Samstag, Oktober 31, 2009

Der Informant! - Nieten in Nadelstreifen


USA 2009

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Was zunächst klingt wie der übliche Kampf eines einzelnen mutigen Angestellten gegen einen übermächtigen, multinationalen Konzern, entwickelt sich alsbald zu einer absurden Komödie, die mit den Abläufen bekannter David-gegen-Goliath-Konstellationen bricht. Basierend auf dem wahren Fall des Informanten Marc Whitacre erzählt Oscar-Preisträger Steven Soderbergh einen etwas anderen Wirtschaftskrimi. Unter seiner Regie wird aus Action-Star Matt Damon die personifizierte Selbstüberschätzung in Nadelstreifen.

Filmkritik:

Filme, die auf einer wahren Geschichte basieren und den Kampf eines Einzelnen gegen eine scheinbar übermächtige Institution schildern, setzen gemeinhin auf die dramatische Zuspitzung ihrer David-gegen-Goliath-Konstellation. Ganz anders verhält es sich da mit Steven Soderberghs Der Informant!. Einen der größten Wirtschafskrimis der letzten Jahrzehnte wählte er als Hintergrund für eine zunehmend absurde Komödie, bei der man desöfteren nicht genau weiß, ob man laut lachen oder angesichts von soviel Irrsinn nur noch den Kopf schütteln soll. Offenbar war dem Oscar-Preisträger nach seinem viereinhalb Stunden Biopicture Che an einem radikalen Genre- wie Stimmungswechsel gelegen.

Soderberghs Informant heißt Marc Whitacre (Matt Damon). Der junge Mann hat beim Agrarkonzern Archer Daniels Midland eigentlich eine viel versprechende Karriere vor sich. Doch die rückt plötzlich in weite Ferne, als er sich dem FBI anvertraut und den beiden, für ihn zuständigen Agents (Scott Bakula, Joel McHale) über illegale, im großen Stil laufende Preisabsprachen berichtet. Whitacre wird daraufhin vom FBI als Informant verpflichtet, verkabelt und mit einem in seinem Aktenkoffer versteckten Rekorder ausgestattet. Er soll die Gespräche zwischen der Führungsspitze von ADM und der ausländischen Konkurrenz aufzeichnen. Was das FBI anfangs jedoch nicht ahnt: Dieser Marc Whitacre ist nicht der, der er zu sein vorgibt. Nicht nur leidet er an einer bipolaren Persönlichkeitsstörung, aus einem unerfindlichen Grund ist er sogar felsenfest davon überzeugt, für seine Zusammenarbeit am Ende mit einer Beförderung belohnt zu werden.

So ungewöhnlich Soderberghs komödiantischer Ansatz anfangs auch erscheint, mit jeder neuen, abstrusen Wendung, die der Fall nimmt und die allesamt Whitacre zuzuschreiben sind, zeigt sich, dass man diese Geschichte vermutlich nur auf diese Weise erzählen konnte. In gewisser Weise funktioniert der Film daher auch als ironischer Kommentar auf konventionelle White-Collar-Thriller wie Michael Manns themenverwandten Insider. Whitacres fast schon pathologische Selbstüberschätzung, seine Unbeirrbarkeit und intellektuelle Sprunghaftigkeit, all das kommt in den eingestreuten Off-Kommentaren zum Ausdruck. In den entscheidenden Augenblicken, immer dann, wenn vermutlich gerade etwas wirklich Wichtiges besprochen wird, schweifen Whitacres Gedanken ab, um über so Banales wie Belangloses zu sinnieren („Brioni-Krawatten werden nie heruntergesetzt. Ich sollte mir alle Krawatten in Paris kaufen und sie in eine Dutyfree-Tasche stopfen.“).

