Dienstag, September 29, 2009

Pandorum - Völlig losgelöst


USA 2009

+

Das Weltalt – unendliche Weiten. Christian Alvarts SciFi-Thriller Pandorum beginnt wie eine typische Star-Trek-Folge. Das Panorama des Universums, dazwischen ein Raumschiff, das größer und größer wird. Schnell erfahren wir, dass es sich bei dem Gefährt um die „Elysium“ handelt, ein Raumschiff, das sich auf einer Kolonisationsfahrt zum Planeten Tanis befindet. Dort herrschen angeblich ähnliche Lebensbedingungen wie auf die Erde und genau dort soll sich die Menschheit neu ansiedeln. Das Szenario klingt vertraut und spielt mit dem alten Entdeckergeist und Wagemut, den einst Abenteurer wie Christoph Kolumbus oder James Cook verkörperten, als sie mit ihren Schiffen in eine für sie unbekannte Ferne aufbrachen.

Für derartige Entdecker-Romantik ist in Pandorum allerdings kein Platz. Als die beiden Astronauten Payton (Dennis Quaid) und Bower (Ben Foster) urplötzlich aus einem langen, tiefen Schlaf erwachen, bietet sich ihnen vielmehr ein recht trostloses Bild. Nicht wissend, was genau ihre Aufgabe ist und wo sie sich überhaupt befinden, beginnen sie, die dunkle Gänge des Raumschiffs Meter um Meter zu erforschen. Dabei zeigt sich, dass die Energieversorgung kurz vor dem Zusammenbruch steht. Um keine Zeit zu verlieren und die Funktionstüchtigkeit des Schiffs zu sichern, entscheiden sich beide für eine Aufgabenteilung. Während Bower das scheinbar endlose Labyrinth aus Gängen, Räumen und Korridoren erkundet, soll Payton ihn per Funk zum Reaktorraum lotsen.

Ab da entwickelt sich Alvarts Sci-Fi-Horror zu einem düsteren Survival-Trip aus Egoshooter-Perspektive. Wie der Spieler eines Videospiels erlebt der Zuschauer zeitweilig Bowers gefährliche Mission, bei der dieser nicht nur auf neue Mitstreiter stößt, sondern sich zugleich äußerst aggressive Gollum-artige Kreaturen vom Leib halten muss. Seinem Captain ergeht es zur selben Zeit nicht viel besser. Ein unerwarteter Besucher strapaziert die Nerven des erfahrenen Piloten. Corporal Gallo (Cam Gigandet) wirkt verstört und traumatisiert. Er berichtet, dass er seine beiden Mitstreiter töten musste, nachdem diese angeblich Symptome der heimtückischen Weltraumkrankheit „Pandorum“ zeigten.

Lange Zeit ergeht es uns Zuschauer wie Alvarts Protagonisten. Wir tappen im Dunkeln – mehr oder weniger. Denn um zu ahnen, dass nichts so ist, wie es zunächst scheint, muss man kein Kenner des Genres sein. Vielmehr lässt die ganze Wahrheit auch in Pandorum eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten. Dass die einzelnen Plot-Twists überdies mit Pauken und Trompeten angekündigt werden, trägt ebenfalls nicht zur Steigerung des Überraschungsmoments bei. Eher legt die dramatische Zurschaustellung jeder Wende den Verdacht nahe, dass die Macher ihren eigenen Film für wahnsinnig originell und innovativ halten (was er nicht ist). Dabei setzt sich das zu entschlüsselnde Puzzle letztlich aus vielen bekannten Bausteinen zusammen, die schon in anderen Horror- und Sci-Fi-Geschichten Verwendung fanden.

Pandorum könnte sodann problemlos als Weltraum-Klon des britischen Höhlenschockers The Descent durchgehen. Wie seinerzeit Neil Marshall setzt auch Christian Alvart vornehmlich auf die Enge und Unübersichtlichkeit der Räumlichkeiten. Hinter jeder Ecke und jeder Tür kann der Tod in Gestalt hungriger Monstermutanten auf unseren Helden lauern. Die abscheulichen Kreaturen wirken gar wie eine 1-zu-1-Kopie der blutgeilen Höhlenbewohner. Mehr noch: Des Öfteren beschleicht einen das Gefühl, Alvart habe gleich ganze Szenen in Copy-and-Paste-Manier nachdrehen lassen. Wenn Bower und seine Mitstreiter durch einen blutigen See aus Kadaver schwimmen, scheint lediglich das Hintergrundbild ausgetauscht worden zu sein.

Der Rückgriff auf erprobte Ideen ist grundsätzlich keine cineastische Todsünde. Gerade im Horrorfach gehört das Nachstellen, Imitieren, Kopieren und Aufwärmen praktisch zum Tagesgeschäft. Wer aber wie Alvart derart fleißig die Genre-Kiste plündert, der sollte zumindest sein Handwerkszeug beherrschen. Davon kann in diesem Fall jedoch nur sehr eingeschränkt die Rede sein. Allein die Kameraführung und Montage der Jagdszenen bereiten ernsthaft Kopfschmerzen. Vor allem der Schnitt ist eine Frechheit. Unübersichtlich und unnötig hektisch erinnert die gesamte Bildgestaltung an ein schlampig produziertes C-Movie (was Pandorum mit einem Budget von 40 Mio. Dollar definitiv nicht ist). Über die handwerklichen Mängel können am Ende selbst einige nette, computergenerierte Establishing Shots nicht hinwegtäuschen.

