Donnerstag, April 30, 2009

Spiel der Träume (Machan)


Sri Lanka/D/I 2008

++1/2

Uberto Pasolini, Produzent der Erfolgskomödie Ganz oder gar nicht, hat augenscheinlich ein Herz für Underdogs. Spiel der Träume erzählt die wahre, geradezu abenteuerliche Geschichte der ersten inoffiziellen Handball-Nationalmannschaft Sri Lankas. Auf Einladung des Deutschen Handball-Bundes reisen die Spieler zu einem Turnier nach Bayern. Dabei haben sie von Handball nicht die geringste Ahnung. Pasolinis Film setzt auf Authentizität und vermischt auf bewährte Weise Ethno-Comedy mit Globalisierungskritik.

Filmkritik:

Dafür dass Not erfinderisch macht, sind Stanley (Dharmapriya Dias) und sein Kumpel Manoj (Gihan De Chickera) der beste Beweis. Beide wollen der Armut ihrer Heimat Sri Lanka entfliehen und im Westen ihr Glück versuchen. Doch der Traum von einem besseren Leben scheint ausgeträumt, ehe er überhaupt beginnen konnte. Nicht nur, dass ihre Visa-Anträge allesamt abgelehnt werden, sogar der Schlepper, der sie eigentlich gegen ein üppiges Salär auf dem Seeweg nach Europa bringen sollte, lässt die Freunde kurzerhand im Stich. Nur durch Zufall entdecken Stanley und Manoj in der Tageszeitung einen Aufruf des Deutschen Handball Bundes. Für ein Turnier in Bayern sucht dieser ein Team aus Sri Lanka. Obwohl sie selber kein Handball spielen und anfangs noch nicht einmal die Regeln kennen, geben sie sich als das Nationalteam ihres Landes aus. Und tatsächlich: Schon wenig später halten sie bereits eine Einladung nach Deutschland in ihren Händen.

Würde die Geschichte nicht auf einem wahren Vorfall aus dem Jahr 2004 beruhen, man wäre vermutlich geneigt, den Autoren eine allzu lebhafte Fantasie zu unterstellen, derart absurd klingt die ganze Aktion. Noch unglaublicher erscheint es, dass die bunt zusammen gewürfelte Truppe mit ihrem dreisten wie sympathischen Coup zunächst keinerlei Misstrauen erregte. Erst nach drei absolvierten Spielen traten die deutschen Behörden schließlich auf den Plan – zu spät, wie sich herausstellte. Kurz zuvor hatten Stanley, Manoj und die Anderen ihr Quartier verlassen. Wohin es sie verschlug, ist nicht bekannt. Bis heute fehlt von den 23 Männern jede Spur.

Nachdem Regisseur Uberto Pasolini in den neunziger Jahren als Produzent der britischen Sozialkomödie Ganz oder gar nicht seinen bislang größten Erfolg feierte, kehrt er nun mit einer anderen, gar nicht so unähnlichen Underdog-Geschichte zurück. Auch Machan (der Titel verweist auf das singhalesische Wort für Freund oder Kumpel) erzählt von Menschen, die der Wunsch nach einem würdevollen Leben antreibt und die hierüber allmählich ihre Kreativität und ihren Mut entdecken. Die Männer aus Colombo sind nüchtern betrachtet illegale Einwanderer, aber dennoch hofft, fühlt und lacht man mit ihnen. Und man freut sich am Ende, wenn sie gerade noch rechtzeitig dem Zugriff der deutschen Polizei entkommen.

Der indische Subkontinent, zu dessen Einzugsgebiet auch Sri Lanka gehört, ist dank der britisch-indischen Co-Produktion Slumdog Millionär endgültig im Kino-Mainstream des Westens angekommen. Auch Pasolinis Arbeit profitiert von dem plötzlich entfachten Interesse für Filme aus der Region, wobei sich sein „Machan“ nicht mit der optischen Brillanz und erzählerischen Raffinesse des vierfachen Golden Globe-Preisträgers messen kann. Dafür zeigt Pasolini die Armenviertel von Colombo ohne die bei Boyle bisweilen spürbare Slum-Romantik. Leider schleppt sich die Handlung gerade im ersten Filmdrittel etwas zäh dahin. Pasolini lässt einfach zuviel Zeit verstreichen bis die Operation „Nationalmannschaft“ endlich anläuft. Diesen Leerlauf kann selbst das glänzend aufgelegte Ensemble – allesamt Schauspiel-Neulinge – nicht kaschieren.

Klingt der Plot zunächst nach einer Variante von Disneys Komödienerfolg Cool Runnings – Exoten üben sich in einer für sie exotischen Sportart –, wird schon bald deutlich, dass es Pasolini um mehr als nur Unterhaltung geht. Seine Kritik zielt auf die rigide Einwanderungspolitik des Westens. Dabei ist der Vorwurf, den Machan an dieser Stelle erhebt, so wenig neu wie die eingestreute Globalisierungskritik. Immerhin transportiert Pasolini sein Anliegen mit viel Charme und Witz, was über die recht vertraute Agenda hinwegtröstet.

Für Programmkino.de.

