Montag, Mai 04, 2009

Der Junge im gestreiften Pyjama


USA/GB 2008

+++1/2

In der Romanverfilmung Der Junge im gestreiften Pyjama trifft kindliche Unschuld auf die Schrecken des Holocaust. Durch die Augen des achtjährigen Bruno schildert das zurückhaltende Drama von Regisseur Mark Herman die Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs. Der Film findet eindrucksvolle Bilder und Metaphern für den Horror des Nazi-Terrors, der die Freundschaft zwischen Bruno und dem gleichaltrigen jüdischen Jungen Schmuel überschattet. Beide begegnen sich am Stacheldrahtzaun eines Konzentrationslagers – auf unterschiedlichen Seiten.

Filmkritik:

Es ist Krieg, doch davon bekommt der achtjährige Bruno (Asa Butterfield) zunächst nicht viel mit. Als Sohn eines hochrangigen Nazi-Offiziers (David Thewlis) verlebt er mit seinen Freunden in der Reichshauptstadt Berlin eine nahezu unbeschwerte Kindheit. Die Front und der Tod scheinen im Sommer des Jahres 1940 noch weit weg zu sein. Daran ändert sich erst etwas, als der Vater eine Versetzung erhält und die Familie gezwungen ist, aufs Land zu ziehen.

Die neue Idylle inmitten der grünen Natur erweist sich schon bald als trügerisch. Ganz in der Nähe befindet sich ein Konzentrationslager, das Bruno für eine Farm hält und die Häftlinge für Arbeiter, die aus ihm unerklärlichen Gründen auch tagsüber ihre gestreiften Pyjamas tragen. Obwohl seine Mutter (Vera Farmiga) ihm verbindet, dorthin zu gehen, schleicht sich Bruno am nächsten Tag wieder zu der vermeintlichen Farm. Auf der anderen Seite des Stacheldrahtzaunes entdeckt er Shmuel (Jack Scanlon). Wie Bruno ist auch er acht Jahre alt. Zwischen den beiden Jungen entwickelt sich schon bald eine echte Freundschaft, die Bruno vor seinen Eltern geheim zu halten versucht.

Obgleich die Geschichte, die Der Junge im gestreiften Pyjama erzählt, der Fiktion entsprungen ist, könnte sie sich doch so oder in ähnlicher Weise tatsächlich zugetragen haben. Lediglich die praktisch nicht vorhandene Absicherung des Lagers mit einem spartanischen Stacheldrahtzahn erscheint reichlich unglaubwürdig. Dass der Film die Gräueltaten anfangs ausblendet und ähnlich wie Roberto Benignis Tragikomödie Das Leben ist schön den Horror eher subtil andeutet, hat ihm einiges an teils harscher Kritik eingebracht. Der Film betreibe eine unerträgliche Romantisierung der Bedingungen in den Arbeits- und Konzentrationslager, sogar eine Verharmlosung und Banalisierung des Holocaust warf man Regisseur Mark Herman vor.

Letztlich laufen all diese Kritikpunkte ins Leere. So resultiert der naive, unschuldige Blick auf das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts aus der besonderen Erzählperspektive. Der Zuschauer sieht die Welt und damit auch die Ereignisse rund um das Lager durch die Augen eines achtjährigen Kindes. Wie soll Bruno verstehen, was er da sieht, wenn selbst Erwachsene die Vernichtungsmaschinerie der Nazis lange Zeit für unvorstellbar hielten?

Eigentlich ist es genau umgekehrt. Gerade weil die Geschichte den Holocaust nicht für manipulative Gesten instrumentalisiert, lässt einen Shmuels Schicksal nicht unberührt. Ohnehin ist der Horror auch in den scheinbar unbeschwerten Momenten stets präsent. Wenn plötzlich der zur Küchenarbeit abkommandierte Lagerhäftling Pavel (David Hayman) verschwunden ist oder schwarzer Rauch aus den Schornsteinen des Lagers in den blauen Sommerhimmel entweicht, weiß jeder außer Bruno, welch unermessliches Leid sich hinter diesen auf den ersten Blick unscheinbaren Bildern verbirgt.

Herman belässt es zumeist bei Andeutungen, die allesamt unmissverständlich sind. Erst zum Ende, als die Geschichte eine dramatische Wendung nimmt, werden die Bilder expliziter. Insbesondere die letzten Minuten sind in ihrer bitteren Konsequenz nur schwer zu ertragen und der Grund, weshalb Der Junge im gestreiften Pyjama nur älteren Kindern zuzumuten ist. Aber auch diese sollten sich nur in Begleitung eines Erwachsenen den Film ansehen. Mit dem letzten Bild, das langsam in eine Schwarzblende übergeht, bringt Herman das für viele seinerzeit Unvorstellbare in eine verständliche Form.

Für Programmkino.de.