Fleißig werden von Alvart auch Danny Boyles SciFi-Glanzstück Sunshine, der Klassiker Alien und die Filme der Resident Evil-Reihe zitiert. Letzteres verwundert am wenigsten, immerhin ist Paul W.S. Anderson als Produzent mit an Bord. Während dessen Videospieladaptionen allerdings keine größeren Ambitionen an den Tag legten, beschweren Alvart und sein Drehbuchautor Travis Milloy Pandorum mit pseudophilosophischen Ballast („Freiheit ohne Moral? Unmöglich!“) und einer ausgelutschten, religiös eingefärbten Adam-und-Eva-Metaphorik. Dass ein Film mehr als nur reine Unterhaltung sein will, ist legitim. Nach gut anderthalb Stunden schlecht choreographierten Gerenne, Gefluche und Gekreische nehme ich Alvarts zähem Weltall-Horror seine sozioökologischen Lippenbekenntnisse jedoch nicht mehr ab.

Für BlairWitch.de.

Sonntag, September 27, 2009

Carriers - It's the End of the World...


USA 2009

+++

Die Welt ist groß und der Tod lauert überall. Dieser Satz beschreibt in Abwandlung an den berühmten Roman des bulgarisch-stämmigen Schriftstellers Ilija Trojanow vermutlich am besten das in Carriers vorherrschende Szenario aus Angst und Hilflosigkeit. Eine letale Seuche ist eine verdammt ernste Angelegenheit. Das werden die beiden Brüder Danny (Lou Taylor Pucci) und Brian (Chris Pine) nur bestätigen können. Das unbekannte Virus hat bereits weite Teile der Menschheit dahingerafft, als sich die Geschwister zusammen mit ihren Freundinnen (Piper Perabo, Emily VanCamp) auf den Weg zur Küste begeben, wo sie auf Rettung und Schutz hoffen. Doch der Roadtrip steht von Beginn an unter keinen allzu guten Vorzeichen. Nicht nur treffen die jungen Leute unterwegs immer wieder auf Infizierte, auch untereinander sind sie sich oftmals nicht einig, was den weiteren Verlauf ihrer Reise anbelangt.

Carriers als den inoffiziellen Film zur Schweinegrippe zu bewerben, greift sicherlich zu kurz und würde die psychologisch sauber austarierte Geschichte fälschlicherweise auf das Format eines simplen Katastrophen-Thrillers reduzieren. Dabei ist das Regiedebüt der spanischen Pastor-Brüder, Alex und David mit Namen, zu jederzeit 100% Kino. Um das zu erkennen, muss man sich nur einmal die ausgefeilte Bildgestaltung und Montage ansehen. Aus dem Spiel mit Unschärfe, verschiedenen Brennweiten und Filter erschaffen sie bereits eine trotz der Weite der Landschaft bedrohliche Enge, die zugleich als Blick in das Seelenleben ihrer vier Hauptcharaktere funktioniert. Die Angst fährt schließlich immer mit. Die Angst, sich bei jemand anderem anzustecken, von dem man nicht wusste, dass auch er längst infiziert ist.

Dieses Misstrauen ist die wichtigste Trumpfkarte, die der Film bereit hält und die die Pastors gerade zum Ende hin genüsslich ausspielen. Dann nämlich, wenn der Nervenkrieg unseren vier Reisenden manch irreversible Entscheidung abverlangt. Auch ohne allzu großes Genrewissen ahnt man zudem bereits früh, dass die von Brian und Danny aufgestellten Regeln (1. Abstand zu allen Infizierten halten, 2. Bei Kontakt Mundschutz und Handschuhe tragen, 3. Möglicherweise kontaminierte Gegenstände gründlich reinigen) über kurz oder lang gebrochen werden. Hieraus ergibt sich eine Reihe von Komplikationen. Dass die Überlebenswahrscheinlichkeit mit jedem Regelverstoss dramatisch abnimmt, ist die mit Abstand unerfreulichste. Und so rückt das Meer, an dem Danny und Brian so viele unbeschwerte Ferien zusammen verbrachten, plötzlich in unerreichbare Ferne.

Das Bedrohungsszenario, das Carriers ohne große Erklärung aufbaut – die Erkrankung ist einfach da, die Hintergründe interessieren nicht weiter und bleiben weitgehend im Dunkeln –, ähnelt dem des klassischen Zombiefilms. Allein die Zombies fehlen, was jedoch nicht weiter tragisch ist. Immerhin übernehmen die infizierten Anhalter und Mitfahrer deren Funktion. Statt auf blutige Schockeffekte vertrauen David und Alex Pastor ihren Darstellern und der aus der scheinbaren Ausweglosigkeit der Situation sorgsam entwickelten Spannungsdramaturgie. Dabei orientieren sie sich von Beginn an am Aufbau eines klassischen Roadmovies. Auf dem Weg zum Meer machen die Pärchen hier und da Station. Mal freiwillig, mal unfreiwillig. Mal geht ihnen das Benzin aus, mal erhoffen sie sich Hilfe in einer inzwischen verlassenen Notfallstation.

Die einzelnen Episoden arbeiten mit einer den meisten von uns angeborenen Furcht vor dem Unbekannten. Was sich hinter der nächsten Tür, hinter der nächsten Ecke verbirgt, beflügelt nicht nur Dannys und Brians Fantasie auf eine schaurig-schöne Weise. Obwohl sie erst Ende Zwanzig bzw. Anfang Dreißig sind, nehmen es die Pastors mühelos mit der Routine und Fertigkeit eines erfahrenen Regie-Haudegen auf. So ganz nebenbei zitieren sie Spielberg und Romero, während sie ihre schnörkellose Geschichte auf ein nachdenkliches, durchaus bewegendes Ende hin ausrichten, das sich von den vielen Last-Minute-Plot-Twists im Genre wohltuend abhebt.

Carriers entlässt sein Publikum mit nur wenigen Antworten. Dafür wirft dieses sozialpsychologische Experiment, das sich als Horrorfilm tarnt, umso mehr Fragen auf. Was ist das eigene Überleben wert, wenn der Mensch, dem man sich am nächsten fühlte, plötzlich nicht mehr bei einem sein kann? Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der wir dem Anderen stets mit Misstrauen und Argwohn begegnen? Und ist das soziale Gewissen nur in guten Zeiten als moralische Instanz zu gebrauchen und ansonsten eher hinderlich? Der Kopf rattert, das Herz bebt. Gut gemacht, Señores Pastor!