Dienstag, April 28, 2009

X-Men Origins: Wolverine - Backenbart im Setzkastenkino


USA 2009

+1/2

Hugh Jackman schlüpft ein viertes Mal in die Rolle, die ihm seinerzeit den internationalen Durchbruch einbrachte. Das vom Südafrikaner Gavin Hood (Tsotsi) inszenierte Mutanten-Spektakel erkundet den Ursprung des Wolverine-Mythos. Doch nach einem forschen Auftakt wird´s leider bald zu einer zähen Geisterfahrt. Weiterlesen auf evolver.

Samstag, April 25, 2009

Tage oder Stunden - Kalkulierter Amoklauf


F 2008

+++1/2

Antoine hat sich geschworen, auf nichts und niemandem mehr Rücksicht zu nehmen. Scheinbar gelangweilt von einem auf den ersten Blick perfekten Wohlstandsleben bricht er mit sämtlichen Konventionen. Nach dem eher gemütlichen, mitunter leicht kitschigen Dialog mit meinem Gärtner schlägt Regisseur Jean Becker in seinem neuen Film ganz andere Töne an. Tage oder Stunden erweckt anfangs den Eindruck einer schonungslos offenen, bitterbösen Satire. Erst später zeigt sich, dass uns Becker damit auf eine völlig falsche Fährte gelockt hat. Das Ende provoziert, erschüttert und überrascht zugleich.

Filmkritik:

Er ist der Prototyp eines egozentrischen, von sich eingenommenen Ekels. Antoine (Albert Dupontel) sagt das, was er denkt und macht das, was er für richtig hält. Doch weder seine Frau Cécile (Marie-Josée Croze) noch seine Freunde verstehen, warum sich Antoine plötzlich so verhält. Während sie ihn verdächtigt, eine Geliebte zu haben, erlaubt er sich auf der Arbeit einem Kunden gegenüber ausfallend zu werden. Ohnehin scheint ihn der Job als Mitinhaber einer Werbeagentur nur noch anzuöden. Kurzerhand wirft er die Brocken hin und kehrt der oberflächlichen Werbewelt den Rücken. Selbst die von Freunden organisierte Überraschungsparty zu seinem Geburtstag endet in einem Desaster. Antoine tritt die Flucht an. Ihn zieht es nach Irland, dorthin, wo sein Vater (Pierre Vaneck) bereits seit über dreißig Jahren ein naturverbundenes Leben führt.

Der neue Film von Jean Becker (Dialog mit meinem Gärtner) beginnt als ätzende Satire, die kein Blatt vor den Mund nimmt und einem (Anti-)Helden, der in der Rolle des geborenen Zynikers aufzugehen scheint. Vieles erinnert zunächst an den französischen Medien-Rundumschlag 39,90, dessen ätzender Blick gleichsam so manche Banalität und Verlogenheit unseres modernen Konsumverhaltens entlarvte. Antoine mag, so wie er von Becker hier eingeführt wird, ein Unsympath sein und dennoch möchten wir ihm insgeheim dafür applaudieren, dass er die nicht immer angenehmen Wahrheiten endlich offen ausspricht. Wo wir uns vielleicht aus Angst um die Konsequenzen oder aus Gründen der „Political Correctness“ um eine ehrliche Antwort drücken würden, kennt er kein Pardon. Dass er dabei immer öfter über das Ziel hinausschießt, erzeugt bisweilen aber auch Unbehagen, was sicherlich Beckers Intention entspricht.

Albert Dupontel verkörpert den augenscheinlich vom Leben gelangweilten und von einer Art Midlife-Crises erfassten Mittvierziger jederzeit glaubhaft. Hat sein Spiel zu Beginn etwas Spitzbübisches an sich, so verkehrt sich diese Haltung mit zunehmender Laufzeit in etwas Bedrohliches, fast schon Manisches, das sich zunächst nicht genau kategorisieren lässt. Wenn Antoine in Irland ankommt und seinen Vater aufsucht, kippt die Stimmung. Dort, wo Beckers Film in seiner ersten Stunde auf das satirische Element setzte, macht sich plötzlich eine tiefe Melancholie breit. Erst in den letzten Minuten enthüllt der Film schließlich seine wahren Absichten, die Antoines Verhalten und Entscheidungen rückblickend in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Obgleich diese Wende wohl kalkuliert ist und die Handlung auf sie wie auf einen schwarzen Punkt zusteuert, ist man als Zuschauer nicht wirklich vorbereitet auf das, was Tage oder Stunden in letzter Konsequenz beschreibt. Das Ende, das in einem anderen Kontext leicht zu einer manipulativen, inhaltsleeren Geste verkommen könnte, setzt ein dickes Ausrufezeichen hinter Antoines Geschichte. Der wiederum hat die Maske des Zynikers zu diesem Zeitpunkt längst abgenommen. Was genau dahinter zum Vorschein kommt, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur soviel: In jedem Fall bricht es einem das Herz, wenn ganz zum Schluss Serge Reggiani sein „Le Temps Qui Reste“ vorträgt und so einen in sich stimmigen Film auf unverwechselbare Art abrundet.

Für Programmkino.de.

Dienstag, April 21, 2009

Beverly Hills Chihuahua - Accessoire auf vier Pfoten


USA 2008

++

Was geschieht, wenn ein verhätscheltes Haustier mit der rauen Wirklichkeit außerhalb seines goldenen Käfigs konfrontiert wird? Disneys Hundekomödie Beverly Hills Chihuahua versucht sich an einer Antwort und lässt dabei kein Klischee im Verhältnis zwischen Amerikanern und ihren mexikanischen Nachbarn aus. In der Originalfassung leihen Hollywood-Stars wie Drew Barrymore und Andy Garcia den mal mehr, mal weniger niedlichen Vierbeinern ihre Stimme.

