Der freie Wille - Gegen die Wand
D 2006
++1/2
Psycho-Studien sind per se ein heikles Sujet. Weil vieles nur gedacht und somit ungesagt bleibt, weil sich innere Widersprüche und Ängste nur schwer visualisieren lassen, müssen fast zwangsläufig viele filmische Umsetzungen scheitern. Egal ob aus einem Defizit an handwerklichen Fähigkeiten oder falschem Ehrgeiz der Filmemacher. Wenn sich dann eine solche Rekonstruktuion des Ichs mit einer Person beschäftigt, die gemeinhin nur Verachtung und Abscheu entgegengebracht bekommt, wird aus der heiklen Mission eine brandgefährliche. Regisseur Michael Glasner konzipierte mit Schauspieler Jürgen Vogel und Autorin Judith Angerbauer das Fallbeispiel eines mehrfachen Vergewaltigers, der nach neun Jahren im Maßregelvollzug in eine neue Freiheit entlassen wird. Theo (Jürgen Vogel), so sein Name, muss sich an diese veränderte Situation gewöhnen. Unter der Aufsicht eines Sozialtherapeuten (André Hennicke) lebt Theo fortan in einer Männer-WG. Mit Kampfsport und Fitnessübungen versucht er, seine unterdrückten Triebe zu kanalisieren und zu beherrschen. Dabei wird ihm schmerzlich bewusst, dass sich manches einfach nicht beherrschen lässt. Das, was ihn einst ins Gefängnis brachte, ist noch immer in ihm. Es gräbt sich den Weg an die Oberfläche, unaufhaltsam, Schicht für Schicht.
Auch als Theo Arbeit in einer Druckerei findet und so Nettie (Sabine Timoteo), die Tochter des Chefs, kennenlernt, keimt nur kurzzeitig Hoffnung auf. Zwar findet er nach einem missglückten Anlauf in ihr schließlich die lange erhoffte Partnerin, seinen inneren Frieden findet er jedoch auch mit Nettie nicht. Wie bleierne Gewichte hängt die Vergangenheit an ihrer Beziehung und an Theos Seelenleben. Was werden sich Glasner und sein Co-Autor und Co-Produzent Vogel nicht alles an Kritik anhören müssen, vermutlich zumeist von Leuten, die den Film gar nicht gesehen haben. Von der moralischen Frage nach der Zentrierung der Perspektive auf den Tätern bis hin zu einem vorschnellen Plädoyer für ein lebenlanges Wegsperren von Sexualstraftätern dürfte die lange Liste der falschen Anschuldigungen reichen. Den einen wird Vogels Darstellung zu mitleidshaschend sein, wiederum anderen dürfte der explizite Umgang mit Sexualität und der Tat zu weit gehen.
Gerade letzteres zeigt „Der freie Wille“ schonungslos und direkt. Der menschenverachtende Akt der Vergewaltigung wurde vielleicht nur in Gaspar Noés Rachedrama „Irreversibel“ ähnlich verstörend eingefangen. Theo fällt keuchend, atemlos und voller Hass über das Opfer her, fesselt es, schägt es brutal zusammen und vergeht sich dann an der wehrlosen Frau. In dem Glasner die Tat an den Anfang seines fast dreistündigen Werks stellt, eingefangen mit dem in diesem Kontext durchaus sinnvollen Stilmittel der Handkamera, baut sich gleich zu Beginn eine moralische Hemmschwelle zwischen Theo und dem Zuschauer auf, die sich auf die abstoßenden Bilder der Tat gründet. Alles, was dieser Theo macht, sagt und denkt, verlangt nach einer vergleichenden Bewertung. Wo hört er, der die Würde seiner Mitmenschen achtet, auf, wo fängt der scheinbar pathologische Kriminelle an? An der Schnittstelle blicken wir auf Theo und damit in ein tiefes schwarzes Loch.
Vogel gibt Theo als einen Getriebenen, als einen Menschen, der Unglück über andere und sich selber bringt, und das obwohl er weiß, was er da tut. Für seine herausragende Leistung bekam Vogel den Preis als Bester Darsteller beim renommierten New Yorker Tribeca Filmfestival verliehen. Neben seiner ausgeprochen körperlichen Herangehensweise, die zuweilen an Robert DeNiros Spiel in „Taxi Driver“ nicht nur wegen der Parallelen in der sportlichen Betätitgung erinnert, beeindruckt, wie es ihm gelingt, das abstrakte Psychogramm eines komplexen Charakters auf einzelne konkrete Gesten und Manierismen herunterzubrechen. Mit leichtem Überbiss, einer verkrampften, verunsicherten Körperhaltung und einem unruhigen Blick entsteht so vor unseren Augen das Bild eines Mannes, der unter der Last seines Wesens zusammenbrechen muss. Es ist eher Mitgefühl, denn Mitleid, was sich für Theo einstellt, ohne dass es jemals zu einer falschen Relativierung seiner Verbrechen käme.
