Donnerstag, Dezember 28, 2006

Das Spiel der Macht - Dekorleichen

USA 2006

+1/2

Gespickt mit Charakterdarstellern wie Jude Law, Kate Winslet und Sean Penn (schießt weit übers Ziel hinaus) taugt die Verfilmung von Robert Penn Warrens mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten Roman Das Spiel der Macht höchstens zur Abschreckung, wie man eine Leinwandadaption garantiert in den Sand setzt. In Stil und Inszenierung gibt sich Steven Zaillians Film schrecklich überkandidelt und aufdringlich. Die Motivation mancher Protagonisten bleibt unverständlich und der Plot selber krankt an einer piefigen, fast bürokratischen Langeweile. Zur Kritik geht es hier. Glücklicherweise startet parallel der großartige Prestige.

Mittwoch, Dezember 27, 2006

The Fountain - Völlig losgelöst


USA 2006

+++1/2

Die Kontroverse schien vorprogrammiert. Bei der Weltpremiere seines sehnsüchtig erwarteten Films The Fountain schlug Darren Aronofsky (Pi, Requiem for a Dream) in Venedig der geballte Zorn der versammelten Kritikerzunft entgegen. Mit Buhrufen und ungläubigen Staunen quittierte die Presse das mit Hugh Jackman und Rachel Weisz prominent besetzte, religiös eingefärbte Selbstfindungsdrama. Und in der Tat: Zwischen Bewunderung und vollkommenen Unverständnis dürfte kaum Platz für andere Reaktionen sein. The Fountain ist ein „Love it or leave it“.

Filmkritik:

1500, 2006, 2500. Drei Daten, drei Epochen. Für seinen neuen Film gräbt sich Regie-Wunderkind Darren Aronofsky gleich durch Tausend Jahre Menschheitsgeschichte. Mystischer Historienfilm und postmaterialischer SciFi-Trip, existenzialistisches Liebesdrama und spirituelles Erweckungserlebnis, The Fountain durchkreuzt Sehgewohnheiten und Genre-Konventionen auf eine derart radikale Weise, wie kaum ein anderer Film in jüngster Zeit.

Seziert man das dicht ineinander verzahnte und verschachtelte Bildermärchen, so bleiben die Hauptlinien dreier Fragmente übrig. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts macht sich der Konquistador Tomas (Hugh Jackman) nach Neuspanien auf, wo er im undurchdringlichen Dschungel im Auftrag der spanischen Königin Isabella (Rachel Weisz) einen sagenumwobenen heiligen Ort der Mayas aufspüren soll. Dort wird ein Baum vermutet, der ewiges Leben verheißt. In der Gegenwart forscht der Arzt Dr. Tom Verde (Jackman zum Zweiten) an einem Heilmittel gegen Krebs. In Tierversuchen hat eine nicht näher bestimmte Pflanze aus den Urwäldern Lateinamerikas bereits erstaunliche Resultate erzielt. Tom hofft, auf diese Weise auch seine geliebte Frau Izzy (Weisz) retten zu können. Fünfhundert Jahre später begibt sich der meditierende Asket Tommy (Jackman Nr.3) in einer Raumkapsel auf eine transzendentale Reise. Sein einziger Begleiter ist ein Baum.

Eine Lesart der Ereignisse drängt sich förmlich auf: Während die Handlung in der Gegenwart den realen Ausgangspunkt der Liebesgeschichte symbolisiert, entstammt der Plot um die Entdeckung des Maya-Heiligtums lediglich Izzys Fantasie. Diese hinterlässt sie Tom in Form eines unvollendeten Romans. Die Weltraum-Szenen können wiederum als Toms Pfad zur Erleuchtung gedeutet werden. Die Qualität von Aronofskys Film liegt letztlich darin, dass sich jeder Zuschauer seine ganz eigene Erklärung zusammenstellen kann.

Egal, was man auch als Gesamtkonzept von The Fountain halten mag, dafür, dass sich Aronofsky traut, mit den Gesetzen der Narration und der Sehgewohnheiten des Publikums auf eine derart radikale Weise zu brechen, gebührt ihm ehrliche Anerkennung und Respekt. Auch mit einem von ursprünglich 70 auf dann 35 Mio. Dollar reduzierten Budget und ohne den Weltstar Brad Pitt stemmte der junge New Yorker Filmemacher das sperrige Drama über die großen ewigen Themen der Menschheitsgeschichte.

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wollen wir unsterblich sein? Was ist das Wesen der Liebe? All diese Fragen verpackt Aronofsky in eine so noch nie da gewesene Form. Die entfesselte Kamera von Matthew Libatique und das eingängige zu gleichen Teilen monumentale wie sanfte Grundthema von Aronofskys Stammkomponisten Clint Mansell, der bei der Vertonung wie schon bei Requiem for a Dream auf die Streicher des Kronos Quartetts zurückgriff – dieses Mal ergänzt um die schottische Rockgruppe Mogwai – lassen den gesamten Film in einem seltsamen Zustand der Schwerelosigkeit eintreten, dessen Sogwirkung auch abseits des Mainstreams seinesgleichen sucht. Hugh Jackman und Rachel Weisz verkörpern in dieser universalen Geschichte das Liebespaar jenseits aller Gebilde aus Zeit und Raum. Beide Schauspieler zeigen die besten Leistungen ihrer gesamten Karriere. Zu keiner Zeit verlieren sie die Kontrolle über die emotionalen Herausforderungen, die der Stoff ihnen abverlangt. Vor allem Weisz beeindruckt mit ihrer souveränen Darstellung der todkranken Izzy.

Es wundert nicht, dass Aronofskys Film in die Nähe von Stanley Kubrick und dessen SciFi-Klassiker 2001- Odyssee im Weltall gerückt wird. Auch in The Fountain umgibt die Weltraum-Sequenzen eine seltsame Entrücktheit und faszinierende Ästhetik. Viel nahe liegender erscheint jedoch ein Vergleich mit Wong Kar-weis gleichsam melancholischen 2046. Beide Geschichten vereinen eine elaborierte Bildsprache mit einem über mehrere Zeitebenen verwobenen Plot, der von den Lebens- und Leidenserfahrungen um die große Liebe erzählt. Aronofskys Werk wohnt dabei eine besonders Trost spendende Botschaft inne: Aus der Erkenntnis, dass ein Aufbegehren gegen den Tod zwecklos ist, und man letztlich wieder zu einem Teil der Natur wird, kann ein innerer Frieden entstehen, der einem die Angst vor einem Ausscheiden aus dieser Welt nimmt.