Gerade aus dieser ironischen Distanz zum Geschehen entwickelt Der Informant! einen über weite Strecken beachtlichen Unterhaltungswert. Beachtlich deshalb, weil die Themen, die Soderberghs Wirtschafts-Farce verhandelt, auf den ersten Blick wenig „sexy“ erscheinen. Da ist die Rede von Marktversagen, Preisabsprachen, Unterschlagung und Industriespionage. In diesem Fall färbt jedoch die bunte, verspielte Verpackung auf den spröden Inhalt ab. Soderbergh verwendet neben pinken Jahreszahlen einen durchgängig etwas muffigen Retro-Look, der ebenso wie Marvin Hamlischs kitschiger Score wohl nicht ganz zufällig auf die 1970er Jahre verweist (und das obwohl die Handlung des Films in den 90er Jahren spielt). Im Verlauf dieser Dekade brachte Hollywood bis heute prägende Polit-Thriller wie Alan J. Pakulas Watergate-Abrechnung Die Unbestechlichen hervor.

Die größte Trumpfkarte des Films ist aber Matt Damon. Der Hollywood-Star war vermutlich noch nie so gut. Mit einigen zusätzlichen Kilos, abschreckender Föhnfrisur, Schnurrbart und Buchhalter-Brille verwandelt sich der ansonsten für seine Physis bekannte Damon in einen pummeligen Möchtegern-Agenten. Schon bald vergisst man, dass wir es hier mit demselben Schauspieler zu tun haben, der sich einst als durchtrainierter Geheimagent Jason Bourne um die Nachfolge eines gewissen James Bond bewarb. Umso grotesker erscheint es, wenn der Schreibtischtäter Marc Whitacre plötzlich als „0014“ auftritt. Seine Begründung, er sei schließlich auch „doppelt so schlau wie 007“, ist mindestens so verrückt wie der gesamte Film.

Für Programmkino.de.

Dienstag, Oktober 27, 2009

(500) Days of Summer - Die Leiden des jungen Tom


USA 2009

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(500) Days of Summer spielt von Beginn an mit offenen Karten. So weist uns der Erzähler bereits in der Einleitung darauf hin, dass wir es hier nicht mit der typischen „Boy meets Girl“-Geschichte zu tun haben, obwohl Marc Webbs Regiedebüt genau so beginnt. Ein Junge, eher ein junger Mann, trifft eine junge Frau. Er verliebt sich in sie. Weiterlesen.

Mittwoch, Oktober 21, 2009

Die Päpstin - Ein TV-Event-Movie auf Abwegen


D/I/ESP 2009

+1/2

Der Verleih scheint keine Kosten und Mühen zu scheuen, um die mit Spannung erwartete Bestseller-Verfilmung Die Päpstin als das deutsche Kino-Event dieses Herbstes zu bewerben. Dabei kann der von Sönke Wortmann inszenierte Film keines seiner Versprechen wirklich einlösen. Die Inszenierung wirkt mut- und ideenlos, der Geschichte wiederum mangelt es an Glaubwürdigkeit und Spannung.

Filmkritik:

Eigentlich war ihr Lebensweg von Geburt an bereits vorgezeichnet. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen als das dritte Kind eines herrschsüchtigen, gewalttätigen Vaters und einer sich ihm unterordnenden Mutter, sollte Johanna dem damaligen Rollenbild entsprechend ebenfalls früh verheiratet werden, Kinder kriegen und am Ende vermutlich jung sterben. Doch stattdessen bestieg sie den Stuhl Petri, wurde Bischof von Rom und damit Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Zumindest besagt das eine seit dem 13. Jahrhundert überlieferte Legende, die sich auf verschiedene historische Texte und Quellen stützt. Die amerikanische Autorin Donna Woolfolk Cross nahm den von Wissenschaftlern in Zweifel gezogenen Mythos als Grundlage für ihren Weltbestseller Die Päpstin. Allein hierzulande verkaufte sich der Roman über fünf Millionen Mal.

