Tödliche Versprechen - Eastern Promises
GB/KAN/USA 2007
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David Cronenbergs Interesse galt seit jeher dem Abseitigen, dem, was wir die meiste Zeit über zu verbergen suchen, was sich jedoch nicht immer verbergen lässt. Passend zu dieser Sphäre des Dunkeln und Geheimnisvollen erscheint der Ort, an dem sein neuester Film Tödliche Versprechen – Eastern Promises spielt. Es ist das London abseits der bekannten Touristenmotive und Sightseeing-Touren. Bereits die ersten Minuten etablieren den Schauplatz des vor allem von Immigranten bewohnten, wenig glamourösen East End als Raum voller Gefahren und Abgründe. Wir sehen, wie ein junger Mann ein kleines Friseurgeschäft betritt. Ein Kunde, dem Akzent nach zu urteilen ein Osteuropäer, erhält dort gerade eine Rasur. Eine auf den ersten Blick alltägliche Situation. Doch irgendwie hängt das Gefühl einer unheilvollen Bedrohung über der gesamten Szene. So wirkt der junge Mann äußerst unsicher und nervös. Eher wir noch über die Gründe für sein auffälliges Verhaltern spekulieren können, entlädt sich die Anspannung auch schon in einem kurzen, dafür aber umso blutigen Exzess.
Wie schon bei seinem Vorgänger A History of Violence, der als Reflexion über Gewalt als Teil der menschlichen Natur angelegt war, stellt Cronenberg ein grausames Verbrechen an den Anfang seiner Geschichte. Diese bewegt sich im Milieu der russischen Mafiaorganisation „Vory V Zakone“, deren Mitglieder sich einem strengen Verhaltenskodex unterwerfen müssen. Drogenschmuggel, Zwangsprostitution, Menschenhandel, scheinbar überall haben die „Vors“ ihre Finger im Spiel, wobei sie stets auf Diskretion und Verschwiegenheit bedacht sind.
Der Zufall will es, dass die Hebamme Anna (Naomi Watts) mit dieser für sie fremden Welt in Kontakt gerät. Nachdem eine junge Mutter, deren Identität zunächst nicht geklärt werden kann, bei der Geburt ihres Kindes stirbt, nimmt sich Anna des Kleinen an. Sie ist fest entschlossen, die Angehörigen des Mädchens ausfindig zu machen. Ihre Nachforschungen gründen sich dabei auf ein in russischer Sprache verfasstes Tagebuch und die Visitenkarte eines transsibirischen Restaurants. Als sie zu der darauf abgedruckten Adresse fährt, trifft sie auf Nikolai (Viggo Mortensen), einen wortkargen, geheimnisvollen Russen, der für Semyon (Armin Müller-Stahl), den Besitzer des Restaurants, arbeitet. Anna ist sich sicher, dass die Männer die Tote kannten. So seltsam, wie sich Semyons aufbrausender Sohn Kirill (Vincent Cassel) verhält, muss sie befürchten, einer schrecklichen Wahrheit auf der Spur zu sein, die auch sie und ihre Familie in höchste Gefahr bringen könnte.
Es mag eingefleischte Cronenberg-Jünger enttäuschen, wenn sie lesen müssen, dass Tödliche Versprechen als die mit Abstand bislang geradlinigste, auf die Sehgewohnheiten des Mainstream zugeschnittene Regiearbeit des Kanadiers durchgeht. Der Film ähnelt in Ton und Struktur mehr einem klassischen Mob-Thriller als Cronenbergs eigenen Werken, die unter der Oberfläche nicht selten an ihrer psychologischen wie allegorischen Komplexität zu ersticken drohten. Auch fehlt es an wirklich verstörenden Themen wie sie von Cronenberg noch für Crash oder Die Unzertrennlichen aufgegriffen wurden, was nicht heißt, der Film sei damit gleich auch zartbesaiteten Gemütern vorbehaltlos zu empfehlen. Denn zumindest die eruptiven Gewaltausbrüche, wie sie für das Genre seit Der Pate charakteristisch sind, dürften bei weiten Teilen des Publikums nicht ihre Wirkung verfehlen.