Für BlairWitch.de.

Dienstag, September 22, 2009

Louise hires a Contract Killer


F 2008

+++1/2

Die beiden französischen Filmemacher Gustave Kervern und Benoît Delépine pflegen in ihren Geschichten stets einen äußerst schwarzen, absurden Humor. Dieser und ein Faible für schrullige, eigenbrötlerische Charaktere zeichnet auch ihre neueste Zusammenarbeit aus. Louise hires a Contract Killer entpuppt sich als respektlose Anarcho-Komödie, die vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise den Finger nicht nur in die Wunde legt, sondern genüsslich darin herumpult.

Filmkritik:

Extreme Zeiten verlangen nach extremen Maßnahmen. Das denken sich zumindest die Arbeiterinnen einer Textilfabrik in der nordfranzösischen Provinz. Sah es gestern noch so aus, als habe sich ihr Chef in einen spendablen Gönner verwandelt, der seine Angestellten mit einem neuen Kittel beglückt, stehen die Frauen heute vor einer vollkommen leer geräumten Fabrikhalle. In einer von langer Hand geplanten Nacht- und Nebelaktion wurden die Maschinen allesamt nach Asien verschiff. Zurück bleibt die Wut der versammelten Arbeiterschaft. Die Frage, wie sie ihre mickrige Abfindung möglichst gewinnbringend investieren, bringt eine von ihnen, die burschikose Louise (Yolande Moreau), auf eine mehr als unkonventionelle Idee. „Da reicht für `nen Profi. Lasst uns den Boss abknallen!“

Mit der Suche nach einem geeigneten „Hitman“ beginnt eine pechschwarze, schräge und garantiert alles andere als Mainstream-kompatible Reise, die uns und Louise vom trostlosen französischen Arbeiterkaff bis nach Brüssel und von dort ins Steuerparadies Jersey führt. Die beiden Filmemacher Gustave Kervern und Benoît Delépine sind bekannt für ihre abstrusen und politisch unkorrekten Geschichten. Schon Aaltra, ihr erster gemeinsamer Kinofilm über zwei trampende Rollstuhlfahrer, bot ein Potpourri skurriler Einfälle. Für den in Louise hires a Contract Killer aufgeführten Rachefeldzug der entrechteten Arbeiterschaft in Zeiten der Globalisierung testen sie wieder einmal mit sichtlichem Genuss die Schmerzgrenze ihres Publikums aus. Da werden Behinderte und Todkranke als willige Handlanger missbraucht, Tiere geopfert und gängige Schönheitsideale konsequent missachtet. Sogar vor den Ereignissen des 11. September machen Kervern und Delépine nicht Halt. Warum auch.

Es ist ein ungleicher Kampf, von dem die beiden Franzosen hier erzählen. Während sich die Arbeiterinnen von einer scheinbaren Naturgewalt überrollt sehen, der sie nichts mehr entgegen zu setzen haben, steigen die Fabrikbesitzer mit dem Ziel der Renditemaximierung in ein globales Länder-Hopping ein. Wenn die Produktion in Polen zu teuer geworden ist, zieht man eben nach Vietnam oder Bangladesh weiter. Die Idee zu Louise hires a Contract Killer entstammt im Übrigen einer von Kervern und Delépine für den französischen Sender Canal+ entwickelten TV-Serie, deren Titel „Don Quichotte de la révolution“ auf ein anderes, ungleiches Duell verweist.

Die Rollen sind dabei ebenso wie die Sympathien von Beginn an klar verteilt. Das experimentierfreudige Regieduo lässt nie einen Zweifel aufkommen, für wen unser Herz schlagen soll. Yolande Moreau ist als stoisches, notorisch wortkarges Mannsweib Louise eine echte Erscheinung. Aber erst im Zusammenspiel mit ihrem Schauspielkollegen Bouli Lanners, der den „Profi“ Michel als gnadenlos talentfreien Auftragskiller und Möchtegern-Rambo herrlich überzeichnet, entfaltet dieses radikal respektlose Buddy-Movie erst seinen vollen Unterhaltungswert. Kervern und Delépine beweisen, dass man sich einer sozialen Frage, die nicht zuletzt in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise hochaktuell ist, nicht mit didaktischer Strenge oder reflexhaften Betroffenheitsgesten nähern muss. Manchmal tun es auch zwei Höllenhunde und ein absurder Plan voller Chaos und Anarchie.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, September 17, 2009

Wie das Leben so spielt - Funny People


USA 2009

+++

Seitdem er vor einigen Jahren mit den Box-Office-Hits Jungfrau, 40, männlich, sucht... und Beim ersten Mal die amerikanische Mainstream-Komödie aus ihrer selbstverschuldeten Ideen- und Mutlosigkeit befreite, zählt Regisseur/Autor/Produzent Judd Apatow zu den von Kritik wie Publikum gleichermaßen gefeierten Hoffnungsträgern unverkrampfter Albernheiten. Er betätigte sich erfolgreich als Förderer bis dahin eher unbekannter Talente und baute um sich ein eingeschworenes Team, mit dem er immer neue Projekte in wechselnden Besetzungen realisierte. In Wie das Leben so spielt zeigt sich Apatow nun von einer ernsteren Seite, wobei Freunde seines unverwechselbaren, mitunter durchaus zotigen Humors ebenfalls auf ihre Kosten kommen.

Die ganze Kritik gibt es auf Koeln.de.

Dienstag, September 15, 2009

Oben - In luftigen Höhen


USA 2009

+++1/2

Wer Autos und Spielzeugfiguren zum Sprechen, Ratten zur Haute Cuisine und Roboter zu Musicalfans „erziehen“ kann, der wird auch einen Rentner samt Altersruhesitz zum Fliegen bringen können. Pixars geriatrisches Märchen lässt die ungelebten Träume eines „Grumpy Old Man“ auf eine fantasievolle, überraschende Art Wirklichkeit werden. Damit punktet Oben letztlich mit den typischen Pixar-Tugenden, zu denen es auch gehört, dass sich die Animationen bei aller technischen Brillanz nie unangenehm in den Vordergrund drängen.

