Samstag, März 28, 2009

Religulous - Ohgottohgott


USA 2008

++1/2

US-Comedian und Talk-Show-Moderator Bill Maher hat die Religion als Wurzel allen Übels identifiziert. Zumindest glaubt er das, wie sein in Religulous dokumentierter „Kreuzzug“ belegt. In zahlreichen Gesprächen führt Maher religiösen Würdenträgern, Gläubigen und Experten auf den Zahn. Immer unter dem Vorwand, nur Fragen zu stellen, verstricken sich seine Gesprächspartner nicht selten in abstruse Widersprüche. Das macht aus der im Michael-Moore-Stil gehaltenen Dokumentation eine bisweilen recht unterhaltsame Satire, bei der Polemik groß und Information klein geschrieben wird.

Filmkritik:


In den USA zählt Bill Maher zu den profiliertesten Talkshow-Moderatoren und Kabarettisten. Einem großen Publikum wurde er durch die inzwischen eingestellte Late-Night-Show „Politically Incorrect“ bekannt, aber auch als Stand-up-Comedian, Schriftsteller und Kommentator betätigte sich Maher in den vergangenen Jahren. Heute moderiert der Sohn einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters die wöchentliche Talk-Show Real Time. Maher nimmt nur selten ein Blatt vor den Mund. Seine oftmals beißende Satire richtet sich sowohl gegen staatliche Institutionen als auch gegen Doppelmoral, Heuchlerei und religiösen Fanatismus. Überhaupt greift der bekennende Agnostiker nur zu gerne das Thema Religion auf – so auch in seiner aktuellen Kino-Dokumentation Religulous.

Darin begibt sich Maher auf eine globale Exkursion, die ihn ausgehend von seiner Heimat USA zu einigen der wichtigsten Orte der großen monotheistischen Weltreligionen führt. Er besucht den Vatikan, wo die Türen für ihn allerdings verschlossen bleiben, den Tempelberg in Jerusalem und die antike Stätte Megiddo, wo laut der Offenbarung des Johannes die endzeitliche Schlacht zwischen Gut und Böse stattfinden wird. Weitere Abstecher führen ihn nach Utah, der Hochburg des Mormonentums, Amsterdam und in den Freizeitpark „Holy Land“ bei Orlando. Überall verwickelt er seine Gesprächspartner, darunter viele geistliche Würdenträger und Gläubige, in teils kontroverse, teils entlarvende Diskussionen über die Bedeutung des Glaubens, Widersprüche zwischen Religion und Wissenschaft sowie religiöse Moralvorstellungen. Maher gibt sich dabei nicht mit einfachen Erklärungen zufrieden. Er hakt nach, widerspricht und kommentiert.

Unter der kreativen Leitung von Borat-Regisseur Larry Charles zielt Mahers entgegen aller Beteuerungen ganz und gar subjektiver „Kreuzzug“ vor allem auf Pointen. Die Interviews werden immer wieder von kurzen Einspielern oder Videoclips unterbrochen, die Mahers Gegenüber wahlweise als bigotten Frömmler oder reaktionären Fanatiker zu entlarven versuchen. Auf recht ähnliche Weise funktionieren die Filme eines Michael Moore. Wie dieser zeigt sich auch Maher nur selten offen für andere Meinungen, was schade ist, schließlich überraschen doch manche seiner Gesprächspartner wie der Leiter des Vatikan-Observatoriums Pater George Coyne oder der Vatikan-Vertreter Reginald Foster mit ihren aufgeklärten Ansichten. So spricht sich Foster entschieden gegen die von manchen Evangelikalen propagierte wörtliche Auslegung der Bibel mitsamt ihrer Evolutions-feindlichen Kreationismus-Lehre aus.