Filmkritik:

Gibt es ein Kind, das sich noch nie ein Haustier gewünscht hat? Wohl kaum. Hunde, Katzen, Meerschweinchen oder Kaninchen besitzen einfach die Lizenz zum Liebhaben. Auch im Hause Disney weiß man um die große Anziehungskraft eines knuffigen Vierbeiners auf das junge Publikum. Egal ob als Real- (Snow Dogs) oder Trickfilm (Susi und Strolch), die Rechnung des Studios ging in den meisten Fällen zumindest gemessen an den Einspielergebnissen auf. Manche Geschichten wie die der 101 Dalmatiner waren sogar so erfolgreich, dass sie gleich mehrmals verfilmt wurden. Für Beverly Hills Chihuahua, der allein in den USA bislang annähernd 100 Mio. Dollar einnahm, vertraute Disney einmal mehr dem Niedlichkeitsfaktor seiner tierischen Hauptdarsteller, die dank moderner Tricktechnik in ihrer Mimik mitunter sehr menschlich erscheinen. Hier verdrücken Hunde, wenn sie traurig sind, auch schon mal eine Träne.

Das Konzept ist hinlänglich erprobt. So überführt Beverly Hills Chihuahua lediglich das klassische „Fish-out-of-Water“-Szenario in das Genre eines Kinderfilms. In diesem Fall muss sich der verwöhnte Chihuahua Chloë (im Original gesprochen von Drew Barrymore) in einer für ihn fremden und bedrohlichen Welt zu Recht finden. Während einer spontanen Urlaubsreise nach Mexiko verliert Aushilfs-Frauchen Rachel (Piper Perabo) ihren Schützling aus den Augen. Der fällt daraufhin prompt skrupellosen Organisatoren illegaler Hundekämpfe in die Hände. In dieser scheinbar ausweglosen Situation steht dem hilflosen Chihuahua allein der mutige Delgado (Andy Garcia), ein deutscher Schäferhund, zur Seite. Dank ihm gelingt Chloë schließlich auch die Flucht, womit das Abenteuer in der Fremde eigentlich erst beginnt.

Vor allem zu Beginn feuert der Film eine satirische Breitseite in Richtung der von Luxuslabels und Schönheits-OPs infiltrierten High Society ab, in der es nicht erst seit Paris Hilton zum guten Ton gehört, seinen kleinen Liebling wie ein Accessoire in der Louis-Vuitton-Handtasche mit sich herumzutragen. Später dann setzt Beverly Hills Chihuahua ganz auf den Charme seiner tierischen Darsteller und einem für viele Ausreißer-Geschichten charakteristischen Gefühl von Freiheit und Abenteuer, mit dem sich die jungen Kinogänger identifizieren sollen. Dass dabei skizzierte Mexiko-Bild macht allerdings vor keinem noch so dümmlichen Klischee halt. Das ganze Land scheint von unfähigen Polizisten und verschlagenen Ganoven, die es auf reiche „Gringos“ abgesehen haben, bevölkert zu sein. Sieht man von diesem Ausrutscher einmal ab, so liefert Regisseur Raja Gosnell (Scooby Doo) genau das, was der Titel verspricht. Eine weitgehend sinnfreie Komödie mit sprechenden Hunden, hohem Niedlichkeitsfaktor und einem Schuss Glamour.

Für Programmkino.de.

Samstag, April 18, 2009

Unbeugsam - Defiance


USA 2008

++

Defiance folgt einer Gruppe jüdischer Widerstandskämpfer zu Zeiten des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion in die undurchdringlichen Wälder Weißrusslands. Besser bekannt als die “Bielski-Partisanen“ schlossen sich der Gruppe immer mehr Menschen an, die nur dadurch überlebten und der Deportation entgingen. Nun hat Hollywood die Geschichte für sich entdeckt. Epos-Experte Edward Zwick (Glory, Last Samurai) verschenkt deren Potenzial jedoch an eine viel zu brave Inszenierung.

Filmkritik:

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich 2009 bereits zum 64. Mal. Trotz dieser langen Zeitspanne erreichen uns immer neue Schilderungen, die das Grauen von Hitlers Vernichtungsfeldzug und das Leiden der von den Nazis systematisch verfolgten Juden dokumentieren. Zu den weniger bekannten Schicksalen zählt sicherlich auch der Überlebenskampf einer Gruppe Juden in den Wäldern im polnisch-weißrussischen Grenzgebiet. Das unwegsame Gelände diente vielen als letzte Zuflucht vor Verfolgung und Deportation. Auch den Brüdern Tuvia (Daniel Craig), Zus (Liev Schreiber), Asael (Jamie Bell) und Aron (George MacKay) Bielski bleibt nach der Ermordung ihrer Eltern keine andere Wahl, als sich in das angrenzende Waldgebiet zurückzuziehen. Dort schließen sie sich russischen Partisanen an, die mit gezielten Angriffen und Sabotageakten den Deutschen empfindliche Verluste bescheren.