Dementsprechend groß war auch bereits im Vorfeld das Interesse an der Verfilmung, für die das Produzententeam Martin Moszkowicz und Oliver Berben Sönke Wortmann sowie eine namhafte, teils internationale Besetzung (u.a. Johanna Wokalek, John Goodman, David Wenham) gewinnen konnte. Den hohen Erwartungen wird der Film allerdings nicht gerecht. Und das liegt weniger am schlampigen Umgang mit historischen Tatsachen – Vorlage wie Film verstehen sich schließlich nicht als Geschichtsdokumentation – als an der doch recht betulichen Inszenierung, die mehr an ein TV-Event-Movie erinnert.

Deutschland, zu Beginn des 9. Jahrhunderts. Da es Mädchen zumeist nicht erlaubt ist, das Lesen und Schreiben zu erlernen, bringt Johannas älterer Bruder Matthias ihr beides heimlich bei. Er unterrichtet Johanna auch in Latein, was sie in die Lage versetzt, Homers „Odyssee“ zu lesen und einen Abgesandten der Domschule mit ihren Sprachkenntnissen zu beeindrucken. Als Matthias an einem Fieber stirbt, will der Vater ihren jüngeren Bruder Johannes auf die Schule schicken. Das ist der Moment, in dem sie erkennt, dass nur eine Flucht ihr noch helfen kann. Einige Jahre später wird sie wieder flüchten, dann in ein Kloster der Benediktiner, wo sie fortan als Mann lebt, den Namen Johannes Anglicus annimmt und sich der Heilkunst widmet. Aber auch dort ist die junge Frau irgendwann nicht mehr sicher. Kurz bevor man ihr Geheimnis entdeckt, verlässt sie den Orden. Überzeugt im Glauben zieht es sie schließlich in die ewige Stadt.

Sönke Wortmann, der mit Das Wunder von Bern bereits Erfahrung im Umgang mit Mythen und Legenden auf einem ganz anderen Gebiet sammeln konnte, scheint einmal mehr dem größtmöglichen Konsens zu vertrauen. Filmische Experimente, interessante Brüche in Stil und Erzählform oder auch nur eindrucksvolle Bilder, all das sucht man hier leider vergeblich. Es spielt letztlich überhaupt keine Rolle, an welcher Station in Johannas eigentlich hoch spannendem Werdegang wir uns gerade befinden, bei Wortmann sieht die Szene immer genau so aus, wie man das von einem etwas teueren Fernsehfilm erwartet. Zu Beginn in der fränkischen Provinz dominieren Erdfarben, Dreck, Schweiß und Mittelalter-Folkore, später im Kloster dann das vielfach kopierte Der Name der Rose-Setting mitsamt den obligatorischen choralen Gesängen. Enigma lassen grüßen.

Umspielt von einem die meiste Zeit über unsagbar künstlichen Licht müssen die allesamt nachsynchronisierten Darsteller gegen banale Dialoge ankämpfen. Für unfreiwillige Komik sorgen ausgerechnet manche der zumindest nach der Papierform besonders emotionalen Momente, die durch eine unentschlossene Regie jede Emotionalität einbüßen. Aus der ersten, schüchternen Annäherung zwischen Johanna und dem adeligen Gerold, der Liebe ihres Lebens, macht Wortmann eine peinliche Kitschnummer. Später, als Johanna nach vielen Jahren ihren Vater wiedersieht, wundert man sich, dass er sie zunächst für ihren Bruder hält. Überhaupt fällt es schwer zu glauben, dass die junge Frau ihr Geheimnis so lange vor den meisten verbergen konnte. Immerhin sieht Johanna Wokalek selbst mit Tonsur und Mönchskutte jederzeit wie ein Mann aus.

Die Glaubwürdigkeitsfalle ist am Ende jedoch nur eines von zahlreichen Problemen. Dass der Film seinen Höhepunkt, Johannas Ernennung zum Stellvertreter Christi, in wenigen Minuten derart lieblos abhandelt, ist die eigentliche Enttäuschung für ein Werk, das sich Die Päpstin nennt.

Für Programmkino.de.