Für Programmkino.de.

Dienstag, Dezember 26, 2006

Das war nix - Enttäuschungen des Kinojahres 2006

Die folgende Auflistung besteht lediglich aus Filmen, von denen man zumindest im Ansatz denken konnte, dass sie ein unterhaltsames/spannendes/aufwühlendes Kinoerlebnis abgeben würden. Offensichtliche Fehltritte wie Mein verschärftes Wochenende oder Little Man gehören dagegen in die Rubrik "Zelluloidmüll".


The New World
Terrence Malick, was ist aus Dir geworden? In The New World verliert sich der kompromisslose Filmemacher in einer nicht enden wollenden kontemplativen Reise, die trotz der großartigen Bilder schnell langweilt und einen unzählige Male auf die Uhr schauen lässt. Dass Colin Ferrell nicht unbedingt ein Großmeister der Schauspielkunst ist, kommt erschwerend hinzu.

Sehnsucht
Egal ob das jetzt „Neue Berliner Schule“ ist oder einfach „prätentiöses Festivalkino“, Valeska Grisebachs Provinzdrama besitzt die Lizenz zum Öden (danke, Batz). Tristesse, wo man auch hinschaut, die einen selbst in die Depression stürzen kann. Alle Vorurteile, die man gegen deutsches Kino haben kann, finden sich hier bestätigt.

Babel
Sieben Globe-Nominierungen, zahlreiche Lobeshymnen, doch beides kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Innáritus Konzept das fragmentarischen Dramas langsam selbst den Garaus macht. Nach Amores Perros und 21 Gramm fehlt es merklich an inszenatorischer Frische. Da können auch die durchweg exzellenten Darsteller sich noch so ins Zeug legen, ein Gefühl der Ernüchterung bleibt zurück.

Snakes on a Plane
Was für ein Hype und was für ein harmloses Ergebnis. Snakes on a Plane sollte das B-Movie-Highlight der letzten Jahre werden. Letztlich herausgekommen ist ein über weite Strecken kurzweiliger, aber doch sehr zahmer Spaß, der mehr Katastrophenspektakel als Schlangenhorror darstellt.

Running Scared
Ein weiterer Quentin Tarantino-Wannabe. Nach dem lässigen und charmanten The Cooler wähnt sich Wayne Kramer in einer blutgetränkten Märchenwelt der rauen Großstadt. Das ist in seiner Redundanz sehr ermüdend, die übertriebene Gewaltdarstellung erfüllt keinen Zweck. Selbst als Exploitation funktioniert Running Scared nicht. Und Paul Walker nervt mit einem weiteren Beleg des eigenen schauspielerischen Unvermögens.

Volver
Spaniens Kinomeister Pedro Almodóvar setzte die hübsch anzusehende Penélope Cruz in eine Geschichte, die zwischen Albernheiten und 08/15-Sentimentalitäten nicht vom Fleck kommt. Erst am Ende spürt man Almodóvars bekannte Frische und Vitalität durchscheinen. Kein Vergleich mit seinen früheren bissigen Werken und ambitionierten Dramen wie Hable con ella.

Tsotsi
Gutmenschenfilmerei aus Südafrika. Tsotsi erzählt die Wandlung eines einstigen „Bad Boy“ zum Vorzeigeersatzvater. Wie ein Kind die Welt verändern kann, zumindest im Kleinen, das wird erschreckend uninspiriert und dröge in dem ersten Oscar(!)-Gewinner des schwarzen Kontinents durchdekliniert.

Ein gutes Jahr
Ridley Scott schickt Russell Crowe in die Provence und den Zuschauer in den Tiefschlaf. Ein gutes Jahr vermixt Läuterungsdrama mit vermeintlich romantischer Love Story. Mit den Erinnerungen an den superben Sideways wirken die Postkartenmotive der französischen Idylle noch eine Spur steriler. Verpanscht auf ganzer Linie.


The Da Vinci Code
Dan Browns Sakrileg lieferte die Vorlage für den Blockbuster des Jahres: The Da Vinci Code. Ok, der Regisseur hieß Ron Howard und so durfte man nicht unbedingt eine Sternstunde des Kinos erwarten, einen unterhaltsamen und spannungsreichen Mystery-Thriller aber allemal. Doch selbst daraus wurde nichts. Das Ergebnis gibt sich blutleer, bieder und in etwas so aufregend wie das Verfassen einer Steuererklärung.

The Dark
Warum spielen Sean Bean und Maria Bello in einem solchen Stuss mit? Selbstmordgefährdete Schafe, knarrende Türen und viele „Buh“-Effekte ergeben den Horrorreinfall des Jahres. Na ja, höchstens der ebenfalls unterirische Pulse kann diesem hier den Titel streitig machen.

Ebenfalls ernüchternd (in unterschiedlichem Ausmaß):

Angel-A, Das kleine Arschloch - Sterben ist scheiße!, Die Wolke, Der freie Wille, Capote, Das Parfüm, Die Chaoscamper, Jarhead, Glück in kleinen Dosen, Final Destination 3, TKKG und die rätselhafte Mind-Machine, Wicker Man, Bye Bye Blackbird, Der letzte Zug, Brick, Wenn die Flut kommt

Sonntag, Dezember 24, 2006

Es ist soweit...



Wünsche Euch allen "Frohe Weihnachten"! Lasst es Euch gut gehen, kein Stress und bleibt dem Kino treu!

Marcus

Donnerstag, Dezember 21, 2006

Prestige - Meister der Magie

USA 2006

++++ (Meisterwerk)

Vielleicht sind Filmregisseure die Magier unserer Zeit. Christopher Nolans historischer Thriller, der von einem Wettstreit zweier rivalisierender Illusionisten erzählt, legt jedenfalls eine solche Analogie nahe. Nach seinen von Kritik wie Publikum gefeierten Arbeiten Memento und Batman Begins, gelingt ihm mit Prestige ein weiteres Meisterstück. Beängstigend, mit welcher Leichtigkeit und Raffinesse Nolan sein Publikum immer wieder in die Irre führt. Die Tagline „Are You Watching Closely?“ weist den Weg.

