Sonntag, Juni 28, 2009

Das Haus der Dämonen - Wie man Stillstand verfilmt


USA 2009

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„Based on a True Story“. Mit diesem Schriftzug eröffnet Das Haus der Dämonen seine Pforten, wobei sofort klar sein sollte, dass die angeblich wahre Geschichte auch nur dann wirklich funktioniert, wenn man nicht von vornherein eine Aversion gegen alles Übernatürliche und Übersinnliche hegt. Ansonsten dürfte man sich schnell langweilen und den Plot in die Schublade „spirituellen Hokuspokus“ abspeichern (was er vermutlich auch ist). Sind die Fronten zwischen Film und Zuschauer erst einmal geklärt und wurde die bereits im Titel angelegte Prämisse akzeptiert, kann die Geisterfahrt im Geisterhaus endlich losgehen.

Dass die Handlung im Jahr 1986 einsetzt, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Immerhin orientiert sich die Geschichte an einem realen Fall, über den bereits eine Dokumentation für den Sparten-Sender Discovery abgedreht wurde. Alles beginnt mit einem Umzug, der die Campbells - eine amerikanische Durchschnittsfamilie - ins beschauliche Connecticut führt. Matt (Kyle Gallner), der älteste Sohn, ist an Krebs erkrankt und soll in einer nahe gelegenen Klinik behandelt werden. Da die Familie über nur ein geringes Budget verfügt, erscheint es zunächst wie ein glücklicher Zufall, dass Mutter Sara (Virginia Madsen) ein günstiges und noch dazu überaus großzügiges Haus im viktorianischen Stil entdeckt, welches ihre finanziellen Mittel nicht übersteigt. Bei ihrem Einzug ahnen die Campbells selbstverständlich noch nicht, dass ihr neues Zuhause ein dunkles Geheimnis birgt.

Das Haus der Dämonen beginnt wie jede Geschichte über ein Geisterhaus. Eine ahnungslose Familie stolpert auf eine unheimliche Bedrohung zu, die sie als solche nicht erkennt. Matts Visionen werden nicht ernst genommen und von den Ärzten mit der Einnahme der Medikamente erklärt. Wir wissen es besser, wobei uns bereits die schaurig-schön gefilmte Einleitung, in der die geheimnisvolle Vergangenheit des Dämonenhauses angeschnitten wird, einen nicht unerheblichen Informationsvorsprung verschafft. Als die Campbells irgendwann nicht mehr weiter wissen und die Vorfälle immer bedrohlicher werden, bittet die Familie schließlich einen katholischen Priester (Elias Koteas) um Rat. Auch dessen Rolle gehört praktisch zum Inventar einer solchen Geschichte, die mit übersinnlichen und parapsychologischen Elementen arbeitet.

Es darf bezweifelt werden, ob sich tatsächlich auch nur etwas so zugetragen hat, wie uns der Film das gerne weiß machen möchte. Lässt man den etwas skurrilen Authentizitätsanspruch jedoch einmal außer Acht, so kann Das Haus der Dämonen trotz seiner allesamt bekannten Bauteile doch recht passabel unterhalten. Das liegt vor allem an den glaubwürdigen Darstellern - allen voran Newcomer Kyle Gallner schlägt sich tapfer - und der durchgängig stimmungsvollen Optik. Regisseur Peter Cornwell hat für sein Spielfilmdebüt augenscheinlich nicht nur die bekannten Vorbilder wie Amityville Horror oder The Others sondern auch so manches Musikvideo (Nine Inch Nails, Marylin Manson) genauestens studiert. Und so sieht sein Film dann auch aus. Wie ein Mix aus heimeligem Oldschool-Grusler und einem auf visuelle Spielereien ausgelegtem Mystery-Schocker.

Der ruhige, geheimnisvolle Erzählton wird dabei immer wieder von Matts zunehmend verstörenden Visionen unterbrochen, während denen die Sound-Designer ordentlich Krawall auf der Tonspur veranstalten und der Film in hübsch durchgestylten Bildern die seelischen Qualen seines Protagonisten heraufbeschwört. Wie zu erwarten greift Cornwell bei der Umsetzung der zahlreichen Geister-Attacken beständig auf altbewährte Schockeffekte zurück, die sich oftmals schon lange vorher ankündigen und daher nicht immer die gewünschte Wirkung erzielen. Dennoch reicht es, um immer mal wieder wie auf Knopfdruck zusammenzuzucken. Als kalkuliertes Date-Movie, von dem man sich in erster Linie erhofft, dass die (weibliche) Begleitung eine starke Schulter zum Anlehnen sucht, hält Das Haus der Dämonen zumindest eine interessante Alternative zu den gängigen romantischen Komödien bereit. Auch muss hier niemand befürchten, dass die Geschichte womöglich einen allzu hässlichen Verlauf nehmen könnte. Verglichen mit dem Remake zu Wes Cravens Last House on the Left oder dem erfolgreichen Saw-Franchise mutet Cornwells Dämonenhaus vielmehr wie ein harmloser Kindergeburtstag an.

Bis zum Ende, das uns in mehreren schlichten Texttafeln über den Fortgang der Ereignisse und das weitere „Schicksal“ des vermeintlichen Geisterhauses informiert, bleibt der Film seinem geradlinigen Strickmuster treu. Cornwells Debüt ist verfilmter Stillstand, cineastischer Konservatismus. Das klingt jetzt negativer, als es gemeint ist. Schließlich spielt der Film von Beginn an mit offenen Karten. Das Haus der Dämonen liefert exakt das, was sein Titel verspricht: Ein Haus und einige Dämonen.

Für BlairWitch.de.