Allerdings sind sich die Brüder unter einander über die Wahl der Mittel und die Legitimation mancher Racheakte nicht immer einig. Während Tuvia, der älteste und Vordenker der Gruppe, auf Mäßigung und Umsicht bedacht ist, drängt Zus auf blutige Vergeltung. Blind vor Hass beschwört er das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Mit der Zeit verbreitet sich die Nachricht ihrer Taten und ihres Mutes in der Bevölkerung. Immer mehr Menschen, darunter viele Frauen, Kinder und Alte, zieht es in den Wald, in der Hoffnung zumindest dort nicht gänzlich schutzlos zu sein. Allerdings steht die wachsende Gemeinschaft bald vor neuen Problemen. Das Essen reicht nicht mehr für alle und so müssen die ohnehin bescheidenen Vorräte streng rationiert werden. Hinzu kommt, dass der harte Winter das Überleben im Wald erheblich erschwert und sich zunehmend Krankheiten wie Typhus unter den Flüchtlingen ausbreiten.

So wenig bekannt die Geschichte der Bielski-Brüder und ihres Widerstands auch sein mag, der filmische Ansatz von Defiance erscheint dagegen reichlich konventionell, um nicht zu sagen altbacken. Regisseur Edward Zwick, der im Umgang mit historischen Stoffen nach Glory und Last Samurai eigentlich genügend Erfahrung mitbringen sollte, vertraut auf das, was schon zahlreiche andere Holocaust-Filme in recht ähnlicher Weise vorgemacht haben. Er stellt Archivaufnahmen nationalsozialistischer Kriegsverbrechen, von Massenexekutionen und Deportationen, der eigentlichen Geschichte voran. Diese verläuft wiederum in den erwarteten Bahnen. Tuvia hält anfangs als moralischer wie intellektueller Anführer die Gruppe zusammen. Dabei schlägt er in seinen viel zu noblen Ansprachen („Our act of revenge is to live!“) zumeist moderate Töne an, was vor allem bei Zus und den anderen Kämpfern auf wenig Verständnis stößt. Es kommt zum Zerwürfnis, auf das jedoch rechtzeitig die erhoffte Versöhnung folgt, wenn Zus und seine russischen Kameraden den Flüchtlingen praktisch in letzter Minute zur Hilfe eilen. Dann ist auch Zwick ganz in seinem Element. In der Tradition amerikanischer Action-Reißer wie Rambo inszeniert er den eigentlichen ungleichen Kampf zwischen schwer bewaffneter Wehrmacht und zu allem entschlossenen Partisanen.

Ohne (mindestens) eine Liebesgeschichte wäre aber auch dieser Zwick nicht komplett und so dürfen –vermutlich um den Gleichheitsgrundsatz nicht zu verletzen – gleich drei der vier Bielskis mit einer jeweils anderen Herzensdame anbandeln. Letztlich sind diese Romanzen genauso wie die überdeutlichen Anspielungen auf den Exodus mehr als entbehrlich. Das halbgare Ergebnis schmerzt besonders, weil Defiance von einem ansonsten sträflich vernachlässigten Kapitel des Holocaust erzählt. Der jüdische Widerstand findet in den meisten Filmen über das Nazi-Regime nicht statt und das, obwohl es ihn vielerorts gegeben hat. Es lässt sich nur erahnen, was ein anderer, weniger auf den Mainstream fixierter Regisseur aus der Vorlage von Nechama Tec herausgeholt hätte.

Erschienen bei Programmkino.de.

Dienstag, April 14, 2009

Radio Rock Revolution - Zurücklehnen, mitsingen, wohlfühlen


GB 2009

+++

Britisches Gute-Laune-Kino par exellence!
Nach zahlreichen romantischen Komödien widmet sich Regisseur und Autor Richard Curtis (Vier Hochzeiten und ein Todesfall, Tatsächlich…Liebe) einer anderen Herzensangelegenheit. Sein Radio Rock Revolution ist ein knallbunter, mit trockenem britischem Humor durchsetzter Spaß, der der modernen Pop- und Rockmusik ein filmisches Denkmal setzt. Der nostalgische Feel-Good-Trip wirkte augenscheinlich auch auf die Darsteller schwer ansteckend. Bill Nighy, Philip Seymour Hoffman und Kenneth Branagh zelebrieren Overacting auf höchstem Niveau.

Filmkritik:

Vier junge Männer aus Liverpool sorgten Mitte der 1960er Jahre mit ihrer Musik für eine Revolution. Heute gelten die „Fab Four“ als die Wegbereiter der modernen Pop- und Rock-Musik. Ist ihr Status inzwischen längst unumstritten, so gab es seinerzeit nicht wenige Bedenkenträger und Traditionalisten, die einen Verfall der guten Sitten befürchteten. Die britische BBC spielte in der Woche gerade einmal zwei Stunden Rock’n’roll. Glücklicherweise gab es zahlreiche private Radiosender, meist illegale Stationen, die rund um die Uhr ihr Programm mit dem füllten, was die Jugend – und nicht nur die – wirklich hören wollte.