Für eine wirklich kritische wie informative Auseinandersetzung mit den sensiblen Themen Religion und Glauben eignet sich Religulous aufgrund seiner Polemik nur sehr eingeschränkt. Der Film ist durch und durch Satire und fühlt sich als solche vornehmlich der Unterhaltung verpflichtet. Auf diesem Gebiet funktioniert er dann auch über weite Strecken recht ordentlich. Die Impressionen aus dem Freizeitpark „Holy Land“, wo mehrmals täglich das Leben Jesu als Musical Auferstehung feiert, sind an bizarrem Christen-Kitsch kaum zu überbieten. Zu den weiteren Höhepunkten zählt Mahers Unterhaltung mit einem „geläuterten“, ehemals schwulen Pfarrer, der fortan andere Homosexuelle mit Hilfe der Bibel auf den vermeintlich einzig rechten Pfad zurückführt (Leitmotto: „Homosexuality can change!“).

Zum Ende hin schlägt der Film zunehmend ernste Töne an. Die Menschheit, das ist Mahers feste Überzeugung, muss sich von Religion und Irrglauben emanzipieren. Ansonsten drohe die Welt in Chaos zu versinken. Religion sei gefährlich, weil sie uns Nonsens als unumstößliche Wahrheiten verkaufe und den Menschen nicht zur kritischen Reflexion erziehe. Wenn Maher diese Schlussworte spricht, scheint er sich seiner Sache sehr sicher zu sein. So sicher wie jene, die sich auf das Wort Gottes berufen.

Erschienen bei Programmkino.de.

Mittwoch, März 25, 2009

Spritztour - Let's get nasty


USA 2008

++1/2

Witze über verpickelte Teenager, White-Trash-Feeling und reichlich nackte Tatsachen: Dieser pubertäre Road-Movie-Trip arbeitet intensiv an der Absenkung des allgemeinen Kulturniveaus - und das mit großem Erfolg. Weiter geht's auf evolver.

Freitag, März 20, 2009

Die Herzogin - Freigeist und Party-Girl


GB 2008

++1/2

Heute würde sie von der Presse wahrscheinlich als „It-Girl“ hofiert. Georgiana, Herzogin von Devonshire, verdrehte der englischen Aristokratie Ende des 18. Jahrhunderts gehörig den Kopf. Ihre wohl überlegte Charmeoffensive blieb nicht ohne Folgen, wie Saul Dibbs opulent ausgestattetes Period Piece Die Herzogin beweist. In der Rolle der adeligen Rebellin stellt Keira Knightley die bisweilen recht vertraute Geschichte in den Schatten.

Filmkritik:

Wir schreiben das Jahr 1774. Während in Frankreich bereits erste Vorboten der Revolution am Horizont aufziehen, vergnügt sich der britische Adel davon unbeeindruckt weiterhin bei rauschenden Festen und prunkvollen Bällen. Die Probleme der royalen Kaste nehmen sich verglichen mit denen des einfachen Volkes reichlich banal aus. Da zerbrechen sich die Damen über die Wahl der Abendgarderobe ihren Kopf, wohingegen die Herren nur darauf aus sind, einen männlichen Nachkommen zu zeugen. Auch für William Cavendish (Ralph Fiennes), dem fünften Herzog von Devonshire, hat der Wunsch nach einem Stammhalter oberste Priorität. In einer arrangierten Hochzeit ehelicht er die deutlich jüngere Georgiana (Keira Knightley), eine geborene Spencer, die dadurch zur Herzogin von Devonshire aufsteigt. Zu Georgianas Aufgaben gehört es, ihren Gatten bei offiziellen Anlässen zu begleiten.

Sie gibt sich selbstbewusst und emanzipiert, was ihr Mann ebenso wie die Liaison mit dem Jung-Politiker Charles Grey (Dominic Cooper) zunehmend argwöhnisch beobachtet. Dass sie ihm statt des erhofften Thronfolgers „lediglich“ zwei Töchter schenkt, treibt ihn schließlich in die Arme von Lady Elisabeth „Bess“ Foster (Hayley Atwell). Es dauert nicht lange und der ersehnte Nachwuchs stellt sich ein. Jedoch kann und will Georgiana eine solche Dreiecksbeziehung nicht tolerieren. Sie sucht fortan Liebe und Bestätigung bei Grey, mit dem sie einige wahrhaft glückliche Stunden verlebt.