Dienstag, Juni 23, 2009

Flash of Genius - Davids Dilemma


USA 2008

++1/2

Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt Flash of Genius von dem zermürbenden Kampf eines Erfinders und Universitätsprofessors gegen den mächtigen Ford Motor-Konzern. Bob Kearns (1927-2005) entwickelte Ende der 1960er Jahre den Intervall-Scheibenwischer, der heutzutage zur Grundausstattung jedes Autos gehört. Der etwas zu brav inszenierte Film lebt vornehmlich von der glaubhaften Darstellung Greg Kinnears und der Widersprüchlichkeit seiner Hauptfigur.

Filmkritik:

Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich sehr nahe beieinander. Diese recht triviale Erkenntnis wird auch durch die wahre Geschichte des Bob Kearns (Greg Kinnear) wieder einmal belegt. Der engagierte Universitätsprofessor und Hobby-Tüftler versetzt Ende der 1960er Jahre mit seiner Erfindung des Intervall-Scheibenwischers die Entwickler der großen amerikanischen Autokonzerne in Staunen. Ihm gelingt, was Ford, GM und Chrysler trotz millionenschwerer Forschungs-Etats bis dahin nicht zu Stande brachten. Als Bob glaubt, seine Erfindung werde ihm Anerkennung und seiner Familie ein zumindest finanziell sorgenfreies Leben bescheren, erliegt er einem Irrtum. Nur wenig später zieht sich Ford ohne Angabe von Gründen aus dem gemeinsamen Projekt zurück. Bobs Enttäuschung hat sich noch nicht ganz gelegt, da muss er mitansehen, wie Ford den neuen Mustang mit dem von ihn entwickelten Intervall-Scheibenwischer der Öffentlichkeit vorstellt.

Wo andere vor der Macht des Giganten aus Detroit längst kapitulieren hätten, entscheidet sich Bob zu kämpfen. Er will, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass Ford sein geistiges Eigentum gestohlen hat. Für diese Wahrheit ist er sogar bereit, großzügige Offerten von am Ende mehreren Millionen Dollar auszuschlagen. Er lässt es auf einen Prozess ankommen – mit ungewissem Ausgang. Sein über zwei Jahrzehnte andauernder Kampf für Gerechtigkeit droht unterdessen sein gesamtes Leben zu zerstören. So verbringt er nach einem Nervenzusammenbruch nicht nur einige Zeit in einer psychiatrischen Anstalt, auch seine Frau Phyllis (Lauren Graham) trennt sich von ihm, da sie für Bobs verbissen geführten „Kreuzzug“ keine Kraft mehr aufbringen will und kann.

In seinem ersten Spielfilm erzählt der bislang als Produzent in Erscheinung getretene Marc Abraham (Spy Game, Children of Men) eine geradezu klassische David-gegen-Goliath-Geschichte. Obwohl Bob unserem Empfinden nach jedes Recht der Welt auf seiner Seite hat, scheint sein Ansinnen angesichts der finanziellen wie personellen Ressourcen des Gegners doch nahezu aussichtslos. Interessant ist, dass der Film, der zweifellos eindeutig Partei ergreift, seinen Don Quijote keineswegs idealisiert. Bob war ein schwieriger Charakter, bisweilen regelrecht verbohrt in seinem Streben nach Anerkennung und Gerechtigkeit. Und genau so portraitieren ihn Abraham und Drehbuchautor Philip Railsback. Über Bobs Kompromisslosigkeit mag manch einer gar den Kopf schütteln, wenn dieser wieder einmal ein millionenschweres Angebot des Autoriesen ausschlägt, das seine Familie finanziell abgesichert hätte.

In der Vergangenheit arbeitete Greg Kinnear oftmals Stars wie Jack Nicholson oder Pierce Brosnan zu, in deren Schatten er sich dann bewegte. Flash of Genius bot ihm endlich Gelegenheit, einmal eine komplexe, schwierige Hauptrolle selbst auszufüllen. Kinnear ist es dann auch, der den in seiner Dramaturgie und Konzeption recht zahmen Film vor Schlimmerem bewahrt. In seiner Darstellung des passionierten Erfinders Bob Kearns werden sowohl dessen innere Unruhe als auch Anspannung sichtbar. Manchmal ist er voller Tatkraft und Energie, dann wieder wirkt er ausgebrannt und leer. Dieses emotionale Auf und Ab vermittelt Kinnear über wenige, im ersten Moment recht unscheinbare Gesten und Blicke. Er ist darüber hinaus ein Schauspieler, der die eigene Eitelkeit mit Beginn einer Aufnahme problemlos zurückstellen kann.

Ansonsten hat Flash of Genius leider nicht wirklich viel (Neues) zu bieten. Die guten Absichten sind zwar jederzeit unverkennbar, allein das nützt wenig, wenn selbst die als Klimax inszenierte Gerichtsverhandlung sich nur allzu brav in das erprobte Schema vergleichbarer David-gegen-Goliath-Dramen wie Erin Brokovich oder Insider einfügt. Abrahams Regiedebüt mangelt es somit vor allem an Eigenständigkeit und Wagemut. Beides Dinge, für die Bob Kearns Zeit seines Lebens stand.

Für Programmkino.de.

