Freitag, Mai 02, 2008

Wilde Unschuld - An der Oberfläche


USA 2007

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Es ist die Chronik einer wahren Katastrophe. Verpackt in elegante Bilder und basierend auf dem Tatsachen-Roman von Howard A. Rodman erzählt Wilde Unschuld von einer unglücklichen Ehe, zerstörerischen Abhängigkeiten und einer inzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung. Das Familiendrama rund um den schwerreichen Baekeland-Clan wäre heutzutage ein gefundenes Fressen für Paparazzis und Yellow Press.

Filmkritik:

Das Leben schreibt immer noch die unglaublichsten Geschichten. Dabei ist die Tragödie, die das drei Dekaden umspannende Familiendrama Wilde Unschuld vor dem Zuschauer ausbreitet, durch zahlreiche Zeugenaussagen und Briefe der Beteiligten bis ins Detail verbürgt. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf, als die hübsche Möchtegern-Schauspielerin Barbara Daly (Julianne Moore) in die hoch angesehene Baekeland-Dynastie einheiratet. Ihr Mann Brooks (Stephen Dillane) ist der Enkel des aus Belgien stammenden Chemikers Leo Hendrik Baekeland, der Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung des nach ihm benannten Kunststoffes Bakelite ein Vermögen machte.

Die Ehe ist nur nach außen perfekt. Beide haben Affären. Barbara sucht zudem verzweifelt nach Anerkennung und Bestätigung, was ihr im Kreis der High Society aber zumeist verwehrt bleibt. Auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Antony und der Umzug nach Europa ändern nichts an dieser Situation. So vergehen die Jahre, in denen sich die Eheleute immer weiter voneinander entfremden. Während Antony (Eddy Redmayne) allmählich erwachsen wird und seine eigene Sexualität entdeckt – schnell wird klar, dass er eigentlich Männer liebt –, zieht Brooks einen Schlussstrich unter die Beziehung zu Barbara. Sein Herz gehört einer Jüngeren. Bianca (Elena Anaya), ausgerechnet ein früherer Urlaubsflirt seines Sohnes, ist fortan die Frau an seiner Seite.

Man ahnt, dass diese Geschichte kein Gutes Ende nehmen wird. Von den ersten Minuten an liegt eine erdrückende Last auf den opulenten Bildern des High Society-Lebens, das bereits damals erschreckend genau den von Boulevard-Blättern kolportierten Klischees des modernen Jetsets entsprach. Kameramann Juan Miguel Azpiroz packt den verschwenderischen Luxus in stilvolle, bisweilen gar stilisierte Aufnahmen. Dabei ist die Idylle an Urlaubsorten wie der Costa Brava oder Mallorca stets zu perfekt, als dass man ihr auch nur für einen Moment trauen könnte, zumal der an klassische Suspense-Filme angelehnte Score die düstere Vorahnung noch befeuert.

Ein Hauch von Shakespeare umweht Tom Kalins tragische Familien-Chronik, die von selbstzerstörerischen, neurotischen und psychisch schwer gestörten Charakteren förmlich zu bersten scheint. Und vermutlich ist das auch der größte Haken an Wilde Unschuld. Denn es fällt trotz der durchweg erstklassigen Besetzung schwer, sich für diesen Haufen – pardon – arroganter Schnösel zu interessieren, deren einziger Zeitvertreib die Zurschaustellung der eigenen Eitelkeit zu sein scheint. Lediglich für Julianne Moores einsame Society-Lady lässt sich so etwas wie Verständnis aufbringen. Dabei beeindruckt die Moore einmal mehr in einer dramatischen Rolle, deren distinguierte Eleganz gewisse Parallelen zu Todd Haynes Douglas Sirk-Hommage Dem Himmel so fern offenbart.

Leider trägt das mondäne Setting nicht über die gesamte Laufzeit. So kann auch die ausgeklügelte Ästhetik das mitunter deutlich spürbare inhaltliche Vakuum nicht kaschieren. Denn obwohl Wilde Unschuld innerhalb seiner 96 Minuten vieles behandelt – angefangen von einer unglücklichen Ehe, über einen Coming-of-Age-Subplot bis hin zu einer inzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung–, geht der Film nur selten in die Tiefe. Es mag zwar konsequent sein, einen oberflächlichen Film über vermeintlich oberflächliche Menschen zu drehen, wirklich zufriedenstellen kann diese Analogie letztlich jedoch nicht.

Für Programmkino.de.