In der neuen Komödie von Notting Hill- und Vier Hochzeiten und ein Todesfall-Autor Richard Curtis dreht sich alles um eine dieser musikalischen Freibeuter-Oasen. Der vom exzentrischen Rock’n’roll-Fan Quentin („Mr. Obercool“ Bill Nighy) geführte Radiosender hat sein Quartier auf einem Schiff mitten in der Nordsee aufgeschlagen, sehr zum Ärger der Behörden, die den Betrieb lieber heute als morgen einstellen lassen würden. Vor allem einer hat Blut geleckt. Kabinettsmitglied Dormandy (Kenneth Branagh) betrachtet es als seine ganz persönliche Aufgabe, die Musikpiraten zur Aufgabe zu bewegen. Doch dabei hat er nicht deren Ideenreichtum und Schlitzohrigkeit bedacht. Hinter Quentin steht eine bunte Truppe bedingungsloser Musik-Fanatiker, die nicht einmal im Traum daran denken, das für sie wichtigste auf dieser Welt so einfach aufzugeben. Typen wie Pausenclown Dave (Nick Frost) oder der wortkarge Mark (Tom Wisdom), der legendäre Radio-DJ „The Count“ (Philip Seymour Hoffman) oder der bärtige Grasliebhaber Bob (Ralph Brown) leben den Rock’n’roll – auf ihre Weise.

Zurücklehnen, mitsingen, wohlfühlen. So in etwa lautet das Credo von Radio Rock Revolution, der den Zuschauer auf eine nostalgische Zeitreise mitnimmt, bei der man sich wünscht, dass sie doch niemals enden würde. Auch wer jene Zeit nie selbst erlebt hat, wird sich nur schwerlich dem Charme der Geschichte und der Kraft des Rock’n’roll entziehen können. Dabei ist der Einstieg reichlich konfus geraten. Hektisch und ohne einen Moment des Innehaltens springt Curtis von Charakter zu Charakter, zeigt er uns Episoden aus dem alles andere als alltäglichen Alltag der Radio Rock-Crew. Doch bevor man sich hieran ernsthaft stören könnte, sind einem die verschrobenen Typen – und mit ihnen die Musik – längst ans Herz gewachsen. Die Aufwärmphase ist letztlich doch kurz, das anschließende Vergnügen dafür umso länger.

Hinzu kommt, dass man jederzeit spürt, mit wieviel Elan und Enthusiasmus die Darsteller hier bei der Sache sind. Was zunächst vielleicht nach einer filmjournalistischen Plattitüde oder reinem Marketing-Gewäsch klingt, wird nach Ansicht von Radio Rock Revolution niemand ernsthaft in Zweifel können. Curtis bietet auch dieses Mal das Who-is-Who britischer Schauspielkunst auf. Insbesondere Bill Nighy und Kenneth Branagh, ansonsten eher im ernsten Fach zu Hause, können sich einmal so richtig austoben und dabei eindrucksvoll ihre Entertainer-Qualitäten unter Beweis stellen. Als Exilant steuert Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffman den nötigen Schuss amerikanische Gelassenheit bei.

Alles an und in Radio Rock Revolution atmet Musik. Der mehr als 100 Songs umfassende Soundtrack gleicht einem „Best of“ der sechziger und siebziger Jahre. The Who, Jimi Hendrix, Cat Stevens, The Turtles, The Kinks, Dusty Springfield, Otis Redding, die Supremes und natürlich die Beatles sind nur einige, denen Curtis auch als ein Teil seiner eigenen Kindheits- und Jugenderinnerungen hiermit ein filmisches Denkmal setzte. Die Handlung, die zum Ende hin bisweilen Gefahr läuft, sich in eine holprige Titanic-Persiflage zu verwandeln, ist dagegen nur Mittel zum Zweck. Während sich die Behörden und die Radio Rock-Mannschaft ein höchst amüsantes Katz-und-Maus-Spiel liefern, bei dem der typisch britische Humor nicht zu kurz kommen darf, thront über allem der Geist des Rock’n’roll. Auf die nächsten vierzig Jahre!

Für Programmkino.de.

Samstag, April 11, 2009

Crank 2: High Voltage - Unter Strom


USA 2009

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Vergesst den "Transporter"! Dies ist in Wahrheit der ultimative Jason-Statham-Film. Daran läßt auch die mit Spannung erwartete Fortsetzung keinen Zweifel, in der es noch abgedrehter und irrwitziger zur Sache geht. Weiter geht's bei den Freunden von evolver.

Mittwoch, April 08, 2009

Bedingungslos - Abseitiges aus Dänemark


DK 2007

++1/2

Genre-Filmer Ole Bornedal (Nachtwache) präsentiert seine Variante eines Film noir. In der clever konstruierten Thriller-Groteske Bedingungslos verstrickt sich der (Anti-)Held in einem gefährlichen Netz aus Lügen und falschen Identitäten. Obwohl nicht jeder Winkelzug des Drehbuchs immer glaubhaft erscheint, geht die Rechnung am Ende auf. In einem spannenden Finale zieht Bornedal schließlich alle Register seines Könnens. Bedingungslos war der erfolgreichste Film des Jahres 2007 in Dänemark.

Filmkritik:

Es schüttet sprichwörtlich wie aus Eimern. Wir erblicken einen Mann, der nahezu regungslos auf dem nassen Asphalt liegt. Blut, vermutlich sein eigenes, bildet sich rings um ihn und vermischt sich allmählich mit dem Regen. Plötzlich eilt eine Frau herbei. Sie kann nicht glauben, was sie da sieht. Sie kniet über ihm, zieht an ihm, fleht ihn an. Dazu hören wir einen lakonischen Kommentar aus dem Off. Mit dieser filmreifen Pose eröffnet Dänemarks Thriller-Spezialist Ole Bornedal (Nachtwache) seine verschachtelte Noir-Spielerei Bedingungslos, in der das Ende augenscheinlich am Anfang steht. Die Szene wirft intuitiv eine Vielzahl an Fragen auf. Wer war dieser Mann, der hier auf offener Straße verblutet? Wer hat ihm das angetan und – vor allem – aus welchem Grund?