Die ersten zwei Stunden stehen ganz im Zeichen von Theos Kampf gegen die eigenen inneren Dämonen. Es erstaunt, wie mühelos es Glasner gelingt, uns eine gänzlich andere Perspektive auf uns selbst und unsere Gesellschaft aufzuzeigen. Da wird mitunter ein im von den meisten kaum mehr beachtetes Werbeplakat mit halbnackten Menschen für Theo zu einer fast schon existenziellen Prüfung, oder einige Mädels in bauchfreiem Top zu einer, auch für den Zuschauer, schweißtreibenden Angelegenheit. Wir spüren: Es fehlt nur ein Funke und die Situation würde eskalieren. Spannender als das Gros der Thriller- und Horrorbeiträge sind Theos einsame Spaziergänge durch neonlichtüberflutete U-Bahnhöfe und dunkle Seitenstraßen. Die Angst sitzt ihm im Nacken. Ein potentielles Opfer ist immer in Sichtweite, fixiert von Matthias Glasners energetischer Handkamera.
Dass „Der freie Wille“ trotz all der zuvor beschriebenen Vorzüge dennoch nicht überzeugt, oder härter formuliert, sogar enttäuscht, liegt an der Entscheidung, Netties Person mit einer fast unerträglichen artifiziellen Tristesse auszustatten, die den Film wie Kaugummi in die Länge zieht. Nahezu die komplette letzte Stunde gehört ihr und ihrem emotionalen Vakuum, was sie dank Theo hofft, wieder auffüllen zu können. Allerdings ist sowohl sie als Person als auch das gestörte Verhältnis zu ihrem Vater viel zu nebulös angelegt. Das hier ist Theos Geschichte, Netties Praktikum bei einem belgischen Chocolatier-Meister und der dümmliche schlichtweg überflüssige Racheakt eines Opfers führen zu Nichts. So bleibt das (über-)ambitionierte Projekt in packenden 120 Minuten stecken, denen man dabei zusehen kann, wie sie schlussendlich in Zeitlupe gegen die Wand gefahren werden.
++1/2
Psycho-Studien sind per se ein heikles Sujet. Weil vieles nur gedacht und somit ungesagt bleibt, weil sich innere Widersprüche und Ängste nur schwer visualisieren lassen, müssen fast zwangsläufig viele filmische Umsetzungen scheitern. Egal ob aus einem Defizit an handwerklichen Fähigkeiten oder falschem Ehrgeiz der Filmemacher. Wenn sich dann eine solche Rekonstruktuion des Ichs mit einer Person beschäftigt, die gemeinhin nur Verachtung und Abscheu entgegengebracht bekommt, wird aus der heiklen Mission eine brandgefährliche. Regisseur Michael Glasner konzipierte mit Schauspieler Jürgen Vogel und Autorin Judith Angerbauer das Fallbeispiel eines mehrfachen Vergewaltigers, der nach neun Jahren im Maßregelvollzug in eine neue Freiheit entlassen wird. Theo (Jürgen Vogel), so sein Name, muss sich an diese veränderte Situation gewöhnen. Unter der Aufsicht eines Sozialtherapeuten (André Hennicke) lebt Theo fortan in einer Männer-WG. Mit Kampfsport und Fitnessübungen versucht er, seine unterdrückten Triebe zu kanalisieren und zu beherrschen. Dabei wird ihm schmerzlich bewusst, dass sich manches einfach nicht beherrschen lässt. Das, was ihn einst ins Gefängnis brachte, ist noch immer in ihm. Es gräbt sich den Weg an die Oberfläche, unaufhaltsam, Schicht für Schicht.
Auch als Theo Arbeit in einer Druckerei findet und so Nettie (Sabine Timoteo), die Tochter des Chefs, kennenlernt, keimt nur kurzzeitig Hoffnung auf. Zwar findet er nach einem missglückten Anlauf in ihr schließlich die lange erhoffte Partnerin, seinen inneren Frieden findet er jedoch auch mit Nettie nicht. Wie bleierne Gewichte hängt die Vergangenheit an ihrer Beziehung und an Theos Seelenleben. Was werden sich Glasner und sein Co-Autor und Co-Produzent Vogel nicht alles an Kritik anhören müssen, vermutlich zumeist von Leuten, die den Film gar nicht gesehen haben. Von der moralischen Frage nach der Zentrierung der Perspektive auf den Tätern bis hin zu einem vorschnellen Plädoyer für ein lebenlanges Wegsperren von Sexualstraftätern dürfte die lange Liste der falschen Anschuldigungen reichen. Den einen wird Vogels Darstellung zu mitleidshaschend sein, wiederum anderen dürfte der explizite Umgang mit Sexualität und der Tat zu weit gehen.