Vor allem eine Szene dokumentiert Cronenbergs unbestreitbare Qualitäten als Regisseur. In einem Dampfbad gerät Nikolai in einen Hinterhalt. Zwei mit Messern bewaffnete Killer stechen mehrmals auf ihn ein, was diesen jedoch nicht davon abhält, sich seinerseits mit aller Vehemenz zur Wehr zu setzen. Was folgt, ist ein rasanter und mit unglaublicher Präzision montierter Schlagabtausch, der sich zu einem wahren Schlachtfest auswächst und dessen physische Intensität einem bereits beim Zuschauen körperlichen Schmerzen bereitet. Am Ende liegt Mortensens nackter, für die Rolle mit Tattoos präparierter Körper blutüberströmt auf den weißen Fließen. Es ist ein Bild, das sich tief ins Gedächtnis einbrennt und dabei zugleich als einer der immer spärlicheren Belege für Cronenbergs Unangepasstheit gelten kann.
Für das Drehbuch zeichnete sich Steve Knight verantwortlich, der für sein Skript zu Stephen Frears Dirty Pretty Things immerhin eine Oscar-Nominierung erhielt. Wie dieser thematisiert auch Tödliche Versprechen das Leben einer Gruppe von Immigranten in der britischen Hauptstadt. Allerdings erscheinen die Schilderungen des sozialen Zusammenhalts dieses Mal eher wie folkloristisches Beiwerk, auf das Cronenberg getrost hätte verzichten können. So hält sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen, wenn im Restaurant des Patriarchen Semyon anlässlich einer Geburtstagsfeier allerlei Spezialitäten aus der Heimat aufgetischt und alte russische Volkslieder intoniert werden.
Kurzweilig, wenngleich auch wenig spektakulär, ist das, was uns der Film über die Struktur und Regeln der „Vory V Zakone“ zu erzählen hat. Die Mitglieder verstehen sich als die letzten Vertreter einer aussterbenden Kriminellenkaste, die sich einem festen Ehrenkodex verbunden fühlen. In dieser Tradition regiert Semyon seinen Clan mit eiserner Hand. Er straft, lobt und maßregelt, wie er es gelernt hat, und wie er es für richtig empfindet. Armin Müller-Stahl begeht glücklicherweise nicht den Fehler, der Filmgeschichte eine weitere Marlon Brando-Don Corleone-Kopie hinzufügen zu wollen. Seine Darstellung orientiert sich vielmehr am Bild eines nach außen hin sanftmütigen Herrschers, dessen wahres Ich sich erst allmählich dem Zuschauer offenbart.
Naomi Watts hat es da deutlich schwerer, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, was weniger an ihr liegt, sondern schlichtweg der Tatsache geschuldet ist, dass Frauen in Mafia-/Mob-Filmen schon immer kaum mehr als eine hübsche Randnotiz abgaben. Ihre Anna erkundet stellvertretend für den Zuschauer die dunkle Welt der russischen Mafia, wobei sie sich ihren eigenen Wurzeln wieder bewusst wird. Das klingt spannender, als es tatsächlich ist. Denn vorrangig bremsen die Szenen mit ihr und ihrer Familie den Rhythmus und die Dynamik des eigentlichen Gangster-Plots aus. Es kann sogar passieren, dass man Anna ganz vergisst, wenn der Film wieder einmal länger bei Nikolai und den Seinen verweilt.
Vielleicht bleibt Watts in ihrer Rolle so blass, weil sie ständig auf ungleich spannendere und geheimnisvollere Charaktere trifft. Kirill und Nikolai heißen die eigentlichen Hauptdarsteller, um die der Plot und unser Interesse kreist. Cassel hatte anfangs Bedenken, erneut den Bad Guy zu geben. Was für ein Glück, dass er sich schlussendlich doch von Cronenberg hat breitschlagen lassen. Ohne ihn würde dem Film ein Unruheherd fehlen, der für ein Gefühl der permanenten Bedrohung und Anspannung sorgt. Wie einst bei Joe Pescis Auftritten kann man sich auch bei Kirill nie sicher sein, welches Programm in seinen Gehirnwindungen gerade abläuft. Eben noch ist er der scheinbar abgebrühte Gangster und schon im nächsten Moment muss er die Rolle des folgsamen Sohnes spielen. Das ist nicht frei von Komik, wie im Übrigen auch Cassels und Mortensens Darstellung zuweilen die Züge einer Parodie auf das Personalarsenal des Genres trägt. So wie William Hurt am Ende von A History Of Violence den Gangsterboss mit hemmungslosem Overacting der Lächerlichkeit preisgab, bewegt sich ihr Spiel oftmals an der Grenze zur Karikatur. Das von Mortensen gesprochene Englisch mit russischem Akzent klingt ganz danach, als ob ein Amerikaner versuchen würde, Englisch mit russischem Akzent zu sprechen. Wenn Nikolai dann sogar bei Nacht die Sonnebrille nicht absetzen will, feiert der Film ohne Boshaftigkeit das Klischee vom zwielichtigen Osteuropäer.
