Sonntag, August 30, 2009

Julie & Julia - Die Meryl-Streep-Show


USA 2009

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Wer bislang glaubte, Jaime Oliver oder Martha Stewart hätten das Kochen vor einer Fernsehkamera erfunden, den belehrt Nora Ephrons kulinarische, locker-leichte Sommerkomödie Julie & Julia eines Besseren. Bereits in den 1960-er Jahren löste die temperamentvolle Julia Child in den USA eine kleine Kochrevolution aus. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Abhandlung über die Haute Cuisine längst ein Besteller. Fünf Jahrzehnte später versucht sich eine New Yorker Hobbyköchin an deren Rezept-Almanach. Ihre Erfahrungen hält sie in einem Internet-Blog fest.

Filmkritik:

Dass ein Film auf einer wahren Begebenheit beruht, ist im heutigen Hollywoodkino keinesfalls eine Seltenheit. Dass sich ein Film wiederum gleich zwei wahre Geschichten zum Vorbild nimmt jedoch sehr wohl. Nora Ephron verknüpft in ihrer neuen Arbeit zwei gegensätzliche Frauen-Portraits zu einem einzigen Loblied auf den Genuss des Essens, des Kochens und des sinnlichen Erlebens. Mit ihrem inzwischen zum Kochbuchklassiker geadelten Standardwerk „Mastering the Art of French Cooking“ revolutionierte die amerikanische Autorin und spätere TV-Moderatorin Julia Child (Meryl Streep) in den 1950-er Jahren die Kochkultur jenseits des Atlantiks.

Knapp fünf Jahrzehnte später sucht die engagierte, aber zunehmend frustrierte Sachbearbeiterin Julie Powell (Amy Adams) nach einem Ausgleich für ihren oftmals ermüdenden Bürojob. Aus ihrer Leidenschaft für das Kochen entwickelt sie die ungewöhnliche Idee, Julia Childs Rezepte – immerhin 524 an der Zahl – innerhalb eines Jahres nachzukochen und über ihre Erfahrungen und Erlebnisse in einem Internet-Blog (Überschrift: „The Julie/Julia-Project“) zu berichten. Schon bald verfolgt eine wachsende Schar treuer Leser mit Begeisterung Julies nicht immer unfallfreie Auseinandersetzung mit der Welt der Haute Cuisine. Dabei fühlt sie sich Julias einzigartiger Philosophie des Kochens und ihrer sehr speziellen Leidenschaft für gutes Essen mit jedem Rezept ein Stück mehr verbunden. Fast scheint es, als würden beide Frauen über Zeit und Raum miteinander kommunizieren.

Julie & Julia zelebriert den Genuss in jeder Szene. Wenn nicht gerade gekocht, Zutaten eingekauft oder Rezepte gewälzt werden, kann man sicher sein, dass der Tisch gedeckt und das zuvor Erkochte bereits im nächsten Moment verzehrt wird. Es erscheint daher nicht unbedingt empfehlenswert, sich Nora Ephrons Ode an die hohe französische Kochkunst mit hungrigen Magen anzusehen. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass man vorzeitig das Kino verlässt, um sich den eigenen kulinarischen Genüssen hinzugeben (was ausnahmsweise eher für als gegen den Film spricht). Vor allem das Paris der Fünfziger Jahre erscheint bei Ephron wie eine einzige, überdimensionale Speisekammer, bis an den Rand gefüllt mit allerlei Köstlichkeiten und liebevoll überzeichneten Klischees des nicht nur von vielen Amerikanern verklärten „Savoir Vivre“.

In dieser malerischen Kulisse erleben wir eine aufgedrehte, wieder einmal hinreißende Meryl Streep, die mit entwaffnendem Witz und Temperament den Film kurzerhand in eine One-Woman-Show verwandelt. Gegen sie und ihre bereits für einen Oscar gehandelte Vorstellung kommt niemand wirklich an, auch nicht Amy Adams, deren Filmfigur im hektischen New York gegen einen bisweilen ungeliebten Job, kleinere Beziehungskrisen und die eigene Antriebslosigkeit ankämpfen muss. Allenfalls Stanley Tucci als Julias geduldiger Ehemann Paul kann der temperamentvollen Streep hier und da Paroli bieten. Aber selbst seine Rolle ändert noch lange nichts an der Tatsache, dass Julie & Julia ganz eindeutig ihr Film ist. Wie zum Beleg dafür gehört Julia und nicht Julie das letzte Bild. Es zeigt ihre Küche, in der sie wie eine Naturgewalt wirkte.

Die Stärken von Ephrons dekaden- und generationenübergreifendem Frauen-Portrait liegen abseits einer Meryl Streep in den erfrischend trockenen und schlagfertigen Dialogen. Die gerade zum Ende hin für den Erzählfluss eher hinderlichen Ausflüge auf das Terrain der romantischen Komödie sind dagegen in ihrer Mehrheit entbehrlich, wenngleich die Intention dahinter durchaus erkennbar wird. Nicht wenige dürften beim Namen Nora Ephron zunächst an moderne Kuschel-Klassiker wie Schlaflos in Seattle und E-Mail für Dich denken. Auch diese Zuschauer sollen offenkundig zufrieden gestellt werden. Das Ergebnis entspricht einer durchweg vergnüglichen, angepassten Komödie über eine alles andere als angepasste Persönlichkeit.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, August 27, 2009

LOL - Laughing Out Loud


F 2009

++1/2

Das Verhältnis von Teenagern zu ihren Eltern ist nur selten frei von Spannungen und Konflikten. Das späte Weggehen und das zu frühe Nachhause- kommen, die Clique, der Freund oder die Freundin, Drogen und Partys, all das sorgt regelmäßig für Zoff im Elternhaus. Die französische Teenie-Komödie LOL begleitet die pubertierende Lola ein Schuljahr bei dem Versuch, sich zwischen Liebe, Lernen und Erwachsenwerden zu Recht zu finden. Ein gewisser Wiedererkennungswert scheint dabei vorprogrammiert. Weiterlesen auf Koeln.de.