Filmkritik:

London, zur Zeiten Königin Viktorias. Die Menschen begeistern sich für Zauberei, für Magie und die Shows des talentierten Unterhaltungskünstlers Robert Angier (Hugh Jackman). Doch dieser hat einen erbitterten Konkurrenten, den Illusionisten Alfred Bordon (Christian Bale), der seine genialen Einfälle und Tricks mitunter jedoch unter Wert verkauft. Während Angier das Charisma eines Showstars besitzt, steht Bordon zunächst in dessen Schatten. Das ändert sich jedoch, als er einen spektakulären Trick aufführt, der die Menschen in Staunen versetzt. Fortan gibt es für Angier nur noch ein Ziel: Er will, dass Bordon ihm das Geheimnis der Nummer verrät. Zu diesem Zweck instrumentalisiert er sogar seine Partnerin Olivia (Scarlett Johansson), die Bordons Vertrauen gewinnen soll. Auch nimmt er eine beschwerliche Reise nach Amerika in Kauf, wo der exzentrische Wissenschaftler Nikola Tesla (dargestellt von Musik-Ikone David Bowie) – die einzige historische Figur der Geschichte – zurückgezogen an spektakulären Erfindungen forscht. Er erklärt sich bereit, für Angiers Show eine neuartige Maschine zu entwickeln, die alle anderen Zaubertricks weit in den Schatten stellen soll.

Wie für einen Film des Briten Christopher Nolan beinahe üblich, werden die Ereignisse in einer nicht-chronologischen Reihenfolge präsentiert. Das gemeinsam mit seinem Bruder verfasste Drehbuch sieht diverse Zeitsprünge vor, die auf diese Weise mehrere Handlungsstränge miteinander verbinden. Die Hauptlinie – sozusagen der „rote Faden“ – erklärt, wie es ausgelöst durch einen tragischen Unfall zu dieser feindseligen, obsessiven Rivalität zwischen den Männern kommen konnte, wie sich die Aversionen peu á peu steigerten. Die anderen beiden Episoden schildern Angiers Besuch bei Tesla und den Gefängnisaufenthalt nach Bordons Verurteilung für einen angeblichen Mord an seinem Gegenspieler. Dabei verzichtet Nolan darauf, den so filettierten Plot unnötig zu verkomplizieren. Im Unterschied zu seinem Spielfilmdebüt Following fällt die Orientierung nicht weiter schwer.

Würde das Etikett „Historienfilm“ nicht mit Assoziationen an müde Kostümschinken oder gediegene Jane Austen-Adaptionen in die Irre führen, müsste man Prestige wohl als solchen bezeichnen. Vor der Kulisse Londons zur Jahrhundertwende erschafft Nolan ein fesselndes Period Piece, das unterschiedliche Genres, Stimmungen und Einflüsse vereint. So wechseln sich Thriller-Elemente mit ironischen Kommentaren zum gesamten Showbiz ab, die Chronik einer gescheiterten Beziehung vermischt sich mit dem märchenhaften Flair alter Varietés. Scheinbar mühelos legt er die Köder aus, an denen wir uns schlussendlich verschlucken sollen. Natürlich ahnen wir, dass ein Film, der von Täuschungen und Illusionen handelt und dessen Regisseur noch dazu Christopher Nolan heißt, nicht nur einen sondern gleich mehrere doppelte Böden besitzt. Dieses Vorwissen schützt einen jedoch keineswegs davor, zum Ende hin erstaunt, gebannt und ungläubig die Leinwand anzustarren.

Ohne vom Fortgang der Geschichte zuviel preis zu geben, kann gesagt werden, dass der Film einen Verlauf nimmt, der weg von einem zumindest vordergründig realistischen Plot hin zu den Mysterien und Legenden rund um Nicola Teslas Arbeiten führt. Inwieweit der Zuschauer bereit ist, diese Geschehnisse, die innerhalb des Prestige-Universums konsistent eingebaut wurden, zu akzeptieren, entscheidet maßgeblich darüber, ob man das Kino mit leichten Vorbehalten verlässt oder restlos begeistert ist. Doch wie heißt es über den Aufbau eines jeden guten Zaubertricks? Ohne „das Prestige“, den dritten Akt, in dem das Publikum etwas Schockierendes gezeigt bekommt, was es noch nie zuvor gesehen hat, ist der Trick unvollständig. Was für die Magier auf der Bühne gilt, sollte auch einem Film-Regisseur zugestanden werden.

Für Programmkino.de.

Mittwoch, Dezember 20, 2006

Demnächst: Neue Kritiken zu

Schräger als Fiktion (+++1/2) von Marc Forster

Breaking and Entering (+1/2) von Anthony Minghella

Der letzte König von Schottland (+++1/2) von Kevin MacDonald

Die Hollywood-Verschwörung (+++) von Allen Coulter

Rocky Balboa (++) von Sylvester Stallone

Sonntag, Dezember 17, 2006

Zuletzt gesehen - Wer früher stirbt, ist länger tot

D 2006

+++

Es ist verständlich, dass diese kleine bayerische Produktion von einem Geheimtip zu einem echten Kassenschlager und Sleeper-Hit in ganz Deutschland avancierte. Marcus H. Rosenmüller ist eine dieser Raritäten gelungen, die mit einer ehrlichen Charmeoffensive, durch und durch liebenswerten Charakteren und inszenatorischen Kniffen über die gesamte Laufzeit hinweg prächtig unterhalten. Im Mittelpunkt stehen die verzweifelten Bemühungen des 11jährigen Sebastians (Markus Krojer), der von Schuldgefühlen geplagt, auf der Suche nach der eigenen Unsterblichkeit ist. Nur so, glaubt er, dem drohenden Fegefeuer entgehen zu können, das ihn wegen einer angeblichen Verantwortung für den Tod seiner Mutter erwartet. Nach mehreren eher zum Scheitern verurteilten Anläufen, den Aufenthalt in der Hölle zu verkürzen, hört er von der Musik-Legende Jimi Hendrix, der dank seiner virtuosen Fähigkeiten an der Gitarre "unsterblich" geworden ist. Für Sebastian ist klar: Er muss der neue Jimi Hendrix werden!