Filmkritik:

Pixars Trickkünstler kann man wahrlich nicht vorhalten, sie wären bei der Auswahl ihrer animierten Hauptdarsteller in der Vergangenheit nicht hinreichend kreativ gewesen. Spielzeugfiguren, Käfer, Ratten, Clownfische, sogar sprechende Autos und liebeskranke Müllroboter eroberten in früheren Filmen der Pixelartisten das Herz des Publikums. Für uns Menschen blieb zumeist nur eine wenig schmeichelhafte Nebenrolle übrig. Die Ausnahme von dieser Regel, Brad Birds Die Unglaublichen, bekommt nun jedoch Zuwachs. In Oben, dem die Ehre zuteil wurde, als erster Animationsfilm die Filmfestspiele von Cannes eröffnen zu dürfen, schicken die beiden Regisseure Pete Docter und Bob Petersen einen 78jährigen bisweilen äußerst renitenten Witwer auf eine mehr als abenteuerliche Reise.

Mag deren Ziel bereits exotisch anmuten – immerhin verschlägt es unseren rüstigen Rentner in den tiefsten Urwald Südamerikas –, so richtig außergewöhnlich erscheint erst die Wahl des Transportmittels. Statt mit dem Flugzeug oder dem Schiff verreist der pensionierte Ballonverkäufer Carl Fredricksen (deutsche Synchronstimme: Karlheinz Böhm) mit und in den eigenen vier Wänden. Eine Vielzahl bunter Heliumballons lässt das kleine Häuschen wie von Zauberhand davon schweben. Nach dem Tod seiner geliebten Ellie, mit der er praktisch sein gesamtes Leben teilte, will es Carl noch einmal wissen und sich einen lange gehegten Traum erfüllen. Wie sein großes Vorbild aus Kindertagen, der legendäre Entdecker Charles Muntz, möchte auch er den geheimnisvollen Dschungel Südamerikas erkunden. Dass er bei diesem Vorhaben von einem blinden Passagier begleitet wird, davon ahnt Carl anfangs nichts. Russell, ein Junge aus der Nachbarschaft, ist leidenschaftlicher Pfadfinder und zufälligerweise auf der Suche nach einem Ersatz-Großvater.

Die Künstlichkeit und Distanz, die üblicherweise einen Animationsfilm beschreiben, überbrücken Procter und Petersen schon während der Einleitung. Ein knapp zehnminütiger Prolog, der gänzlich ohne Dialoge auskommt und Carls bisheriges Leben als eine Aneinanderreihung herzzerreißender Stummfilmepisoden zusammenfasst, zählt zweifellos zum Besten, was jemals die Pixar-Werkstatt verlassen hat. Untermalt von Michael Giacchinos gefühlvollem Score erhalten wir einen intuitiven Einblick in die Gefühlswelt eines inzwischen einsamen, alten Mannes. Ellie und er, das verdeutlicht der kurze Rückblick, waren glücklich, wenngleich manche ihrer Wünsche und Träume bis zuletzt unerfüllt blieben. Selbst die ungewollte Kinderlosigkeit des Paares und Ellies Tod werden von Procter und Petersen keinesfalls ausgeblendet. Erwachsen und aufrichtig nähert sich Oben seiner für einen Animationsfilm ungewöhnlichen Hauptfigur.

Mit Carls Aufbruch ins Unbekannte nimmt auch die Handlung merklich an Fahrt auf. Parallel dazu wird der anfangs eher subtile Humor zunehmend kindgerechter und verspielter, wobei der Film bis zur letzten Minute über alle Altersklassen funktioniert. Dug (gesprochen von Komiker Dirk Bach), ein etwas tollpatschiger aber ungemein liebenswerter Vierbeiner, den unsere Abenteurer im südamerikanischen Dschungel „adoptieren“, hat dabei das Zeug zum echten Publikumsliebling. Zusammen mit seinen weniger friedfertigen Artgenossen, die wie er dank eines Halsbands mit den menschlichen Eindringlingen kommunizieren können, liefert er überdies eine smarte Persiflage auf die pathologische Hundefixiertheit anderer Disney-Produktionen.

Verglichen mit Wall-e und Ratatouille erscheint Carls sonderbare Ballonfahrt, als hätten Procter und Petersen sie vor Beginn unbedingt von allem (unnötigem) Ballast befreien wollen. Die Geschichte ist deutlich einfacher gehalten, fast schon schnörkellos. Und dennoch spiegeln sich in ihr zahlreiche Einflüsse und Motive anderer Erzählungen, die jedoch nie als bloße popkulturelle Zitate ausgestellt werden. Die Bezüge zu Hayao Miyazakis Das wandelnde Schloss oder dem Jungs-Kino eines Steven Spielberg sind vielmehr Teil eines Film, der von der Hingabe der Entwickler für ihre Figuren in luftige Höhen getragen wird.

Für Programmkino.de.

Freitag, September 11, 2009

Antichrist - Nur in Deinem Kopf


DK 2009

++1/2

Das schnell gelangweilte, ungeduldige Publikum in Cannes zu schocken und sprachlos zu machen, das schaffen nur die wenigsten. Lars von Trier ist genau dieses Kunststück gelungen. Sein Antichrist provozierte unter den Anwesenden extreme Reaktionen, die von kompletter Ablehnung bis geradezu überschwänglicher Begeisterung so ziemlich jede Meinungsäußerung abdeckten. In der Tat mutet von Trier auch dieses Mal seinem Publikum einiges zu. Mehrmals überschreitet er Grenzen, von denen man noch wenige Minuten zuvor glaubte, dass sich selbst das dänische Enfant terrible niemals über sie hinwegsetzen würde. Doch der streitbare Regisseur kennt kein Pardon und mit uns Zuschauer keine Gnade.