Mittwoch, August 26, 2009

The Horsemen - Apocalypso


USA 2008

+1/2


Sie ist ein Bestseller. Und das nun schon seit fast zweitausend Jahren. Die Bibel. Das Fundament des christlichen Glaubens inspiriert immer wieder Autoren und Filmemacher bei der Suche nach neuen oder zumindest neu arrangierten Geschichten. Dass es dabei zu jener Zeit oftmals alles andere als friedlich zugegangen sein muss, dass Gewalt, Tod und Barbarei den Alltag vieler Menschen bestimmte, ist abseits aller theologischen Fragen längst eine gesicherte Erkenntnis. Zu den eindrucksvollsten, stärksten Motiven zählt das in der Offenbarung des Johannes skizzierte Bild des nahenden Weltuntergangs, das sich in den vier apokalyptischen Reitern manifestiert.

Nicht nur an dieser Stelle liest sich die Bibel wie ein harter, kompromissloser Mystery-Schocker, so dass die Überlegung, sich gewisser biblischer Motive für einen modernen, düsteren Thriller zu bedienen, fast zwangsläufig aufkommen musste. David Finchers verregnetes Serienkiller-Puzzle Sieben trieb das Spiel mit religiöser Symbolik auf die Spitze. Der schwedische Regisseur Jonas Ǻkerlund knüpft nun in seinem neuen Film Horsemen an diese Tradition an, wobei es ihm nicht die sieben Todsünden sondern die zuvor erwähnten Reiter der Apokalypse angetan haben. In deren Namen scheint sich eine grausame Mordserie zu ereignen. Obwohl die Polizei zwischen den ersten Opfern zunächst keine direkte Verbindung ermitteln kann, weisen beide Verbrechen dieselben Merkmale auf. Auch die Tatorte gleichen sich bis ins Detail.

Mit den Ermittlungen wird der erfahrene Detective Aidan Breslin (Dennis Quaid) beauftragt. Seit dem Tod seiner Frau sucht dieser in der Arbeit Bestätigung und Ablenkung. Seine Söhne kommen dabei immer öfter zu kurz. Ohne es zu wollen, beginnt er Sean (Liam James) und den älteren Alex (Lou Taylor Pucci) zu vernachlässigen. Damit ist Aidan zweifellos der Prototyp des arbeitssüchtigen, schuldbeladenen Cops, der vor den Problemen in seinem Alltag nur zu gerne die Augen verschließt. Wer nun denkt, dass auf den Detective so ziemlich jedes erdenkliche (Film-)Klischee zutrifft, der soll schlussendlich Recht behalten. Im Übrigen gilt diese Beobachtung nicht nur für Quaids Rolle sondern für den gesamten Film. Aus zunächst hilfsbedürftigen Opfern werden Verdächtige, aus Verdächtigen Täter. Und natürlich soll es kein Zufall sein, dass ausgerechnet Aidan in dem Fall ermittelt. Erst als es zu spät ist, wird ihm bewusst, dass er auch persönlich in die ganze Sache verstrickt ist.

Das Drehbuch von Dave Callaham verfügt zugegeben über einige interessante, spannende Ansätze. Doch über die kommt es zu keiner Zeit hinaus. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto unglaubwürdiger und unlogischer erscheint einem die Prämisse des Films. Das viel zu überhastete Ende setzt dieser schleichenden Entgleisung letztlich die Krone auf. Statt zu schockieren oder zu überraschen wirkt es vielmehr unfreiwillig komisch. Ein sichtlich gelangweilter Dennis Quaid (mit Betonmimik) trägt seinen Teil dazu bei, dass man sich nie wirklich mit ihm und seiner Rolle identifizieren kann. Zu sehr arbeitet sich der Film zudem an den aktuellen Gesetzmäßigkeiten des Genres ab, zu denen es auch gehört, dass ein einzelner Plot-Twist längst nicht mehr ausreicht.

Obwohl es die Horsemen auf gerade einmal 90 Minuten inklusive Abspann bringen, stellen sich schon bald deutliche Längen ein, die Ǻkerlund mit pittoresk-unterkühlten Landschaftsaufnahmen und stylischen Montagen zu füllen versucht. Dass der Schwede früher einmal Musikvideos u.a. für Christian Aguilera, Madonna und The Prodigy (das berühmte „Smack my Bitch up“-Video geht auf sein Konto) inszenierte, ist seinem Film durchaus anzumerken. Ǻkerlund gibt sich alle Mühe, über das Visuelle eine bedrohliche Stimmung zu etablieren. Der Anfang ist dann auch in der Tat vielversprechend weil erfrischend anders. Dem übertriebenen und daher nicht selten lächerlichen Dauerregen-Szenario vieler anderer Serienkiller-Formate setzt er die Helligkeit einer schneebedeckten Idylle entgegen. Leider hält Ǻkerlund diesen emanzipatorischen Ansatz nicht lange durch. Schon nach wenigen Minuten fügt er sich dem ästhetischen Diktat des Genres.

Horsemen gelingt es nicht, sich aus der Umklammerung vergleichbarer Produktionen zu lösen. Sowohl die religiöse Symbolik als auch das nur bedingt spannende Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Täter(n) erfüllen am Ende leidenschaftslos Thriller-typische Vorgaben, bei denen man sich ruhig fragen darf, wann ein Regisseur wieder einmal den Mut aufbringt, diese komplett zu ignorieren. Jonas Ǻkerlund, soviel scheint sicher, ist dazu nicht gewillt.

Für BlairWitch.de.

Sonntag, August 23, 2009

Beim Leben meiner Schwester - Betroffenheitskino


USA 2009

+1/2

Seit dem Alzheimer-Drama Wie ein einziger Tag eilt Nick Cassavetes der Ruf voraus, weder vor rührseligem Kitsch noch vor manipulativen Herzschmerz-Schicksalen zurückzuschrecken. Wie zum Beweis dieser These geizt auch sein neuer Film nicht mit emotionalen Ausnahmemomenten. Beim Leben meiner Schwester erzählt mit großem Star-Aufgebot (u.a. Cameron Diaz, Alec Baldwin, Abigail Breslin) die Geschichte eines an Leukämie erkrankten Mädchens und ihrer verzweifelten Eltern.