Samstag, Juni 20, 2009

Die Gräfin - Blutleer


F/D 2009

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In Eli Roths blutigem Osteuropa-Trip Hostel 2 erregte vor allem eine Szene die Gemüter der staatlichen Jugendschützer. Darin steigt eine junge, äußerst attraktive Frau unbekleidet in eine Wanne, nicht um zu baden oder sich bei einem Bad zu entspannen. Die Dame hat ganz andere Pläne, die ersichtlich werden, als die Kamera zur Decke dreht. Dort hängt eine der drei amerikanischen Europa-Touristinnen, gefesselt und geknebelt. Schon im nächsten Augenblick wird deren nackter Körper mit einer scharfen Klinge mehrmals penetriert. Mit sichtlicher Freude und in sexueller Erregung badet die Schlitzerin im Blut ihres Opfers, das wie ein Stück Vieh allmählich ausblutet bis schließlich der Tod eintritt. Zurück bleibt eine Riesen-Sauerei, die nach Meinung der FSK dem deutschen Kinozuschauer nicht zugemutet werden konnte.

Obwohl es nicht direkt gesagt wird, so bezieht sich Roth mit der Szene doch auf eine historische Figur, welche ihm zumindest als „Inspiration“ diente. Die ungarische Aristokratin Erzebet Bathory, besser bekannt auch unter ihrem Beinamen „Die Blutgräfin“ mit dem sie in die Geschichte einging, pflegte zu jungen Frauen ein ähnlich grausames Verhältnis. Zwar ist nichts darüber bekannt, dass sie sexuelle Lust verspürte, wenn sie im Blut ihrer Opfer badete, für die schätzungsweise über 600 (!) Mädchen war das Resultat jedoch ähnlich fatal. So glaubte die Gräfin, dass der rote Saft ihr zu ewiger Jugend und Schönheit verhelfe, vorausgesetzt die Spenderin war zum Zeitpunkt des unfreiwilligen Aderlasses noch Jungfrau.

Die Gräfin, eine europäische Co-Produktion mit Starbesetzung (u.a. Daniel Brühl, William Hurt), nimmt sich der an Mythen und Spekulationen überaus reichen Geschichte der Erzebet Bathory (1560-1614) an. Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin Julie Delpy war daran gelegen, Erzebet nicht als das personifizierte Böse zu portraitieren, sondern als widersprüchliche, für die damalige Zeit äußerst emanzipierte Frau, die selbst zwischen Intrigen, Wahnvorstellungen und einem zunehmenden Kontrollverlust gefangen war. Als Auslöser für ihr blutiges Handwerk identifiziert Delpy die unglückliche, weil unerwiderte Liebe zu dem weitaus jüngeren Istvan (Daniel Brühl). Dessen Vater, der einflussreiche Graf Thurzo (William Hurt), zwingt ihn, den Kontakt zur Bathory abzubrechen, was diese wiederum als Zurückweisung aufgrund ihres Alters missversteht. In der Folge verfällt sie immer mehr der bizarren Idee, wonach jungfräuliches Blut wie eine moderne Anti-Aging-Creme wirke, die Falten verschwinden und die Haut jünger erscheinen lasse.

Die Person der Erzebet Bathory wäre auch ohne ihr grausames Geheimnis eine überaus faszinierende historische Figur. Ende des 16. Jahrhunderts und damit zu einer Zeit, als Europa vornehmlich von Männern regiert wurde, zählte die ungarische Gräfin zu den wenigen Frauen, deren gesellschaftlicher Einfluss die Emanzipation der letzten Jahrzehnte bereits vorweg nahm. Erzebet war die Repräsentantin eines nach heutigen Maßstäben modernen Rollenbildes (das Morden einmal ausgenommen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen). Nach dem Tod ihres Mannes verwaltete sie die Ländereien und kümmerte sich um alle gesellschaftlichen wie diplomatischen Angelegenheiten. Sogar der ungarische König hatte Respekt vor der strengen Aristokratin. Doch gerade ihr selbstbewusstes Auftreten war manch einem ein Dorn im Auge wie die von ihrem Widersacher eingefädelte Intrige beweist.

Die Gräfin ist weniger Thriller denn ein differenziertes Charakterstück vor historischer Kulisse, bei dem Erzebets Taten entgegen mancher Erwartungen nicht im Vordergrund stehen. Dass Delpy die grausamen Exzesse nur andeutet und dabei weit weniger explizit als Eli Roth wird, ist hingegen keine Überraschung. Schließlich versteht sich ihr Film nicht als schmuddelige Genre-Produktion. Den Mangel an Suspense und Gore kann das französische Multitalent allerdings nur bedingt mit einer interessanten Geschichte ausgleichen. Die folgenschweren Liebesverwicklungen im Hause Barthory mit ihren sorgsam gesponnenen Intrigen bewegen sich auf dem Niveau eines eher altbackenen Period Piece. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Die Gräfin nur unwesentlich von vergleichbaren Kostümschinken á la Jane Austen. Allein der dunkle Unterbau hilft einem dabei, das eine vom anderen zu unterscheiden. Denn so unschuldig wie Austens Heldinnen ist die nach Jungfrauenblut lechzende Erzebet zu keiner Zeit. Schon lange bevor sie die vermeintliche Anti-Aging-Wirkung des roten Körpersaftes entdeckt, verbreitet sie mit ihrer resoluten Art Angst und Schrecken.

Unfreiwillig komisch klingen indes die schmachtenden, kitschigen Liebesschwüre, die Erzebet und ihr junger Liebhaber im Überfluss austauschen. Auch weil manche der selbst für ein Kostümdrama seltsam steifen Dialoge kein Ende zu nehmen scheinen, stellt sich statt Spannung und Interesse oftmals nicht mehr als gepflegte Langeweile ein. Die Person Erzebet Bathorys mitsamt ihrer unfassbaren Taten erklären zu wollen ist ein hehrer Anspruch, an dem Delpy letztlich scheitert. Dass sie sich dieser im Grunde schwachen und einsamen Frau nur mit dem nüchternen Blick eines interessierten Therapeuten nähert, macht aus ihrem Film eine leidenschaftslose und – man mag es in Anbetracht der Geschichte kaum glauben – blutleere Angelegenheit.