Es ist das ur-bayerische Setting, die Mundart, die Erinnerungen an so manche Lausbuamg'scht, die Wer früher stirbt zu einer Rarität nicht nur in der deutschen Kinolandschaft macht. Regisseur und Co-Autor Rosenmüller empfiehlt sich mit dieser schwarzhumorigen aber niemals respektlosen Farce auf den Kosmos der Patrona Bavaria als einer der kreativsten Nachwuchsfilmer des Landes. Denn erst die Liebe zum Detail - Sebastians Albträume sind ein herrlich überzogenes Abbild naiver katholischer Schuldkomplexe - peppt die leicht vorhersehbare Story so richtig auf. Explodierende Hasen, nimmermüde Moorleichen und levitenlesende Traumfrauen, all das integriert der bayerische Wohlfühlfilm in ein leidenschaftliches Plädoyer für einen unbeschwerteren, entspannten Umgang mit den
kleinen und größeren "Pannen" des Lebens. Merke: Auch der Weg ins Fegefeuer kann so manch eine positive Überraschung bereit halten!

Donnerstag, Dezember 14, 2006

Oh je, Du Fröhliche! - Terminal für Kids

USA 2006

++

Weihnachszeit, Familienfilmzeit. Warner glaubt, mit Oh je, Du Fröhliche die Kinokassen klingeln zu lassen. Wenn sich da die Verantwortlichen aber mal nicht getäuscht haben. Denn obwohl ihr Film wie ein bekannter Mix aus Erfolgsproduktionen wie Kevin allen zu Haus und Spielbergs Terminal wirkt, will sich keine rechte Begeisterung einstellen. Nicht bei den jüngeren Kinogängern und schon gar nicht bei ihren erwachsenen Begleitpersonen. Einzig das junge Ensemble punktet mit Spielfreude und Witz. Auch gibt es ein Wiedersehen mit Brett Kelly, dem sanftmütigen, stets gut gelauten Jungen aus Bad Santa. Eine kurze Besprechung zum Film gibt es von mir auf Critic.de.

Mittwoch, Dezember 13, 2006

Apocalypto - Ihr Blut soll fließen...

USA 2006

+++1/2

Mel Gibson kann auch anders. Sein Apocalypto ist eine meisterlich fotografierte Abenteuer-Hatz, die albtraumhafte Bilder mit einer schlichten Überlebensdramaturgie vereint. Scheuklappen abnehmen und auf ins Kino.

Was gäbe es nicht alles über Mel Gibson nach seinen Alkoholexzessen, anti-semitischen Ausfallerscheinungen und der anschließenden öffentlichen Beichte zu kommentieren. Auch das christlich-fundamentalistische Weltbild des Ultra-Konservativen böte genügend Angriffsfläche für mit erhobenem Zeigefinger geführte „So aber nicht!“-Diskussionen. Schiebt man all diesen Ballast zu Seite, so wird man nicht umhin können, ihm Respekt und Anerkennung für sein neues Werk Apocalypto zollen zu müssen.

Natürlich finden sich auch in Apocalypto Ingredienzien, die einem übel aufstoßen können, wenn man mit Gibsons Vita im Hinterkopf, die berauschende Bilderflut durchkämmt. Allen voran hinterlassen die wie schon in Die Passion Christi exzessiv eingesetzten Gewalt- und Folterdarstellungen einen zwiespältigen Eindruck. Und das angestimmte Lied auf die Familie als Keimzelle des Glücks besitzt, wenn es von religiösen Fanatikern vorgetragen wird, stets einen faden Beigeschmack, der in diesem Fall jedoch unangebracht ist. Denn das Gibson für traditionelle Werte eintritt, dürfte längst bekannt sein, weshalb von seinen Filmen wohl kaum die Gefahr einer Missionierung ausgeht. Kurz gesagt: Der Zuschauer weiß, mit wem er es zu tun hat.

Als Schauplatz für sein Spektakel wählte Gibson den mexikanischen Dschungel, wo er nahe den historischen Stätten den beginnenden Zerfall der Maya-Hochkultur inszenierte. Seine zentrale bei dem amerikanischen Philosophen William Durant entlehnte These stellt er dabei dem Film voran: "Eine große Zivilisation lässt sich nur von außen erobern, wenn sie sich von innen schon selbst zerstört hat.“ Um die Illusion einer gewissen Authentizität zu gewährleisten – in zahlreichen Details dürften für Laien nicht erkennbare Abweichungen von den gesicherten Quellen vorgenommen worden sein – sprechen sämtliche Darsteller Yuactec, den wichtigsten Maya-Dialekt, der auf der Yucatán-Halbinsel noch heute verbreitet ist.

Wir bekommen die Geschichte von „Pranke des Jaguars“ (Rudy Youngblood) erzählt. Der junge Krieger, ein treu sorgender Familienvater und künftiger Stammesführer, lebt in einem kleinen Dorf, eigentlich einer Idylle, bis eines Tages feindliche Krieger über die Bewohner herfallen und sie verschleppen. Es beginnt eine strapaziöse und gefährliche Odyssee durch den Dschungel. Am Ziel angekommen, müssen „Pranke des Jaguars“ und die Seinen feststellen, dass sie als Menschenopfer auf dem Altar landen sollen. Wie unzählige vor ihnen, werden die Priester ihnen das Herz aus der Brust schneiden, ihren Kopf den Tempel herunterrollen lassen und ihre Körper dann in einem Massengrab entsorgen.