Sonntag, Oktober 18, 2009

Orphan - Das Waisenkind


USA 2009

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Viele Paare, die sich sehnsüchtig ein Kind wünschen, ziehen irgendwann einmal eine Adoption in Betracht, wenn sich aus anderen Gründen kein Nachwuchs einstellen will. Bei Kate (Vera Farmiga) und John (Peter Sarsgaard) Coleman liegt der Fall etwas anders. Beide haben bereits zwei gesunde, wohl erzogene Kinder, als Kate erneut schwanger wird. Kurz vor dem anberaumten Geburtstermin kommt es dann jedoch zu ernsten Komplikationen, woraufhin das Baby noch im Mutterleib verstirbt. Insbesondere für Kate sind die Folgen der dramatischen Fehlgeburt anfangs nur schwer zu ertragen. Mit der Zeit lässt der Schmerz allmählich nach und es reift in ihr immer stärker der Wunsch heran, die Liebe und Zuwendung einem anderen Kind zukommen zu lassen. Warum also nicht eines adoptieren? Gesagt, getan.

Anscheinend ist eine Adoption in den USA eine recht unbürokratische Angelegenheit. Denn während hierzulande Paare oftmals Jahre warten müssen, spazieren Kate und John einfach in das nächstgelegene Waisenhaus. Dort erweckt ein junges Mädchen ihre Aufmerksamkeit. Esther (Oscar-verdächtig: Isabelle Fuhrman) scheint anders als die anderen Kinder zu sein. Sie bleibt gerne für sich, zeichnet, malt und gibt sich auch ansonsten recht erwachsen. Das gefällt den Colemans, die großen Wert auf eine gute Erziehung und Bildung legen. Esther darf mit ihnen das Waisenhaus verlassen und in die schicke Designer-Villa ziehen, wo bereits ein eigenes, komplett eingerichtetes Zimmer auf sie wartet.

Mit Esthers Einzug sind dann auch die letzten Vorbereitungen für den später einsetzenden, sehr realen Albtraum abgeschlossen. Und während Kate und Ben ihr Glück zunächst kaum fassen können, ahnen wir bereits, dass die brave Esther in Wahrheit alles andere als brav ist. Statt kindlicher Unschuld schlummert in ihr eine eiskalte Psychopatin, die vor nichts zurückschreckt. Der Film versucht folglich erst gar nicht, Zweifel an ihrer mentalen Unausgeglichenheit aufkommen zu lassen. Das mit diesem Kind etwas nicht stimmt, wird schnell klar. Oder welches „normale“ 10-jährige Mädchen schlägt mit einem Stein lustvoll auf einen verletzten Vogel ein? Eigentlich sollten spätestens zu diesem Zeitpunkt sämtliche Alarmglocken läuten. Doch das tun sie nicht. Zumindest trauen sich Esthers Stiefgeschwister Max (Aryana Engineer) und Daniel (Jimmy Bennett) nicht, ihren Eltern davon zu erzählen.

Obwohl Esthers Absichten nie in Frage gestellt werden, führt uns Regisseur Jaume Collet-Serra des Öfteren aufs Glatteis. Vor allem das Motiv der kleinen Psychopatin gibt lange Zeit Rätsel auf. Als es schließlich enthüllt wird, ist es, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Orphan - und das ist eine echte Leistung - besitzt nicht nur einen originellen Plot-Twist, die Wendung fügt sich im Rückblick auch plausibel in den Rest der Geschichte ein. Wo andere Filme die Intelligenz des Zuschauers mit unlogischen Story-Tricksereien beleidigen, gelingt den Autoren David Johnson und Alex Mace ein echtes Kunststück. Ihre Auflösung erstaunt, irritiert und begeistert - und das alles in ein und demselben Moment.