Filmkritik:

Sara (Cameron Diaz) ist eine erfolgreiche Anwältin, ihr Mann Brian (Jason Patric) ein hohes Tier bei der Feuerwehr von Los Angeles. Auf den ersten Blick scheinen die Fitzgeralds sämtliche Erwartungen an die amerikanische Vorzeigefamilie zu erfüllen. Das Paar kann sich nicht nur über ein schickes Zuhause sondern auch über drei eigene, wohl erzogene Kinder freuen. Dass die Wahrheit indes eine andere ist, zeigt sich recht bald. Denn Katie (Sofia Vassilieva), die Ältere der beiden Fitzgerald-Schwestern, ist seit frühester Kindheit schwer krank. Seinerzeit diagnostizierten die Ärzte Leukämie bei dem kleinen Mädchen. Da weder Katies Eltern noch ihr Bruder Jesse als geeigneter Blut- und Knochenmarkspender in Frage kommen, fassen Sara und Brian einen moralisch wie ethisch zumindest fragwürdigen Entschluss. Mittels künstlicher Befruchtung wollen die Eltern noch ein drittes Kind bekommen, das über den genetischen Fit einmal zu Katies Lebensretter werden soll.

Und so erblickt Anna (Abigail Breslin) das Licht der Welt. Zu ihrer älteren, kranken Schwester hat sie ein inniges und äußerst liebevolles Verhältnis. Dass sie regelmäßig Blut oder Knochenmark spenden muss, daran hat sich Anna längst gewöhnt. Als man jedoch von ihr verlangt wird, eine Niere zu spenden, weigert sie sich. Sie hat es satt, dass andere über ihren Körper wie über ein menschliches Ersatzteillager verfügen. Mit Hilfe eines erfahrenen Rechtsanwalts (Alec Baldwin) will sie gegen die eigenen Eltern ihr Recht auf medizinische Emanzipation und Selbstbestimmung einklagen.

Nick Cassavetes, Sohn des berühmten John Cassavetes, gilt seit dem Alzheimer-Drama Wie ein einziger Tag als Experte für tränenreiche Herzschmerz-Geschichten. Dieses Mal adaptierte und inszenierte er einen Roman der amerikanischen Bestseller-Autorin Jodi Picoult – beides allerdings mit recht mäßigem Erfolg. So krankt auch Beim Leben meiner Schwester an ähnlichen Misstönen wie sein vorletzter Film. Cassavetes hält augenscheinlich immer noch nichts von subtilen Schicksalsschilderungen oder einer zurückhaltenden Erzählweise. Dem beispielsweise von Eastwood perfektionierten Prinzip der Steigerung durch Zurücknahme setzt er manipulativen Gefühlskitsch entgegen. Am deutlichten wird das während der zahlreichen Montagen, die mittels eines redundanten Musikeinsatzes die Geduld des Zuschauers recht bald auf eine harte Probe stellen. Immer wenn Cassavetes nichts mehr einzufallen scheint, greift er auf dieses vermeintlich erprobte Stilmittel zurück.

In einzelnen Rückblenden beleuchtet der Film Katies Leidensgeschichte, ihr Verhältnis zu Anna und den generellen Umgang der Familie mit der schrecklichen Diagnose. Dabei wird, wie nicht anders zu erwarten, viel zusammen gelitten und geweint. Einen Ausgleich hierzu bilden die heiteren Einschübe, in denen vor allem Little Miss Sunshine Abigail Breslin ihren kindlichen Charme spielen lassen und gleichzeitig ihr komödiantisches Talent unter Beweis stellen darf. Immerhin: Nicht jede dieser Episoden ist Cassavetes misslungen. Die kurze, schüchterne Romanze zwischen Katie und einem ebenfalls krebskranken Jungen (Thomas Dekker), zählt mit Sicherheit zu den Höhepunkten dieser ansonsten entlarvend schematischen Betroffenheitsstudie.

Für Programmkino.de.

Freitag, August 21, 2009

Inglourious Basterds - Once upon a Time


USA 2009

+++1/2

Quentin Tarantino, der ungekrönte Meister des (Selbst-)Zitats und kinobesessene Autodidakt, wechselt mit jedem neuen Film das Genre und bleibt dabei stets sich und seinem ganz eigenen Stil treu. Nach Gangsterstück, Pulp-Fantasie, Rache-Epos und 70er-Jahre-Trash-Hommage drehte er nun seinen ersten Kriegsfilm, der - wie sollte es anders auch sein - wiederum tief in der Tradition des Genres verankert ist. Weiterlesen auf Koeln.de.

Donnerstag, August 20, 2009

Tengri - Das Blau des Himmels


D/KGZ/F 2008

++

Nur selten zuvor hat ein Spielfilm die entlegene Bergwelt Kirgisistans erkundet. Tengri – Das Blau des Himmels entführt den Zuschauer in eine archaische, von Männern bestimmte Welt, in der die Moderne allenfalls im Schneckentempo Einzug zu halten scheint. Im Gegensatz zu den imposanten Landschaftsaufnahmen weiß die eigentliche Liebesgeschichte zwischen einem desillusionierten Seemann und einer jungen, verheirateten Frau nie wirklich zu fesseln.

Filmkritik:

Die Arbeit als Fischer und auf See bringt dem jungen Kasachen Temür (Ilimbek Kalmouratov) trotz aller Anstrengung viel zu wenig ein, um wirklich davon leben zu können. Er beschließt den Aralsee zu verlassen, seine alte Arbeit aufzugeben und in sein Heimatdorf in den kirgisischen Bergen zurückzukehren. Seitdem er dieses einst verließ, hat sich dort einiges verändert. Viele Bewohner sind in der Zwischenzeit weggezogen. Bei seiner Ankunft erfährt Temür, dass sein Vater bereits vor einigen Jahren gestorben ist. Ganz plötzlich kommt ihm die Siedlung, die einst sein Zuhause war, seltsam fremd und anders vor.