Erschienen bei BlairWitch.de.

Dienstag, Juni 16, 2009

State of Play - Stand der Dinge


USA 2009

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Die von der BBC produzierte Mini-Serie Mord auf Seite eins diente als Vorlage für Kevin Macdonalds Polit-Thriller State of Play – Stand der Dinge, der mit Russell Crowe, Ben Affleck und Helen Mirren gleich drei Oscar-Preisträger aufbietet. Doch große Namen allein garantieren noch kein überzeugendes Ergebnis. Bei dem Versuch, Alan J. Pakulas Die Unbestechlichen zu imitieren, zeigen sich doch deutliche Defizite.

Filmkritik:

Als der erfahrene Journalist des „Washington Globe“ Cal McAffrey (Russell Crowe) an einen Tatort beordert wird, an dem am Vorabend ein Mensch erschossen und ein weiterer schwer verletzt wurde, deutet zunächst vieles auf ein Verbrechen im Milieu und kaum etwas auf eine politisch motivierte Tat hin. Doch mit dem nur wenige Stunden später bekannt gewordenen Selbstmord einer engen Vertrauten des aufstrebenden Kongress-Abgeordneten Stephen Collins (Ben Affleck) ändert sich plötzlich Cals Sichtweise auf den Fall. Der Tod der jungen Frau löst im politischen Washington ein Erdbeben aus. Schon bald wird gemutmaßt, dass Collins Verhältnis zu seiner Mitarbeiterin nicht rein beruflicher Natur war. Der so Beschuldigte gerät immer stärker in die Defensive, bis er schließlich bei einer öffentlichen Anhörung die Nerven verliert.

Auch ohne eine journalistische Spürnase oder ein besonderes Faible für Verschwörungstheorien ahnt man zu diesem Zeitpunkt bereits, dass die ganze Wahrheit weitaus komplexer, schmutziger und gefährlicher ist. Für die weiteren Recherchen bekommt Cal von seiner anfangs misstrauischen Chefin (Helen Mirren) eine junge, noch recht unerfahrene Kollegin (Rachel McAdams) aus der Online-Redaktion an die Seite gestellt. Doch die lässt sich von dem schroffen Umgangston ihres Kollegen nicht entmutigen. Immerhin spürt auch sie, dass sie da an einer ganz großen Story dran sind.

Bei State of Play handelt es sich um die Hollywood-Adaption der sechsteiligen BBC-Serie Mord auf Seite eins. Die politisch brisante Geschichte erfuhr infolge des Formatwechsels eine deutliche Straffung und Kürzung. Angesichts des komplexen Themas und der Vielzahl an Charakteren wundert es nicht, dass die Kinoversion daher gegenüber dem britischen Original in vielerlei Hinsicht den Kürzeren zieht. Insbesondere die Recherche-Arbeit der engagierten „Globe“-Journalisten bricht das Drehbuch von Tony Gilroy, Billy Ray und Matthew Carnahan zu oft auf die Ebene einer unglaubwürdigen Schnitzeljagd herunter wie man sie aus weniger ambitionierten Produktionen zur Genüge kennt.

Hinzu kommt, dass der Film überhaupt nur wenig Aufwand und Zeit in eine differenzierte Charakterzeichnung investiert. Russell Crowes kantiger, von einem fast schon pathologischen Gerechtigkeitssinn getriebener Journalisten-Haudegen alter Schule erfüllt alle Klischees, die man als Zuschauer über dessen Berufsstand seit Die Unbestechlichen so haben kann. Richtig ärgerlich wird es jedoch erst, wenn sich State of Play bisweilen wenig differenziert über die Arbeit von Online-Journalisten äußert. Tenor: Nur was tatsächlich in gedruckter Form publiziert wird, darf sich mit dem Etikett des „Qualitäts-Journalismus“ schmücken. Blogs seien dagegen das digitale Pendant zur Yellow Press und ihre Betreiber „Blutsauger“.

Mit jeder Wendung, die der Plot zum Ende hin nimmt, entfernt sich State of Play etwas weiter von seinem durchaus spannenden Sujet. Die Frage, welche Konsequenzen und Interessenskonflikte aus einer Privatisierung hoheitlicher Aufgaben erwachsen, tritt zugunsten einer wenig spektakulären Thriller-Logik in den Hintergrund, in der Freund und Feind erwartungsgemäß mehrmals die Rollen wechseln dürfen. Aus der Tatsache, dass multinationale Militärdienstleister wie „Blackwater“ – diesem realen Vorbild ist die Film-Version „Pointcorp“ zweifelsfrei nachempfunden – unsere demokratische, rechtsstaatliche Kultur bedrohen, schlägt Kevin Macdonalds oberflächlicher Polit-Thriller letztlich zu wenig Kapital.

Für Programmkino.de.

Samstag, Juni 13, 2009

Alle Anderen - Anatomie einer Beziehung


D 2008

+++1/2

Ein Sommerurlaub in einem idyllischen Ferienhaus stellt die noch junge Beziehung eines gegensätzlichen Paares schon bald auf eine harte Probe. Filmemacherin Maren Ade (Der Wald vor lauter Bäumen) beleuchtet in ihrem preisgekrönten Berlinale-Beitrag das Gemeinsame und Trennende einer scheinbar modernen Beziehung, in der sich beide Partner einer trügerischen Illusion hingeben. In den Hauptrollen brillieren die mit einem „Silbernen Bären“ ausgezeichnete Birgit Minichmayr und ihr Kollege Lars Eidinger.

