Sonntag, Februar 27, 2011

Unknown Identity - Berlin Calling


USA 2011

++1/2

Zu wissen, wer man ist und somit ein Bewusstsein in Bezug auf die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, das zeichnet uns Menschen aus. Was geschieht aber, wenn uns diese fundamentalen Koordinaten in Bezug auf das eigene Leben plötzlich genommen werden? Dem erfolgreichen Wissenschaftler Dr. Martin Harris (Liam Neeson) widerfährt genau ein solches Horrorszenario. Als er nach einem schweren Autounfall aus dem Koma erwacht, muss er mitansehen, wie ein anderer Mann (Aidan Quinn) seinen Platz eingenommen hat. Mehr noch: Sogar seine geliebte Ehefrau Liz (January Jones) erkennt ihn nicht mehr. Martin weiß nicht, wie ihm geschieht. Im verschneiten Berlin, wo er eigentlich einen Biotechnologie-Kongress besuchen wollte, begibt er sich auf die Suche nach Antworten. Schnell wird ihm dabei klar, dass diese Recherche tödlich für ihn enden kann. Ein eiskaltes Killerkommando ist ihm bei seinen Nachforschungen stets dicht auf den Fersen.

Liam Neeson hat in den letzten Jahren eine beeindruckende Wandlung vom anerkannten Charakterdarsteller zum gefeierten Action-Helden durchlaufen. Diese Metamorphose nach einer bereits so langen Schauspielkarriere ist bemerkenswert und vor allem das Ergebnis eines Films. Der von Luc Besson produzierte Rache-Thriller 96 Stunden katapultierte Neeson nicht nur zurück auf die A-Liste Hollywoods, für den gebürtigen Nordiren war mit der Rolle des aufopferungsvoll kämpfenden Familienvaters zugleich ein gewisser Imagewechsel verbunden. Zwar wurde Neeson aufgrund seiner beeindruckenden Physis auch schon vorher für Actionparts besetzt – Batman Begins sei hier nur erwähnt –, dass ein Film fortan aber ausschließlich über seinen Namen vermarktet wurde, dürfte für ihn eine recht neue Erfahrung gewesen sein.

Nicht anders verhält es sich mit Unknown Identity. Liam Neeson ist Dreh- und Angelpunkt des Films, was sich schon daran zeigt, dass kaum eine Szene ohne ihn auskommt. Seiner Präsenz sind sogar alte Haudegen wie Frank Langella oder Bruno Ganz – letzterer in der ziemlich klischeehaften Rolle eines früheren Stasi-Spions – nicht gewachsen. Wirklich fehlbesetzt erscheint hingegen Diane Kruger, die als Balkan-Flüchtling und Gelegenheits-Taxifahrerin mit ihrem merkwürdigen Ostblock-Akzent lediglich hübsch anzusehen ist. Nicht nur weil die Geschichte in Berlin spielt und mit ihren kinetischen Jagdszenen bisweilen stark an die Bourne-Reihe erinnert, wünschte man sich, Franka Potente hätte die blonde Diane ersetzt.

Nach einer kurzen, vergleichsweise ruhigen Einleitung mit winterlichen Hauptstadt-Impressionen – die Taxifahrt vom Flughafen führt Martin und seine Frau scheinbar an allen Berliner Wahrzeichen einmal vorbei – dreht Regisseur Jaume Collet-Sera (Orphan – Das Waisenkind) das erste Mal den Action-Pegel so richtig auf. Der Autounfall, der Neesons identitätssuchenden Doktor schließlich für vier Tage ins Koma schickt, ist rasch vorbei und doch ein erstes, unübersehbares Ausrufezeichen für das, was folgt. So beglückt uns Unknown Identity später noch mit zwei äußerst dynamisch gefilmten Verfolgungssequenzen, bei denen die Qualitäten eines guten Actionfilms in Montage, Aufbau und einer konsequent forcierten Eskalation unverkennbar sind. Nur Ortskundige werden sich darüber amüsieren, dass der Film dabei plötzlich den Schauplatz wechselt und kurzerhand für einige Szenen von Berlin nach Leipzig springt.

Solange nicht genau geklärt ist, welches (falsche?) Spiel mit Martin gespielt wird und wieso sogar seine Frau von ihm auf einmal nichts mehr wissen will, hält die Geschichte eine gewisse Suspense. Die präsentierten Hinweise, die recht früh in eine bestimmte Richtung zeigen, ergeben rückblickend glücklicherweise ein halbwegs stimmiges Bild. Gleichwohl hätte man sich eine raffiniertere Auflösung gewünscht. Bei Collet-Seras letztem Film, dem cleveren Mystery-Thriller Orphan – Das Waisenkind, ging man diesbezüglich ein wesentlich höheres Risiko ein. Dort überraschte und verstörte das Ende gleichermaßen, was sich von Unknown Identity wahrlich nicht sagen lässt. Stattdessen lenkt die Genrelogik das Geschehen zum Finale in sehr vertraute Bahnen.

Das in Summe solide Thriller-Konstrukt, das letztlich doch sehr an Polanskis Frantic erinnert, kann jedoch nicht jede Peinlichkeit überdecken. Neben Krugers offenkundige Fehlbesetzung sorgt auch der ziemlich naive und gerade in den letzten Minuten präsente Weltverbesserungsgedanken für Belustigung. Der Versuch, dem Film quasi im Schlepptau seines Actionplots eine politische Agenda anzuhängen, wird von Collet-Sera mit Vollgas gegen die Wand gefahren. Es ist der einzige Crash, der mitanzusehen nun wirklich keinen Spaß macht.

Für BlairWitch.de.