Nun ist der Film nur deshalb noch kein One-Trick-Pony, das allein von dieser einen Überraschung leben würde. Der Twist erweist sich vielmehr als eine überaus reizvolle Zugabe, die den Rest der Erzählung nicht ab- sondern aufwertet. Dass jedes Familienmitglied überdies in einer anderen Beziehung zu Esther steht, dokumentiert die Komplexität des Skripts. Davon abgesehen nimmt sich Orphan sehr bewusst Zeit, um Suspense und Spannung Szene für Szene zu entwickeln. Zwar verzichtet auch Collet-Serra nicht vollständig auf laute Schockmomente, die meiste Zeit über erscheint die von Esther ausgehende Bedrohung allerdings weitaus subtiler und weniger eindeutig. Erst zum Ende hin fügt sich die Handlung pflichtbewusst der Logik und Dramaturgie des Horror-Kinos, woraus ein gewisser stilistischer Bruch resultiert.

Bis es allerdings zu diesem letzten, durchaus blutigen Kräftemessen zwischen Esther und ihrer neuen Familie kommt, ähnelt Orphan mehr einem sorgsam austarierten Psycho-Thriller. Mit Das Omen und anderen Vertretern des Satansbraten-Genres hat der Film - anders als es der Trailer und das Plakat etwas unglücklich suggerieren - nichts gemein. Auch für höhere Mächte und übersinnliche Geistererscheinungen ist im perfide geführten Kampf um Liebe und Zuneigung kein Platz. Stattdessen arbeitet das Drehbuch mit einem möglichst realistischen, nachvollziehbaren Szenario, bei dem wir uns in die Rolle der zunehmend überforderten Eltern versetzen sollen. Diese Rechnung geht auch deshalb auf, weil die Charaktere nie ihrer Glaubwürdigkeit beraubt werden. Getragen von durchweg starken Darstellerleistungen - über Isabelle Fuhrmans wahrlich denkwürdigen Auftritt wird man noch lange reden - funktioniert Orphan sogar als Familiendrama, das tief in die Vergangenheit seiner Akteure hineinleuchtet und dabei allerhand Dunkles zu Tage fördert.

Für BlairWitch.de.

Mittwoch, Oktober 14, 2009

Das weisse Band - Eine deutsche Kindergeschichte


D/A/F 2009

++++

Michael Haneke zählt zweifelsfrei zu den profiliertesten und zugleich umstrittensten Filmemacher der Gegenwart. Filmlehrer und Moralist, Künstler und Kulturpessimist, es gibt viele Etiketten, die auf den 67-jährigen passen und die er sich dank kontroverser Arbeiten wie Funny Games und Caché auch redlich verdient hat. In Das weisse Band, der in Cannes die „Goldene Palme" erhielt, seziert Haneke wieder einmal die menschliche Natur und kommt dabei dem Ursprung des Bösen auf die Spur. Ein gewaltiges Thema für einen in jeder Hinsicht gewaltigen Film. Den ganzen Text gibt es auf Koeln.de.

Samstag, Oktober 10, 2009

Thirst - Durst


ROK 2009

++1/2

Der Vampir-Mythos ist mindestens so unzerstörbar wie die Blutsauger selber. Solange diese nicht mit Sonnenlicht in Berührung kommen oder von Kruzifixträgern gejagt werden, kann die Erben des transsilvanischen Grafen Dracula kaum etwas aus der Ruhe bringen. Und auch im Kino erfreut sich der Vampir einer ungebrochenen Beliebtheit. Egal ob Mainstream (Twilight) oder Indie (So finster die Nacht), nirgendwo ist man vor ihm und seinen Fängen sicher. Mal gibt er sich keusch und unschuldig, dann wieder lässt er recht ungeniert die Sau raus, was dann meist in einem ekstatischen, nicht-jugendfreien Blutrausch endet. Auch Koreas Ausnahmeregisseur Park Chan-wook, dessen Rache-Trilogie zweifellos zu den Meilensteinen modernen asiatischen Kinos zählt, ist der Faszination für Vampir-Geschichten erlegen. Zumindest muss man das stark vermuten, wenn man seinen neuen Film Thirst – Durst als Referenz heranzieht, der bei den Filmfestspielen in Cannes bereits mit dem „Großen Preis der Jury“ ausgezeichnet wurde.

