Mittwoch, Januar 31, 2007

Dreamgirls - Das Streben nach Glück

USA 2006

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Chicago-Autor Bill Condon geht mit seinem starbesetzten Dreamgirls erneut auf Oscar-Beutezug. Man kann nur hoffen, dass dieser in vieler Hinsicht missglückte Versuch nicht belohnt wird.

Es war der Sound einer neuen Ära. Motown. Der Name eines Plattenlabels stand stellvertretend für etwas Aufregendes, etwas Anderes. Schwarze Musik. Geboren in den Clubs von Detroit, versetzte die soulige mit Rock’n’Roll-Einflüssen versetzte Musik eine ganze Generation in Ekstase. Mitverantwortlich für diesen Siegeszug waren die „Supremes“ mit der später auch als Solokünstlerin sehr erfolgreichen Diana Ross. Zwölf Nummer Eins-Hits in den USA sprechen eine eindeutige Sprache. Basierend auf der Geschichte der „Supremes“ entstand Anfang der 80er Jahre nach einer Vorlage von Tom Eyen ein populäres Broadway-Musical, was Oscar-Gewinner Bill Condon (Gods & Monsters, Kinsey) wiederum als Quelle für seinen neuen Film Dreamgirls diente.

Aus den „Supremes“ wurden so die „Dreamettes“. Drei talentierte junge Sängerinnen, die den Traum fast aller Künstler träumen. Berühmt und erfolgreich zu werden, mit dem, was ihnen am meisten bedeutet. Doch bis es soweit ist, müssen sich Deena (Beyoncé Knowles), Lorrell (Anika Noni Rose) und Lead-Sängerin Effie (Jennifer Hudson) mit kleinen Auftritten herumschlagen. Das Showbiz ist kein Ort für zartbesaitete Naturen, das lernen die Drei schnell. Als sie von James „Thunder“ Early (Eddie Murphy), einem der Vorreiter des neuen Detroit Sound, als Background-Sängerinnen engagiert werden, nimmt ihre Karriere erste Konturen an. Ihr Entdecker und Manager Curtis Talyor jr. (Jamie Foxx) ist sich sicher, dass die Mädels eines Tages groß rauskommen werden. Nur dazu bedarf es vorher einiger nicht unerheblicher Veränderungen. Deena, Lorrel und Effie sollen fortan unter dem Namen „The Dreams“ vermarktet werden, mit Deena als der neuen Lead-Sängerin. Ihre Schönheit und Eleganz – so das Kalkül – werde der Gruppe zum Durchbruch verhelfen.

Regisseur und Drehbuchautor Bill Condon kennt sich aus mit Glamour, Musicals und der kinogerechten Adaption berühmter Lebensläufe. Die Erfahrungen aus seinen früheren Werken wie Gods & Monsters, Kinsey und vor allem Chicago fanden allesamt Verwendung für diese Geschichte über den langen Weg an die Spitze, die stets eine Spur zu plakativ den in die amerikanische DNS eingepflanzten Glauben an das scheinbar Unmögliche zelebriert. Es knirscht ohnehin an unerwartet vielen Ecken im Gebälk. Ganz im Gegensatz zum schwungvollen wenngleich überschätzten Chicago fehlt es den Musical-Nummern in Dreamgirls zumeist an einer phantasievollen Einbindung in den Plot. Die Handlung wird durch die Gesangseinlagen kaum vorangetrieben, sie stagniert und wirkt wie eingefroren. Das Ganze besitzt dadurch weniger den Charakter eines Films als des eines überlangen Musikclips.

Um ein weiteres Mal den Chicago-Vergleich zu bemühen, sei auf die Qualität der Musikstücke hingewiesen. Abseits des neu produzierten „Listen“ und dem von Newcomerin Jennifer Hudson mit Verve und Leidenschaft vorgetragenen Statement „And I Am Telling You I'm Not Going“ als Replike auf Curtis Entscheidung, Effie aus der Besetzung zu nehmen, bleibt nur wenig hängen. Viele Songs erscheinen austauschbar oder sind einander zu ähnlich. Originelle Verknüpfungen wie Chicagos „Mr. Cellophane“ oder „Cell Block Tango“ sucht man vergebens.

Wäre die Geschichte nicht dünner als ein Blatt Papier und in ihrem Kitsch wie bei dem gemeinsam intonierten „Family“ nicht entsetzlich banal, könnte sich der Zuschauer stattdessen zumindest an deren Fortgang erfreuen. Doch so gehen einem schnell die Argumente aus, weshalb es sich lohnen würde, für diese Dreamgirls ein Kinoticket zu lösen. Sicherlich, Jennifer Hudson ist mit ihrer geballten Stimmkraft ein Erlebnis und sogar schauspielerisch macht sie eine überaus gute Figur – was sich von Miss Knowles, die außerhalb der Musical-Einlagen in ihrer durchgestylten Erscheinung eher wie „Black Barbie“ aussieht, nicht behaupten lässt – aber auch sie kann den 128 Minuten langen Film nicht alleine tragen. Der restliche Cast erfüllt die ihm jeweils zugedachte Rolle pflichtgemäß. Foxx, Murphy und Altmeister „I’m too old for this Shit“ Danny Glover fungieren als Stichwortgeber für die drei Ladys.

Die Idee, den Plot mit politischem Gewicht beschweren zu wollen – immerhin böten die 1960er Jahre mit ihren Rassenunruhen dafür reichlich Material – verwirft Dreamgirls bereits nach einigen schüchternen Beobachtungen der Schwarz/Weiss-Problematik. Politisch ist Condons langweilige Perücken-Show eher aus einem anderen Grund. Wie der vor kurzem gestartete Das Streben nach Glück, der seine gesamte Agenda im Titel trägt, beschwört er am Beispiel afroamerikanischer Protagonisten den fiskalisch messbaren Erfolg als den entscheidenden Gradmesser eigener Zielereichung. „Auch Du kannst es schaffen!“ schreit uns Dreamgirls unverhohlen entgegen. Welch ein Albtraum.