Gibson inszeniert diesen im Grunde genommen simplen Plot mit einer Dynamik und dem Gespür für die richtige Einstellung zur rechten Zeit, dass man als Zuschauer aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt. Mit Kameramann Dean Semler (Der mit dem Wolf tanzt) schuf der streitbare Hollywood-Star ein Kinoerlebnis, was diesen Namen wahrlich verdient. Im Unterschied zu vielen Filmemachern, die nicht einmal im Ansatz die Möglichkeiten des Mediums nutzen, erwartet einen in Apocalypto ein Rausch, der süchtig macht. Die Bild- und Tonkulisse hinterlässt den Eindruck, als ob der mexikanische Regenwald kurzerhand in den Kinosaal verlegt wurde. Mittendrin statt nur dabei. Es knirscht im Unterholz, Vögel zwitschern, Laute, die sich nicht eindeutig identifizieren lassen und schon im nächsten Moment schwillt James Horners passender Ethno-Score bedrohlich an.

Insgesamt legt der Film ein Tempo vor, das mit Ausnahme der stimmigen Exposition in Jaguars beschaulichem und überblickbarem Heimatdorf kein Pardon kennt. Weder für die Protagonisten, noch für den Zuschauer. Die glücklicherweise sehr präzise und dennoch dynamische Kameraführung zieht uns tief hinein in diese fremde, archaisch anmutende Welt der Menschenopfer, mysteriösen Riten und Gebräuche. Ein bisschen ist das immer auch mit einer Geisterbahnfahrt im Vergnügungspark vergleichbar. Denn obwohl Gibson mit anerkannten Maya-Experten zusammenarbeitete, wird man das Gefühl nicht los, dass die Brutalität der Opferzeremonien und im Kampf Mann gegen Mann etwas zu kalkuliert für den kurzen Thrill ausgebeutet wird. Es trifft vermutlich zu, Apocalypto als ein Genre-Beitrag zu klassifizieren, als ein gnadenloses Horror-Jump’n’Run-Abenteuer, das seinen Helden – Analogien zu Die Passion Christi sind diesbezüglich nicht von der Hand zu weisen – unmenschliche Torturen auferlegt und uns die ein oder andere schlaflose Nacht bescheren dürfte.

Die Schilderung der Leiden Jesu wandelte Gibson zu einer einzigen widerwärtigen Splatter-Show um, die aufgrund ihrer weitestgehenden Ausblendung anderer Passagen des Evangeliums eine gefährliche Schieflage und verzerrte Darstellung des christlichen Glaubens aufwies. Nur Opfer, nur Leiden, nur Schmerz. Zwar bedient Apocalypto ähnliche Muster, weil diese allerdings nicht länger für sich isoliert stehen, sondern mit dem Schicksal eines für seine Familie bedingungslos kämpfenden Mannes verknüpft werden, geht von ihnen keine derart verheerende Wirkung aus. Zudem arbeitet sich der Film nicht an einem religiösen Text ab.

Mit „Pranke des Jaguars“ stellt Gibson einen jungen Krieger in das Zentrum der Handlung, mit dem eine Identifikation leicht fällt. Ihn treibt kein Heldenmut, eher das Gegenteil. Für seine Frau, für seinen Sohn und das noch ungeborene Kind überwindet er die Angst, die ihn zunächst beherrscht. Die Umschnitte zwischen seiner Flucht und der in einem Erdloch gefangenen Familie führt Gibson reichlich grobschlächtig durch. Da zeigt sich, dass er kein Visionär sondern vielmehr ein solider Handwerker ist. Aber auch letzteres will gekonnt sein. Die Darstellung der geistigen Elite der Mayas als unersättlicher, korrupter, dekadenter Haufen, die rücksichtslos Natur und Volk ausbeuten, ist ein klarer politischer Fingerzeig. Unmissverständlich beziehen der Film und sein Regisseur Stellung. Dass Gibson damit auch gegen die Neokonservativen im Weißen Haus schießt, mag überraschend sein. Viel überraschender ist jedoch, dass er mit dem Ausgang der Geschichte und dem aufgezeigten Anfang vom Ende der Maya-Kultur bei Charles Darwin landet und dessen evolutorischer Theorie vom „Survival of the Fittest“. Ein Schock für alle Kreationisten.

Für evolver.

Sonntag, Dezember 10, 2006

So far so Good - 2006 im Kino

Die meiner Meinung nach Besten zehn Filme des Kinojahres 2006 sind (alphabetisch):

Adams Äpfel
Dänemark ist die Heimat des schwarzen Humors. Anders Thomas Jensens symbolbeladene Satire sorgt für akute Lachkrämpfe und eine unvergleichliche emotionale Achterbahnfahrt. How deep is Your Love?

Apocalypto
Mel Gibson in den Top10? Jawohl, denn sein neuestes Werk ist eine bildgewaltige Abenteuerhatz, die das Wesen des Kinos in Reinform erfahrbar macht. Optisch atemberaubend, gewalttätig, grausam und adrenalinfördernd. Gnadenloser Horror im Ethno-Gewand.

Borat
Die Komödie des Kinojahres 2006! Eine Mischung aus Guerilla-Doku und Realsatire, respektlos, albern und entwaffnend. Sacha Baron Cohen weiß, wie er sein Publikum einfängt.

Children of Men
Inszenatorisch ein Meisterwek, ist diese düstere Zukunftsvision ein SF-Thriller auch für Nicht-SF-Fans. Alfonso Cuarón möchte man gleichzeitig verfluchen und in den Himmel heben für das, was er uns als Zuschauer da antut. Ein neuer Anfang für ein ganzes Genre.

C.R.A.Z.Y.
Die beste Coming-of-Age-Geschichte seit Jahren! Und ein Beweis für die Vitalität der kanadischen Filmlandschaft. Der Soundtrack ist nicht weniger als genial. Sehen und wohlfühlen.

Departed – Unter Feinden
Dass Remakes nicht schlechter als das jeweilige Original sein müssen, beweist Altmeister Martin Scorsese. Er ist in seinem Mob-Element und nichts kann ihn stoppen. Leonardo diCaprio und Jack Nicholson veredeln einen fast perfekten Thriller.

Hostel
Als Horror vermarktet, als Systemkritik gefeiert. Der ehemalige Ostblock als Eldorado für reiche Westler, die einmal so richtig die Sau rauslassen wollen. Das Ergebnis schockiert, erstaunt und begeistert.