Es beginnt alles ganz harmlos. Der Wunsch, Gutes zu tun, bewegt den katholischen Priester Sang-hyun (Song Kang-ho) dazu, an einem durchaus riskanten Experiment teilzunehmen und sich als menschliches Versuchskaninchen zur Verfügung zu stellen. Bei Tests soll ein neuer Impfstoff gegen das aggressive Emmanuel-Virus erprobt werden. Doch das Vorhaben misslingt. Alle Patienten sterben, auch Sang-hyun. So scheint es zunächst. Plötzlich sendet der für tot erklärte Körper jedoch hierzu konträre Signale. Der Herzschlag setzt wieder ein, das Bewusstsein kehrt zurück und es stellt sich – gewissermaßen als Nebenwirkung nach zahllosen Transfusionen – bei Sang-hyun ein reichlich seltsames Verlangen nach menschlichem Blut ein, das er anfangs zu verdrängen sucht.

Während der Gottesmann noch wie ein neuer Heilsbringer gefeiert wird, reift in ihm längst eine dunkle Sehnsucht heran. Von der ahnt die resolute Madame Ra (Kim Hae-sook) nichts, als sie ihn zu sich nach Hause einlädt, wo er auf einen alten Schulfreund trifft. Kang-woo (Shin Ha-kyun) ist ein ziemlicher Jammerlappen, ein Muttersöhnchen und die Reinkarnation des eingebildeten Kranken, der sich von unserem Priester eine Art Wunderheilung erhofft. Die bleibt zwar aus, dafür verliebt sich Sang-hyun unsterblich in Tae-ju (Kim Ok-vin), die hübsche Ehefrau des um Mitleid buhlenden Milchbubis. Alle Anstrengungen, dies zu leugnen, bleiben erfolglos. Am Ende sind Blutdurst und Fleischeslust einfach zu übermächtig und es kommt zu einer für beide gefährlichen Liaison.

Das Interessante an dieser vermutlich nicht nur in den Augen des Vatikans sündigen Affäre ist der darin angelegte Rollentausch. So geht die Initiative eindeutig von Tae-ju aus. Sie ist es auch, die Sang-hyun mehrmals dazu drängt, ihr Blut zu trinken. Weil sie ihr altes, eintöniges Leben satt hat und sich der ständigen Kontrolle durch ihre herrschsüchtige Schwiegermutter nicht länger aussetzen will, ergreift sie die Chance zur Flucht. Sang-hyun zögert dagegen. Ihn quält lange Zeit sein Gewissen. Und er kämpft gegen seine Erziehung, gegen seinen Glauben und nicht zuletzt auch gegen das Zölibat. Nun ist der Geist zwar willig, doch der Körper bekanntlich schwach und Sang-hyuns Widerstand irgendwann gebrochen.

Überhaupt spielt Körperlichkeit in den Filmen des Park Chan-wook seit jeher eine besonders große Rolle. Das war schon in Oldboy so, als der eingekerkerte Oh-Daesu mit seiner ganzen Physis gegen die eigene Gefangenschaft rebellierte. In Thirst kommt es nun nicht nur zu dem für Vampirgeschichten charakteristischen Biss in Hals und Arme, auch andere Körperflüssigkeiten tauschen Tae-ju und ihr Vampir-Freund regelmäßig an den unterschiedlichsten Orten aus. Park gewährt den Liebesszenen viel Raum, womit er den erotischen Subtext des Vampir-Mythos offen betont und ihn anders als beispielsweise eine Stephenie Meyers nicht in einer unschuldigen, christlich eingefärbten Teenager-Romanze versteckt. Ohnehin richtet sich sein Film an ein gänzlich anderes Publikum. Eine Freigabe ab 12 Jahren ist schon aufgrund der expliziten Gewaltszenen – von Blut saugen über Blut lecken bis Blut kotzen wird so ziemlich alles geboten – unwahrscheinlich.