Antichrist eröffnet mit einem wunderschönen und zugleich beängstigenden Prolog. Zur Musik Georg Friedrich Händels schildert von Trier einen tragischen Unfall, der das Leben eines Elternpaares für immer verändern soll. Während SIE (couragiert bis zur Selbstaufgabe: Charlotte Gainsbourg) und ER (Willem Dafoe) leidenschaftlichen Sex miteinander haben, verlässt ihr kleiner Sohn Nick unbemerkt sein Bettchen. Angelockt von den hereinwehenden Schneeflocken klettert er auf das Fensterbrett. Dann geschieht es. Nick rutscht aus und stürzt mehrere Meter in die Tiefe. All das hält von Trier in Zeitlupe fest, was nochmals für eine besondere Unruhe sorgt.

Der Tod des einzigen Kindes ruft in IHR eine schwere Depression hervor, von der ER glaubt, ER könne sie behandeln. Schließlich ist er Psychiater und geübt im Umgang mit traumatisierten Seelen. Der Ort der Therapie, eine einsame Hütte in einem finsteren Wald, lässt dann allerdings erste Zweifel am Erfolg des Unterfangens aufkommen. Selbst wer mit von Triers pessimistischem Weltbild nicht vertraut ist, ahnt, dass die Sache kein gutes Ende nehmen kann. Zwar sieht es zwischenzeitlich so aus, als habe sie ihren Lebensmut wiedergefunden, ihr flapsiges „Du hast mich geheilt!“ klingt jedoch wie auswendig gelernt. Am Ende dann hat Antichrist unsere schlimmsten Befürchtungen mit Leichtigkeit eingeholt.

Die Frage, ob sich der Film tatsächlich in der Kategorie „Horror“ einordnen lässt, wirft gewisse Zweifel auf. Natürlich finden sich vor allem zum Ende hin klassische Horrorelemente wie die zunehmend düstere, bedrohliche Stimmung und die eine oder andere äußerst unappetitliche Szene. Andererseits entzieht sich Antichrist über weite Strecken der bekannten Spannungs-Dramaturgie des Thriller- und Horror-Genres. Von Trier schickt seine beiden Protagonisten stattdessen auf eine mitunter recht ermüdende und zähe Reise, in deren Verlauf vieles zerredet und bis zur Erschöpfung ausdiskutiert wird. In der Ausführlichkeit, wie hier zwei Menschen gegenseitig ihr Unverständnis über den anderen ausdrücken – auch er durchschaut erst viel zu spät, was wirklich in seiner Frau vorgeht –, ähnelt der Film mehr einem zerstörerischen Beziehungsdrama.

Der Vergleich mit Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe liegt zumindest lange Zeit näher als der mit William Friedkins Der Exorzist. Dabei wirft von Trier mit (christlicher) Symbolik nur so um sich. Das fängt beim Namen der verlassenen Hütte an („Eden“) und endet bei einem rauschhaften Liebesakt in den Wurzeln eines alttestamentarisch anmutenden Baumes. Ohnehin bleibt die Vertreibung aus dem Paradies als Bild ständig präsent und die Analogie zum ersten Sündenfall unübersehbar. Es drängt sich bisweilen der Eindruck auf, dass es dem Regisseur vornehmlich um das Ausleben seiner klerikalen Aversionen gegangen sein muss.

Mehr noch als für seine expliziten Sex- und Gewaltszenen wurde der Däne für das auch in Antichrist vorherrschende Frauenbild getadelt. Der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit klebt schon lange an ihm und mit seinem neuen Film, soviel ist sicher, wird er diesen gewiss nicht los. Mit ihrer Verwandlung zur klammernden Furie bestätigt die weibliche Hauptfigur sämtliche Vorurteile über von Triers angebliche Misogynie. Dabei sind Frauen für ihn keinesfalls verschlagene Wesen, es ist mehr eine diffuse Angst, die ihn in Bezug auf das weibliche Geschlecht und dessen Sexualität umtreibt. Nicht zuletzt – das sollte man bei einem geübten Selbstdarsteller wie Lars von Trier immer bedenken – eignet sich das Thema hervorragend zu PR-Zwecken.

Dass der Film das Produkt einer tiefen Depression von Triers sein soll, glaubt man hingegen sofort. Antichrist versteht es nämlich trotz allen Leerlaufs mit seiner (selbst-)zerstörerischen, pervertierten Aura aus geheimen Sehnsüchten und Ängsten gehörig zu irritieren und zu verunsichern. Die Bilder, die von Trier hier findet, wollen einen so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen. Dem exzentrischen Misanthropen wird es freuen.

Für BlairWitch.de.

Mittwoch, September 09, 2009

Wickie und die starken Männer


D 2009

++

Seine letzten drei Kinofilme, darunter die beiden Genre-Parodien Der Schuh des Manitu und (T)Raumschiff Surprise, zählten zusammen 23 Mio. Besucher. Keine Frage, Michael „Bully" Herbig ist der Star unter Deutschlands Komödienfilmern. Schon lange bevor der quirlige Bayer ein neues Projekt überhaupt in Angriff nimmt, wird über dessen Inhalt und Besetzung spekuliert. Nach einem nur mäßig erfolgreichen Ausflug ins Animationsfach - von einem Flop möchte man angesichts von immerhin 2,8 Mio. Zuschauern für Lissi und der wilde Kaiser nicht reden - wagte sich Bully zuletzt an eine echte Institution des Kinderfernsehens, die längst Kultstatus genießt und Generationen miteinander verbindet.

Weiterlesen auf koeln.de.