Auf manche Antworten muss man nicht lange warten, auf andere dagegen schon. Bei dem zunächst namenlosen Opfer handelt es sich um Jonas (Anders W. Berthelsen), einem zweifachen Familienvater, der als Polizeifotograph sein Geld verdient. Der Zufall will es, dass Jonas in einen schweren Autounfall verwickelt wird, bei dem sich eine junge Frau (Rebecka Hemse) lebensbedrohliche Verletzungen zuzieht. Julia liegt im Koma, als Jonas sie das erste Mal im Krankenhaus besucht. Er fühlt sich mitschuldig an dem, was geschehen ist. Noch im Krankenhaus kommt es daraufhin zu einer folgenschweren Verwechslung. Julias Familie hält ihn für Sebastian, ihren Freund, den sie auf einer Asien-Reise kennen gelernt hat. Unfähig den Irrtum umgehend aufzuklären, nimmt Jonas nach und nach die Identität des ihm unbekannten Sebastian an.

„Eine schöne Frau mit einem Geheimnis...fängt nicht so jeder Film noir an?" wird Jonas von seinem Kumpel Frank (Dejan Cukic) einmal gefragt. Auch ohne eine solch selbstreflexive Geste ließe sich erahnen, dass die Geschichte schon bald nicht mehr der Logik einer Mainstream-tauglichen Liebes-Romanze folgen dürfte. Bornedal spielt vielmehr von Beginn an mit offenen Karten, in dem er Bedingungslos erkennbar als Genrefilm positioniert, der für alle Beteiligten kein gutes Ende nehmen soll. Der Weg dorthin repräsentiert in diesem Zusammenhang das eigentliche Geheimnis und das für jeden Film noir so charakteristische Mysterium, welches sich Szene für Szene zu einem immer klareren Bild zusammenfügt. Als auch Jonas schließlich die Gefahr erkennt, ist es im Grunde schon zu spät.

Ungeachtet seiner visuell überzeugenden Aufbereitung – Bornedal vertraute einmal mehr seinem Stamm-Kameramann Dan Lautsen, der in wechselnden Aufnahmen die Tristesse eines Kopenhagener Neubaugebiets mit der Postkarten-Idylle Thailands kreuzte – leidet Bedingungslos bisweilen unter der typischen Film noir-Krankheit. Nicht immer erscheint jede Reaktion der Figuren unmittelbar glaubhaft und nachvollziehbar. Warum Jonas, der uns zunächst als Familienmensch vorgestellt wird, Hals über Kopf seine Frau und die beiden Kinder verlässt, mag Bornedal nicht hinreichend zu beantworten. Sicherlich, Jonas ist gelangweilt von einem Leben im Wohlstands-Mittelmaß, und er empfindet mehr als nur Freundschaft für seine Femme fatale, allein das erscheint als Erklärung letztlich nicht tragfähig.

Zum Glück weiß Bornedal um diese und andere Stolpersteine. So reichert er seine zunehmend groteske Geschichte mit mehr als nur einer Prise schwarzen Humor an, der manche scheinbar ernst gemeinte Wendung wieder relativiert. Auch wenn das Augenzwinkern nicht zu übersehen ist, baut der Film im letzten Akt doch eine ungemein düstere Suspense auf. Die Leinwand färbt sich (blut-)rot, als Jonas schließlich mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen und Lügen konfrontiert wird. Bornedal holt in diesem Moment das gefräßige Krokodil auf die Bühne, das zuvor im Verborgenen auf seinen großen Auftritt lauerte.

Für Programmkino.de.

Sonntag, April 05, 2009

Knowing - Zahlenteufel


USA 2009

++

Was haben Zahlen nur an sich, dass man alles Mögliche bis Undenkbare in sie hinein projiziert? Vielleicht ist es ihre klare Struktur, ihre Ordnung oder der Umstand, dass sich auch komplexe Sachverhalte in mehr oder weniger simple Zahlencodes überführen lassen. Die Logik der Zahl fasziniert und verstört zugleich. Sie kann Menschen im schlimmsten Fall sogar in den Wahnsinn treiben. Im Hacker-Drama 23 verfiel der 19jährige Karl Koch ihrer Anziehungskraft. Ganz ähnlich erging es Jim Carrey wenige Jahre später in Joel Schumachers Paranoia-Thriller Number 23. Selbst Genies, das zeigte der mehrfach Oscar-prämierte A Beautfiul Mind, sind nicht davor gefeit, sich in einer Welt endloser Zahlenreihen zu verlieren.