Man muss kein Kenner royaler Gepflogenheiten sein, um in der höfischen Amour fou gewisse Parallelen zu den heutigen Geschichten der Yellow Press zu entdecken. Der Herzog von Devonshire hatte seine Bess, Prince Charles wiederum seine Camilla und auch Lady Di, die wie Georgiana der einflussreichen Spencer-Dynastie entstammte, war erwiesenermaßen kein Kind von Traurigkeit. Saul Dibbs Kostüm-Drama spielt gekonnt mit dieser moralischen Ambivalenz. Dabei lebt der Film zu einem Großteil von der schillernden Persönlichkeit seiner Titelheldin, die gegen den herrschenden, stark patriarchalisch geprägten Moralkodex rebellierte. Dass ihr Aufbegehren letztlich erfolglos blieb und sie sich dem Willen ihres Mannes unterzuordnen hatte, darin liegt die Tragik dieser mit viel Prunk und Glanz erzählten Geschichte.

Der Vergleich mit Sofia Coppolas Marie Antoinette – einer anderen Produktion über ein reiches und doch so armes Mädchen des 18. Jahrhunderts – drängt sich förmlich auf. Abseits ihrer exponierten Frauenfiguren trennt beide Filme auf formaler Ebene jedoch mehr, als sie verbindet. Wo Coppola das oftmals angestaubte Genre des Kostümfilms mit punkingen Farbakzenten und Pop-Songs von Air und New Order einem erfrischenden Facelift unterzog, gibt sich Die Herzogin typisch britisch, sprich konservativ und traditionell.

Aber auch wenn an verschwenderischen Kostümen und opulenten Sets wahrlich nicht gespart wurde, sind es keineswegs allein die Schauwerte, die Dibbs Zeitgemälde tragen. Ohne eine ungemein selbstsicher aufspielende Keira Knightley, die ein besonderes Faible für historische Stoffe mitzubringen scheint, liefe der Film vermutlich Gefahr, alsbald in Vergessenheit zu geraten. Immerhin ist seine Geschichte um Eifersucht und gekränkte Eitelkeit zu einem gewissen Grade austauschbar. Ganz und gar nicht austauschbar sind dagegen die Blicke, die sich Knightley und ihr Filmpartner Ralph Fiennes am sechs Meter langen Esstisch zuwerfen. Sie erzählen, was kein Dialog auszudrücken vermag.

Für Programmkino.de.

Montag, März 16, 2009

Der Kaufhaus-Cop - Auch Zwerge werfen lange Schatten


USA 2008

+1/2

Mit Kevin James scheint das amerikanische Mainstream-Kino seine neue komödiantische Allzweckwaffe gefunden zu haben. Der „King of Queens“-Mime, der im Kino bislang nur als Co-Star eine Einsatzerlaubnis bekam, darf in Der Kaufhaus-Cop als tollpatschiger und stets liebenswerter Möchtegern-Ordnungshüter Paul Blart erstmals eine Produktion ganz alleine stemmen. Die übrige Besetzung besteht nämlich aus mehr oder weniger Unbekannten. James ist das Zugpferd. Und als solches macht er eine überaus gute Figur wie auch das bisherige Einspielergebnis in den USA von 140 Mio. US-Dollar beweist.

Die Story ist schnell umrissen. Eigentlich träumte Paul von einer Karriere im Polizeidienst. Gereicht hat es letztlich aber nur für einen Job als Hilfs-Sheriff in einem Einkaufszentrum, wo er tagein, tagaus auf seinem schnittigen Elektroroller unterwegs ist und sich mit Ladendieben oder hilfsbedürftigen Senioren herumschlagen muss. Als eine Bande zu allem entschlossener Einbrecher die Mall überfällt und mehrer Kunden wie Angestellte in Geiselhaft nimmt, schlägt Pauls große Stunde. Endlich kann er beweisen, dass in ihm ein richtiger Polizist steckt.