Gerade, als es den Anschein hat, dass ihn dort nichts und niemand halten könne, lernt er die 18jährige Amira (Albina Imasheva) kennen. Und es geschieht, was eigentlich nicht hätte geschehen dürfen. Nach ersten, eher zögerlichen Versuchen der Kontaktaufnahme kommen sich beide näher. Die junge Frau flüchtet sich in Temürs Arme, während ihr Ehemann (Busurman Odurakaev), ein strenggläubiger Moslem, für die Mudschaheddin im benachbarten Afghanistan kämpft. Natürlich bleibt die schüchterne Liebelei nicht lange geheim und so sehen sich Temür und Amira letztlich gezwungen, die Siedlung zu verlassen.

Obwohl die Französin Marie-Jaoul de Poncheville mit Tengri – Das Blau des Himmels ihren ersten Spielfilm inszeniert, scheint sie bereits ganz genau zu wissen, wie sie die raue Bergwelt Kirgisistans möglichst eindringlich und imposant in Szene setzt. Nun macht es ihr die atemberaubende Landschaft im Gegenzug auch nicht allzu schwer. Nahezu jede Einstellung wäre es wert, dass man sie als Postkartenmotiv verewigt. Das satte Grün der Wiesen und die endlose Weite der Steppe geben jedoch mehr als nur eine hübsche Kulisse ab. Sie sind so etwas wie die heimlichen Hauptdarsteller dieser an sich doch recht unspektakulären Liebesgeschichte, die auf einem Roman des kirgisischen Autors Tschingis Aitmatov beruht.

Die Landschaft und die zum Teil Jahrhunderte alten Traditionen haben auch Temür und Amira geformt, geprägt und in ihrem Denken beeinflusst. Als Außenstehender erhält man eine ungefähre Ahnung, wie sehr traditionelle Moralvorstellungen und Rollenbilder bis heute den Alltag dieser Menschen bestimmen. Insbesondere die Episode um Amiras ältere Schwester Uljan (Taalai Abazova) ist hierfür ein eindrucksvoller Beleg. Ohne gleich in einen semi-dokumentarischen Duktus zu verfallen, versucht sich de Poncheville, der kulturellen Identität ihrer Protagonisten zu nähern. Zu dieser gehört neben folkloristischen Gesängen und Tänzen auch ein respektvoller Umgang mit der Natur. Ihre Entscheidung, die Nebenrollen vorwiegend mit Laiendarstellern zu besetzten, unterstützt einerseits den postulierten Authentizitätsgedanken, andererseits wirken dadurch manche Szenen etwas ungelenk und steif.

Während es auf der Bildebene manches zu entdecken gibt und der von vielen Älteren gefürchtete Einbruch der Moderne für heitere Zwischentöne sorgt, verharrt die verbotene Romanze zwischen Amira und Temür in einem seltsamen, letztlich unbefriedigenden Schwebezustand. An den Schauspielern lässt sich diese emotionale Blockade allerdings nicht festmachen. Ilimbek Kalmouratov und Albina Imasheva füllen ihre jeweiligen Rollen recht überzeugend aus. Vielmehr fehlt es schlichtweg an intensiven Momenten der Zweisamkeit. Eine neckische Spielerei im Heu ist da zu wenig. Und so sind es vor allem die Schauwerte, die von diesem Film in Erinnerung bleiben.

Für Programmkino.de.

Dienstag, August 11, 2009

Tödliches Kommando - The Hurt Locker


USA 2008

+++1/2

Eine Spezialeinheit der US Army ist in Kriegseinsätzen für die Entschärfung unterschiedlichster Sprengsätze und Bomben zuständig. Der adrenalintreibende Thriller Tödliches Kommando – The Hurt Locker, vom Verleih als "Drama/Antikriegsfilm" apostophiert, gewährt einen faszinierenden Einblick in einen der vielleicht härtesten Jobs überhaupt. Regisseurin Kathryn Bigelow inszenierte die Geschichte um eine Gruppe amerikanischer Elite-Soldaten als suspensereiche, nervenaufreibende Kriegsepisode. Die von ihr verfolgte eher nüchterne Dokumentarfilm-Optik setzt dabei weniger auf bildgewaltige Action denn auf Realismus und Glaubwürdigkeit.

Filmkritik:

Sie haben den vielleicht gefährlichsten Job der Welt. Die Männer der Explosive Ordinace Disposal (abgekürzt: E.O.D.) müssen hart und äußerst nervenstark sein. Als Teil der US-Streitkräfte werden sie immer dann zu einem Einsatz gerufen, wenn es wieder einmal verdächtige Gegenstände zu untersuchen oder Bomben zu entschärfen gibt. Ihre Einsatzgebiete lauten Irak oder Afghanistan. Es sind Orte, an denen man als US-Soldat alles andere als gern gesehen ist. In Tödliches Kommando – The Hurt Locker begleitet der Zuschauer ein Team aus E.O.D.-Spezialisten bei ihrer wahrhaft schweißtreibenden Arbeit während des letzten Irak-Krieges.

Die Geschichte und Figuren sind fiktiv. Und dennoch glaubt man den Machern jederzeit, dass sich alles genau so hätte zutragen können. So vermeiden Drehbuchautor Marc Boal (In the Valley of Elah) und Regisseurin Kathryn Bigelow viele der üblichen Action- und Kriegsfilmklischees. Wir begleiten ein Team, dessen Kommandant erst kürzlich bei einer verheerenden Bombenexplosion ums Leben gekommen ist. Sergeant Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Eldrige (Brian Geraghty) müssen sich an einen neuen Vorgesetzten gewöhnen, der fortan die überaus heiklen Einsätze leiten soll. Das mit dem Gewöhnen ist allerdings leichter gesagt als getan, schließlich ist Staff Sergeant William James (stark: Jeremy Renner) ein eher schwieriger Charakter, der mit seinem draufgängerischen Verhalten immer wieder für Irritationen und Spannungen innerhalb des Teams sorgt. Anfangs scheint es, als versuchte er, dem idealisierten (Männer-)Bild eines furcht- und emotionslosen Elite-Soldaten zu entsprechen.