Erschienen bei evolver.

Montag, Januar 29, 2007

Nach der Hochzeit - Dänische Delikatesse

DK 2006

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Enthüllungen, die ein ganzes Leben verändern können, Entscheidungen, die irreversibel sind. In Nach der Hochzeit, dem neuen Drama der ehemaligen Dogma-Regisseurin Susanne Bier, bewegen sich alle Protagonisten auf emotionalem äußerst dünnen Eis. Mit Mads Mikkelsen – Bonds letztem Gegenspieler in Casino Royale – und Wallander-Darsteller Rolf Lassgård prominent besetzt, vollbringt ihr Film das seltene Kunststück, ohne Schwermut und aufgesetzter Melodramatik von der Implosion einer nach außen scheinbar intakten Familie zu erzählen.

Filmkritik:

Alles beginnt damit, dass der vor zwei Jahrzehnten nach Indien ausgewanderte Jacob (Mads Mikkelsen) ein außergewöhnliches Angebot eines reichen dänischen Geschäftsmannes (Rolf Lassgård) erhält. Jørgen, so sein Name, will dem von Jacob betreuten Waisenhaus mehrere Millionen Dollar zukommen lassen. Diese Spende ist jedoch an die Bedingung geknüpft, dass Jacob persönlich nach Dänemark reist, um den Vertrag zu unterzeichnen und einige andere Formalitäten zu erledigen. Eher widerwillig stimmt dieser Jørgens Forderung zu.

In Dänemark angekommen muss Jacob schnell feststellen, dass sich die Angelegenheiten rund um die Millionen-Spende verzögern. Stattdessen wird er auf die Hochzeit von Jørgens Tochter Anna (Stine Fischer Chrstensen) eingeladen. Als er dort Jørgens Frau Helene (Sidse Babett Knudsen) begegnet, wird ihm schlagartig vieles klar. Helene ist Jacobs Jugendliebe, und das Wiedersehen mit ihr kann unmöglich ein Zufall sein, glaubt er. Nachdem Jacob dann noch erfährt, dass Jørgen gar nicht Annas leiblicher Vater ist, wird die anfänglich unfassbare Ahnung für ihn zur Gewissheit: Anna ist seine Tochter.

Es soll nicht die letzte folgenschwere Wahrheit bleiben, die das Drehbuch des dänischen Multi-Talents und Film-Workaholic Anders Thomas Jensen (Adams Äpfel, Open Hearts) für die Charaktere und den Zuschauer bereithält. Susanne Bier, deren letzter Film Brothers ein ähnlich tragisches Schicksal einer durch den Krieg zerstörten Familie beschrieb, kann für die Umsetzung ihres ambitionierten Dramas auf ein durchweg erstklassiges Ensemble zurückgreifen. Vor allem Rolf Lassgård in der Rolle des Familienoberhauptes meistert den emotionalen Parforceritt mit Bravour. Dabei gäbe es nicht nur was seine Person anbelangt durchaus einige Momente, die sich mit weniger erprobten Schauspielern in einer nur schwer erträglichen Melodramatik verlieren würden.

Für Bier erweist sich ihr Dogma-Hintergrund einmal mehr als ein reicher Fundus an Erfahrungen. Sie hat es gelernt, mit einer Reduktion der filmischen Mittel und dem Verzicht auf jedwede visuelle Spielereien, einfache und dennoch tiefgründige Geschichten zu erzählen. Auch in Nach der Hochzeit vertraut sie zumeist einer sehr intuitiven Handkamera, die dicht an den Charakteren „klebt“, ihre Augenpartien fixiert und so ein Gefühl unmittelbarer Nähe erzeugt. Die zurückhaltende gleichsam präsente Filmmusik von Johan Söderqvist unterstreicht das emotionale Wechselbad, in das wir als Zuschauer geworfen werden, ohne es zu dominieren. Daran könnte sich James Horner mal ein Beispiel nehmen.

Es ist schon erstaunlich – und das ist keinesfalls als jovialer national gefärbter Kommentar misszuverstehen – wie viele großartige Filme das verhältnismäßig kleine Dänemark jedes Jahr hervorbringt. Abseits des „Enfant Terrible“ und Festival-Dauergastes Lars von Trier stehen Namen wie Bier, Jensen, Refn, und Scherfig für eine facettenreiche Kino-Landschaft, die das Erbe der eigenen Dogma-Generation in den unterschiedlichsten Genres weiterträgt. Nach der Hochzeit ist hierfür lediglich das jüngste Beispiel.

Nachtrag: Susanne Biers Familiendrama erhielt soeben eine Oscar-Nominierung als "Bester fremdsprachiger Film".

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Januar 25, 2007

Pans Labyrinth - Glaube, Liebe, Hoffnung

ESP/MEX/USA 2006

+++1/2

Es sind dunkle Zeiten, in denen die junge Ofélia (Ivana Baquero) aufwächst, ja aufwachsen muss. Spanien im Jahr 1944 befindet sich auch fünf Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs in einer mehr als fragilen Verfassung. Nachdem General Franco die Macht ergriffen hat, stellen sich ihm Gruppen von linken republikanischen Rebellen entgegen, die aus dem Schutz des Hinterlands Partisanenangriffe auf die Stützpunkte der Faschisten planen und durchzuführen.

Wie schon bei seinem gefeierten Mystery-Drama The Devil’s Backbone (2001) situierte Guillermo del Toro die Filmhandlung im Spanien der von Angst und Paranoia infiltrierten frühen Franco-Ära. Er benötigt diesen Hintergrund als gewaltige Drohkulisse, um davor seine zeitlose Fabel über die Kraft menschlicher Imagination zu erzählen. Del Toro sieht in der Geisteshaltung des Faschismus den ultimativen Horror, der bei denen, die ihn und seine destruktiven Folgen erleben mussten, „unauslöschliche Narben tief im Innersten“ zurückgelassen haben.