Montag, September 07, 2009

District 9 - Vorhof zur Hölle


USA/NZL 2009

+++

Wozu geschicktes Viral-Marketing in der Lage ist, das hat im vergangenen Jahr die J.J. Abrams Produktion Cloverfield bewiesen. Lange vor Kinostart leckte sich die Internet-affine Zielgruppe nach jedem noch so nichtssagenden Ausschnitt die Finger. Immer neue Videoschnipsel heizten gezielt den Hype um das wie ein Staatsgeheimnis gehütete Filmprojekt an. Obwohl bei soviel im Vorfeld geschürten PR-Getöse stets die Gefahr bestand, dass der derart geköderte Zuschauer das Kino eher enttäuscht als begeistert verlässt, ging die Rechnung letztlich auf.

Auch wenn es nicht ganz klar ist, ob sich die Macher von District 9 den Monsterangriff auf Manhattan bei der Vermarktung ihres Films zum Vorbild nahmen, experimentierte man gleichsam mit mysteriösen Plakataktionen und anderen eher ungewöhnlichen Werbeformen. Dass ausgerechnet Peter Jackson als finanzieller Förderer des Projekts auftrat, dürfte dem Erfolg ebenfalls nicht abträglich sein. Dabei sollte Regisseur Neill Blomkamp für Jackson eigentlich das populäre Videospiel „Halo“ verfilmen. Weil die an der Umsetzung beteiligten Studios jedoch kalte Füße bekamen, wurde das Vorhaben auf Eis gelegt. Gewissermaßen als Entschädigung durfte Blomkamp für das vergleichsweise bescheidene Budget von 30 Mio. Dollar seine eigene Filmidee umsetzen. Jackson übernahm die Finanzierung – vermutlich aus der Portokasse.

Der erst 30-jährige Regisseur hat sich bisher vorrangig als Special-Effects-Tüftler und Werbefilmer einen Namen gemacht. Vor vier Jahren drehte Blomkamp den Kurzfilm Alive in Jo’Burg über eine Alien-Invasion in seiner südafrikanischen Heimat. Dieses Szenario greift er in District 9 wieder auf. Über der Acht-Millionen-Metropole Johannesburg ist ein gewaltiges Raumschiff gestrandet, das seit rund zwei Jahrzehnten manövrierunfähig und bewegungslos am Himmel klebt. Die Insassen, 1,8 Mio. Außerirdische, wurden von der Regierung bereits kurz nach der Havarie in ein Auffanglager gebracht, wo sie unter unwürdigen Bedingungen leben müssen. Die Neuankömmlinge sind in der Bevölkerung nicht gerade beliebt. So wären die Bewohner der angrenzenden Townships – und nicht nur die – lieber heute als morgen ihre extraterrestischen Nachbarn los. Schließlich sieht sich die Regierung zum Handeln gezwungen. Die aufgrund ihres Aussehens abwertend als „Prawns“ bezeichneten Aliens sollen in ein neues, größeres Lager außerhalb der Stadt umziehen.

Auftritt: Wikus van de Merwe (Sharlto Copley). Der etwas steife, scheinbar überforderte Bürokrat soll die Umzugs-Operation leiten und zugleich für einen möglichst geräuschlosen Transport der Außerirdischen sorgen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Bei einer Hausdurchsuchung in „District 9“ kommt Wikus mit einer zunächst unbekannten Flüssigkeit in Kontakt. Diese verwandelt seinen linken Arm nach und nach in ein Greifwerkzeug der Aliens. Wikus wird sogleich isoliert und zwecks weiterer Untersuchungen in ein geheimes Labor gebracht. Da er als einziger Mensch nunmehr die biochemischen Waffen der Aliens bedienen kann, ist er plötzlich ein heiß begehrtes Forschungsobjekt. Um nicht als Versuchskaninchen zu enden, entschließt er sich zur Flucht.

District 9 nutzt gerade zu Beginn das Format der fiktiven TV-Reportage wie man es hierzulande aus Serien wie Stromberg kennt. Ein Kamerateam begleitet Wikus bei seiner Arbeit, während in Interviews seine Kollegen, Freunde und Angehörigen zu Wort kommen. Letzteres lässt bereits früh erahnen, dass die ganze Sache für Wikus kein wirklich gutes Ende nehmen wird. Der Spannung tut dies jedoch keinen Abbruch. Der überwiegende Einsatz der Handkamera und von Bildern aus Überwachungsstationen – auch in Südafrika gilt offenbar: Big Brother is Watching You! – erzeugen eine mit Hochglanz-Kinobildern im Cinemascope-Format nur schwer herstellbare Nähe und Authentizität. Die düsteren, fast entcolorierten Bilder wirken bisweilen, als habe Blomkamp sie aus einem apokalyptischen Endzeitszenario herauskopiert. Das Alien-Ghetto als der Vorhof zur Hölle.

Nicht nur an dieser Stelle drängt sich der Vergleich zum dystopischen Children of Men förmlich auf. Beide Filme spielen sehr selbstbewusst und überzeugend mit einem politischen Subtext, der soziale Missstände zwar bewusst überzeichnet, dabei aber nie seine realistische Verankerung im zeitgeschichtlichen Hier und Jetzt aufgibt. Der Schauplatz Südafrika weckt beispielsweise Assoziationen zum menschenverachtenden Apartheid-System, das von Blomkamp kurzerhand auf die Situation der Außerirdischen übertragen wurde. In der Tat bestimmen Ausgrenzung, Misstrauen und rassistische Ressentiments damals wie heute den Alttag von Millionen Menschen. Ganz nebenbei widerlegt Blomkamps intelligenter SciFi-Thriller alle Skeptiker, die glaubten, Actionfilme müssten zwangsläufig hohl und reaktionär sein.