The Hurt Locker zeigt auf eindrucksvolle Art, wie die Männer vor immer neue Herausforderungen gestellt werden und sich bei ihrer Arbeit jeden Tag in höchste Lebensgefahr begeben. Der von Bigelow gewählte dokumentarische Stil, der einen weitgehenden Verzicht auf statische Einstellungen und Hochglanz-Aufnahmen beinhaltet, lässt einen schon bald den fiktiven Charakter der Filmhandlung vergessen. Bigelow setzt auf Nähe und Beweglichkeit. Der kluge Einsatz der Handkamera ist hierfür unabdingbar. Die Distanz zum Geschehen reduziert sich bereits mit der meisterhaft montierten Eröffnungssequenz auf ein Minimum. Wir hören die Männer atmen und sehen, wie sich die Anspannung in ihren Blicken und Gesten nach jedem Auftrag allmählich löst. Vor allem gelingt es Bigelow, das Gefühl einer mehr oder weniger konkreten Bedrohung als ein beständiges, nicht wirklich greifbares Grundrauschen zu installieren. Dadurch wird das Misstrauen der Männer, das sie zunächst einmal gegenüber jedem Fremden empfinden, erst verständlich und nachvollziehbar. Hinter jedem Häuserblock, hinter jeder Straßenkreuzung könnte sie der Tod erwarten.

Staff Sergeant William James ist bei allem zur Schau gestelltem Wagemut weder Jason Bourne noch James Bond, so sehr er sich das auch wünschen würde. Im Grunde weiß er nur zu gut, in welchem Albtraum er sich eigentlich befindet. Die meisten Iraker sehen in ihm und seinen Kameraden feindliche Besatzer. Diese aus Sicht der USA nur wenig ermutigende Realität greift The Hurt Locker auf, wobei der Film die Aussage weiter fasst und seine durchaus militär-kritische Haltung nicht auf den Konflikt im Irak beschränkt wissen will. Für Bigelow ist es nach sechs Jahren der kreativen Pause – zumindest als Regisseurin einer Kinoproduktion – ein gelungenes Comeback im vertrauten Action-Fach. Sie liefert den Beweis, dass das Genre weit mehr als stumpfsinnige Materialschlachten und Explosions-Kaskaden hervorbringen kann.

Für Programmkino.de.

Sonntag, August 09, 2009

Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft


F 2009

++1/2

Nachdem vor nicht allzu lange Zeit das Leben Edith Piafs verfilmt wurde, steht nun in Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft Frankreichs einflussreichste Modedesignerin des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt einer aufwändigen Kinoproduktion. Regisseurin Anne Fontaine war daran gelegen, kein gewöhnliches „Biopicture“ zu inszenieren. Daher beschränkt sich ihr Film auf die Lehrjahre Coco Chanels und ihre ersten, widersprüchlichen Beziehungen zu reichen Verehrern und Förderern.

Filmkritik:

Sie als Stil- und Modeikone des 20. Jahrhunderts zu bezeichnen, greift eigentlich fast schon zu kurz. Schließlich war Gabrielle „Coco“ Chanel weit mehr als das. Mit ihren schnörkellosen und zugleich eleganten Entwürfen, darunter das inzwischen legendäre Chanel-Kostüm, revolutionierte sie nicht nur die Mode, sondern auch das Selbstverständnis vieler Frauen. Sie kreierte das „kleine Schwarze“, ließ sich für ihre Damenkollektionen von funktionaler Männermode beeinflussen und kürzte die Röcke auf eine für die damalige Zeit skandalöse Länge. Damit wandte sie sich in den 1910er und 1920er Jahren offen gegen das herrschende Modediktat, das Frauen vornehmlich als dekoraktives, in ein Korsett eingeschnürtes Anhängsel ihrer Ehemänner behandelte.

Die in Chanels Heimat Frankreich bereits im Vorfeld viel beachtete und diskutierte Produktion interessiert sich allerdings nur sehr eingeschränkt für die sozialen und kulturellen Auswirkungen dieser Mode-Revolution. Vielmehr lenkt Regisseurin Anne Fontaine den Blick ganz auf die Person Coco Chanels und ihre mitunter recht widersprüchlichen Beziehungen. Audrey Tautou, die den Beinamen „Amélie“ wohl niemals mehr ablegen dürfte, nahm die mit allerlei Stolpersteinen verbundene Herausforderung an, einer nationalen Berühmtheit Gesicht und Stimme zu leihen. Soviel Mut brachte Kollegin Marion Cotillard zuletzt immerhin einen Oscar ein. Dass Tautou diesem Beispiel im nächsten Jahr folgen wird, darf zumindest bezweifelt werden. Dafür verblasst ihr Auftritt als strenge Selfmade-Woman am Ende doch zu schnell.

Aufgewachsen in einem Waisenhaus tritt Coco zunächst zusammen mit ihrer Schwester Adrienne (Marie Gillain) in einem eher schmucklosen Varieté auf, wo sie den gut situierten Adeligen Étienne Balsan (Benoît Poelvoorde) kennenlernt. Dieser sieht in ihr nur eine willige Gespielin, die ihm stets zu Diensten sein sollte. Anfangs verleugnet er Coco gar vor seinen Freunden und Bekannten. Das lässt sich die unangepasste, nach außen stets selbstsichere junge Frau allerdings nicht lange bieten. Fest entschlossen, sich ihren Platz in der vornehmen Gesellschaft zu erkämpfen, weckt sie mit ersten, kleineren Entwürfen wie einem schlichten und doch eleganten Hut die Aufmerksamkeit und das Interesse der reichen Damen für ihren unverwechselbaren, inzwischen legendären Stil.