Das Leben der Anderen
Unglaublich, aber wahr: Das intensive Drama über die Bespitzelungen der Stasi ist Florian Henckel von Donnermarcks Regiedebüt! Makellos inszeniert, mit grandiosen Darstellern und einer beeindruckenden Dramaturgie, die einen unweigerlich mit Haut und Haaren verschlingt.

Miami Vice
Vergessen sind die quietschbunten 80er, Michael Manns 2006-Version der legendären Serie stellt eine konsequente Neuerfindung dar. Hart, düster, männlich.

Stay
Verpackt in eine visuelle Wundertüte, die an einen langsam ausbrechenden Fiebertraum erinnert, ist Marc Forsters spannendes und berührendes Vexierspiel Kino für die Sinne. Sehen und sich treiben lassen.


Knapp gescheitert sind:

Walk the Line
Brokeback Mountain
Snow Cake
Lord of War
Shortbus

Samstag, Dezember 09, 2006

Babel - The Butterfly Effect


USA/MEX 2006

++1/2

Von Kommunikationsproblemen und fatalen Missverständnissen handelt Babel, der neue Film des mexikanische Filmemachers Alejandro González Iñárritu. Das Epos markiert nach Amores Perros und 21 Gramm den Endpunkt seiner fragmentarischen Trilogie.

Die Welt ist ein Dorf. Eine Aussage, die sich immer wieder bestätigt. Wenn wir im Urlaub Tausende Kilometer von zu Hause entfernt einen Bekannten treffen, spielt unser Empfinden von Zeit und Raum verrückt. Es scheint Zufälle zu geben, an die würde man wohl kaum glauben, hätte man sie nicht selber zuvor erlebt. Von eben jenem Zusammenrücken unserer Welt und den daraus resultierenden Kommunikationsproblemen handelt Babel, der Abschluss der mit Amores Perros und 21 Gramm begonnenen Trilogie des mexikanischen Filmemachers Alejandro González Iñárritu. Wie bei seinen beiden Vorgängern setzt Inarritu auch dieses Mal auf das Konzept der dramaturgischen Dekonstruktion unterschiedlicher mit einander verflochtener Erzählstränge.

Dabei fällt der Zugang weitaus leichter, springt das Drehbuch von Guillermo Arriaga weniger ungezügelt zwischen den räumlich und inszenatorisch strikt getrennten Episoden hin und her. Zudem wurde größtenteils auf die noch in 21 Gramm anzutreffenden zeitlichen Wechsel innerhalb einer Geschichte verzichtet. Am Ende befinden wir uns zwar auch in Babel wieder am Anfang einer anderen Storyline, diese Drehbuchentscheidung bildet jedoch nur so etwas wie einen in sich stimmigen, harmonischen Rahmen, der Iñárritu und seinem Autor Arriaga einen eleganten Ausstieg aus ihrem Universum erlaubt.

Der Ausgangspunkt liegt irgendwo im karg bewohnten marokkanischen Hinterland. Zwei Kinder eines Ziegenhirten spielen unbekümmert mit einem Jagdgewehr. Sie feuern unkontrolliert einige Schüsse ab, wollen sich gegenseitig beweisen, wer von ihnen der bessere Schütze ist. Ohne sich über die Folgen ihres Handelns bewusst zu sein, nutzt einer von ihnen einen vorbeifahrenden Bus als Zielscheibe. Die Kugel trifft die amerikanische Touristin Susan Jones (Kate Blanchett), verletzt sie schwer. Ihr Mann Richard (Brad Pitt) versucht mit Hilfe des Reiseleiters in der entlegenen Gegend die so dringend benötigte ärztliche Hilfe zu organisieren. Doch politische und diplomatische Unstimmigkeiten zwischen Marokko und den USA, die den Vorfall als terroristischen Akt brandmarken, verhindern zunächst das Eintreffen derselben.

Ungefähr zur gleichen Zeit sieht sich die Kinderfrau Amelia (Adriana Barrazza) mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert. Eigentlich will sie zur Hochzeit ihres Sohnes nach Mexiko fahren, nur findet sie für die ihr anvertrauten Kinder niemand, der für sie die Betreuung übernimmt. Da macht ihr Neffe Santiago (Gael Garcia Bernal) den Vorschlag, die Kinder mit zu den Feierlichkeiten nach Mexiko zu nehmen. Auf der Einreise zurück in die USA kommt es dann zu einem folgenschweren Missverständnis. Die ungewöhnlichste, weil in Stimmung und Inhalt unspektakulärste Episode erzählt vom Schicksal eines taubstummen Mädchens in der Metropole Tokio. Chieko (Rinko Kikuchi) leidet unter ihrem Handicap und dem Selbstmord der Mutter. Da ihr Vater (Koji Yakusho) nur wenig Zeit und Zuwendung für sie aufbringt, flüchtet sie sich voller Verzweiflung in ungewöhnliche erotische Flirts.

Auch Chiekos Geschichte ist – wie sich letztlich herausstellt – auf eine beängstigende Weise mit denen der anderen Charaktere verbunden. Iñárritu illustriert mit dem so aufgespannten engmaschig gestrickten Story-Netz, das alles mit allem zusammenhängt. Das erinnert an den Flügelschlag des Schmetterlings, der eine folgenschwere Kettenreaktion auslöst. Die in Babel von Iñárritu skizzierte Globalisierung der Schicksale nimmt keine Rücksicht auf Ländergrenzen oder kulturelle Eigenarten. Sein Film macht klar: Obwohl wir immer näher zusammenrücken, uns in allen möglichen und unmöglichen Situationen begegnen, bleiben wir uns in Wahrheit fremd. Im babylonischen Sprachgewirr verliert sich das Verständnis für den anderen – auch zwischen Menschen, die eigentlich dieselbe Sprache sprechen, wie die Szenen zwischen Susan und Richard belegen. In Babel lebt jeder für sich. Bis zuletzt.