Filmkritik:

Die alte Floskel, wonach Gegensätze sich anziehen, trifft auch auf Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) zu. Beide Anfang 30, sie eine quirlige, selbstbewusste Frau, er ungefähr im selben Alter und dabei doch oftmals in sich gekehrt, melancholisch, zweifelnd an sich, seiner Männlichkeit und seinen Fähigkeiten als Architekt. Sie sind noch nicht lange ein Paar, als sie beschließen, im Ferienhaus von Chris’ Eltern auf Sardinien ihren ersten gemeinsamen Sommerurlaub zu verbringen. Dort möchten sie einige unbeschwerte Wochen verleben. Tatsächlich schleichen sich schon bald erste Misstöne in das junge Liebesglück ein. Unerfüllte Sehnsüchte und subtile Machtspiele belasten das Miteinander, was sich zunächst aber weder Gitti noch Chris eingestehen wollen. Als Chris jedoch einen alten Studienkollegen (Hans-Jochen Wagner) trifft, der im Gegensatz zu ihm mit sich und seiner Arbeit vollkommen im Reinen zu sein scheint, melden sich nicht nur bei ihm erste Zweifel an. Plötzlich glaubt auch Gitti, das sie sich für Chris ändern muss.

Fünf Jahre nach Der Wald vor lauter Bäumen meldet sich Filmemacherin Maren Ade mit einer unglaublich genau beobachteten Liebesgeschichte zurück. Alle Anderen, der auf der diesjährigen Berlinale den „Großen Preis der Jury“ erhielt, lenkt bereits mit dem Titel die Aufmerksamkeit auf den entscheidenden Stolperstein in Gittis und Chris’ Beziehung. Als Paar vergleicht man sich zwangsläufig mit anderen Paaren und erliegt dabei nur zu leicht der Illusion, dass deren Miteinander weitaus harmonischer, unkomplizierter und liebevoller verläuft. Aber auch das Gegenteil, dass man nie so werden will wie alle anderen, kann für eine Beziehung zur Belastung werden. Gitti und Chris versuchen den Spagat. Zwar wollen sie mit den alten, eigentlich längst ausrangierten Rollenbildern brechen, in bestimmten Situationen fallen sie dann jedoch exakt in diese Verhaltensmuster zurück. So glaubt Gitti, sie müsse sich anpassen und zu ihrem Freund voller Bewunderung aufschauen.

Mit jeder Einstellung, jedem Dialog und jeder Geste seziert Maren Ade das junge Glück, dessen Risse erst nach und nach sichtbar werden. Der Versuch, diese Bruchstellen so gut es geht zu kitten, löst in Chris und Gitti nur noch mehr Unbehagen aus. Auf einmal ist sie weg, diese kindlich-naive Unbekümmertheit, die beide zu Beginn des Films fast schon demonstrativ zur Schau stellen und die Ade in herrlich banale Dialoge verpackt. Viel zu schnell, so hat es den Anschein, müssen sie in ihrer Beziehung erwachsen werden, Verantwortung übernehmen und (über-)fällige Entscheidungen treffen.

Schenkt man den Aussagen der beiden Hauptdarsteller Glauben, so hatten sie nur wenig Raum zu improvisieren, was die Qualität von Ades Drehbuch nochmals unterstreicht. Die Authentizität der Personen wird von den mitunter phrasenhaften Dialogen zwar ironisch gebrochen, der hohe Wiedererkennungswert vieler Aussagen, die man so oder so ähnlich aus eigener Erfahrung nur zu gut kennt, lässt einen allerdings nie an der Plausibilität einer Situation zweifeln. Eher entlockt uns Ade hierüber ein wissendes Schmunzeln, was aus Alle Anderen trotz seines ernsten Themas das Gegenteil eines schwermütigen, humorlosen Films macht.

Sogar der Schauplatz inmitten einer mediterranen Ferienidylle scheint klug gewählt. Was zunächst als Flucht oder Auszeit vor dem Daheim gedeutet werden kann, endet in einem mit verkitschten Nippes zugestellten Zimmer von Chris’ Mutter, wo die Grönemeyer-CD praktisch zum Inventar gehört. Plötzlich ist auch auf Sardinien die Heimat ganz nah. Dass ausgerechnet nach einem gemeinsamen Urlaub viele Beziehungen auseinander gehen, ist sicherlich kein Zufall. Spätestens nach Alle Anderen weiß man auch, warum das so ist. Die Abgeschiedenheit und Isolation wirken wie ein Verstärker.

Birgit Minichmayr, die für ihre Darstellung der Gitti mit dem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet wurde, und Lars Eidinger verkörpern ihre jeweiligen Rollen derart authentisch, dass der fiktionale Charakter bisweilen in Vergessenheit gerät. Ihr Spiel ist glaubhaft, nuanciert aber nie übertrieben dramatisch. Obwohl beide vom Theater kommen, vermeiden sie allzu dramatische Gesten und Posen, die in Ades kleiner, intimer Geschichte auch absolut Fehl am Platz wären. So passt schlussendlich alles zusammen. Die Schauspieler, der Film, die Inszenierung, der Anfang und das Ende. Nur in Bezug auf Gitti und Chris mag man zu einem anderen Urteil kommen.

Für Programmkino.de.

Dienstag, Juni 09, 2009

Drifter - Dreißig Jahre nach Christiane F.