Mit Sharlto Copley besitzt District 9 den perfekten Hauptdarsteller. Die erzwungene Metamorphose vom schüchternen Schreibtischtäter zum knallharten Action-Helden mag auf dem Papier reichlich unglaubwürdig klingen, so wie Copley sie interpretiert, erscheint der Rollenwechsel allerdings vollkommen plausibel. Wikus’ Wandlung folgt letztlich einer groben Dreiteilung der Geschichte in semi-dokumentarische Einführung, den mittleren Auf-der-Flucht-Part und einer lauten, etwas zu langen Materialschlacht, bei der Blomkamp seine Vorliebe für Roboter und verchromten Stahl voll auskosten darf. Der Südafrikaner zaubert mit bescheidenem Budget eine mitreißende, emphatische SciFi-Story, bei der erst hinterher auffällt, dass sie das bekannte Invasions-Thema nur äußerst raffiniert variiert.

Für BlairWitch.de.

Sonntag, September 06, 2009

Sturm - Die Stille nach dem Schuss


D/DK/NL 2009

+++

Bereits auf der diesjährigen Berlinale erntete Hans-Christian Schmid viel Lob und Bewunderung für sein engagiertes Polit-Drama Sturm. Die Geschichte liefert einen Einblick in die Arbeit des Den Haager Kriegsverbrecher- tribunals, das noch heute die Gräueltaten und Massaker des letzten Balkankrieges verhandelt. Schmid bedient sich dabei der Mittel des Suspense-Kinos und eines zugleich fast dokumentarischen Erzählstils. Im Mittelpunkt seines Films stehen zwei überaus starke, mutige Frauen, die jede auf ihre Weise der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen wollen.

Filmkritik:

Als im Juli 2008 mit Radovan Karadžiæ einer der meist gesuchtesten, mutmaßlichen Kriegsverbrecher des früheren Jugoslawiens endlich gefasst und an das Den Haager Tribunal ausgeliefert wurde, da rückten die begangenen Gräueltaten und Grausamkeiten während des Bosnienkrieges schlagartig wieder in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Viele Taten sind auch heute, rund 15 Jahre danach, weder aufgeklärt, noch wurden wirklich alle Verantwortlichen von damals zur Rechenschaft gezogen. Viele können sich noch immer auf den Schutz alter Weggefährten und einflussreicher Seilschaften verlassen. Dass nicht zuletzt auch politische Motive bei der Suche nach möglichen Kriegsverbrechen eine überaus bedeutsame Rolle spielen, ist längst kein Geheimnis mehr.

In diesem Spannungsfeld zwischen moralischem Anspruch und handfesten politischen Interessen bewegt sich Hans-Christian Schmids Sturm. Der Film wirft einen Blick hinter die Kulissen des Den Haager Kriegsverbrechertribunals und beleuchtet die Arbeit der dort tätigen Ankläger. Die engagierte Juristin Hannah Maynard (Kerry Fox) ist eine von ihnen. Gerade führt sie einen Prozess gegen Goran Duric (Drazen Kuhn), einen einst hochrangigen Befehlshaber der jugoslawischen Armee. Dieser soll den Befehl zur Deportation und Ermordung bosnischer Muslime erteilt haben. Weil sich jedoch ein wichtiger Augenzeuge in Widersprüche verstrickt, droht der Prozess zu Platzen. Auch ein Ortstermin in Bosnien bringt aus Sicht der Anklage nicht die erhoffte Wende. Stattdessen nimmt sich der Zeuge nur kurze Zeit später in seinem Hotelzimmer das Leben.

Aus dieser für Hannah scheinbar ausweglosen Lage entwickeln Schmid und sein Co-Autor Bernd Lange ein ambitioniertes Drama mit dezenten Anklängen an klassische Paranoia-Thriller. So wird Hannah bei ihren Nachforschungen vor Ort immer wieder von Unbekannten beobachtet, verfolgt und manchmal sogar direkt bedroht. Als sie schließlich auf Mira (Anamaria Marinca) trifft, die Schwester des Hauptbelastungszeugen, spürt sie intuitiv, dass die junge Frau ein schreckliches Geheimnis mit sich herumträgt. An diesem Punkt wechselt der Film abermals die Tonlage, in dem er plötzlich Miras Schicksal in den Mittelpunkt der Erzählung rückt. Interessant ist, dass Schmid bei der Schilderung der Kriegsverbrechen gänzlich auf Rückblenden verzichtet und stattdessen ausschließlich Mira in ihren eigenen Worten von den Geschehnissen erzählen lässt. Der Ansatz macht deutlich, dass Sturm letztlich nicht so sehr den Krieg sondern vielmehr dessen Spätfolgen behandelt.

Schmids erste englischsprachige Produktion ist jedoch mehr als nur eine schauspielerisch überzeugende Bestandsaufnahme seelischer Narben und Verletzungen. Gerade zum Ende hin scheut Sturm nicht davor zurück, eindeutig Stellung zu beziehen und dabei auch als politisches Statement wahrgenommen zu werden. Es zeigt sich, dass Hannahs Engagement sogar in den eigenen Reihen auf Widerstand stößt. Dem vorsitzenden Richter ist an einem möglichst schnellen, geräuschlosen Prozessverlauf gelegen. Der Wunsch nach Gerechtigkeit erweist sich in diesem Zusammenhang bisweilen als hinderlich. Schmid rekonstruiert die Arbeit der Ankläger und Diplomaten bis in kleinste interne Abläufe. Dabei erscheint das Tribunal zunehmend wie ein straff organisierter, hermetisch abgeschotteter Kosmos, der ganz unterschiedliche Interessen und Eitelkeiten beherbergt. Es ist eine kalte, einsame Welt, die sich dort zwischen gläsernen Lobbys, anonymen Hotelzimmern und uniformen Konferenzräumen abzeichnet und in der sich Hannah tagtäglich bewegt – die Hand zur Faust geballt.

Für Programmkino.de.

