guten, will heißen wirklich angsteinflößenden, Horrorfilm ein.

Dabei beginnt die bewusst einfach gehaltene Story noch recht harmlos und unspektakulär. Die Lokalreporterin Angela Vidal (Manuela Velasco) soll zusammen mit ihrem Kameramann Pablo die Arbeit einer Gruppe von Feuerwehrmännern dokumentieren. Deren Alltag, das wird Angela schnell klar, besteht größtenteils aus Warten und langweiligen Routineeinsätzen. Auch die Fahrt zu einem alten Mietshaus scheint anfangs ein solcher Routineeinsatz zu sein. Die Feuerwehr soll der Polizei Zutritt zu einer Wohnung verschaffen, aus der Nachbarn fürchterliche Schreie vernommen haben. Am Einsatzort angekommen treffen die Männer der Feuerwehr und das TV-Team auf eine Reihe neugieriger Hausbewohner, die nur zu gerne wüssten, was sich hinter der Wohnungstür zugetragen hat.

Als sich die Beamten schließlich Zutritt verschaffen, passiert etwas, womit wohl niemand gerechnet hat. Eine auf den ersten Blick hilfsbedürftige alte Frau greift die Männer unvermittelt an. Ein Polizist wird von ihr sogar so schwer in den Hals gebissen, dass er zu verbluten droht. Doch Hilfe zu holen ist unmöglich. So hat die Polizei inzwischen das Haus auf Anweisung des Gesundheitsamtes weiträumig abgesperrt. Alle Bewohner, das TV-Team und die eingeschlossenen Feuerwehrmänner werden aufgefordert, Ruhe zu bewahren. Bis endgültig geklärt ist, was in dem Haus tatsächlich vor sich geht, dürfen sie das Gebäude nicht verlassen. Und so sind sie alle plötzlich Gefangene in einem Albtraum, der sich – man ahnt es – längst nicht mehr kontrollieren lässt.

Akzeptiert man die Prämisse, dass die Kamera eine heilige Kuh ist und die Akteure lieber jedes Detail in Bild und Ton festhalten, anstatt anderen womöglich in höchster Not zur Hilfe zu eilen, kann die Fahrt in der Geister-Achterbahn beginnen. Einmal eingestiegen gibt es nach der kurzen und wie bei Cloverfield etwas beliebig erscheinenden Einleitung kaum noch Gelegenheit, einmal entspannt durchzuatmen. Selbst wenn das Timing mancher Schocks nicht optimal gewählt ist, dürften diese kaum ihre Wirkung verfehlen. Dafür sorgt bereits die subjektive Ich-Perspektive des Films, die jede Distanz zwischen Leinwand und Publikum aufkündigt und uns so zu einem Mitgefangenen im Vorhof der Hölle macht.

Balagueró und Plaza legten großen Wert darauf, die Action möglichst echt und zufällig erscheinen zu lassen. Im Gegensatz zum modernen Blockbusterkino, wo dramaturgische Höhepunkte zumeist mit Pauken und Trompeten angekündigt und inszeniert werden, geschieht der Horror in [Rec] fast beiläufig. Nicht immer kann die Kamera dabei jede Aktion von Anfang bis Ende festhalten, sei es, weil Kameramann Pablo selbst überrascht wurde oder er sich schlichtweg nicht unmittelbar am Ort des Geschehens aufhielt. Auch die zeitweiligen Bildaussetzer oder das zum Ende hin nicht mehr funktionstüchtige Licht des Aufnahmegeräts wurden stimmig und effektiv in den Plot integriert.

[Rec] funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil die Macher es verstehen, die Beschränktheit und Enge des Schauplatzes für ihre You Tube-Version eines Zombie-/Mutantenfilms optimal auszunutzen. Neben einer möglichst realistischen Darstellung des Horrors, der sich organisch aus einer anfänglich alltäglichen Situation peu á peu entfaltet, erzeugt die Isolation ein ungutes, beinahe klaustrophobisches Gefühl. Dazu muss man nicht einmal besonders unter Platzangst leiden. Während die Eskalation im Haus unaufhaltsam voranschreitet, arbeiten die überall anzutreffenden verschlossenen Türen und Fenster an der Steigerung des ohnehin omnipräsenten Grauens.

Balagueró und Plaza kennen bis zuletzt kein Pardon. Je mehr die Bedrohung in Gestalt immer weiterer Infizierter um sich greift, desto deutlicher schlägt der Kontrollverlust auch in der audio-visuellen Präsentation durch. Die Bilder werden noch verwackelter, die Schreie auf der Tonspur noch markerschütternder. Am Ende löst sich der Film in einem Fanal aus Blut, (Angst-)Schweiß und Tränen auf, das bei aller Unsicherheit nur eine Gewissheit zulässt: An [Rec] geht in Sachen Horror dieses Jahr kein Weg vorbei.

Erschienen bei BlairWitch.de.