D 2007

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Als Ende der siebziger Jahre das Buch Wir Kinder vom Bahnhof Zoo Deutschland bewegte und für hitzige Debatten sorgte, war noch keiner der Protagonisten aus Sebastian Heidingers Milieu-Studie Drifter überhaupt geboren. Und dennoch werden sie in ihrem Alltag immer wieder von diesem zerstörerischen Mythos eingeholt. Heidingers Film begleitet Aileen (16), Daniel (25) und Angel (23) bei dem Versuch, ihre Würde und ihr Leben zwischen Heroin spritzen und Straßenstrich zu bewahren. Drifter, der im vergangenen Jahr auf der Berlinale mit dem „Dialogue en Perspective“-Preis ausgezeichnet wurde, zwingt zu einer Auseinandersetzung mit Schicksalen, die viel zu oft übersehen werden.

Filmkritik:

Die Gegend um den Berliner Bahnhof Zoo wirkt auf Außenstehende wie ein hermetisch abgeschlossener Kosmos, um den sich seit nunmehr drei Jahrzehnten vermutlich mehr Mythen und Legenden als um jeden anderen öffentlichen Ort der Hauptstadt ranken. Seitdem die Geschichte der Christiane F. aufgeschrieben und verfilmt wurde, ist deren Schicksal untrennbar mit der Topografie des Bahnhofs Zoologischer Garten sowie der angrenzenden Straßen und Plätze rund um die Gedächtniskirche verbunden. Mittlerweile lebt dort eine andere Generation von „Christiane F.s“, die Sebastian Heidinger, Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, in seinem Debüt Drifter über mehrere Monate zunächst ohne und dann mit Kamera begleitete.

Die Alltagsbeobachtungen dieser als „erzählerischer Dokumentarfilm“ (Zitat: Presseheft) konzipierten Milieustudie folgen der erst 16jährigen Aileen und ihren Freunden Angel und Daniel. Die Drogen, vor allem Heroin, bestimmen den Tag und geben ihm – so seltsam es klingen mag – eine Struktur. Eine ohne jeden Zweifel Zerstörerische. Um an das Geld für ihren Drogenkonsum zu kommen, gehen Aileen und Angel regelmäßig anschaffen. Bisweilen übernachtet Angel sogar bei einem seiner Freier, zu dem er ein auf den ersten Blick seltsames Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Da kann es passieren, dass er das gemeinsame Abendessen kocht und sie anschließend wie ein altes Ehepaar gemeinsam vor dem Fernseher sitzen. Aileen wiederum zieht es vor, eine Notunterkunft für Jugendliche aufzusuchen und dort zu übernachten. Bevor sie sich jedoch in ihr Bett legen kann, wird sie wie in einem Gefängnis auf mögliche Drogen kontrolliert. Routine für alle Beteiligten.

Bewusst verzichtet Heidinger auf einen begleitenden Kommentar. Auch bleiben die Biographien seiner Protagonisten weitgehend im Dunkel. Über ihre Vergangenheit erfährt man so gut wie nichts. Als Aileen später mit dem Zug in ihren Heimatort aufbricht, bleibt es dem Zuschauer überlassen, sich das soziale wie familiäre Umfeld des Teenagers vorzustellen. Heidinger und mit ihm die Kamera verlassen zu keiner Zeit das Carré um den Bahnhof Zoo. Aus dieser geographischen Beschränktheit erwächst ein diffuses Gefühl der Enge, was sich zugleich im Aufbau des Films widerspiegelt. Es sind anonyme Orte, an denen Menschen kaum Spuren hinterlassen, die hier als Motiv einer anderen Berliner Republik herhalten müssen. Öffentliche Toiletten, Krankenhäuser, Arztpraxen, Notunterkünfte oder der Straßenstrich treten für Aileen, Angel und Daniel an die Stelle einer für uns selbstverständlichen Privatheit in den eigenen vier Wänden. Das Milieu, so wie Heidinger es einfängt, wird zu einem Synonym für Orientierungslosigkeit, Überforderung und Heimatlosigkeit. Der Blick ist nüchtern, fast sachlich und der Mythos weit weg.

Ein loser, sprunghafter Erzählstil beschreibt den Grundrhythmus von Drifter. Erst allmählich verdichten sich dabei die Beobachtungen zu einem Handlungsgerüst, das sich organisch aus der Szeneabfolge ergibt und gerade deshalb weder forciert noch konstruiert erscheint. Interessant ist, dass die Tristesse im Milieu ab und an sogar ironische Zwischentöne zulässt. Nicht-Hauptstädter könnten zudem glauben, dass in Berlin niemals die Sonne aufgeht, derart viele Aufnahmen entstanden abends oder nachts. Bezeichnenderweise endet Drifter jedoch mit dem Bild einer Morgendämmerung, in die sich – wenn man den von Heidinger angebotenen Strohhalm ergreifen will – die vage Hoffnung eines echten Neuanfangs für Aileen, Daniel und Angel hineinprojizieren lässt.

Für Programmkino.de.

Freitag, Juni 05, 2009

Drag me to Hell - Zurück im Schmuddel-Wohnzimmer


USA 2009

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Darauf haben Fans lange warten müssen. Sam Raimi, dank Genre-Highlights wie der Tanz der Teufel-Trilogie ungekrönter Horror-Fantast der Achtziger, besinnt sich nach großen Erfolgen im familienkompatiblen Blockbuster-Segment auf seine filmischen Wurzeln. Und diese liegen nun einmal nicht beim braven Peter Parker sondern im eher schmuddeligen Körperflüssigkeiten-Kino wie es auch ein Peter Jackson zu Beginn seiner Karriere zelebrierte. Mit Drag Me to Hell, schon der Titel klingt verheißungsvoll, liefert er mehr als nur eine unscheinbare, angenehm verspielte Fingerübung ab. Er zeigt, dass Horror sich sehr wohl mit Comedy verträgt und dass das Genre im Jahr 2009 mehr als humorlose Folterszenarien und schematische Kopien anzubieten hat.