Thirst gleicht einem Fest für die Sinne. Aufwändige Kamerafahrten, dekorative Shots, ein eingängiger, wuchtiger Klassik-Score, die Handschrift des kreativen Workaholic Park ist unverkennbar. Wenn Tae-ju und Sang-hyun des Nachts über die Dächer der Stadt schweben und scheinbar mühelos an Häuserwänden emporklettern, verliert sich der Film für einen Augenblick in der Magie betörend schöner (Kino-)Bilder.

Über das Ausstellen solcher und anderer Äußerlichkeiten vergisst Park allerdings bisweilen seine Protagonisten und ihr Schicksal. Irgendwie bleibt da immer eine unsichtbare Barriere, eine Distanz, die er erst mit der letzten Szene und einem einprägsamen Schlussbild einreißt. Zuvor dominieren abseits der blutigen Intermezzi eher die grotesken Momente. Der gesamte Handlungsstrang um Tae-jus mehr als wundersame Sippschaft ist reiner Komödienstoff, vollgestopft mit absurden Ideen, von denen manche sicherlich auf das Konto eines für uns Europäer mitunter befremdlichen asiatischen Humors gehen.

Thirst ist folglich kein Vampirfilm zum Fürchten oder Gruseln. Parks Interpretation der Legende kann weder schocken noch verunsichern. Dafür liegt die Betonung einfach zu sehr auf den heiteren bis absurden Einfällen. Nach einem atmosphärischen Einstieg zerfasert der Plot zudem immer weiter, was den Verdacht nährt, dass Thirst etwas zu wenig Substanz für seine 133 Minuten mitbringt. Dazu passt es, dass der theologische Unterbau, immerhin ist Sang-hyun ein Mann Gottes, weitgehend unangetastet bleibt. Ein Film der verpassten Chancen – wenngleich auf insgesamt hohem Niveau.

Für BlairWitch.de.

Montag, Oktober 05, 2009

Lippels Traum - Märchen aus 1001er-Nacht


D 2009

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Nachdem die bisherigen Verfilmungen von Paul Maars Kinderbüchern („Das Sams“, „Herr Bello“) vom jungen Publikum mit großer Begeisterung angenommen wurden, lag die Entscheidung, eine weitere Geschichte aus dessen Feder zu adaptieren, eigentlich recht nahe. Die Wahl fiel auf Lippels Traum, einem fantasiereichen Abenteuer, in dem sich ein elfjähriger Junge aus Verdruss über die neue, kontrollsüchtige Haushälterin in ein Märchen aus 1001 Nacht hineinträumt. Die durch die Bank überzeugenden Jungdarsteller werden dabei von einer Riege prominenter deutscher Schauspieler (u.a. Moritz Bleibtreu und Anke Engelke) unterstützt.

Filmkritik:

Der elfjährige Philipp (Karl Alexander Seidel), der von allen nur „Lippel“ genannt wird, wächst bei seinem Vater Otto Mattenheim (Moritz Bleibtreu) im malerischen Passau auf. Der erfolgreiche Sternekoch hat sich längst auch im Ausland einen Namen gemacht und so kommt es, dass Lippel für eine Woche ganz auf ihn verzichten muss. Eine Geschäftsreise in die USA lässt sich nicht weiter verschieben. In dieser Zeit soll die neue Haushälterin Frau Jakob (Anke Engelke) auf Lippel aufpassen. So sieht zumindest der Plan von Vater Mattenheim aus. Was dieser nicht ahnt: Mit immer neuen Vorschriften und Verboten treibt die strenge Hausdame Lippel zur Verzweiflung. Sogar das Buch mit Geschichten aus 1001 Nacht, das ihm sein Vater geschenkt hat, will sie ihm abnehmen. Doch der clevere Lippel findet einen Ausweg. Er träumt sich Nacht für Nacht in ein orientalisches Märchen, in dem seltsamerweise nicht nur sein Vater sondern auch Frau Jakob und zwei seiner Klassenkameraden auftauchen.