Gerade letzteres zeigt „Der freie Wille“ schonungslos und direkt. Der menschenverachtende Akt der Vergewaltigung wurde vielleicht nur in Gaspar Noés Rachedrama „Irreversibel“ ähnlich verstörend eingefangen. Theo fällt keuchend, atemlos und voller Hass über das Opfer her, fesselt es, schägt es brutal zusammen und vergeht sich dann an der wehrlosen Frau. In dem Glasner die Tat an den Anfang seines fast dreistündigen Werks stellt, eingefangen mit dem in diesem Kontext durchaus sinnvollen Stilmittel der Handkamera, baut sich gleich zu Beginn eine moralische Hemmschwelle zwischen Theo und dem Zuschauer auf, die sich auf die abstoßenden Bilder der Tat gründet. Alles, was dieser Theo macht, sagt und denkt, verlangt nach einer vergleichenden Bewertung. Wo hört er, der die Würde seiner Mitmenschen achtet, auf, wo fängt der scheinbar pathologische Kriminelle an? An der Schnittstelle blicken wir auf Theo und damit in ein tiefes schwarzes Loch.
Vogel gibt Theo als einen Getriebenen, als einen Menschen, der Unglück über andere und sich selber bringt, und das obwohl er weiß, was er da tut. Für seine herausragende Leistung bekam Vogel den Preis als Bester Darsteller beim renommierten New Yorker Tribeca Filmfestival verliehen. Neben seiner ausgeprochen körperlichen Herangehensweise, die zuweilen an Robert DeNiros Spiel in „Taxi Driver“ nicht nur wegen der Parallelen in der sportlichen Betätitgung erinnert, beeindruckt, wie es ihm gelingt, das abstrakte Psychogramm eines komplexen Charakters auf einzelne konkrete Gesten und Manierismen herunterzubrechen. Mit leichtem Überbiss, einer verkrampften, verunsicherten Körperhaltung und einem unruhigen Blick entsteht so vor unseren Augen das Bild eines Mannes, der unter der Last seines Wesens zusammenbrechen muss. Es ist eher Mitgefühl, denn Mitleid, was sich für Theo einstellt, ohne dass es jemals zu einer falschen Relativierung seiner Verbrechen käme.
Die ersten zwei Stunden stehen ganz im Zeichen von Theos Kampf gegen die eigenen inneren Dämonen. Es erstaunt, wie mühelos es Glasner gelingt, uns eine gänzlich andere Perspektive auf uns selbst und unsere Gesellschaft aufzuzeigen. Da wird mitunter ein im von den meisten kaum mehr beachtetes Werbeplakat mit halbnackten Menschen für Theo zu einer fast schon existenziellen Prüfung, oder einige Mädels in bauchfreiem Top zu einer, auch für den Zuschauer, schweißtreibenden Angelegenheit. Wir spüren: Es fehlt nur ein Funke und die Situation würde eskalieren. Spannender als das Gros der Thriller- und Horrorbeiträge sind Theos einsame Spaziergänge durch neonlichtüberflutete U-Bahnhöfe und dunkle Seitenstraßen. Die Angst sitzt ihm im Nacken. Ein potentielles Opfer ist immer in Sichtweite, fixiert von Matthias Glasners energetischer Handkamera.
Dass „Der freie Wille“ trotz all der zuvor beschriebenen Vorzüge dennoch nicht überzeugt, oder härter formuliert, sogar enttäuscht, liegt an der Entscheidung, Netties Person mit einer fast unerträglichen artifiziellen Tristesse auszustatten, die den Film wie Kaugummi in die Länge zieht. Nahezu die komplette letzte Stunde gehört ihr und ihrem emotionalen Vakuum, was sie dank Theo hofft, wieder auffüllen zu können. Allerdings ist sowohl sie als Person als auch das gestörte Verhältnis zu ihrem Vater viel zu nebulös angelegt. Das hier ist Theos Geschichte, Netties Praktikum bei einem belgischen Chocolatier-Meister und der dümmliche schlichtweg überflüssige Racheakt eines Opfers führen zu Nichts. So bleibt das (über-)ambitionierte Projekt in packenden 120 Minuten stecken, denen man dabei zusehen kann, wie sie schlussendlich in Zeitlupe gegen die Wand gefahren werden.
1 Comments:
Einen drei Stunden langen Film über einen Triebtäter zu drehen, das hielt ich auch von Anfang an für ein sich selbst leicht überschätzendes und für zu episch verstehendes Projekt. Vogel's Spiel allerdings wird mich dann wohl doch ins Kino treiben, denn das scheint ja tatsächlich über jeden Zweifel erhaben.
Und zumindest hört es sich in deiner schönen Besprechung ja so an, als ob der Film seine rabiate Handlung nicht einfach nur zum puren Selbstzweck benutzt.
Die größte Gefahr wurde somit umschifft.
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