Die bittere Wahrheit ist, dass Der Kaufhaus-Cop als unverfängliche Komödie auf ganzer Linie versagt. Den zumeist kreuzbraven Gags fehlt jede Frische, jeder Überraschungsmoment. Dummerweise waren die wenigen brauchbaren Ideen bereits allesamt im Trailer zu sehen, so dass sich für Kenner der Vorschau ein Kinobesuch erst Recht erübrigt. Die jederzeit vorhersehbare Handlung zieht sich darüber hinaus wie Kaugummi. Und dabei dauert der ganze „Spaß“ inklusive Abspann gerade einmal 90 Minuten. Wahrlich eine reife Leistung. Allein Kevin James, der sanfte Koloss mit eingebauter Gutelaune-Garantie, mildert mit seiner Star-Persona manch schalen Drehbucheinfall etwas ab. Das und die netten Stirb langsam-Referenzen sind dann auch das einzige, was an diesem seelenlosen Unterhaltungs-Vehikel halbwegs goutierbar ist.

Donnerstag, März 12, 2009

The Fall - Bilder aus 1001er Nacht


IND/UK/USA 2006

+++1/2

Am Anfang war das Bild. Zumindest im Kino. Noch bevor Filme einen Ton, einen Soundtrack und gesprochene Dialoge erhielten, begeisterte das Medium die Menschen mit nichts anderem als einer Vielzahl von Bildern. Das Kino erschuf eine neue Illusion. Von Bewegung, von Dynamik und von einer anderen Realität jenseits der weißen Leinwand. Über 100 Jahre nach der Geburtsstunde des Stummfilms sind wir heute nahezu überall von bewegten Aufnahmen umgeben. Da überrascht es nicht, dass die Faszination für Film und Kino nicht mehr dieselbe ist. Auch weil vieles schon zu oft gezeigt und inszeniert wurde.

Wie wunderbar ist es da, wenn ein Film die ausgetretenen Pfade verlässt. THE FALL hat das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Der Film beschwört die Magie des Kinos in ganz neuen Bildern und Kompositionen. Hinter dem Mammutprojekt, das eine Produktionszeit von vier Jahren verschlang, steckt der indischstämmige Film- und Videokünstler Tarsem. Künstler dürfte in diesem Zusammenhang wohl die richtige Umschreibung sein, ist Tarsem doch weit mehr als ein Regisseur, der nur das inszeniert, was andere sich für ihn ausgedacht haben. Anfang der neunziger Jahre machte er erstmals mit Musikvideos für R.E.M. und Deep Forest von sich Reden. Sein eigenwilliger Stil garantierte, dass Videos wie „Losing my Religion“ bis heute zitiert und kopiert werden. Bei seinem ersten Filmprojekt, dem Thriller THE CELL mit Jennifer Lopez, transferierte er seine künstlerische Vision in die perverse und verquere Gedankenwelt eines Serienkillers. Heraus kam ein visueller Albtraum, der zu gleichen Teilen zu faszinieren und schockieren wusste.

In THE FALL bot sich ihm nun erneut die Gelegenheit, unbekanntes Terrain zu erkunden und eine neue Welt zu erschaffen. Der Film führt uns zu den Anfängen des Kinos zurück. Bereits in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts riskierten tollkühne Stuntleute ihr Leben und ihre Gesundheit. Auch Roy (Lee Pace) ist ein solcher Hasardeur. Obwohl andere den Applaus ernten, liebt er seine Arbeit. Als er sich jedoch bei einem riskanten Stunt schwere Verletzungen zuzieht und zu allem Überfluss seine große Liebe mit einem bekannten Stummfilm-Star durchbrennt, verlässt ihn der Lebensmut. Roy denkt an Selbstmord. In diesem Augenblick lernt er im Krankenhaus die kleine Alexandria (Catinca Untaru) kennen. Das Mädchen fasst schnell Vertrauen zu dem ans Bett gefesselten Roy. Nicht ohne Hintergedanken beginnt dieser seiner Besucherin schon bald eine fantasiereiche Abenteuergeschichte um fünf sehr unterschiedliche Helden zu erzählen. Darin begeben sich der schwarze Krieger und Ex-Sklave Otta Benga (Marcus Wesley), der Sprengstoffexperte Luigi (Robin Smith), Charles Darwin (Leo Bill), ein geheimnisvoller Inder (Jeetu Verma) und ein maskierter blauer Bandit (Lee Pace zum Zweiten) gemeinsam auf einen Rachefeldzug gegen den korrupten, verhassten Gouverneur Odious (Daniel Caltagirone).