"Eine schöne Frau als Protagonistin eines Horrorfilms ist nie verkehrt," dachte sich vermutlich Raimi, als er die Hauptrolle mit der engelsblonden Alison Lohmann besetzte. Lohmann, die unter anderem bereits in Tim Burtons Big Fish und Ridley Scotts Tricks zu sehen war, spielt die ehrgeizige, aber eigentlich doch etwas zu gutmütige Bank-Angestellte Christine Brown. Um die vakante Stelle des stellvertretenden Filialleiters zu ergattern, wird sie von ihrem Chef (David Paymer) zu einer härteren Gangart gegenüber säumigen Kreditschuldner ermutigt. Als eine der ersten bekommt das die alte Mrs. Ganush (Lorna Raver) zu spüren, der Christine schweren Herzens eine nochmalige Fristverlängerung verweigert. Die alte Frau fühlt sich daraufhin zutiefst gedemütigt und in ihrer Ehre verletzt. Sie belegt Christine mit einem uralten Zigeuner-Fluch, der das Leben der jungen Frau schon bald in einen Albtraum verwandelt.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle angesichts des nach wir vor grassierenden Remake-Wahns ausdrücklich darauf hinweisen, dass Drag Me to Hell weder auf einer asiatischen noch einer europäischen Vorlage basiert. Die Story ist vielmehr den Hirnwindungen Raimis und seines Bruders Ivan entsprungen, wobei diese sich augenscheinlich von alten Mythen und Legenden inspirieren ließen. Damit erklärt sich auch, warum ihr Film, würde man ihn einmal in seine Einzelteile zerlegen, nur bedingt das Attribut „originär“ verdient. Dass einem vieles vertraut erscheint, tut dem Spaß indes keinen Abbruch - im Gegenteil. Der Wissensvorsprung des Zuschauers wird von Raimi immer wieder geschickt für ein ironisches und selbstreflexives Spiel mit Genre-Konventionen eingesetzt. Man ahnt, dass Drag Me to Hell nur mit einer fiesen und dabei äußerst unterhaltsamen Schluss-Pointe zu Ende gehen kann und ist dann doch überrascht, auf welch elegante Art Raimi die Handlung auflöst.

Von Beginn an lässt der Film keine Zweifel aufkommen, dass er von Raimi vornehmlich als wilde Geisterbahnfahrt für seine treuen Fans der ersten Stunde konzipiert wurde. Wer dagegen mit Saw und Hostel filmisch „sozialisiert“ wurde, wird sich anfangs schwer tun, den Trash-Appeal von Raimis Rückkehr ins Horrorfach vollauf zu goutieren. Für ihn stehen Comedy- und Horror-Elemente gleichberechtigt nebeneinander, wobei keine Idee zu abwegig oder abstrus erscheint, als dass er sie nicht in die gleichsam abstruse Handlung unterbringen könnte. Da wird wie selbstverständlich ein Ziegenbock zur gemeinschaftlichen Geisteraustreibung mitgebracht oder das geliebte Haustier den dunklen Mächten geopfert. Erlaubt ist, was gefällt und was auf seine Weise entweder spannend, komisch, trashig oder einfach eklig ist.

Hauptdarstellerin Alison Lohmann wird hier von Raimi so Einiges zugemutet. Mal sind es Schleim- und Blutfontänen, die sich über sie ergießen, dann wiederum drapiert man nur bedingt appetitliches Getier auf ihrem schönen Gesicht. Die Lohmann meistert all diese Szenen souverän. Sogar ein Ganzkörperschlammbad kann die Schauspielerin nicht aus der Fassung bringen. Diese Vorliebe für perfekt getimte Geschmacklosigkeiten wirkt wie der gesamte Film im positiven Sinn antiquiert und erinnert darüber hinaus an Genre-Klassiker wie Poltergeist oder Nightmare on Elm Street. Nicht zufällig stammen auch die aus den Achtzigern, einem Jahrzehnt, das Raimi als Horror-Regisseur maßgeblich mitprägte. Drag Me to Hell orientiert sich ungeachtet aller handwerklichen Parallelen in Stimmung und Tonalität allerdings mehr an Armee der Finsternis als an Raimis erster Tanz der Teufel-Arbeit.

Nun soll nicht der falsche Eindruck entstehen, Raimis charmanter Nostalgie-Trip sei womöglich ein bewusst schlampig inszeniertes B-Movie. Gemessen an den üblichen Budget-Standards des Genres ist dieses Werk nämlich immer noch eine astreine Blockbuster-Produktion, die vom Verleih ähnlich offensiv vermarktet wird. Dazu gehört, dass Raimi mit Blick auf das Rating die Gewaltdarstellungen eher sparsam dosiert. Wenn die legendären Make-up-Künstler Howard Berger und Gregory Nicotero tätig werden, wird es daher nur selten richtig unangenehm. Statt auf allzu brutale Schockmomente setzen Raimi und sein Team auf comichafte Überzeichnungen, die in ihrer spielerischen Naivität mehr an die Illustrationen eines düsteren Märchens denn an einen Horrorfilm erinnern. Und wie in einem Märchen sind die Rollen klar verteilt. Während das eingeschüchterte Aschenputtel sich des Angriffs der bösen Hexe erwehren muss, kämpft ihr Prinz (Justin Long) gegen seine Mutter (Molly Cheek), die eine Verbindung ihres Sohnes mit Aschenputtel als nicht standesgemäß erachtet.

