Samstag, September 09, 2006

Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders

D 2006

++1/2

Patrick Süskinds Roman Das Parfum hat sich seit seinem Erscheinen 1985 weltweit über 15 Millionen Mal verkauft. So etwas nennt man wohl Bestseller. Es ist der größte deutsche Romanerfolg seit Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Klar, dass Erfolgsproduzent Bernd Eichinger, den mit Süskind eine langjährige Freundschaft verbindet, die erste Gelegenheit nutzte, sich die Filmrechte an diesem eigentlich als unverfilmbar geltenden Stoff zu sichern. Süskind hatte seinen Widerstand gegen eine filmische Adaption aufgegeben, wohl auch, weil er um Eichingers Hartnäckigkeit wusste. Was der Münchner sich in den Kopf gesetzt hat, das zieht er auch durch. Mit Tom Tykwer fand sich schließlich ein bei Publikum und Kritik gleichermaßen respektierter Regisseur, der sich an das mit 45 Mio. Euro teuerste deutsche Kinoprojekt wagte.

Das Parfum, so lässt sich bereits im Untertitel Die Geschichte eines Mörders erfahren, erzählt den Werdegang eines nicht wirklich sympathischen Zeitgenossen. Wir schreiben das Jahr 1738. Geboren im Dreck und Gestank des Pariser Fischmarktes, soll das Baby, das später den Namen Jean-Baptiste Grenouille trägt, eigentlich wie ein Stück Abfall entsorgt werden. Nur der Aufmerksamkeit einiger Passanten verdankt es die Rettung vor dem sicheren Tod. Als junger Mann (dargestellt von Newcomer Ben Whishaw), der in den Waisenhäusern und als entrechteter Arbeitssklave bereits zuviel für ein einzelnes Leben durchleiden musste, ist er gefangen in seiner ganz eigenen Welt. Ohne genau zu wissen, was Recht und was Unrecht ist, sprachlich zurückgeblieben, ein autistischer Charakter, besitzt er doch die außergewöhnliche Gabe, jeden Duft, jeden Geruch in seine jeweiligen Bestandteile zu entschlüsseln. Diese Fähigkeit weckt schließlich das Interesse des Parfumeurs Baldini (Dustin Hoffman). Während Jean-Baptiste bei ihm das Handwerk eines Parfumeurs erlernt, entwickelt er unbeobachtet eine nicht mehr zu kontrollierende Obsession. Er ist besessen von der Idee, menschliche Aromen zu konservieren. Dafür ist ihm jedes Mittel recht.

Das Parfum ist zunächst einmal ein dunkles Märchen, das seinen historischen Kontext nicht zwingend benötigt. Zugleich ist es das detaillierte Psychogramm eines Mörders, das sich unter Abstraktion der opulenten Hülle in die Reihe moderner Serienkiller-Filme einordnen lässt. Genre-Highlights wie Henry: Portrait of Serial Killer und Das Schweigen der Lämmer, die mehr Wert auf die Sezierung der Täterpsyche als auf die Zurschaustellung blutiger Körper legen, unternehmen ebenso wie Tykwers Adaption den Versuch, das Unbegreifliche erfahrbar zu machen. Genau so, damit wir es gerade noch erklären, aber nicht rational verstehen können. Über nahezu zweieinhalb Stunden einem zwischen Unsicherheit und tiefer Einsamkeit entrückten Charakter dabei zuzusehen, wie er versucht, das eigene innere Vakuum zu füllen, stellt an den Zuschauer die keineswegs leichte Forderung, sich für jemanden zu interessieren, dem man eigentlich keine Empathie entgegen bringen möchte. Bernd Eichinger, der gemeinsam mit Andrew Birkin und Tom Tykwer das Drehbuch verfasste, sah folglich auch in der Umsetzung von Grenouilles Persönlichkeit als amoralische aber zugleich faszinierende Institution die größte Herausforderung während des Schreibprozesses.

Nein, eine Identifikationsfigur ist dieser Jean-Baptiste nicht. Zumindest solange man sich auf der Ebene des Plots bewegt. Den Erfolg der Vorlage dürfte in Wahrheit etwas anderes ausgemacht haben. Süskind ist kein derart talentierter Erzähler, wie es die Stellung, die sein Roman national wie international einnimmt, nahe legt. Er hat aber mit dem Duftmörder eine Projektionsfläche geschaffen, die jeder für sich mit anderem Inhalt füllen kann. Der in den westlichen Gesellschaften zu beobachtende Trend zur Versinglelung, die Einsamkeit inmitten hektischer Betriebsamkeit und die Flucht in jeweils andere Fetische, sind die eigentlichen Sujets mit denen Buch wie Film spielen. Der britische Aufsteiger Ben Whishaw brilliert in dieser ambivalenten jenseits aller Wert- und Moralvorstellungen angelegten Rolle. Ihn umgibt einerseits eine undurchdringliche Aura, andererseits reißt er sich vor unseren Augen sein Herz aus der Brust und weint im Bewusstsein, niemals Liebe und Nähe erfahren zu haben, bittere Tränen.