Ofélia ist ein Kind und im Gegensatz zu den Erwachsenen, glaubt sie noch an die Existenz von feenartigen Wesen, Magie und Geistern. Nachdem sie mit ihrer hochschwangeren Mutter (Ariadna Gil) auf Befehl des verhassten Stiefvaters, dem faschistischen Capitan Vidal (beängstigend gut: Sergi López), in ein abgelegenes Landhaus im Norden Spanien ziehen muss, eröffnet sich ihr das Tor zu einem ganz anderen Universum. Eine Fee weist Ofélia den Weg zu einem verfallenen Gemäuer, wo eine seltsame Kreatur bereits auf sie wartet. Es ist ein Faun (Doug Jones), der sich ihr unter dem Namen Pan vorstellt. Er erklärt der erstaunten Ofélia, dass sie selbst eine Prinzessin sei, die vor langer Zeit das unterirdische Königreich ihres Vaters verlassen hatte, weil sie sehnsuchtsvoll von der Welt der Menschen träumte. Um sicher zu gehen, dass die Prinzessin in der Zwischenzeit keine Sterbliche geworden sei, müsse sie bis zum nächsten Vollmond drei Aufgaben erfolgreich bewältigen. Erst dann könne sie wieder auf dem Thron an der Seite ihres Vaters Platz nehmen.

Für die elfjährige Ofélia beginnt damit ein gefährliches und geheimnisvolles Abenteuer, in dessen Verlauf sie immer stärker zwischen die Fronten der Franco-treuen Soldaten und linken Rebellengruppen geraten soll. Letzteres deutet darauf hin, dass Pans Labyrinth weniger den Charakter eines reinen Fantasy-Märchens für Erwachsene trägt, sondern eher als Kriegsdrama mit phantastischen Untertönen zu verstehen ist. Ofélias Besuche in dem unterirdischen Sagenkosmos beschränken sich auf drei längere Szenenfolgen, wohingegen die Schilderung der menschenverachtenden faschistischen Gewaltherrschaft, Vidals Brutalitäten und egozentrische Manierismen deutlich mehr Raum einnehmen. Wer also ein reines Kabinett an skurrilen Kreaturen und Monster erwartet, dürfte vermutlich enttäuscht das Kino verlassen.

Kameramann Guillermo Navarro, der mit del Toro seit Cronos-Zeiten zusammenarbeitet, zelebriert geradezu den Umgang mit der Dunkelheit. Die nächtlichen Aufnahmen des Landhauses und der entlegenen Steinfestung, die Ofélia erkundet, besitzen bei aller Bedrohlichkeit eine faszinierende im Verwelken begriffene Schönheit. Nur die gezeigten Grausamkeiten – so wird vor Vidals barbarische Gewaltakten keineswegs abgeblendet – halten einen davon ab, ihnen das Attribut „pittoresk“ zu verleihen. Auch das Produktionsdesign und die Gestaltung der Fabelwesen leben von del Toros Blick für Details. Augen, die wie Stigmata in Hände eingesetzt werden, treffen auf Insekten, die sich in Feen verwandeln. Die Entscheidung, weitestgehend auf digitale Effekte zu verzichten und stattdessen Animatronics einzusetzen, trägt zu dem düsteren, geerdeten Grundton der Geschichte bei.

Pans Labyrinth gelingt es, im Spannungsfeld von kindlicher Unschuld und adulter Blutlust viel Wahres und Allgemeingültiges über die menschliche Natur und unser Zusammenleben zu erzählen. Es ist der neutestamentarische Dreiklang aus Glaube, Liebe und Hoffnung, an den del Toro appelliert. In Ofélia glauben die Bewohner des unteririschen Königreiches, diese Prinzipien wiedergefunden zu haben. Das macht das elfjährige Mädchen zur Prinzessin, zur Retterin von uns allen. In der Kulmination mehrerer emotionaler Paukenschläge trifft sie eine folgenschwere Entscheidung, die den Fortgang der Dinge grundlegend verändern kann. Zumindest wollen wir das glauben, als der Abspann einsetzt und wir etwas unsanft aus der somnambulen Meditation des Guillermo del Toro gerissen werden. Er versteht das Fantastische nicht als nettes, aber verzichtbares Beiwerk, das in Kindergeschichten und Science-Fiction versteckt gehört. Es ist vielmehr essentiell. Punkt.

Erschienen bei BlairWitch.

Paris Je T'aime - Achtzehn in Eins

F/D/CH 2006

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Es war ein logistisches Mammutprojekt, ein filmisches Experiment, das es so noch nicht gegeben hat. Vor der Kulisse der französischen Hauptstadt drehten 21 Filmemacher 18 Kurzgeschichten - jede nicht länger als 5 Minuten - mit einer internationalen Top-Besetzung (u.a. Steve Buscemi, Natalie Portman, Nick Nolte, Fanny Ardent, Bob Hoskins, Gérard Depardieu). Herausgekommen ist dabei ein außergewöhnlicher Stilmix, der qualitativ Höhen wie Tiefen aufweist. Rund ein Drittel der Geschichten wird man nicht wirklich lange in Erinnerung behalten, ein weiteres Drittel fällt sogar recht schwach aus. Doch für das restliche Drittel (u.a. die Episoden von Alexander Payne, Alfonso Cuarón, Tom Tykwer, Richard LaGravenese, Joel & Ethan Coen) lohnt das Anschauen. Meine Besprechung gibt es auf Critic.de.

Sonntag, Januar 21, 2007

The Smartest Guys in the Room - Des Kaisers neue Kleider

USA 2005

+++1/2

Sie hielten sich für Genies: Auf einer Art gläserner Kommandobrücke wachten die beiden Enron-Vorstände Kenneth Lay und Jeffrey Skilling über ein Imperium aus Luftschlössern, das auf Außenstehende den Eindruck einer Black Box machte. Alex Gibneys Dokumentation beleuchtet den Aufstieg und Fall eines sehr speziellen amerikanischen Traums, dessen Scheitern nicht nur die Finanzmärkte stark erschüttert hat.