Als sie sich schließlich in den englischen Unternehmer Arthur Capel (Alessandro Nivola) verliebt, wird aus Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft eine klassische Dreiecksgeschichte, in der sich Eifersüchteleien, Misstrauen und flüchtige Momente des Glücks untereinander abwechseln. Bewusst vermied Fontaine es, Chanels beruflichen Werdegang als gewöhnliches, chronologisch geordnetes Biopic zu verfilmen. Die Konzentration auf die sicherlich prägenden Lehrjahre erscheinen im Nachhinein mehr als eine Hinführung auf den Teil ihres Lebens, der sich mit dem Abspann ankündigt und den sie als öffentliche Person verbrachte. Dass der Film den Ursprung des Chanel-Stils an nur wenigen Schlüsselerlebnissen festmacht, mag nicht immer ganz den Tatsachen entsprechen. In jedem Fall versprüht diese Form der eher beiläufigen „Spurensuche“ Chanel-typisches Understatement.

Davon abgesehen bietet Coco Chanel vor allem elegantes, prachtvolles Ausstattungskino, bei dem die zarte Audrey Tautou bisweilen verloren zu gehen droht. Inmitten der opulenten Sets, die das Auge umschmeicheln, ist desöfteren kein Platz mehr für sie. Auch lässt das amouröse Beziehungsgeflecht die nötige Leidenschaft und Intensität vermissen, weshalb der mehrfach an Coco gestellte Vorwurf, sie habe ein Herz aus Stein, so auch auf Fontaines Film gemünzt sein könnte.

Für Programmkino.de.

Samstag, August 08, 2009

Public Enemies - Staatsfeind Nr. 1


USA 2009

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Robin Hood nahm es bekanntlich von den Reichen und gab es den Armen. John Dillinger, Amerikas Staatsfeind Nr. 1 zur Zeiten der großen Depression, galt vielen Menschen als dessen Reinkarnation. Er und seine Gang raubten Banken in Serie aus, um die Beute - im Gegensatz zum Gerechtigkeitsfanatiker aus dem Sherwood Forest - anschließend für sich zu behalten. Doch das tat Dillingers Popularität keinen Abbruch. Schließlich sahen viele in den Banken verhasste Blutsauger, die an der Entstehung der Weltwirtschaftskrise maßgeblich beteiligt waren. Den ganzen Artikel gibt es auf koeln.de.

Mittwoch, August 05, 2009

Zack and Miri make a Porno


USA 2008

++1/2

Kevin Smith, zusammen mit Judd Apatow Spezialist für sympathische Slacker-Typen, unterwandert in Zack and Miri make a Porno das Erscheinungsbild einer klassischen Romantic Comedy – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn hinter derben Zoten und verbalen Entgleisungen verbirgt sich eine charmante Liebesgeschichte, die sich mit zunehmender Laufzeit immer offensichtlicher an Hollywood-Standards anlehnt.

Filmkritik:

Schon Harry und Sally wussten, dass Männer und Frauen einfach keine Freunde sein können. Und dennoch versuchen es manche immer wieder, in dem (Irr-)Glauben, sie seien die große Ausnahme von dieser Regel. Zack (Seth Rogen) und Miriam (Elizabeth Banks) waren einst Sandkastenfreunde. Inzwischen leben beide zusammen in einer Art WG, wobei sie in ihrem Alltag längst die Verhaltensweisen eines alten Ehepaares zu imitieren scheinen. Jeder kennt den anderen in- und auswendig. Zumindest glauben sie das. Denn in Wahrheit sind beide unsterblich ineinander verliebt. Bis sie sich ihre Gefühle allerdings eingestehen, ist es noch ein langer Weg. Für den Zuschauer von Kevin Smiths nur verbal expliziter Komödie Zack and Miri make Porno liegen knapp 90 Minuten dazwischen. Erst dann kommt es zum finalen, von Beginn an vorgezeichneten Liebesschwur zwischen Zack und Miriam.

Der Film verdankt seinen auffallenden Titel einer eher spontanen Geschäftsidee. Aus der Not heraus – Zack und Miriam sind wieder einmal pleite – beschließen die Freunde, einen Amateur-Porno zu drehen. Getreu dem Motto „Andere Menschen haben Möglichkeiten und Würde. Wir besitzen weder das eine noch das andere!“ stürzen sie sich in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Ihnen zur Seite steht dabei ein illustres Team von Freunden, gecasteten Möchtegern-Porno-Stars und nicht minder ahnungslosen Amateur-Darstellern.

Bekannt geworden durch Independent-Hits wie Clerks – Die Ladenhüter und Dogma bleibt Regisseur und Autor Kevin Smith seinem Erfolgsrezept aus zotigen Sprüchen, derbem Jungs-Humor und sympathisch-schrägen Charakteren auch dieses Mal treu. Dabei sollte man sich jedoch nicht von der inflationären Verwendung eines ganz bestimmten F-Wortes und anderer Anzüglichkeiten blenden lassen. Im Grunde ist sein Ausflug in die Welt silikoner Oberweiten und schweißtreibender Money Shots weit weniger frech, als es zunächst den Anschein hat. Vielmehr versteckt Smith wie sein Kollege Judd Apatow nur zu gerne klassische Liebesgeschichten in mitunter etwas zu pubertäre Slacker-Szenarios. Wie zum Beweis für die enge Verwandtschaft der beiden Filmemacher stand Apatow-Weggefährte Seth Rogen bei diesem Projekt erstmals für Smith vor der Kamera. Mehr noch: Seine Rolle unterscheidet sich kaum von den liebenswerten Loser-Typen, die er bereits in den Apatow-Produktionen Beim ersten Mal und Ananas Express verkörperte.