Es ist ein kulturpessimistisches Argument, das der mexikanische Filmemacher aufgreift, wobei insbesondere die Japan-Episode zusätzlich die fehlende Kommunikation zwischen Jung und Alt thematisiert. Damit fällt sie trotz der später aufgedeckten Querverbindungen etwas aus dem Rahmen. Tokio mit seinen kalten Hochhausfassaden und Neonleuchtreklamen eignet sich anscheinend wie keine andere Metropole, um die Vereinsamung und Verunsicherung einer ganzen Generation in eine filmische Form zu gießen. Das zeigte sich bereits bei Sofia Coppolas Lost in Translation. Die junge Rinko Kikuchi in der Rolle der taubstummen Chieko, ihre mutige und gefühlvolle Darstellung zählt zu den eindrucksvollsten Schauspielleistungen dieses Kinojahres. Wenn Iñárritu sie ruhelos durch das Tokioter Nachtleben schickt und der Ton in unregelmäßigen Intervallen wegbricht, so dass wir ganz in ihre Welt eintauchen können, evoziert das 142 Minuten-Drei-Kontinente-Epos seine intensivsten Momente.

Iñárritus multikulturelle Meditation leidet ansonsten unter schleichenden Abnutzungserscheinungen. Mag sein, dass sich Babels Konzept nach den beiden großen filmischen Vorgängern schlicht totgelaufen hat. Es fehlt an echten Überraschungen. In einigen Aspekten wie der musikalischen Untermalung (Stammkomponist Gustavo Santaolalla) greift Iñárritu gar auf alte Elemente zurück. Es wird spannend zu beobachten sein, welche Handschrift sein nächster Film tragen wird, ob und wie er sich weiterentwickelt. Bis dahin gibt er uns eine Konklusion mit auf den Weg, die erstmals von der berechtigten Hoffnung auf Besserung durchzogen ist. Zumindest in dieser Hinsicht unterscheidet sich Babel dann doch von seinen Vorgängern.

Für Smart Investor (in Kürze erscheinend, in gekürzter Form).

Mittwoch, Dezember 06, 2006

Apocalypto - Ein Vorgeschmack

"Insgesamt legt der Film ein Tempo vor, das mit Ausnahme der stimmigen Exposition in Jaguars beschaulichen und überblickbaren Heimatdorf kein Pardon kennt. Weder für die Protagonisten, noch für den Zuschauer. Die glücklicherweise sehr präzise und dennoch dynamische Kameraführung zieht uns tief hinein in diese fremde, archaisch anmutende Welt der Menschenopfer, mysteriösen Riten und Gebräuche. Ein bisschen ist das immer auch mit einer Geisterbahnfahrt im Vergnügungspark vergleichbar. Denn obwohl Gibson mit anerkannten Maya-Experten zusammenarbeitete, wird man das Gefühl nicht los, dass die Brutalität der Opferzeremonien und im Kampf Mann gegen Mann etwas zu kalkuliert für den kurzen Thrill ausgebeutet wird. Es trifft vermutlich zu, Apocalypto als ein Genre-Beitrag zu klassifizieren, als ein gnadenloses Horror-Jump’n’Run-Abenteuer, das seinen Helden – Analogien zu Die Passion Christi sind diesbezüglich nicht von der Hand zu weisen – unmenschliche Torturen auferlegt und uns die ein oder andere schlaflose Nacht bescheren dürfte."

Demnächst mehr zum Film an gleicher Stelle.

Montag, Dezember 04, 2006

Es begab sich aber zu der Zeit - Das erste Road-Movie

USA 2006

++1/2

Die Weihnachtsgeschichte zählt seit ihrer Niederschrift im Lukas- und Matthäus-Evangelium zu den zentralen Eckpfeilern unserer christlich-abendländischen Kultur. Die für ihre ungeschönten und realistischen Jugenddramen bekannte Regisseurin Catherine Hardwicke (Thirteen, Lords of Dogtown) versuchte mit dem ihr eigenen unvoreingenommenen Blick, der bekannten Vorlage einige neue spannende Aspekte zu entlocken. Ihr ist dabei ein über weite Strecken angenehm frischer Weihnachtsfilm gelungen, der leider zum Ende hin dann doch auf Nummer sicher geht.

Filmkritik:

Der – nach christlichem Glauben – Sohn Gottes, der Erlöser der Menschheit, er kommt in einem ärmlichen Stall zur Welt. Umgeben von Schafen, Kühen und Ziegen liegt das Neugeborene in einer mit Stroh gefüllten Krippe. Es sind exakt diese Bilder, die wir, seitdem wir denken können, mit dem Fest in Verbindung bringen. In Catherine Hardwickes Verfilmung steht die christliche Ikonographie ganz am Ende. Da erscheint den Hirten der Erzengel Gabriel, der ihnen die Nachricht von der Geburt Jesu verkündet. Die drei Könige aus dem Morgenland – geleitet von einem hellen Stern über Bethlehem – erweisen dem Jesuskind ihre Ehrerbietung, während Maria und Josef, beseelt von einem unbeschreiblichen Glück, versuchen, die zurückliegenden Strapazen ihrer beschwerlichen Reise zu vergessen.

Und gerade dieser Weg bis in Josefs Geburtsort Bethlehem steht bei Hardwicke im Mittelpunkt. Ihr Film ist sozusagen ein Road Movie über einen bereits 2000 Jahre alten Stoff. Hardwickes Interesse gilt nicht vorrangig den bekannten, weil in unzähligen Formen bereits aufgearbeiteten, Ereignissen der für Christen Heiligen Nacht. Sie und ihr Drehbuchautor Mike Rich beschäftigt vielmehr die Frage, was das für Menschen – Maria und Josef – wohl gewesen sein könnten. Wie sie (über-)lebten, an was sie glaubten, wie ihr Alltag aussah. Die Exposition in Nazareth, Marias Heimatdorf, das die Produktionsdesigner detailgetreu nach historischen Aufzeichnungen im süditalienischen Matera nachbauten, hebt sich in ihrem Naturalismus und Realismus wohltuend von vielen anderen Bibelverfilmungen ab.

Indem der Film Maria (Keisha Castle-Hughes) zunächst nicht als eine christliche Ikone, sondern als eine junge Frau nachzeichnet, die zweifelt, ob die von ihrem Vater (Shaun Toub) arrangierte Ehe mit dem Zimmermann Josef (Oscar Isaac) sie wirklich glücklich machen kann, erhält der Zuschauer abseits aller Bibelpassagen einen ganz anderen Zugang zu ihrem Charakter. In diesen Momenten spürt man deutlich Hardwickes Handschrift, die bereits in dem Jugenddrama Thirteen und dem Skaterfilm Lords of Dogtown vorurteilsfrei von den Schwierigkeiten Heranwachsender erzählte.