Mit dem fantasievollen Lippels Traum findet nach Das Sams und Herr Bello ein weiterer Kinderbuchklassiker aus der Feder von Paul Maar den Weg ins Kino. Maar, der abermals das Drehbuch zusammen mit Produzent und Autor Ulrich Limmer verfasste, besitzt ein sicheres Gespür für das, was Kinder in Lippels Alter bewegt, wovor sie sich fürchten und wie ihr Blick auf die Welt und uns Erwachsene ausfällt. Letzterer mag zugeben nicht immer allzu schmeichelhaft erscheinen. Viele der Erwachsenenfiguren auch in Lippels Traum sind einfache Karikaturen, deren überzeichnete Ticks und Manierismen vornehmlich als Comic Relief zu verstehen sind. So erinnert Anke Engelkes pedantischer Kinderschreck an das bekannte Fräulein Rottenmeier aus Heidi. In Lippels Fantasiewelt wiederum übernimmt sie den Part der bösen Hexe und damit einer durch und durch klassischen Märchenfigur. Nur wenige der Erwachsenen wie Vater Mattenheim oder dessen Mitarbeiterin Serafina (Christiane Paul) eignen sich letztlich als echte Sympathieträger. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Maar merklich von anderen Kinderbuchautoren. Eine Cornelia Funke geht beispielsweise in ihren Geschichten über die Wilden Hühner weitaus differenzierter vor.

Gleichwohl reiht sich Lippels geträumte Reise vom anscheinend dauerverregneten Passau in die geheimnisvolle Märchenwelt aus 1001 Nacht nahtlos in die Reihe der vielen erfreulichen Kinderbuchverfilmungen der vergangenen Jahre ein. Der Film beschwört in prachtvollen Bildern – die Dreharbeiten fanden in Marokko statt – die kindliche Imagination als machtvolle, treibende Kraft des Guten und der Freundschaft. Anders als internationale Produktionen wie Pan’s Labyrinth oder The Fall, die im Grunde eine sehr ähnliche Botschaft formulierten, richtet sich Lippels Traum vornehmlich an ein junges Publikum.

Ohne jemals den pädagogischen Zeigefinger zu erheben, lernen Kinder hier so ganz nebenbei den richtigen Umgang mit ihren Ängsten. Einzig in der Konfrontation – das erkennt Lippel, nachdem er sich mit viel Überwindung erstmals in den verhassten, dunklen Keller gewagt hat – liegt der Schlüssel zu einem größeren Selbstvertrauen. Das kann er im nächsten Moment dann auch gleich unter Beweis stellen. Zusammen mit seinen Schulfreunden schickt er den Hausdrachen in die Wüste. Und das ist in diesem Fall durchaus wörtlich zu verstehen.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Oktober 01, 2009

Die nackte Wahrheit - Das Männer-und-Frauen-Problem


USA 2009

++1/2

Die Karrierefrau, die über ihren stressigen Job alles andere vergisst, ist als beliebtes Stereotyp im Komödienfach längst fest etabliert. In der Judd-Apatow-Produktion Beim ersten Mal bekam es eine ebensolche „Mrs. Perfect" mit einem ganz und gar nicht perfekten Couch Potatoe, alkoholindizierten Sex und dessen nach wenigen Monaten sichtbaren Spätfolgen zu tun. Schon damals überzeugte Grey's Anatomy-Star Katherine Heigl in der Rolle der taffen, erfolgreichen TV-Journalistin mit Bindungsschwierigkeiten. Eine ganz ähnliche Figur spielt sie auch zwei Jahre später in Die nackte Wahrheit, der neuesten romantischen Komödie, mit der Hollywood uns zu beglücken versucht. Weiterlesen.