Auch in Alex Proyas’ Mystery-Thriller Knowing beginnt alles mit einer auf den ersten Blick wahllosen Aneinanderreihung irgendwelcher Zahlenkolonnen. Diese wurden Ende der fünfziger Jahre zusammen mit anderen Zeichnungen und Notizen in einer Art Zeitkapsel für ein halbes Jahrhundert eingelagert. Die Schüler der Lexington Grundschule sollten damals ihre Vision der Zukunft in einem Bild festzuhalten. Fünfzig Jahre später werden ihre Aufzeichnungen bei einem feierlichen Festakt an die heutigen Schüler verteilt. Das Blatt mit den seltsamen Zahlenreihen fällt Caleb (Chandler Canterbury), dem Sohn des renommierten Astrophysikers John Koestler (Nicolas Cage), in die Hände. Während Caleb enttäuscht ist, dass er als einziger kein schönes Bild erhalten hat, entdeckt sein Vater in der zunächst wirr erscheinenden Zahlenabfolge einen geheimen Code, der die Daten und Opferzahlen der schlimmsten Katastrophen der letzte fünf Jahrzehnte enthält.

So schrecklich diese Entdeckung auch ist, was geschehen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Viel bedrohlicher erscheint es da, dass John bei seinen Nachforschungen auf drei weitere Ereignisse stößt, die laut dem mysteriösen Code bereits in den nächsten Tagen eintreffen sollen. Dabei prophezeit das Dokument einen globalen Super-Gau, den kein Mensch überleben wird. Wer oder was das genau sein soll, darüber kann John anfangs nur spekulieren. In jedem Fall ahnt er, dass die Zeit allmählich knapp wird.

Knowing, das wird bereits nach der ersten halben Stunde deutlich, begnügt sich nicht damit, nur einem Genre zu folgen. Der Film will zu gleichen Teilen Mystery, Endzeit-Thriller und Familiendrama sein. Hinzu kommt eine gute Portion klassisches Blockbusterkino „Made in Hollywood“, das vornehmlich über seine Schauwerte funktioniert. Die Einleitung mit ihrem kurzen Abstecher in die 50er Jahre mag zwar das erhoffte Tempo noch vermissen lassen, dafür etabliert Proyas eine diffuse Grundstimmung, die irgendwo zwischen alten Gruselgeschichten, Akte X und einer aufwändig produzierten Folge von „Galileo Mystery“ angesiedelt ist. Der Vergleich mit der oftmals unfreiwillig komischen Pro Sieben-Pseudo-Wissens-Show erscheint insofern passend, da sich auch Knowing ungemein ernst nimmt. Selbst als die Geschichte immer abstruser wird, baut der Film keinerlei ironische Distanz zu seinem religiös eingefärbten Endzeit-Szenario auf.

Stattdessen sollen wir mit John mitfiebern und ihm die Daumen drücken, dass er den Armageddon in letzter Sekunde doch noch abwenden kann. Nun ist Nicolas Cage nicht Bruce Willis und Alex Proyas nicht Michael Bay (zum Glück), was erklärt, warum sich Knowing zumindest in dieser Hinsicht wohltuend von den gängigen Blockbustern unterscheidet. So wird es bei Proyas, der ohnehin ein Faible für düstere Geschichten mitbringt, ein Zurück zum Status Quo nicht geben. Das verdient Anerkennung und Respekt. Leider legt sich der Film zumindest in Teilen eine Auflösung zurecht, die allenfalls noch Steven Spielberg begeistern dürfte. Gerade die letzten Minuten machen vieles von der grimmigen Atmosphäre kaputt, die Proyas zuvor mühsam aufzubauen versuchte. Ganz gewiss wirkte eine Schlusseinstellung in ihrer verkitscht-religiösen Naivität schon lange nicht mehr derart deplaziert.

Dass sich Knowing über sein verunglücktes Ende selbst ein Bein stellt, ist bedauerlich, schließlich liefert Proyas über weite Strecken recht passable Unterhaltung ab. Die immer wieder eingestreuten Mystery-Elemente – beispielsweise in Gestalt seltsamer Fremder, die John und Caleb zu verfolgen scheinen – sorgen für die nötige Suspense, wobei man kein Genre-Kenner sein muss, um hinter das Geheimnis der schweigsamen Herren zu kommen. Dazu genügt es bereits, einmal einen Film von Emmerich oder Spielberg gesehen zu haben. Die beiden zentralen Action-Sequenzen zählen zweifellos zu den Highlights dieser Studio-Produktion. Vollkommen unerwartet bricht das Chaos über uns und die Hauptperson herein. Das Gefühl, sich plötzlich unmittelbar und orientierungslos im Zentrum einer Katastrophe zu bewegen, transportieren Proyas und sein Kameramann Simon Duggan mittels eines geschickten Handkamera-Einsatzes, der bei aller Dynamik stets saubere, kaum verwackelte Bilder liefert.

Für Nicolas Cage bleibt hier nicht mehr zu tun, als sich mit besorgtem Blick schützend vor seinen Sohnemann zu stellen. Dabei durchläuft seine Filmfigur die absehbare Wandlung vom nüchternen Realisten, für den allein der Zufall die Dinge ordnet, zum schicksalsgläubigen Übervater, der gerade noch rechtzeitig in den Schoß der Familie zurückfindet. Vor allem zum Ende hin übertreibt es Proyas mit sentimentalen Peinlichkeiten (Gruppenkuscheln!), die aus Knowing letztlich ein manipulatives Rührstück machen. Zwar scheint Proyas sein Gespür für stimmige Bildkompositionen nach fünf Jahren der kreativen Pause nicht verloren zu haben, manch erzählerische Qualitäten dagegen sehr wohl.

Für BlairWitch.de.