Die religiöse, metaphorische Ebene durchbricht erst in den letzten zwanzig Minuten mit der Ankunft in Bethlehem die zuvor erfrischend realistische Inszenierung. Dann jedoch mit aller Vehemenz. Zu sakralen Chören und eingebettet in ein helles, gleißendes Licht kommt es zu der wohl berühmtesten Geburt der Menschheitsgeschichte. Hardwicke wirft jede denkbare Zurückhaltung über Bord, so als gälte es, schließlich doch noch die Erwartungen des Publikums an eine weitaus konventionellere Umsetzung zu erfüllen. Es scheint, dass am Schnittpult „gewaltsam“ zwei Versionen zusammengebracht wurden, die einfach nicht zueinander passen. Es wäre interessant zu erfahren, wie Hardwickes ganz persönliche Interpretation der Heiligen Nacht ausgesehen hätte.

Erschienen bei Programmkino.de.

Samstag, Dezember 02, 2006

Jackass: Nummer Zwei - Friends kill Friends

USA 2006

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Johnny Knoxville und Konsorten holen im Kino zu einem zweiten ernstzunehmenden Anschlag auf den guten Geschmack aus: eine Kampfansage an alle Schöngeister.

Was da seit 2000 bei MTV über den Bildschirm flimmert, halten Kulturskeptiker für den Untergang der Zivilisation. Oder zumindest für den Anfang vom Ende. Junge, zumindest körperlich gesunde Männer haben nichts Besseres zu tun, als ihre mehr oder weniger widerstandsfähigen Körper allen möglichen bis unmöglichen Torturen auszusetzen. Wo bei den Machern ein angeborener Masochismus vermutet werden muß, darf der Zuschauer die abstrusen Einfälle der "Jackass"-Combo mit ungläubigem Staunen, Lachen und der Befriedigung der eigenen voyeuristischen Triebe begleiten - jedenfalls dann, wenn er nicht bereits nach wenigen Minuten voller Ekel und Abscheu das Programm gewechselt hat.

Für Zartbesaitete ist "Jackass" (zu Deutsch sinngemäß: "Schwachkopf" - paßt irgendwie) wahrlich eine nachhaltigere und verstörendere Erfahrung als jeder noch so kranke Gewaltexzeß irgendwelcher durchgeknallter asiatischer Regisseure. Da bricht man sich in regelmäßigen Abständen bei waghalsigen Stunts die Knochen oder kotzt sich bei nicht wirklich goutierbaren Prüfungen Marke "Dschungel-Camp" die Seele aus dem Leib. Weil der erste Kinoausflug der "Jackass"-Crew anno 2003 weltweit über 80 Millionen Dollar einspielte, wundert es nicht, daß Johnny Knoxville, Bam Magera, Steve-O, Chris Pontius, Ryan Dunn, Preston Lacy, Ehren McGhehey und Jason "Wee Man" Acuña nun ein weiteres Mal in Spielfilmlänge ihre pubertären Späße ausleben dürfen. Daß sie dabei gefilmt werden, ist eher Nebensache. Wahrscheinlich hätte die Killer-WG auch ohne Kamera ihre helle (Schaden-)Freude am gegenseitigen Malträtieren.

Zu den "Highlights" des neuen "Jackass"-Abenteuers zählen ein Stierkampf mit verbundenen Augen, das Verzehren diverser Pferdeausscheidungen, ein Rodeo-Versuch auf einem Feuerwehrschlauch und eine Zahnentfernung per Pkw - eben eine Überdosis Bad Taste. Weil der Zuschauer unmittelbar die Schmerzen, Qualen und Schadenfreude der Jungs untereinander miterlebt, wie sie sich gegenseitig von einer DummDumm-Aktion zur nächsten aufpushen und dabei so wunderbar natürlich und ungestellt über sich und den ganzen - objektiv betrachtet - Scheiß lachen können, fällt das Resultat derart entwaffnend unterhaltsam aus. In dem Bewußtsein, mit "Jackass" eine subversive Replik auf einen rational-logischen Zeitgeist vorgesetzt zu bekommen, wo sich niemand für sein Tun erklären muß, läßt sich dieser Kinobesuch in einen von der ersten bis zur letzen Minute anarchistischen, dadaistischen Kindergeburtstag umfunktionieren. Sogar der Antichrist würde für soviel nicht-domestizierten und kalkulierten Spaß das eigene überheizte Zuhause verlassen.

Wer das Phänomen "Jackass" erklären will, braucht eigentlich nur den Ablaufplan der schmerzhaften Perversitäten nochmals im Geiste Revue passieren zu lassen. Knoxville und Anhang sind so etwas wie die modernen wiedergeborenen Helden des Stummfilmkinos. Wie Buster Keaton und Dick & Doof seinerzeit von einem Fettnäpfchen ins andere traten und sich zur Belustigung des Publikums bei Aktionen, für die heute professionelle Stuntmen eingesetzt werden, unzählige blaue Flecken holten, kennen auch sie kein Pardon. Die Herrscher über alle Körperflüssigkeiten tun genau das, was der zivilisatorische Anstand ansonsten verbietet.

Daß am Ende sogar Trash-Provocateur, Kultregisseur und Schwulenidol John Waters einen Gastauftritt hat, dürfte kaum Zufall sein. Auch Waters weiß, was es heißt, wenn Underground-Kunst auf den Geschmack und die Attitüde des Mainstreams trifft. Obwohl er heute längst als schriller Zaungast auf jedem Society-Event gern gesehen ist, dienten seine Filme in den 70er und 80er Jahren als Schocker für das konservative Bürgertum. Das unterschwellige homoerotische Motiv, das bei der Zurschaustellung nackter Männerkörper mitschwingt, und die analfixierten Obsessionen der Chaostruppe machen aus "Jackass: Nummer Zwei" den ersten "Pink Flamingo" des 21. Jahrhunderts.

Für evolver.