Typisch Smith sind wiederum die zahlreichen popkulturellen Referenzen und Anspielungen, die wie die zunächst angedachte Porno-Variante einer berühmten Weltraum-Saga (Arbeitstitel: „Star Whores“) als zielgruppengerechter Humor funktionieren. Dass Smith an seinen Kollegen Apatow dennoch nicht heranreicht, liegt in erster Linie an dem äußerst dünnen Konzept seines Films und den im direkten Vergleich weitaus einfacher gestrickten Charakteren. Zack und Miriam sind letztlich nicht viel mehr als ein süßes Paar, das über mehr oder weniger peinliche Verwicklungen zueinander findet. Smiths Vorstellungen hinsichtlich der perfekten Beziehung, in der die Partner keinen Sex haben sondern „Liebe machen“ wie Zack bemerkt, ähneln überdies dem postulierten Ideal der gängigen Hollywood-Romanze. Es mag daher auch kaum überraschen, wenn hinter der Fassade aus schlüpfrigen Zweideutigkeiten und verbalen Entgleisungen eine brave, berechenbare romantische Komödie zum Vorschein kommt.

Für Programmkino.de.

Sonntag, August 02, 2009

Coraline - Im Kaninchenbau


USA 2009

+++1/2

Stop-Motion-Veteran Henry Selick (Nightmare before Christmas) lässt erneut die Puppen tanzen. Dabei bleibt er auch in der Verfilmung von Neil Gaimans Kindergeschichte Coraline dem Dunklen, Skurrilen und Abseitigen auf der Spur. Die Erzählung um einen rebellischen Teenager, der in seinem neuen Zuhause die Tür zu einer anderen Welt entdeckt, dürfte daher im Unterschied zu vergleichbaren Disney-Produktionen ein eher älteres Kinopublikum ansprechen. Neben seiner fantasiereichen Geschichte und liebevollen Animationen besticht Selicks Film speziell in seiner 3D-Variante mit einer beeindruckenden Plastizität und Räumlichkeit.

Filmkritik:

Das Leben eines Teenagers kann ganz schön langweilig, öde und ereignislos sein. Auch Coraline (im Original gesprochen von Dakota Fanning) kennt diese pubertäre Tristesse nur zu gut. Seitdem sie mit ihren Eltern, die beide als Autoren für ein Garten-Magazin tätig sind, in den neblig-verregneten Nordwesten der USA gezogen ist, fühlt sie sich zurückversetzt und allein. Dass ihr neues Zuhause einer viktorianischen Villa ähnelt, ist da nur ein schwacher Trost. Bei einer ihren Erkundungen stößt Coraline in dem alten Gebäude auf eine verborgene Tür, die sie in eine geheimnisvolle Parallelwelt führt. Deren Landschaft gleicht der aus einem verkitschten Bilderbuch und auch ihre Eltern benehmen sich auf einmal irgendwie seltsam. So arbeitet ihr „anderer Vater“ als exzentrischer Erfinder, wohingegen Coralines „andere Mutter“ ihr Glück in der Zubereitung der schmackhaftesten Speisen gefunden zu haben scheint.

Doch die Idylle erweist sich schon bald als trügerisch. Hinter der schicken Fassade familiärer Glückseligkeit lauern dunkle Gedanken und zerstörerische Kräfte. Dass jeder in diesem Paralleluniversum statt Augen ein Paar Knöpfe trägt, macht dann auch Coraline zunehmend misstrauisch, vor allem, als sie auf einmal von ihrer „anderen Mutter“ dazu aufgefordert wird, sich einer schmerzhaften Selbst-Operation mit Nadel und Faden zu unterziehen. Coraline ahnt, dass sie und ihre richtigen Eltern in höchster Gefahr schweben.

Die vom britischen Autor Neil Gaiman erdachte Geschichte um den rebellischen Teenager mit den blauen Haaren und dem seltsamen Namen fand in Animationskünstler Henry Selick nun ihren Meister. Der kreative Kopf hinter Stop-Motion-Abenteuern wie Nightmare before Christmas und James und der Riesenpfirsisch schien mit seinem Faible für abseitige, morbide Stoffe geradezu prädestiniert für eine filmische Umsetzung dieser düsteren „Alice im Wunderland“-Variante zu sein. Entsprechend hoch waren im Vorfeld die Erwartungen, die der fertige Film allerdings nochmals locker übertrifft. Spätestens mit Coralines erstem Besuch in der allenfalls auf den ersten Blick perfekten (Alb-)Traumwelt, in der ein musizierende Mäuse-Zirkus ebenso wie eine sprechende schwarze Katze zum Inventar gehört, hat man Selicks schaurig-pittoreskes Märchen in sein Herz geschlossen.

Coraline spielt gekonnt mit gängigen Motiven der Kinder- und Jugendliteratur, wobei insbesondere der schwierige Prozess des Erwachsenwerdens, die von Selbstzweifeln geprägte Suche nach der eigenen Identität und der Abnabelungsprozess von den eigenen Eltern immer wieder von Selick und Gaiman aufgegriffen werden. Aus dieser Themenzusammenfassung und der bisweilen sehr dunklen Atmosphäre ergibt sich fast zwangsläufig, dass der Film ein eher älteres Publikum anspricht, da er auf kleinere Kinder eher verstörend denn unterhaltsam wirken muss. Vor allem aber ist Coraline weitaus komplexer als das Gros seiner Mitstreiter.

Was das Design der Figuren und Schauplätze angeht, so hat sich Selick einmal mehr übertroffen. Skurrile Erscheinungen wie Coralines exaltierter Nachbar Mr. Bobinsky oder die beiden Terrier-liebenden Opern-Diven aus der Kellerwohnung zeugen von der hohen Schule der Selick’schen Animationskunst. Dabei verleiht die im Zeitalter fotorealistischer CGI-Animationen immer etwas antiquiert anmutende Stop-Motion-Technik dem Film erst seine so charakteristische Plastizität, was sich in der 3D-Version auch in einer zusätzlichen räumlichen Dimension widerspiegelt. Während viele Animationsfilme die zuletzt wieder in Mode gekommene 3D-Technik vorwiegend als nettes Gimmick verstanden, begreift Selick sie als integraler Bestandteil seiner Geschichte, über die er uns immer tiefer in seinen von Kirmes- und Geisterbahnpersonal bevölkerten Kaninchenbau zieht.