Für Mortensen ist es bereits die zweite Zusammenarbeit mit Cronenberg. Und selbst wenn seine Leistung in A History of Violence ungleich höher einzustufen ist – die Metamorphose des treusorgenden Familienvaters zum eiskalten Killer ist für einen Schauspieler sicherlich eine wesentlich dankbarere Aufgabe – funktioniert Cronenbergs Neuer als Ganzes betrachtet doch einen Tick besser. So finden sich in Tödliche Versprechen dankenswerterweise keine arroganten Belehrungen oder verfilmte Platituden über den Ursprung von Gewalt. In knapp 100 Minuten gibt es dafür eine atmosphärisch dichte Milieustudie, die vor allem eines soll: Unterhalten.
Für BlairWitch.
7 Comments:
Jeder, wirklich jeder erwähnt die Szene in der Sauna - die muss ja wirklich EXTREM klasse sein... :D Kann's kaum erwarten. Noch eine Frage (zuvor stellte ich sie Rajko): Dein Lieblingscronenberg?
ja das ist sie. wäre man gemein, könnte man auch sagen, dass sie deshalb so auffällt, weil die inszenierung ansonsten doch recht gediegen ist.
lieblings-cronenberg? na ja, bin nicht der cronenberg-fan, aber "die unzertrennlichen" und "die fliege" fand ich beide sehr ansprechend bzw. verstörend. letzteres trifft auch auf "crash" zu, mit dem ich aber weniger anfangen konnte. von "a history of violence" war ich ja bekanntermaßen enttäuscht.
@Marcus: vielleicht siehst du gerade deswegen den neuen Cronenberg so positic, weil du eigetlich kein Fan von ihn bist! Ich halte Eastern Promises für sein schwächsten Film.
Aber in letzter Zeit kommen wir beide eh auf kein Nenner mehr (siehe Halloween, Jindabyne usw.) :-))))) *gggg*
@ spidy
ja, das kann durchaus sein. es kommen aber wieder filme, wo wir einer meinung sein werden, bestimmt ;)
@ Spidy
Hast Du eventuell auch eine Page bzw. Blog? Bist ja auch immer gut informiert, auf Festivals und siehst die Filme früher? Würde mich mal interessieren... :-)
@grammaton:
Nein, habe bisher keinen eigenen Blog, wenn es irgendwann mal soweit sein soll, werde ich es dir/euch wissen lassen.
zustimmung in sehr vielen punkten.
auch ich konnte ja die recht verbreitete euphorie um "a history of violence" nicht verstehen und stufe alleine deswegen "eastern promises" schon sehr hoch ein.
die sauna-szene ist auch mir gut in erinnerung, als absolutes highlight aber sehe ich die szene von cassel und mortensen im keller an ("your father proposed the stars to me"). ich empfinde sie als auf allen ebenen perfekt. die unheilvolle atmosphäre, die dort in der luft liegt (da cronenberg ja gekonnt mit dem unwissen der zuschauer spielt, was sich denn nun in dem gespräch zwischen müller-stahl und mortensen wirklich abgespielt hat) sehe ich als sehr charakteristisch für den ganzen film an, und das zusammenspiel von cassel und mortensen hat mich eh den ganzen film über restlos überzeugt.
da muss naomi watts ja praktisch den kürzeren ziehen. sehe das aber genauso wie du: das ist eher den gesetzen des genres zuzurechnen als ihrem fehlenden talent.
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