Filmkritik:

Es war der spektakulärste Wirtschaftsskandal in der Geschichte der Vereinigten Staaten und zugleich die größte Insolvenz, die das Land jemals erlebt hatte: Enron, der Energiehändler, trat an, um die Geschäftswelt zu revolutionieren – doch stattdessen stürzten die Mannen um Firmenchef Kenneth Lay ein ganzes Wirtschaftssystem in eine schwerwiegende Vertrauenskrise.

Basierend auf der von Bethany McLean und Peter Elkind verfassten Chronik „The Smartest Guys in the Room: The Amazing Rise and Scandalous Fall of Enron“ schildert die Dokumentation von Alex Gibney Enrons aus heutiger Sicht surrealen Aufstieg in den Kreis der – gemessen an der Marktkapitalisierung – größten und einflussreichsten Konzerne der USA, auf den der rapide Verfall aller zuvor aufgebauten Firmenwerte folgen sollte. Vermutlich trifft die Umschreibung „Firmenwerte“ in diesem Fall nicht wirklich zu, da sich Enrons ausgewiesene Gewinne letztlich nur als das nebulöse Resultat einer rechtswidrigen Buchführung, kriminellen Verhaltens und undurchsichtiger Konzernstrukturen entpuppten.

Gibney lässt ausgiebig Insider, Analysten, Wirtschaftsexperten und Journalisten zu Wort kommen, um sich dem Phänomen Enron auf diese Weise aus einer möglichst umfassenden Perspektive zu nähern. Die Journalistin Bethany McLean, die seinerzeit die Ermittlungen rund um das Geschäftsgebaren des Konzerns mit ins Rollen brachte, erzählt, wie sie im Laufe ihrer Recherche immer misstrauischer wurde. Eigentlich hätte es jedem auffallen müssen, das an den veröffentlichen Zahlen etwas nicht stimmen konnte. Nun war es jedoch so, dass Bankanalysten bewusst unter Druck gesetzt wurden, möglichst eindeutige Kaufempfehlungen für die Aktie auszusprechen, da Enron andernfalls den Entzug lukrativer Berateraufträge in die Tat umgesetzt hätte. Und auch die Wirtschaftsprüfer von Arthur Anderson übten sich lieber in der heute bereits legendären Vernichtung brisanter Dokumente, anstatt die wirre Bilanzierungspraxis des Finanzvorstands Andrew Fastow zu bemängeln und von der Vergabe eines Testats abzusehen.

Neben einer detaillierten Aufarbeitung eines der spannendsten Kapitel amerikanischer Wirtschaftsgeschichte liefert The Smartest Guys in the Room einen Einblick in die internen Denk- und Arbeitsweisen eines von jeglichen ethischen Grundsätzen losgelösten Konzerns. In Firmenvideos feiern sich Lay &. Company als die Heilsbringer eines freien Marktes („Enron steht für Integrität!“). Während sie mit breitem Grinsen Mitarbeiter dazu ermutigen, ihre gesamte Altersvorsorge in das eigene Unternehmen zu investieren, verkaufen sie selber vor dem Bekanntwerden des Super-GAUs Aktienpakete in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe. Man möchte seinen Ohren nicht trauen, wenn Enron-Händler ungeniert in Telefongesprächen damit angeben, wie sie den Staat Kalifornien mit bewusst herbeigeführten Stromausfällen zu einem überteuerten Rückkauf von Elektrizität zwangen. Am Widerlichsten erscheint jedoch ein Vergleich, den der langjährige Chairman und Vorstandschef Kenneth Lay bemüht. Darin stellt er eine Analogie zwischen den Terroranschlägen des 11. September und den Untersuchungen der Börsenaufsicht SEC her. Soviel Verlogenheit und Geschmacklosigkeit macht sprachlos.

Für Programmkino.de.

Freitag, Januar 19, 2007

Das wilde Leben - Sturm und Drang

D 2006

++1/2

Sie war die Ikone der 68er, obwohl sie in vielen Dingen nicht deren Ideal verkörperte: Uschi Obermaier, das bayerische Fotomodell und berühmteste Groupie der Rockgeschichte, nahm sich Freiheiten heraus, die mit dem vorherrschenden Frauenbild der damaligen Zeit radikal brachen. Mit der bislang vor allem in TV-Serien anzutreffenden Natalia Avelon verfilmten Achim Bornhak und Schlöndorff-Produzent Eberhard Junkersdorf (Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Die Blechtrommel) Das wilde Leben der Uschi Obermaier, deren Erinnerungen der Film frei nachempfunden ist.

Filmkritik:

Es war die Enge und Ereignislosigkeit, die den Teenager Uschi Obermaier (Natalia Avelon) zu erdrücken schien. Während sie den Traum hegte, frei und selbstbestimmt wie die Blumenkinder im fernen San Francisco zu leben, musste sie sich stattdessen mit den konservativen Ansichten ihrer Eltern und der tristen Realität im Münchner Stadtteil Sendling herumschlagen. Irgendwann wird es ihr zuviel. Lieber tot als weiter eingesperrt zu sein, schwört sie sich und reist mit einer Freundin per Anhalter nach Berlin. Dort lernt sie Rainer Langhans (Matthias Schweighöfer) und das inzwischen legendäre Projekt der „Kommune 1“ kennen. Doch Uschi merkt schnell, dass sich die philosophischen Diskurse und radikalen Ansichten der Kommune nicht mit ihren Vorstellungen vereinbaren lassen. Vor allem kommt sie nicht damit klar, dass Langhans einerseits die freie Liebe propagiert und gleichzeitig eifersüchtig reagiert, als sie dieses Prinzip ausleben will.