Für Programmkino.de.

Samstag, August 01, 2009

Zerrissene Umarmungen - Spiegelungen und Doppelgänger


ESP 2009

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Spaniens Regie-Star Pedro Almodóvar liebt das exaltierte Spiel mit Genres, Stimmungen und Motiven. Auch sein neuer Film, in dem erneut Oscar-Preisträgerin Penélope Cruz eine der Hauptrollen übernahm, ist Ausdruck dieser Experimentierfreude. Die Geschichte um den nach einem schweren Unfall erblindeten Drehbuchautoren Harry Caine wechselt beständig zwischen Drama und Film noir, zwischen Komödie und liebevoller Selbstreflexion. In Cannes eher reserviert aufgenommen, ist Zerrissene Umarmungen letztlich doch ein typischer Almodóvar.

Filmkritik:

Pedro Almodóvars Zerrissene Umarmungen mangelt es nicht an Ambitionen. Immerhin hat sich Spaniens Meisterregisseur dazu entschlossen, mehrere Zeitebenen, drei filmische Realitäten und zahlreiche Doppelgänger-Referenzen miteinander zu kombinieren und diese in ein stilvolles Geflecht aus Melodram, Film Noir und Komödie einfließen zu lassen. Das Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht ganz Almodóvar. Erstaunlicherweise stiften jedoch die Noir-typischen Winkelzüge weniger Verwirrung, als man das zunächst vielleicht vermuten würde. Um den Überblick über die Personen und ihre Motive zu behalten, muss man zudem kein ausgewiesener Almodóvar-Experte sein.

Das Doppelgänger-Motiv spiegelt sich bereits in der Hauptfigur wider. Drehbuchautor Harry Caine (Lluis Homar) hieß früher einmal Mateo Blanco. Unter diesem Namen feierte er als Regisseur einige Erfolge. Seit einem tragischen Autounfall vor 14 Jahren ist Harry/Mateo allerdings blind und ganz auf die Hilfe seiner Freunde und Verwandten angewiesen. Vor allem seine frühere Produktionsleiterin Judit (Blanca Portillo) und ihr Sohn Diego (Tamar Novas) helfen ihm bei alltäglichen Dingen. Als ihn ein junger Mann aufsucht, um mit ihm eine Filmidee zu besprechen, holt Harry die Vergangenheit urplötzlich wieder ein. Die Erinnerungen führen ihn und uns zurück an ein Filmset. Bereits während des Castings verliebt sich Mateo unsterblich in die wunderschöne Lena (Penélope Cruz) und sie sich in ihn. Da die Schauspielerin zu diesem Zeitpunkt offiziell noch mit dem mächtigen und schwerreichen Finanzjongleur Ernesto Martel (José Luis Gómez) liiert ist, glauben beide, ihre Beziehung zunächst geheim halten zu müssen. Tatsächlich weiß dieser längst um die Affäre seiner Frau.

Stück für Stück setzt Almodóvar die Puzzleteile seiner von Identitäts- und Zeitwechsel bestimmten Geschichte zu einem klaren Bild zusammen. Obwohl hierbei nicht jede Erhüllung wirklich überrascht, entwickelt Zerrissene Umarmungen aus der Verknüpfung tragischer und leidenschaftlicher Momente eine gewisse Faszination. Vor allem zwischen Mateo und Lena, die zusammen mit dem eifersüchtigen Ernesto das charakteristische Trio eines Film noir bilden, knistert es. Sinnlich und erotisch ist auch dieser Almodovár und für beides zeichnet sich einmal mehr des Meisters neue Muse Penélope Cruz verantwortlich. Von ihren Lippen und Kurven scheint sich Rodrigo Prietos Kamera mitunter gar nicht mehr lösen zu wollen. Sie ist es, die der Geschichte ihren Stempel aufdrückt. Selbst im eher züchtigen Kostüm mit stilsicherer Audrey-Hepburn-Frisur verkörpert die Cruz noch die sirenenhafte Versuchung einer tragischen Femme fatale.

Almodóvars cineastisches Vexierspiel arbeitet nahezu in jeder Einstellung mit ikonographischen Bildern und Motiven des Kinos. Die für den Fortgang zentrale Szene im Treppenhaus, die Überwachung durch Ernestos Sohn (der im Übrigen nicht ganz zufällig auch Ernesto heißt) sowie der immer wiederkehrende Blick durch das Objektiv der Videokamera, all diese Einflüsse gehen nachweislich auf Almodóvars Lieblingsfilme zurück. Dabei bedient sich Spaniens bekanntester Filmemacher nicht nur bei geschätzten Kollegen. Die von Mateo inszenierte Komödie „Frauen und Koffer“, einer von gleich zwei Film-im-Film-Installationen, könnte glatt als Neuauflage von Almodóvars Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs durchgehen. Was manch einer bereits vorschnell als eitles Selbstzitat auslegte, sorgt letztlich für einen spannenden Kontrast zu dem eher düsteren Grundton der eigentlichen Dreiecks-Geschichte.

Insbesondere zu La Mala Edicación, Almodóvars vorletztem Film, lassen sich zahlreiche Bezüge herstellen. Beide Arbeiten bauen anfangs ein nur wenig greifbares Bedrohungsszenario auf, welches im weiteren Verlauf Konturen erhält und zunehmend konkreter wird. Sie operieren mit Film-noir-Elementen, vorgetäuschten Identitäten, Dopplungen, Zeitsprüngen und Perspektivwechseln. Und sie formulieren eine in rauschende Farben gekleidete Liebeserklärung an Almodóvars vielleicht größte Leidenschaft: Das Kino.

Für Programmkino.de.