Freitag, September 04, 2009

Taking Woodstock - Süßer Vogel Jugend


USA 2009

++1/2

Rock'n'Roll, kiffende Hippies und eine glückselige Stimmung voller Love, Peace & Happiness. Vier Jahrzehnte nach Woodstock reduziert sich unser Blick auf das Kult-Festival zunehmend auf diese Insignien der Flower-Power-Ära. Befeuert durch die immer gleichen Archivaufnahmen sind die damaligen Ereignisse längst Teil eines generationenübergreifenden, kollektiven Gedächtnisses. In Taking Woodstock spielt nun Meisterregisseur Ang Lee mit unseren Vorstellungen und Erinnerungen an das vielleicht einflussreichste Musikevent aller Zeiten. Manche Bilder widerlegt seine durch und durch sympathische Coming-of-Age-Geschichte, andere wiederum überzeichnet er bis zur Karikatur. Weiter geht's auf koeln.de.

Donnerstag, September 03, 2009

Final Destination 4 - Gesetz der Serie


USA 2009

++

Der Siegeszug der modernen 3D-Technik setzt sich fort. Nach My Bloody Valentine 3D, der Spitzhacken und andere scharfkantige Gegenstände auf sein Publikum losließ, ist es nun an dem vierten Teil der Final Destination-Reihe, den Zuschauer mit einer Vielzahl plastischer Aufnahmen skurriler Tode zu beglücken. Ohne 3D-Effekt wäre es schwierig geworden, den Film als spannendes Date- und Event-Movie zu bewerben. Zu wenig unterscheidet ihn letztlich von seinen drei Vorgängern. So aber scheint das Kalkül der Produzenten aufzugehen. Seine im direkten Vergleich deutlich höheren Produktionskosten spielte Final Destination 4 bereits eine Woche nach US-Start weitgehend wieder ein.

Am Anfang steht erneut eine schreckliche Vision. Nick (Bobby Campo) besucht mit einigen Freunden die örtliche Rennstrecke. Während die Wagen im Oval ihre Runden drehen, überkommt ihn plötzlich ein ungutes Gefühl. Die laxen Sicherheitsbestimmungen, die morsche Tribüne, all das erscheint mehr als bedenklich. Und doch wollen seine Freunde von Nicks Warnungen zunächst nichts wissen. Erst im allerletzten Moment gelingt es ihm, sie von der Gefährlichkeit der Situation zu überzeugen. Kurz darauf ereignet sich ein fataler Rennunfall, bei dem schließlich über 50 Menschen sterben. Lori (Shantel Van Santen), Janet (Haley Webb), Hunt (Nick Zano) und einige andere Besucher können dieser Hölle dank Nicks beherztem Einsatz entkommen. Doch gemäß dem Gesetz der Final Destination-Filme wird der Tod schon bald zurückkehren, um sich das zu holen, was ihm zusteht.

Nach Flugzeugcrash, Massenkarambolage und Achterbahnunfall reiht sich die Eröffnung von Teil Vier nahtlos in die Serie spektakulärer Katastrophenszenarien ein. In 3D erscheint der Auftakt noch um einiges eindrucksvoller, wobei der große Aha-Effekt zumindest bei 3D-erfahrenen Kinobesuchern ausbleiben dürfte. Auch ist das Grundprinzip einfach zu ausgelutscht. Dass der Film einen Großteil seines Pulvers bereits mit der aufwändig inszenierten Anfangssequenz verschossen hat, ist ebenfalls ein weiteres, nicht erst seit Final Destination 4 hinlänglich bekanntes Manko. An dieser Stelle fordert der seit jeher äußerst dünne Plot seinen Tribut. Von einer Geschichte im herkömmlichen Sinn kann hier wohl kaum die Rede sein.

Nach dem großen Bang hangelt sich Regisseur David R. Ellis mehr schlecht als recht von einem Todesnümmerchen zum nächsten. In bewährter „Incredible Machine“-Manier werden dabei die abstrusesten Kettenreaktionen konstruiert, an deren Ende Gevatter Tod zumeist die Sense für einen der ihm zuvor entwischten Seelen schwingen darf. Da kann selbst eine harmlose Münze zum Sargnagel werden. Und auch eine Rettung in allerletzter Sekunde sollte besser nicht allzu ausgelassen gefeiert werden. Kurzum: Es gibt wieder viel zu lachen. Über die Ignoranz und Arroganz unserer Soap-Opera-tauglichen Jungdarsteller, ihre Dummheit, die Dialoge („Ich hab das mal gegoogelt. Wir sind nicht die ersten, denen so etwas passiert!“) und die nicht vorhandene Logik des Ganzen.

Ellis, der sich mit Final Destination-Mastermind James Wong bei der Regie abwechselt, unternimmt erst gar nicht den Versuch, das hinlänglich erprobte Konzept der Reihe zumindest in Nuancen abzuändern. Im Gegenteil. Das nach Saw derzeit erfolgreiche Horror-Franchise lebt gerade von seiner Berechenbarkeit. Wer sich für Final Destination 4 ein Ticket kauft, der weiß ganz genau, was ihn erwartet. Aber auch Neueinsteiger finden sich schnell zurecht. Da mit jedem Reboot das gesamte Ensemble einmal ausgetauscht wird – ein Entkommen ist letztlich zwecklos –, gibt es anders als bei Saw weder Verständnisprobleme noch versteckte Querbezüge, über die man stolpern könnte. Die schrittweise Dezimierung des jugendlichen Genpools ist unter dem Strich in etwa so innovativ wie eine durchschnittliche Folge der Lindenstraße.

Die grotesk überzeichneten Todesszenen werden echten Horrorfans nur ein müdes Lächeln entlocken. Obwohl es bisweilen recht blutig zur Sache geht, wird es zu keiner Zeit wirklich unangenehm. Die umher fliegenden Gedärme und Körperteile fügen sich am Ende in eine sowieso nicht ernst zu nehmende „Story“, die man am besten als ironischen Kommentar auf Darwins Evolutionstheorie akzeptiert. Dass der Mensch die Krone der Schöpfung sein soll, erscheint angesichts der hier zu beobachtenden Verhaltensweisen eher unwahrscheinlich.

Für BlairWitch.de.