Uschi entscheidet sich für ihre Modelkarriere und die Welt des Rock’n’Roll. Sie lernt Mick Jagger (Victor Norén) und Keith Richards (Alexander Scheer) kennen. Beide können nicht von ihr lassen. Nach einer Weile spürt sie jedoch, dass auch dieses Leben seine Schattenseiten hat. Den anonymen Hotelzimmern kehrt sie den Rücken zu, als sie der Hamburger Kiez-Größe Dieter Bockhorn (David Scheller) begegnet. Mit ihm will sie auf eine abenteuerliche Weltreise gehen.

Es war sicherlich ein Wagnis, die Hauptrolle mit der nur wenig bekannten Natalia Avelon zu besetzen. Gott sei Dank, kann man im Nachhinein nur sagen, besitzt die 26jährige doch nicht nur rein äußerlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit „der Obermaier“. Auch in Stimmlage und in ihrem Auftreten kommt sie der 68er-Ikone sehr nahe. Es dürfte sich um keine wagemutige Prognose handeln, wenn man Avelon nach diesem Film eine große Zukunft im Filmgeschäft voraussagt. Überhaupt gehört die Besetzung zu den Trümpfen dieser Produktion. Shooting-Star Matthias Schweighöfer – demnächst als Flieger Manfred von Richthofen in Der rote Baron zu sehen – verkörpert den streitbaren und exzentrischen Rainer Langhans auf eine von dem Original kaum mehr zu unterscheidende Art. Und auch David Scheller, Alexander Scheer und Victor Norén meistern die Schwierigkeit, in die Haut realer Persönlichkeiten schlüpfen zu müssen, die uns zumindest im Fall der beiden Stones aus Tausenden Aufnahmen bekannt erscheinen.

Regisseur und Co-Autor Achim Bornhak – selber Jahrgang 1969 – nähert sich den Lebenserinnerungen der Uschi Obermaier zunächst aus einem merklich ironischen Blickwinkel. Das bedeutet nicht, er würde die Gefühle seiner Protagonisten nicht ernst nehmen oder ihre Motive belächeln, vielmehr nimmt er der 68er-Bewegung vor allem in den Szenen rund um die „Kommune 1“ einen Teil ihrer unnahbaren Aura. Langhans hatte – so wie es Obermaier erfahren musste – letztlich ebenso wie alle anderen mit der Diskrepanz zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Umsetzung zu kämpfen.

Erst nachdem das Liebespaar Obermaier und Bockhorn in Richtung Indien aufbricht, ändert sich der Tonfall. Das nostalgisch eingefärbte, anekdotenhafte und deswegen zuweilen etwas oberflächliche Erinnern tritt in den Hintergrund, die Stimmung wird nachdenklicher, erwachsener. Das wilde Leben verwandelt sich in eine straighte Liebesgeschichte. Die Bühne gehört nun ganz den beiden, die gemeinsam die Welt entdecken wollten. Das liest sich spannender, als es tatsächlich ist. Denn Bornhaks Film besitzt seine Stärken weniger im Bereich des Melodramatischen. Ohne ironische Zwischentöne fehlt das Salz in der Suppe. Aufgrund der kurzweiligen ersten Stunde ist dieses Leben aber zumindest einen Blick wert.

Für Programmkino.de.

Dienstag, Januar 16, 2007

Schwere Jungs - Das Wunder von Oslo

D 2006

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Cool Runnings trifft auf Das Wunder von Bern. So oder so ähnlich ließe sich Marcus H. Rosenmüllers neue Heimatkomödie umschreiben. Mit der schon aus Wer früher stirbt... bekannten Mischung aus bajuwarischer Bodenständigkeit und schelmischem Humor sollte er ein weiteres Mal die Sympathien seines Publikums gewinnen. Rosenmüller hat ein Auge für Details, die er liebevoll in einen reichlich geradlinigen und bekannten Plot einbaut ("The Germans. Always fighting!"). Er gibt seine Charaktere nie der Lächerlichkeit preis, weil er sie einfach viel zu gerne hat. Das spürt man auch in Schwere Jungs in jeder Einstellung. Man lacht und schmunzelt mit den Pfundskerlen, amüsiert sich über die Marotten und den verklärten Charme des Heile Welt-Kosmos der frühen 50er Jahre. Herausgekommen ist ein kurzweiliges Stück Feel Good-Kino, das sich für die ganze Familie - von acht bis achtzig - eignet.

Samstag, Januar 13, 2007

Texas Chainsaw Massacre: The Beginning - Das Massaker der FSK

USA 2006

+ (deutsche FSK18-Version)

83 Minuten. Die auch für einen Horrorfilm kurze Laufzeit lässt bereits Schlimmes erahnen. Zwei Gedanken schießen einem durch den Kopf: Schere, FSK. Und ja, diese Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Die im Gegensatz zur US-Version fehlenden acht Minuten machen aus Texas Chainsaw Massacre: The Beginning ein filmisches Fragment, einen Rumpf, der sich ungeachtet seiner eigenen Defizite jeglicher Existenzberechtigung beraubt. Wie von Warner zu hören war, hätte das Gutachtergremium der Freiwilligen Selbstkontrolle sogar eine Freigabe ab 18 Jahren verweigert, wäre es nicht zu den nun vorliegenden drastischen Schnitten gekommen.

Vermutlich wäre es besser gewesen, ganz auf eine deutsche Kinoauswertung zu verzichten. Denn die echten Fans der Serie dürften wohl kaum bereit sein, für eine solche Frechheit sogar noch Eintritt zu bezahlen. Zumindest wenn sie keine masochistischen Gelüste verspüren. Das nun vorliegende zusammengekürzte Ergebnis ist umso bedauerlicher, als dass die Idee, ein Prequel über die wohl berühmteste Familie des modernen Horrorkinos zu drehen, durchaus reizvoll erschien. Fortsetzungen haben im Horrorgenre eine lange Tradition, doch die Vorgeschichte eines Mythos wie Leatherface ergründen zu wollen, besitzt immer noch Seltenheitswert.