Für wohligen Grusel sorgen da schon eher die ausgeklügelten Soundeffekte und Ton-Arrangements. Vor allem die Musik von Christopher Young bleibt im Gedächtnis. Sein effektvolles Leitthema veredelt einen Film, der trotz weitgehend bekannter Dramaturgie nicht eine Sekunde langweilt. Für die Zukunft würde man sich jedenfalls wünschen, dass Raimi noch öfters eine kreative Auszeit vom großen Blockbuster-Kino nimmt.

Für BlairWitch.de.

Montag, Juni 01, 2009

Rückenwind - Verbotene Früchte


D 2009

++1/2

In Rückenwind schickt Filmemacher Jan Krüger ein junges schwules Paar und den Zuschauer auf eine mitunter recht mysteriöse Reise. Als Rucksack-Touristen erkunden Johann und Robin die idyllischen Wälder und Seen Brandenburgs, wobei sie schon bald die Orientierung verlieren. Krügers Film, der in diesem Jahr auch in der Panorama-Sektion der Berlinale gezeigt wurde, vereint einen experimentellen, ambitionierten Erzählstil mit sommerlichen Landschaftsimpressionen und verspielter Erotik.

Filmkritik:

Zwei junge Männer, Anfang 20, unternehmen einen Ausflug aufs Land. Dabei haben sie nur wenig Gepäck, ein Zelt, das sie als Schlafplatz nutzen wollen sowie ihre Fahrräder. Johann (Sebastian Schlecht) und Robin (Eric Golub) sind ein Paar und augenscheinlich frisch verliebt. In der Brandenburgischen Natur mitsamt ihrer idyllischen Wälder und Seen erkunden sie sich und ihre Beziehung, was nicht immer frei von Spannungen abläuft. Manches wie ihr Rollenspiel, bei dem Robin Johann hinterrücks überwältigt und fesselt, erscheint zunächst etwas bizarr. Überhaupt stellen sich schon bald viele Fragen. Als die Fahrräder plötzlich verschwunden sind und auch die anschließende Suche erfolglos verläuft, verdächtigt Johann insgeheim seinen Freund, hierfür verantwortlich zu sein. Schließlich hat dieser schon die Zeltstangen nicht eingepackt – vermutlich aus Absicht.

Also geht es für die beiden notgedrungen zu Fuß weiter. An einem alten Bauernhof machen sie am nächsten Tag Station. Obwohl dort ihre erste Begegnung mit den Besitzern, der patenten Grit (Iris Minich) und ihrem 16jährigen Sohn Henri (Denis Alevi), nicht allzu freundlich ausfällt, werden Johann und Robin kurzerhand zum Abendessen eingeladen. Auch ein Nachtquartier in einer alten Scheune hält Grit, die auf dem Hof einmal Gästezimmer für Wanderer und Familien herrichten lassen will, bereit. Die nächsten Tage nutzen die Vier, um sich besser kennenzulernen. Während Robin und Grit mit dem Luftgewehr trainieren, kümmern sich Henri und Johann um die Tiere. Im Unterschied zu seiner Mutter wahrt der in sich gekehrte Henri aber immer eine gewisse Distanz zu den Gästen.

Schon in seinem Debüt war Jan Krüger Unterwegs, eine Umschreibung, die auch sein neuestes Projekt Rückenwind zutreffend charakterisiert. Allerdings unterscheidet sich seine vor allem zu Beginn unkonventionell erzählte Geschichte doch deutlich von den üblichen Abenteuer- und Naturfilmen, wie man sie nicht zuletzt aus dem amerikanischen Kino kennt. Weder Johann noch Robin eignen sich als echte Identifikationsfigur, da man als Zuschauer schlicht zu wenig über sie erfährt. Ihre Vergangenheit, wie sie sich einst kennenlernten, was sie verbindet, wie sie denken und empfinden, das alles bleibt weitestgehend im Dunkeln. Selbst die Dialoge reduzierte Krüger auf ein Minimum. Dafür spielt der Film umso ausgiebiger mit der zunehmenden Orientierungslosigkeit seiner Protagonisten, die sich recht bald auch auf den Zuschauer überträgt.

Wechselt die erste halbe Stunde noch fortlaufend zwischen scheinbar alltäglichen Beobachtungen eines verliebten Paares und Impressionen der Brandenburgischen Landschaft, so ändern sich mit Robins und Johanns Ankunft auf dem Hof Tonalität und Komposition des Films. Die experimentelle, bruchstückhafte Narration und mysteriöse Grundstimmung sind verflogen. Schlagartig wird aus Rückenwind eine unbeschwerte Sommer-Episode mit allem, was dazu gehört (Freunde, gutes Essen, Lagerfeuerromantik, Ausflüge in die Natur). Das mag man wahlweise als Stärke oder Schwäche von Krügers Rucksack-Trip auslegen. Als Stärke, weil man Johann und Robin auf diese Weise endlich etwas näher kommt, oder aber als Schwäche, da sich dieser Teil nicht so recht in den übrigen Film einfügen will. Zum Ende hin entwickelt sich Rückenwind nämlich wieder in eine Richtung, die in ihrer Ambivalenz und Dramaturgie an die erste halbe Stunde anknüpft. Der Verzehr giftiger Beeren löst bei Johann schwere Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen aus. Dabei lässt der Film den Zuschauer ganz bewusst im Unklaren darüber, was sich von all dem tatsächlich ereignet hat. Krügers flirrende, von verspielter Erotik durchzogene Sommer-Fantasie endet so unvermittelt wie sie begann: Mit einem großen Fragezeichen.

Für Programmkino.de.