Die Suche nach dem Bösewicht dient THE FALL als roter Faden für eine bildgewaltige Reise durch ein fiktives Land, das in einer Szene an ein tropisches Paradies und wenig später an ein orientalisches Königreich erinnert. Roys Erzählungen werden dabei immer wieder von kleineren Episoden aus dem Krankenhausalltag unterbrochen, in denen vor allem die Beziehung zwischen dem lebensmüden Stuntman und der achtjährigen Alexandria im Mittelpunkt steht. Dass die rumänische Kinderdarstellerin Catinca Untaru zu Beginn der Dreharbeiten kein einziges Wort Englisch konnte, mag man kaum glauben, so natürlich und unbekümmert spielt sie ihren Part.

Der Clou an THE FALL liegt in der besonderen Erzählperspektive, die der Film einnimmt und die sich aus der Kombination von Roys Geschichte mit Alexandrias Vorstellungskraft ergibt. Auch wenn ein Erwachsener als Erzähler auftritt, sind die Bilder letztlich ein Produkt kindlicher Imagination. Das führt mitunter zu höchst amüsanten Missverständnissen, beispielsweise als Roy von einem „Indian“ erzählt und damit einen Indianer meint, Alexandria sich aber einen Inder samt Turban und imposanten Schnurrbart vorstellt. Dass viele Darsteller gleich in zwei verschiedenen Rollen auftauchen, ist ebenso wenig ein Zufall. Im weiteren Verlauf nähern sich die reale und die erdachte Welt immer weiter an bis beide schließlich miteinander verschmelzen.

Nun ist THE FALL aber keine intellektuelle Fingerübung und Tarsem nicht Charlie Kaufman. Er will nicht dozieren sondern uns in Erstaunen versetzen. Dazu gehören unvergessliche Bilder wie die der blauen Stadt Jodhpur, Szenen wie die der Hochzeit inmitten tanzender Derwische oder die spektakulären Aufnahmen eines schwimmenden Elefanten. In jedem Moment gibt es soviel zu entdecken, seien es die bizarren Schönheiten der Natur oder architektonische Meisterleistungen, die es so im Kino noch nie zu sehen gab. Ohne dabei Roys Geschichte und die der fünf tapferen Helden zu vergessen, entwickelt sich der Film Szene für Szene zu einem echten Sinnesrausch. Bereits die in schwarz-weiß gehaltene Titelsequenz lässt einem den Atem stocken. Derart elegant verpackt beschwört THE FALL ebenso eindrucksvoll wie schon Guillermo del Toros Fantasy-Märchen PANS LABYRINTH die Macht der Fantasie und die Freiheit unserer Gedanken. Gewissermaßen als Zugabe hält Tarsems Geniestreich am Ende noch eine bewegende Verbeugung vor den vergessenen Helden des Kinos bereit.

Wer THE FALL gesehen hat, kann sich kaum vorstellen, wieso der Film erst jetzt, zwei Jahre nach seiner Europa-Premiere auf der Berlinale, die mehr als verdiente Kinoauswertung erhält. Protegiert von David Fincher und Spike Jonze ist THE FALL endlich dort angekommen, wo er ohne jeden Zweifel hingehört.

Erschienen in DEADLINE#13.

Mittwoch, März 11, 2009

Deadline #14 - Ab dem 13. März im Handel


Und schon wieder sind zwei Monate vergangen. Ab kommenden Freitag kann die neue Deadline an ausgewählten Kiosken käuflich erworben werden. Von mir gibt es darin eine Besprechung zu Danny Boyles Oscar-Abräumer Slumdog Millionär.