Sheldon Turner – Autor des gelungenen Amityville-Remakes – fiel die Aufgabe zu, eine schlüssige Vorgeschichte zu Tobe Hoopers Terrorsensation Blutgericht in Texas (1972) zu entwickeln. Als Ausgangspunkt nimmt er dabei den frühst möglichen Zeitpunkt im Leben des Thomas Hewitt: Seine Geburt. Er erlebt ein Schicksal wie es auch Jean-Baptiste Grenouille in Tom Tykwers letztjähriger Adaption von Patrick Süskinds Roman Das Parfüm zu tragen hatte. Neu auf diese Welt gekommen und schon nicht gewollt zu sein, abgelegt in Müll und Dreck. Während seine leibliche Mutter bei der Geburt stirbt, wächst der kleine Thomas in der sonderlichen Pflegefamilie der Hewitts auf. Das entstellte Gesicht bringt ihm nur Hohn und Spott ein. Mitschüler grenzen ihn aus. Er ist der Prototyp des Freaks, des Außenseiters, der aus seiner Einsamkeit zum Monster mutiert.

Auch wenn die Schlussfolgerung, wonach ein äußerlicher Makel zu einer seelischen Degeneration führt, ein verkürzter psychologischer Taschenspielertrick sein mag, erklärt es doch, wie aus Thomas Hewitt Leatherface wurde. Die Frage, warum die übrigen Mitglieder des Hewitt-Clans an einem – salopp formuliert – überdimensionierten Sockenschuss leiden, versucht Turner mit der Isolation und Tristesse eines Lebens abseits aller Sozialisation zu beantworten. Nachdem der angrenzende Schlachthof geschlossen wurde, bleibt die Familie im Nichts zurück. Dass sich Wahnsinn eigentlich schon per Definition einer rationalen Analyse entzieht, macht Turners Mission nicht einfacher. So glaubt er, auch andere Bestandteile und Charakteristika der Serie erklären zu müssen. Wie kam es zu der doppelten Beinamputation bei Onkel Monty? Weshalb hat Hoyt keine Zähne? Und wie konnte so jemand wie er überhaupt Sheriff werden? Ernüchterung macht sich breit, nachdem die letzten nur leidlich originellen Antworten auf dem Tisch liegen.

Marcus Nispel – Regisseur des 2003er Remakes – steckte den Leatherface-Kult in ein neues, durchgestyltes Terrorgewand. Düster, apokalyptisch, ausweglos und ohne jeden Anflug von relativierendem Humor kam die Neuinterpretation daher. Sie war zeitgemäß ohne dabei das Schockpotential des Originals zu verkaufen. The Beginning steht optisch ganz in dieser Tradition. Liebesman scheint Nispels Stil eins zu eins kopieren zu wollen. Eine eigene Handschrift sucht man vergebens. Weil sich der Plot besonders im Mittelteil dahinschleppt, fällt die inszenatorische Ideenlosigkeit umso stärker auf.

Doch alle berechtigte Kritik, die man an die Macher adressieren könnte, verblasst gegenüber dem, was die FSK zu verantworten hat. Da ohnehin nur eine Freigabe ab 18 Jahren zur Diskussion stand, lassen sich die drastischen Kürzerungen praktisch sämtlicher Gewaltdarstellungen noch nicht einmal mit dem Jugendschutz rechtfertigen. Das Ganze läuft eher auf eine Entmündigung des erwachsenen Zuschauers hinaus. Jedes Mal, wenn Leatherface die Kettensäge anwirft, springt der Schnitt im Holzhammermodus zur nächsten Szene. Gäbe es nicht eine längere Sequenz gegen Ende, die ihn rennend mit der titelgebenden Kettensäge zeigt, es käme die berechtigte Frage auf, warum das Ganze überhaupt Texas Chainsaw Massacre heißt. Ein Kettensägenfilm ohne Kettensäge. Wenn das Leatherface wüsste…

Erschienen bei BlairWitch.

Mittwoch, Januar 10, 2007

Die Queen - Hinter der Maske

GB 2006

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Viel wird in diesen Tagen über Helen Mirren geschrieben. Über ihr faszinierendes Spiel als Elizabeth II., über ihre Chancen auf einen Oscar, über die Reaktionen der echten Queen auf das filmische Gegenüber. So berechtigt das alles auch ist, sollte darüber nicht vergessen werden, dass Regisseur Stephen Frears einen sehr präzise beobachteten, zum Teil höchst ironischen, amüsanten und dabei sehr ehrlichen Film gedreht hat, der sich seiner Protagonisten mit Würde und Respekt annähert. Und ja: Helen Mirren ist die Queen. Jedenfalls soweit und so nah man als Schauspielerin ihr kommen kann. Schwer wiegt die Last der Krone...

Zu meiner Besprechung auf Critic.de geht es hier.

Samstag, Januar 06, 2007

Das Beste - 2006 im Kino

Nachdem ich bereits meine Top- und Flop-Listen für 2006 veröffentlicht habe, hier nun die m.E. Sieger in ihrer jeweiligen Kategorie. Besser geht's nicht. Zumindest in Bezug auf die Auswahl an Filmen, die ich gesehen habe.