Leider spielt Tykwer zu selten die Stärken seines Hauptdarstellers aus. Stattdessen setzt er auf die gelackte Inszenierung der im Übermaß vorhandenen Schauwerte. Auch wenn Kameramann Frank Griebe Bilder von madenübersähten Fischkadavern und schlammgetränkten Kleidern einfängt, ist die kostümierte Kulisse jederzeit als solche spürbar. Zu offensichtlich soll sich der Zuschauer an dem Chaos in den engen Gassen und den epischen Naturaufnahmen satt sehen, zu platt spiegelt Das Parfüm die Sehnsucht seiner Macher nach Epos und Spektakel wieder. Subtilität sieht anders aus. Obwohl Tykwer bereits bewiesen hat, dass er auch symbolträchtige, märchenhafte Geschichten inszenieren kann (Lola rennt, Der Krieger und die Kaiserin), scheinen ihm hier die Produktionswerte die Sicht auf das Wesentliche, sprich auf Grenouille, versperrt zu haben. Der Funke will nicht überspringen. So kann man Das Parfum bestenfalls bewundern wie ein Gemälde der alten Meister ob seiner Opulenz und erdigen Bilderpracht. Nur wirklich lieben kann man Tykwers Opus Magnum schwerlich. Womit wir wieder bei Jean-Baptiste Grenouille wären.

Für Kino-Zeit.

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hallo Marcus,

in Deinen negativen Punkten kann ich überhaupt nicht übereinstimmen. Du verlangst Subtilität a la Lola etc.? Sehe ich nicht unbedingt in der Vorlage. Ich denke auch, dass Süskind gut erzählen kann. War lange nicht so schnell durch ein Buch. Er macht das freilich auf SEINE Art und Weise. Gute Recherche verhilft zu "blumig" beschriebenen und interessanten Elementen. Ich denke auch nicht, dass man die Geschichte mit irgendetwas vergleichen sollte, schon gar nicht mit klassischen Psychothrillern. Sie ist vielmehr so ein Ding zwischen Fantasie, Psycho, Wissenschaft und Gesellschaftsstudie (!). Klar kann man das auf die heutige Zeit übertragen, für mich lag aber ein Teil der Faszination in der Zeit, in der das Ganze spielt. Und hier setzt auch Tykwer an.

Viele Kririker bemäkeln, zuviel von Whishaws Nase zu sehen, Du regst Dich nun wieder auf, zu wenig Whishaw gezeigt zu bekommen. Für mich ist er "unsympathisch" und unattraktiv genug, um dem Buch zu genügen. Das einzige Problem für mir beim Film war schlicht die Kenntnis der Vorlage in Bezug auf die Spannung der Geschichte. Deshalb habe ich mich auch auf's Gezeigte (Bild und Ton) konzentriert und wurde nicht enttäuscht. Wüsste nicht, was man hätte anders machen sollen ...

Grüße

September 21, 2006 10:45 PM  
Blogger Marcus kleine Filmseite said...

hi thoro!

ja, subtilität erwarte ich schon von einem solchen psychogramm. letzteres ist die vorlage für mich nämlich auch, neben einem märchen (wie ich auch schreibe) und einen sittengemälde, das man aber durchaus auf heute übertragen kann, eben dann, wenn man grenouilles probleme betrachtet. ich muss zugeben, dass mir schon die vorlage nicht sonderlich gefiel, ein talentierter erzähler ist süskind jedenfalls für mich nicht.

im film ist grenouille doch deutlich sympatischer gezeichnet, was wohl der tatsache geschuldet sein dürfte, dass man den zuschauer nicht mit einem ekelpaket 147 minuten alleine lassen wollte.

spannung? fehlanzeige! aber das ist auch nicht der große malus für mich, denn ein thriller ist "das parfüm" sicherlich nicht. für mich wälzte sich tykwer zu offensichtlich an den schauwerten, die wie gemälde hpbsch drappiert worden. dabei trat doch grenouille in den hintergrund, das kreide ich dem film an.

September 21, 2006 10:58 PM  

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