Zum weiteren Inhalt:

Titelstory: MY NAME IS BRUCE
Inklusive Interview mit Bruce Campbell

Breitwand - jetzt im Kino
PUBLIC ENEMY NO. 1
Inklusive Interview mit Vincent Cassel
SLUMDOG MILLIONÄR
Inklusive Interview mit Danny Boyle
ROCKNROLLA
WATCHMEN – DIE WÄCHTER
X-MEN ORIGINS – WOLVERINE-Preview
THE UNBORN
CRANK 2: HIGH VOLTAGE-Preview
DIE REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE
KNOWING-Preview

Es gibt vermutlich schlechtere Wege, 6 Euro zu investieren.

Sonntag, März 08, 2009

The Unborn - Kreativer Minimalismus


USA 2008

+

David S. Goyer hat als Drehbuchautor an Genre-Glanzstücken wie Batman Begins, The Dark Knight und dem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Dark City mitgewirkt. Als Regisseur fällt seine Bilanz hingegen weitaus weniger überzeugend aus. Nach dem zumindest kommerziell halbwegs erfolgreichen Blade:Trinity drehte er mit The Invisible einen mehr als müden Supernatural-Thriller, der auch beim Publikum größtenteils durchfiel. Für sein neuestes Projekt, The Unborn, zeichnete sich Goyer wiederum als Autor und Regisseur verantwortlich.

Die Geschichte klingt recht vertraut. Die junge College-Studentin Casey (Odette Yustman) wird seit kurzem von merkwürdigen Visionen heimgesucht. Ein kleiner Junge mit seltsam entstelltem Gesicht lauert ihr immer öfter in ihren Träumen und Gedanken auf. Schon bald verfolgt er sie unablässig bei Tag und bei Nacht. Casey will der Ursache für diese Erscheinungen auf den Grund gehen. Dabei erfährt sie, dass sie einen Zwillings-Bruder hatte, der noch im Mutterleib starb. Nun sieht es so aus, als sei dessen rastlose Seele zurückgekehrt, fest entschlossen, das Leben seiner Schwester zu zerstören. Für Casey erscheint dadurch plötzlich der Selbstmord ihrer Mutter in einem ganz anderen Licht. Bei ihrer Suche nach Antworten kommt sie schließlich mit einem jüdischen Volksglauben in Kontakt, der das Unerklärliche zu erklären vermag.

Wer nach dem Lesen dieser Inhaltsangabe kein Déjà-vu bekommt, der kennt augenscheinlich keine asiatischen Gruselmärchen wie The Grudge, A Tale of Two Sisters oder Shutter. In der Tat macht vieles von dem, was uns Goyer in The Unborn auftischt, einen etwas verstaubten, zusammen geklauten Eindruck. Neben den zitierten Asiaten steckt natürlich auch eine gute Portion Der Exorzist in der weitgehend überraschungsfreien Story. Dazu passend endet die Geisterjagd - wie sollte es auch anders sein - in einer unter großem Geschrei und Tohuwabohu durchgeführten Dämonenaustreibung, bei der sich die schöne Odette Yustman genüsslich die Seele aus dem Leib schreien darf. An „Scream Queens“ wie Jamie Lee Curtis oder Jennifer Carpenter, die in Der Exorzismus der Emily Rose die Soundanlage bis an die Grenze der Belastbarkeit reizte, kommt sie allerdings nicht heran.

Goyer lässt zudem kein Klischee im Zusammenhang mit okkulten Mystery-Geschichten aus. Die Schockmomente laufen stets nach dem gleichen, auf Dauer reichlich monotonen Muster ab. Fortwährend taucht der tot geglaubte Satansbraten als Reflexion in einem Spiegel, als ekliges Insekt oder ganz realer Albtraum in Caseys Umgebung auf. Nirgendwo kann sie sich mehr sicher fühlen. Egal ob beim Jogging oder bei der Zubereitung des Frühstücks, „Jumby“ - so der Name des Dreikäsehochs - beobachtet sie auf Schritt und Tritt. Der seit Der Exorzist unzählige Male kopierte Krebsgang, bei dem sich die Arme, Beine und der Kopf der Opfer seltsam verdrehen, rundet das „Best of“ bekannter Gruselelemente standesgemäß ab.