Bester Nebendarsteller:

Jack Nicholson für Departed - Unter Feinden

Beste Nebendarstellerin:

Rinko Kikuchi für Babel

Bester Hauptdarsteller:

Ulrich Mühe für Das Leben der Anderen

Beste Hauptdarstellerin:

Felicity Huffman für Transamerica

Bestes Ensemble:

Flug 93

Bestes Original-Drehbuch:

Florian Henckel von Donnersmarck für Das Leben der Anderen

Bestes adaptiertes Drehbuch:

Larry McMurtry und Diana Ossana für Brokeback Mountain nach einer Kurzgeschichte von E. Annie Proulx

Beste Kamera:

Unentschieden: Emmanuel Lubezki für Children of Men und Dean Semler für Apocalypto

Bester Schnitt:

Matt Chesse für Stay

Beste Originalmusik:

John Williams für Die Geisha

Beste Ausstattung:

John Myhre und Gretchen Rau für Die Geisha

Bester animierter Film:

Cars

Beste Regie:

Martin Scorsese für Departed - Unter Feinden

Bester Film:

Das Leben der Anderen

Sympathy for Lady Vengeance - Point of No Return

ROK 2005

+++1/2

Park Chan-wooks Werke kennen keine Kompromisse. Gegossen in eine atemberaubende Form voller zerbrechlicher Schönheit erzählt Asiens vielleicht zurzeit komplettester Filmemacher Geschichten, die Vergleiche mit antiken Tragödien nicht zu scheuen brauchen. Lady Vengeance schildert das Schicksal von Lee Geum-ja, einer jungen Frau, die zu Unrecht für die Ermordung eines Kindes verantwortlich gemacht wurde. Nach ihrer Haftentlassung macht sie sich auf die Suche nach dem wahren Täter. Parks Lady Vengeance bildet den Abschluss seiner mit Sympathy for Mr. Vengeance begonnenen und dann mit Oldboy fortgeführten Rache-Trilogie. Das Ergebnis berauscht, unterhält, schockiert und macht letztlich wieder einmal sprachlos.

Filmkritik:

Am Anfang steht die Tat. In Lady Vengeance ist es die Entführung und Ermordung eines kleinen Jungen. Obwohl selbst noch gar nicht richtig erwachsen, wird die erst 19jährige Geum-ja (Lee Yeong-ae) wegen dieses schockierenden Verbrechens zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Tatsächlich war sie nur als Komplizin an der Entführung beteiligt. Der eigentliche Mörder blieb dagegen unbehelligt. Mr. Baek (Choi Min-sik) unterrichtete weiter Schulkinder, anstatt für seine Schuld die Verantwortung zu übernehmen. Bereits während der Haft beginnt Geum-ja, einen ausgeklügelten Racheplan auszuarbeiten. Sie will Mr. Baek ausfindig machen und ihn für den Mord zur Rechenschaft ziehen. Unterstützung erfährt sie dabei von vielen ehemaligen Mithäftlingen, die einst ihre Gutherzigkeit und Hilfsbereitschaft erfahren hatten.

„Diese Frau verdient ihre Rache, und wir verdienen unseren Tod!“ heißt es in Quentin Tarantinos Kill Bill. Natürlich sind auch in Lady Vengeance die Grenzen zwischen Gut und Böse klar abgesteckt. Die Tatsache, dass auch die Titelfigur eine Mitschuld zu tragen hat, die sich nicht abwaschen lässt, verleiht Parks Rachemelodram eine für dieses Genre ungewöhnliche moralische Ambivalenz. Wenn Geum-ja in der letzten Szene ihren Wunsch nach Vergebung zum Ausdruck bringt, indem sie das Gesicht in eine selbst gemachte Tofu-Torte drückt, dann zieht nochmals im Zeitraffer Geum-jas Vergangenheit, ihr gesamter Leidensweg an uns vorbei. Es ist einer der stärksten unter vielen starken Momenten.

Wie bereits in Oldboy akzentuiert Park die beinahe epischen Dimensionen der Ereignisse über das Verrinnen wertvoller Lebenszeit. Oh Dae-su wurde 15 Jahre in einem versifften Hotelzimmer gefangen gehalten, eher ihm die Rückkehr in eine vermeintliche Freiheit erlaubt wurde. Geum-ja musste wiederum dreizehn Jahre die Monotonie des Gefängnisalltags erdulden. Parks Protagonisten leiden. Sie erbringen Opfer, die wir uns nicht einmal vorstellen wollen. Durch die Begegnung mit einem Priester findet Geum-ja hinter den hohen Mauern schließlich zu einer neuen Religiosität. Jedenfalls glauben das all diejenigen, die in ihr einen Engel sehen wollen. Die tröstende Vorstellung, sie habe so etwas wie eine heilende Katharsis erfahren, ist nichts weiter als eine bittere Illusion. Die wahre Tragik von Geum-jas Schicksal zeigt sich daran, dass es eine solche Seelenreinigung niemals geben wird.

Zählt Choi Min-sik spätestens seit Oldboy zu den international bekanntesten und renommiertesten Filmschauspielern seines Landes, dürfte Lee Yeong-ae mit der Verkörperung der sphinxgleichen Geum-ja in beiden Punkten zu ihm aufschließen. Gerade weil ihr Charakter zunächst unnahbar und distanziert erscheinen soll, war es wichtig, eine Darstellerin zu finden, die mit zurückhaltenden Blicken und Gesten arbeiten kann. Es ist Lee Yeong-aes Verdienst, dass Geum-jas Kühle und Strenge nie einem tiefen Mitempfinden im Wege steht. Im Gegenteil: Die spärlichen Tränen, die sie weint, treffen einen umso unvorbereiteter.

Man mag Park Chan-wook vorwerfen, er ginge etwas zu selbstbewusst mit den eigenen Fähigkeiten als Regisseur um. Gerade zu Beginn brennt Park ein wahres Feuerwerk aus kunstvollen Überblendungen, Zeitsprüngen, elegischen Kamerafahrten und fast zu Stillleben erstarrten Sets ab. Der ästhetische Genuss schraubt sich in Höhen, die selbst Oldboy nicht erreichen konnte. Nicht immer dient alles zwingend auch dem Plot und Geum-jas Geschichte. Manche Ideen – die surreale Traumsequenz ist hierfür sicherlich das prägnanteste Beispiel – verkommen zu hübsch anzusehenden Randnotizen. Nach rund der Hälfte seiner Laufzeit wandelt sich Lady Vengeance dann jedoch zu einem ruhigen, kontemplativen Drama. Unbeirrt treibt Park den Zuschauer in eine emotionale Sackgasse, aus der es schon per Definition kein Entkommen geben kann.