Mittwoch, April 01, 2009

Rachels Hochzeit - Die kleine Schwester


USA 2008

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Eine junge, drogenabhängige Frau (Anne Hathaway) kehrt für wenige Tage anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester nach Hause zurück. Es dauert nicht lange und schon brechen alte Wunden und Konflikte innerhalb der eigenen Familie wieder auf. Nach Ausflügen in den Dokumentar- und Musikfilm versucht sich Regisseur Jonathan Demme mit Rachels Hochzeit an einer im puristischen „Dogma“-Stil gehaltenen Charakterstudie. Deren emotionales Zentrum ist eine souverän aufspielende Anne Hathaway, die hier wunderbar gegen ihr Sauberfrau-Image besetzt wurde, was ihr unlängst eine Oscar-Nominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ einbrachte.

Filmkritik:

Familienfeste scheinen prädestiniert dafür zu sein, aufgestaute Konflikte und Animositäten an die Oberfläche zu befördern. Der dänische Filmemacher Thomas Vinterberg präsentierte mit seinem Dogma-Beitrag Das Fest einst die zugegeben extreme Variante eines familiären Ausnahmezustands, bei dem am Ende vor allem blanker Hass und Verachtung zum Vorschein kamen. Soweit lässt es Oscar-Preisträger Jonathan Demme nicht kommen. In Rachels Hochzeit, immerhin seinem ersten Spielfilm seit über vier Jahren, ist der familiäre Zusammenhalt trotz manch hart ausgetragener Aussprache nie wirklich in Gefahr.

Obwohl der Titel etwas anderes vermuten lässt, ist nicht Rachel (Rosemarie DeWitt) sondern ihre jüngere Schwester Kym (Anne Hathaway) die eigentliche Hauptfigur der Geschichte. Kym ist zugleich das schwarze Schaf der Familie. Schon früh fing sie an, exzessiv zu trinken und Drogen zu nehmen – mit verheerenden Folgen. Anders als ihre Schwester fühlte sie sich zudem oft missverstanden und ausgegrenzt. Nun heiratet diese Schwester und Kym darf aus diesem Anlass für einige Tage die Entzugsklinik verlassen. Wieder zu Hause dauert es nicht lange, bis erneut ein Streit zwischen ihr und Rachel ausbricht. Auch die ständige Überwachung durch den Vater (Bill Irwin), sein Misstrauen ihr gegenüber, lässt in Kym ein ungutes Gefühl aufkommen. Dass sie kaum einen Schritt unbeobachtet tun kann und sich alles wieder einmal nur um Rachel dreht, ist für sie eine äußerst schmerzhafte Erfahrung.

Anders als einer Lee Holloway – Maggie Gyllenhaals Charakter aus Secretary – fehlt Kym ein Ventil, um die eigene Angst kontrolliert abzulassen. Stattdessen tritt sie die Flucht an, in der vagen Hoffnung zumindest bei ihrer Mutter (Debra Winger) auf Verständnis und Zuspruch zu treffen. Währenddessen laufen die Vorbreitungen für die Hochzeit mehr oder weniger nach Plan. Irgendwann ist auch Kym wieder zurück und die Feierlichkeiten können beginnen.

Die stilistische Nähe zu den Arbeiten der Dogma-Reihe ist in Rachels Hochzeit in jeder Szene evident. Der zuletzt als Dokumentar- und Konzertfilmer tätige Demme setzt auf eine bewegliche Handkamera und verzichtet dabei gänzlich auf künstliches Licht sowie klassische Filmmusik. Der hieraus resultierende Heimvideo-Touch, das Gefühl der Authentizität, weil man glaubt, als Gast einer echten Hochzeit beizuwohnen, produziert mitunter jedoch auch eine Menge Leerlauf. So reiht sich beim „Probeessen“ am Vorabend der Hochzeit eine langweilige Tischrede an die nächste. Die ganze Szene scheint kein Ende nehmen zu wollen, was zwar realistisch sein mag, gleichzeitig die Geduld des Zuschauers aber auf eine harte Probe stellt. Auch die eigentliche Hochzeit wird von Demme mit Aufnahmen des tanzenden Party-Volks unnötig in die Länge gezogen. Insgesamt ließe sich der Film problemlos um über eine halbe Stunde kürzen, ohne dass damit irgendein Substanzverlust verbunden wäre.

Interessant wird es immer, wenn Demme sich von seinen Ambitionen als Hochzeits-Dokumentarfilmer löst und Kyms Gefühlswelt in den Mittelpunkt rückt. Die zumeist auf unverfängliche Komödien abonnierte Anne Hathaway dankt es ihm mit einer zerbrechlichen Darstellung, in der sich die ganze Unsicherheit und Verletzlichkeit ihres Filmcharakters widerspiegelt. Kym hat bei aller vorgeschobenen Coolness nämlich bis heute mit einer schweren Schuld zu kämpfen, deren Ursache erst allmählich enthüllt wird. Souverän meistert Hathaway das enorme Pensum emotionaler Höhen und Tiefen. Selbst wenn letztlich so mancher Konflikt in der ausgelassenen Party-Stimmung untergeht, ist der Film weit davon entfernt, seinen Figuren ein verlogenes Happy End aufzuzwingen. Als Kym wieder in die Entzugsklinik aufbricht, warten viele Wunden weiterhin auf ihre Heilung.

Für Programmkino.de.