Offenbar war Goyer sich der mangelnden Eigenständigkeit seiner Dämonenmär bewusst, weshalb er ein bisschen jüdische Folklore - gewissermaßen als exotisches Add-on - hinzufügte. Letztlich ist das Ganze aber auch nicht mehr als eine simple Umetikettierung. Aus dem Dämon wird sodann der Dibbuk, nach jüdischem Glauben die Seele eines Toten, die keine Ruhe findet und daher von den Lebenden Besitz ergreift. Ein in diesem Film chronisch unterforderter Gary Oldman übernimmt zusammen mit der vierfach Oscar-nominierten Jane Alexander den Part des personifizierten Wikipedias, der Casey und uns über die kulturellen wie religiösen Ursprünge des Dibbuk-Mythos in Kenntnis setzt. Irgendwie haben auch die Nazis wieder einmal ihre Finger im Spiel, was manch peinliche, weil keineswegs ehrlich gemeinte, melodramatische Wende nach sich zieht.

The Unborn gefällt sich dabei, lediglich altbekanntes Neu aufzuwärmen und in mitunter recht stilvollen Aufnahmen auszustellen. Der gerade bei Geister-Geschichten oftmals schmale Grat zwischen wohligem Grusel und unfreiwilliger Komik wird Goyer allerdings des Öfteren zum Verhängnis. Wenn Oldmans Rabbi beim finalen Exorzismus ein hornähnliches Musikinstrument namens Schofar herausholt, um dem Dibbuk den Marsch zu blasen, muss man schon sehr an die Existenz von Dämonen und Geister glauben, um nicht im nächsten Moment lauthals loszulachen. Zum cleveren Vermarktungskonzept gehört es, dem männlichen Publikum Odette Yustman in weißer Feinripp-Unterwäsche zu präsentieren (und das am besten gleich auf dem Filmplakat), während die Mädels mittels Twilight-Star Cam Gigandet ins Kino gelockt werden sollen. Allzu große Hoffnungen sollte man sich indes jedoch nicht machen. Wie es sich für einen in den USA mit „PG-13“ freigegebenen Film gehört, haben nackte Tatsachen und schmutziger Sex in The Unborn nichts verloren.

Erschienen bei BlairWitch.

Mittwoch, März 04, 2009

The Fall - Trailer zum Kinostart

Am 12. März läuft endlich das bildgewaltige Fantasy-Epos THE FALL (im Verleih von Capelight Pictures) in ausgewählten Kinos an. Rechtzeitg zum Kinostart wird es an hier eine ausführliche Besprechung geben. Vorab aber schon einmal der Trailer, der hoffentlich Lust auf dieses ungewöhnliche Märchen macht.

Montag, März 02, 2009

Gran Torino - Der alte Mann und das junge Amerika


USA 2008

+++1/2

In Gran Torino kehrt Clint Eastwood als gealterter “Dirty Harry” auf die Leinwand zurück. Zumindest scheint die Figur des grantelnden Misanthrops Walt Kowalski von Eastwoods Paraderolle spürbar beeinflusst worden zu sein. Der ganz auf ihn zugeschnittene Film entwickelt aus einer zunächst alltäglichen Nachbarschaftssituation ein kraftvolles und überzeugendes Plädoyer für Verständigung und Zivilcourage.

Filmkritik:

Sollte die Rolle des raubeinigen, misanthropischen Korea-Veterans Walt Kowalski tatsächlich Clint Eastwoods letzter Auftritt vor einer Filmkamera gewesen sein? Man kann diese Entscheidung wehmütig beklagen oder sich ganz einfach freuen, den alten Haudegen nochmals in „Dirty Harry“-Manier zu erleben. Denn auch der gute Walt ist anfangs alles andere als ein Anhänger der Political Correctness. Selbst wenn dieser nicht gleich zur Waffe greift und das Gesetz in die eigene Hand nimmt, so macht er doch aus seinen – vorsichtig formuliert – verqueren Ansichten nie ein Geheimnis. Vor allem der beständige Zuzug von Nicht-Weißen in die einst nur von Weißen bewohnte Nachbarschaft ist ihm ein Dorn im Auge.