Erschienen bei Programmkino.de.

Dienstag, Januar 02, 2007

Princesas - Pretty Women

ESP/F 2005

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Was hat Hollywood nur mit seinem glorifizierten Pretty Woman-Bild einer Prostituierten alles verbrochen? Der spanische Regisseur Fernando Léon de Aranoa wehrt sich gegen diese Märchen-Zuckerguss-Welt, in dem er mit Princesas ein erwachseneres aber dennoch hoffnungsvolles Porträt zweier unterschiedlicher Frauen aus dem Milieu abliefert. Meine Besprechung findet sich auf Critic.de.

Montag, Januar 01, 2007

Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler

D 2006

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Ist es mutig einen Komödie über „den Führer“ zu drehen? Den selbsternannten GröFaZ ganz und gar der Lächerlichkeit preiszugeben? Dani Levy (Alles auf Zucker!) meinte ja und drehte mit Helge Schneider, dem Meister des destruktivistischen Humors, seine ganz eigene Abrechnung mit den Schrecken und Verbrechen der Nazi-Diktatur. Das nun vorliegende Ergebnis mag vieles sein. Mutig ist es jedoch in keinem Fall.

In jenen Weihnachtstagen des Jahres 1944 ist der Krieg längst verloren. Berlin liegt in Schutt und Asche und der Führer (Helge Schneider) leidet unter mehr als einer typischen Winterdepression. Er wirkt kraftlos, leer und ausgezehrt. Für eine geplante Rede vor Millionen Berlinern fehlt ihm jegliche Motivation. Und dabei setzt sein enger Vertrauter, Reichspropagandaminister Goebbels (Sylvester Groth), ganz auf Hitlers Überzeugungskraft, der in dieser Rede das Volk nochmals auf den Kampf gegen die übermächtigen Feinde einschwören soll. Was also tun? Da erinnert sich Goebbels an den einst angesehenen Schauspiellehrer Prof. Adolf Grünbaum (Ulrich Mühe), ein Jude, der mit seiner Familie in das KZ Sachsenhausen deportiert wurde. Er holt Grünbaum aus dem Lager mit der klaren Zielvorgabe, Hitlers Selbstbewusstsein zu stärken und seine alte Kampfeslust neu zu entfachen.

Die Besetzung war bereits der erste Coup. Helge Schneider, die singende Herrentorte aus Mülheim a. d. Ruhr, sollte den Massenmörder und größenwahnsinnigen Mann mit dem markanten Schnauzbärtchen geben. Wer nun aber glaubt, mit Schneider zöge sein polarisierender Humor, sein im positiven Sinn absurder professioneller Dilettantismus in Levys Satire ein, der irrt. Leider, so muss man nach Ansicht von Mein Führer ergänzen, denn mit Ausnahme eines kurzen Moments, als Hitler seiner Geliebten Eva Braun (Katja Riemann in einer verschenkten Mini-Rolle) am Klavier etwas vorspielt, fällt das Multitalent zu keiner Zeit aus der ihm zugedachten Rolle. Von Levy wurde er vornehmlich als Marketing-Gag besetzt. So stellte er sicher, dass die Presse noch vor Drehbeginn über das Projekt ausführlich berichtete. Mr. Katzeklo spielt den größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts? Kaum zu glauben. Denn allein die Tatsache, dass sich ein jüdischer Filmemacher an eine „Humorisierung“ der Person Hitler gewagt hat, lockt in Zeiten von Adolf – Die Nazisau und über sechzig Jahre nach Der große Diktator niemand mehr hinter dem Ofen hervor.

Damit kommen wir auch gleich zur großen Achillesverse des Films. Man merkt, wie Levy von der Vorstellung geradezu besessen war, den Irrsinn der Nazi-Diktatur und des Führerkultus der Lächerlichkeit preiszugeben. Abgesehen davon, dass man sich nur wenige Personen vorstellen kann, über die vergleichbar mit Hitler ähnlich mehrheitsfähig gelacht werden darf – vermutlich wird der kleine Österreicher diesbezüglich nur noch von dem Papst in den Schatten gestellt – bedarf es eigentlich keiner Überzeichnung seiner Person. Die historischen Aufnahmen zeigen bereits einen Mann, der sich selbst unfreiwillig zur Karikatur stilisiert hat. Hinzu kommt, dass bei Levy der Humor ohne Biss und oftmals reichlich platt daherkommt. Hitler als Bettnässer, Hitler als Schlappschwanz, Hitler, ein Versager auf ganzer Linie.

Nach dem feinsinnigen Alles auf Zucker! begibt sich Levy in den Niederungen des massenkompatiblen zotenreißenden Humors. Ok, seien wir fair. Da, wo Otto seit Jahrzehnten im Trüben fischt, ist er glücklicherweise noch nicht angekommen. Manche Sätze („Ah, Sie waren in Sachsenhausen. Sie sehen so erholt aus!“) kommen erfrischend direkt und schwarzhumorig. Es fragt sich jedoch, was uns Levy mit Mein Führer überhaupt sagen will. Die Nazis waren eine Bande von Holzköpfen? Der Führer ein verklemmter, traumatisierter Depp? Neben den Späßchen um die Nazi-Garde fällt der Film bei den langweiligen Szenen mit Grünbaums Familie immer wieder in einen ermüdenden ernsten Tonfall, der dem Ganzen – bei allen Kalauern – offenkundig die nötige Tiefe verleihen soll. So kommt es, dass eins nicht zum anderen passt und die Teile wie gewaltsam zusammengepresst wirken.

Ein echtes Highlight hat Mein Führer aber dann doch noch zu bieten. Sylvester Groth als Propagandaminister Joseph Goebbels hat die Lacher – und das ist fast schon perfide – die Sympathien auf seiner Seite. Na ja, zumindest freut man sich als Zuschauer, dass irgendwer diesen Haufen von Langweilern aufmischt.