Mit Argwohn beobachtet er daher, wie im Haus nebenan eine asiatische Großfamilie einzieht. Deren liebste Freizeitbeschäftigung scheinen ausladende Familienfeste zu sein. Obwohl er von ihnen auch dazu eingeladen wird, bleiben sie für Walt nur einige Wilde ohne Kultur und Manieren. Seine Aversion gegen alles Fremde resultiert nicht zuletzt aus Erfahrungen, die er seit dem Krieg in Korea mit sich herumträgt und über die er nur ungern spricht. Noch heute verfolgen ihn die Erinnerungen an das grausame Sterben auf dem Schlachtfeld. „Sie haben mehr über den Tod als über das Leben zu sagen“ bringt der junge Gemeindepfarrer (Christopher Carley) Walts emotionales Dilemma in einer Szene auf den Punkt. Die Situation spitzt sich zu, als er den Nachbarsjungen (Bee Vang) dabei erwischt, wie dieser sein Heiligtum, einen 1972er Gran Torino, zu entwenden versucht. Thao ist sichtlich eingeschüchtert von der Entschlossenheit des alten Herrn, der ihm unmissverständlich klar macht, dass die Sache mit dem Autoklau keine allzu gute Idee war.

Gran Torino folgt wie schon Eastwoods letzte Arbeiten Million Dollar Baby und Der fremde Sohn den Regeln eines ruhigen, angenehm altmodischen Erzählkinos. Den gediegenen, atmosphärischen Bildern von Kameramann Tom Stern entgeht nichts. Und auch Eastwoods Spiel bleibt bei allen Anleihen an den bisweilen karikaturistischen Prototyp eines rassistischen Nörglers überaus nuancenreich und vielschichtig. Während seine Mimik meist an einen gewissen Harry Callahan erinnert, sind es die Augen, die verraten, was tatsächlich in ihm vorgeht. Nachdem Thaos ältere Schwester Sue (Ahney Her) ihn aus Dankbarkeit für seine Hilfe in einer misslichen Lage zu einer Familienfeier einlädt, bleibt Walt äußerlich gefasst. Doch in seinen Augen erkennt man, dass ihn der enge Zusammenhalt und das liebevolle Miteinander von Alt und Jung tief bewegt, gerade weil er etwas Vergleichbares in der eigenen Familie nie selber erfahren durfte.

An der Richtung, die Gran Torino einschlägt, lässt der Film nie einen Zweifel aufkommen. Spätestens als Walt den unsicheren Thao unter seine Fittiche nimmt und so etwas wie väterliche Gefühle für den Jungen entwickelt, gerät sein aus unzähligen Vorurteilen zusammen gesetztes Weltbild ins Wanken. Am Ende ist es gar ganz eingestürzt, ohne dass Walt gleich ein vollkommen neuer Mensch wäre. Nach wie vor tut er das, was er für richtig erachtet – unbeirrbar und kompromisslos. Das führt zu einer sicherlich kontroversen Klimax, die auf elegante Art unsere eigenen Erwartungen unterläuft und gleichzeitig zutiefst berührt.

An Eastwoods Seite geben die beiden Nachwuchsdarsteller Bee Vang und Ahney Her in Gran Torino ihr Filmdebüt. Dass es ihnen gelingt, neben Eastwood nicht wie bloße Stichwortgeber zu wirken, sagt viel über ihr Talent und ihren schauspielerischen Qualitäten aus. Gran Torino ist ein kleiner, fokussierter Film mit einer klaren Agenda. Dabei ist er keinesfalls frei von Schwächen. Insbesondere Walts vergleichweise schneller Sinneswandel, sein plötzlicher Bruch mit rassistischen Ressentiments, erscheint nur bedingt glaubwürdig. Letztlich werden aber auch diese Kritikpunkte von Eastwoods Präsenz und der seiner jungen Mitstreiter aufgefangen. Harry mag in die Jahre gekommen sein. Er mag manches nun anders sehen. Ganz sicher schlägt sein Herz aber auch weiterhin für die Schwachen und Unterdrückten.

Für Programmkino.de.